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Archiv "Ein Vorlesungsversuch zur Homöopathie" (07.11.1997)

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Zunächst erst einmal vielen Dank für den mutigen und unei- gennützigen Selbstversuch, mit dem die Autoren Dr. med. Hans-Joachim Krämer und Prof. Dr. med. Ernst Habermann in Heft 26/1997 das

„Schlüsselexperiment“ der Homöopa- thie entkräften, nach dem das Ein- nehmen von Chinarinde die Sympto- me eines „Wechselfiebers“ hervorru- fen würde!

Das negative Ergebnis ist von zentraler Bedeutung für die allge- meine Bewertung der Homöopathie, denn angeblich führte dieses Experi- ment Samuel Hahnemann im Jahr 1790 zu dem Simile-Prinzip, nach dem ein Arzneimittel, das ein be- stimmtes Krankheitsbild erzeugt, auch eine natürliche Krankheit mit vergleichbaren Symptomen heilen kann.

Wir möchten nun ergänzend zu den Ergebnissen darauf hinweisen, daß das Simile-Prinzip

nicht Hahnemanns Ent- deckung ist, sondern daß es im Sinne einer Imp- fung bereits im 17. Jahr- hundert in der Türkei üblich war, was im Jahr 1717 durch Mary Wort- ley-Montague (1689 bis 1762) in England be-

kannt gemacht wurde (1). Systema- tisch erforscht hat dieses Prinzip spä- ter der englische Landarzt Edward Jenner (1749 bis 1823), der seinen Patienten bekanntlich Vacciniaviren (Orthopoxvirus commune) verab- reichte, wobei diese Infektion mit

„Kuhpocken“ eine ähnliche körper- liche Reaktion hervorrief wie die ge- fürchteten Pocken, und die Erkran- kung durch Variola-Viren verhinder- te oder abmilderte.

Jenner machte sich die Mühe, dieses Wirkungsschema 20 Jahre lang zu untersuchen, statistisch zu ve- rifizieren und erst dann im Jahr 1798 zu publizieren (2), ein gewissenhaf-

tes Vorgehen, das wir bei Hahne- mann ebenso vermissen wie bei den meisten seiner heutigen Anhänger, die zudem – kurioserweise – nicht selten Impfgegner sind.

Literatur

1. Aschoff, Diepgen, Goerke: Kurze Über- sichtstabelle zur Geschichte der Medizin.

7. Aufl. Berlin: Springer, 1960; 34.

2. Fischer-Homberger E: Geschichte der Me- dizin, Berlin: Springer, 1975; 167.

Dr. med. Wolfgang E. Rosenberg, Praktischer Arzt

Kerstin Reuber, Tierärztin Eichbaumstraße 84

85635 Höhenkirchen-Siegertsbrunn

Mit sehr viel Vergnügen habe ich den Artikel „Ein Vorlesungsversuch zur Homöopathie“ von Dr. med.

Hans-Joachim Krämer und Prof. Dr.

med. Ernst Habermann gelesen. Ab-

gesehen von der amüsanten Ver- suchsbeschreibung finde ich es als Chemiker sehr begrüßenswert, daß Experimente zur Homöopathie durchgeführt werden. Leider schei- nen sowohl „Schulmediziner“ als auch „Homöopathen“ nicht daran interessiert zu sein, ihre jeweilige Ansicht durch wissenschaftliche und/oder statistische Untersuchun- gen zu untermauern. Ich verbinde da- her mit diesem Leserbrief den Auf- ruf, zum Beispiel mehr experimentel- le Doktorarbeiten auf diesem Gebiet zu vergeben. Nur so können Phäno- mene wie der „Imprinting-Effekt“

durch das Potenzieren der homöopa-

thischen Wirkstoffe vielleicht einmal wissenschaftlich nachgewiesen wer- den – und das dürfte ja gerade im Sin- ne der Anhänger einer angeblich mit

„Plazebo-Effekten“ behandelnden Ärzteschaft stehen.

Dr. rer. nat. Reinhard Störiko Institut für anorganische Chemie Universitätsstraße 31

93040 Regensburg

Schon die erste Veröffentli- chung Samuel Hahnemanns zur Homöopathie im Jahre 1796 in Hufelands Journal (1) war überaus polemisch. In gleicher Weise hat sich die Polemik in den Schriften der Befürworter und der Gegner der Homöopathie seit 200 Jahren konti- nuierlich fortgesetzt.

Leider verhindert eine derartige Tradition eine konstruktive Ausein- andersetzung mit dem scheinbaren Widerspruch zwischen der gegen- wärtigen Schulmedizin und der Homöopathie – denn Polemik will verletzen. Der Chinarindenversuch der Verfasser war zweifellos helden- haft, denkt man alleine an den schlechten Geschmack der Droge.

Auch zeugt das umfangreiche Lite- raturstudium der Autoren Dr. med.

Hans-Joachim Krämer und Prof. Dr.

med. Ernst Habermann (2) von ei- ner ausführlichen Beschäftigung mit der Materie. Etwas überraschend er- scheint der kurze Schluß von weni- gen Versuchen und die Sichtung der Literatur zur Aussage, die Homöo- pathie sei eine Irrtumswissenschaft.

Eine vorsichtigere Betrach- tungsweise wäre hier sicher ange- bracht gewesen. Der Artikel reiht sich somit nahtlos in die bisherige Tradition schulmedizinisch-homöo- pathischer Auseinandersetzung ein.

Das ist bedauerlich, denn von einem konstruktiven Dialog könnten sicher nicht nur die homöopathisch tätigen A-3003

M E D I Z I N DISKUSSION

Deutsches Ärzteblatt 94, Heft 45, 7. November 1997 (59)

Ein Vorlesungsversuch zur Homöopathie

Zu dem Beitrag von

Dr. med. Hans-Joachim Krämer Prof. Dr. med. Ernst Habermann in Heft 26/1997

Mutiger Selbstversuch

Mehr experimentelle Doktorarbeiten

200 Jahre Polemik

(2)

Ärzte profitieren, sondern auch die schulmedizinisch orientierten Kolle- gen.

Literatur:

1. Hahnemann S: Versuch über ein neues Prinzip zur Auffindung der Heilkräfte der Arzneisubstanzen, nebst einigen Blicken auf die bisherigen. Journal der practischen Arzneykunde, 2. Bd. (1796), 3. Stück, S. 391 ff, Fortsetzung 4. Stück, S. 1 ff. Nachdruck in Stapf 1829, Bd. 1 S. 135–198.

2. Bayr G: Hahnemanns Selbstversuch mit der Chinarinde im Jahre 1790, Heidelberg:

Haug Verlag, 1989.

Dr. med. Christof Zang-Svojanovsky Eckenerstraße 15

63808 Haibach

Wir alle wissen, daß die Wirksam- keit homöopathischer Arzneien an- scheinend jedem gesunden Men- schenverstand und jeder soliden Wis- senschaft widerspricht. Aber keiner der praktizierenden Homöopathen macht sich noch allzu viele Gedanken, wenn er eine C 30-Potenz gibt, daß er damit jenseits des stofflichen Bereichs liegt. Wenn der Patient nach einigen Wochen wiederkommt und sein Kräf- tezustand ist gebessert, seine Schlaf- störungen behoben, die Neurodermi- tis erheblich gemildert, sein Asthma braucht weniger Akut-Aerosol, seine Colitis ist in Remission gegangen oder was immer es sein mag, dann ist dem homöopathischen Praktiker die theo- retische Erklärung hierfür zweitrangig – ebenso wie für den Patienten, wenn er nachhaltige Linderung, Besserung oder Ausheilung erlebt.

Natürlich wären wir froh, wenn wir ein plausibles Denkmodell zur Er- klärung der Wirksamkeit von Hoch- potenzen hätten, das leider bisher erst in Ansätzen erarbeitet ist. Aber auch in der konventionellen Medizin wer- den viele Therapien durchgeführt, de- ren genauer Wirkmechanismus noch nicht entschlüsselt ist, die sich aber im Klinik- und Praxisalltag bewährt ha- ben.

Ich kann die Pharmakologen gut verstehen, denn auch für mich war es ursprünglich eine klare Sache, daß die ganze Homöopathie ein ausgemach- ter Hokuspokus sein muß. Erst das

Ausprobieren in der Praxis machte mich anfangs sprachlos – später wird es selbstverständlich, und man macht sich nicht mehr viele Gedanken.

Es stimmt mich aber immer ein wenig traurig, wenn die Auseinander- setzung mit der Homöopathie so oberflächlich und in diesem Falle im Stile eines Kasperletheaters geführt wird. Wir Homöopathen fühlen uns manchmal wie Galilei vor der Inquisi- tion, und man möchte sagen: „Schaut doch durch das Fernrohr, lest die Ka- suistiken, und beschäftigt Euch mit der Theorie.“ Aber das stößt auf tau- be Ohren, weil die Gegenseite eine – berechtigte – Verantwortung spürt, die Medizin vor Hokuspokus zu be- wahren. Schnell wird das Ganze lächerlich gemacht und mit manchmal wahrhaft missionarischem Eifer in die esoterische Ecke gestellt. Gleich- mäßig wird der deutsche Blätterwald immer wieder mit solchen Attacken gegen die Homöopathie bedacht. Die Leserbriefe, die ein solcher Artikel in der „Zeit“ ausgelöst hat, kann ich den Autoren nachdrücklich zur Lektüre empfehlen.

Ich wünsche mir, daß es in Zu- kunft doch mehr Offenheit gibt, auf- einander zuzugehen, wie das

„draußen in der Praxis“ ja auch oft ohne Probleme klappt.

Zum Chininfieber vergleiche übrigens die Bücher des großen Phar- makologen Louis Lewin, Gifte und Vergiftungen, 4. Auflage 1929; 742 sowie vor allem Louis Lewin, Die Nebenwirkungen der Arzneimittel, 3. Auflage 1899; 422.

Dr. Joachim Stürmer

Arzt für Allgemeinmedizin – Homöopathie

Frankfurter Straße 10 97082 Würzburg

In dem amüsanten und interes- santen Selbstversuch von Habermann wird beschrieben, daß die Verabfol- gung von Chinarinde nicht die von Hahnemann beschriebenen Wirkun- gen hervorruft, nämlich Zunahme der Körpertemperatur und Veränderung

der Pulsfrequenz und Pulsqualität, letztere als Blutdruck registriert. Die Unrichtigkeit der grundlegenden Be- obachtung von Hahnemann, die zum Simile-Prinzip Anlaß gab, ist schon früher berichtet worden. Habermann, bisher als Pharmakologe bekannt und tätig, hat diesen Selbstversuch unter dem Signum der Klinischen Pharma- kologie der Universität Gießen veröf- fentlicht. Es entspricht die Durch- führung dieses Versuches jedoch kei- neswegs dem Standard einer ord- nungsgemäß durchgeführten klinisch- pharmakologischen Studie. Hätte sie einer Ethikkommission vorgelegen, so wäre sie sicher nicht genehmigt worden. Es wird erkennbar, daß der Übergang von der Pharmakologie zur Klinischen Pharmakologie durch eine einfache Umetikettierung nicht mög- lich ist. – Sehr zu begrüßen ist jedoch die Durchführung eines Selbstversu- ches, zu der sich eigentlich jeder Arzt bereitfinden sollte. In England sind Selbstversuche auch im Studentenun- terricht eine Selbstverständlichkeit.

Prof. Dr. med. J. C. Frölich

Medizinische Hochschule Hannover Klinische Pharmakologie

Carl-Neuberg-Straße 1 30625 Hannover

Der Versuch des Gießener Kollegen Habermann, Hahnemanns Chinarinden-Experiment aus dem Jahre 1790 zu wiederholen, ist aus für Kenner der Materie klar ersichtli- chen Gründen, nämlich wegen Ver- fahrensfehlern, gescheitert und daher ungeeignet, Rückschlüsse auf die Verläßlichkeit des Hahnemannschen Berichts zu ziehen. Erstens: Die Cor- tex Chinae war unterdosiert. Hahne- mann nahm „zweimal täglich vier Quentchen gute China“ ein, wobei er unzweifelhaft alte Quentchen zu 3,64 Gramm meinte. Er prüfte also mit täglich zweimal 14,56 Gramm Chinarinde, der um 1790 üblichen therapeutischen Tagesdosis. Haber- mann hingegen gibt nicht an, wieviel Cortex Chinae er eingenommen hat, und der namentlich ungenannte zwei- te Prüfer nahm maximal eine Einzel- A-3004

M E D I Z I N DISKUSSION

(60) Deutsches Ärzteblatt 94, Heft 45, 7. November 1997

Plausibles Denkmodell wünschenswert

Selbstversuche anstrebenswert

Macht’s genau nach!

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dosis von 8 Gramm, eine „höhere Dosis“ als die von Habermann.

Zweitens: Habermann stand zum Versuchszeitpunkt unter Pharmaka, welche die Pulsfrequenz senken (Be- tablocker). Zur Begleitmedikation von Prüfer 2 erhielten wir keine Infor- mationen. Einen Arzneiversuch mit konventioneller pharmakologischer Zielsetzung würde allein diese Tatsa- che schon entwerten. Drittens: Hah- nemann notierte bei seinem Experi- ment genau alle Befindensverände- rungen, die er wahrnahm. Haber- mann und sein Kollege dagegen kon- zentrierten sich einseitig nur auf Puls und Temperatur. Dies ist um so wider- sinniger, als Hahnemann zwar eine Pulsbeschleunigung an sich wahrge- nommen hat, aber mit keinem Wort eine Veränderung der objektiven Körpertemperatur erwähnt. Ebenso- wenig hat Hahnemann behauptet, Cortex Chinae habe bei ihm einen Wechselfieberanfall erzeugt. Die Arz- nei reproduzierte „nur“ alle ihm aus Erfahrung bekannten Symptome ei- nes solchen Anfalls, jedoch „ohne ei- gentlichen Fieberschauder“, wie er selbst betont! Viertens: Chinarinde und Chinin können bekanntermaßen Fieber erzeugen. Peters (1) sah objek- tive Temperaturerhöhungen bis 40 Grad Celsius nach 0,06 Gramm Chininsulfat. Budelmann und Grauel von der Uniklinik Hamburg-Eppen- dorf (2) beobachteten solche Fieber- anstiege auch nach Chinidin.

Moeschlin (3) erwähnt „drug fever“

als relativ häufige unerwünschte Arz- neimittelnebenwirkung von Chinin.

Letzterer schreibt auch, daß „Chinin- vergiftungen oft schwer von Überempfindlichkeitsreaktionen auf therapeutische Dosen zu unterschei- den“ seien. Das bedeutet, daß bei Chinarinde und Chinin toxische und allergische Wirkungen nahtlos inein- ander übergehen und es der Sachlage nicht gerecht würde, Hahnemanns Reaktion auf Cortex Chinae einfach als „Chininallergie“ zu den Akten zu legen. Daß Chinin auch Herzarrhyth- mien und Tachykardie erzeugt, bedarf keiner weiteren Untermauerung.

Last, but not least: Hahnemann blieb nicht bei groben pharmakolo- gisch-toxikologischen Experimenten wie diesem Chinarindenversuch ste- hen, so wichtig sie auch waren. In der

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Deutsches Ärzteblatt 94, Heft 45, 7. November 1997 (61) (seiner Zeit um 100 Jahre vorauseilen-

den) Intention, eine rationale Pharma- kotherapie mit geringstmöglichen Ne- benwirkungen zu entwickeln, verrin- gerte er die therapeutischen Dosen der von ihm benutzten Arzneien im- mer weiter. Bei diesen Versuchen, wel- che Verdünnungsverfahren zur Ver- besserung der Resorption einschlos- sen, entstand schließlich die Potenzie- rung. Es stünde einem Pharmakolo- gieprofessor gut an, einen historischen Arzneiversuch nicht nachlässig, son- dern exakt zu reproduzieren, beson- ders wenn es darum geht, eine ganze Therapierichtung zu beurteilen. Der studentische Arbeitskreis Homöopa- thie an seiner Universität hätte ihm vielleicht dabei helfen können.

Literatur

1. Peters, Lancet, 5. Oktober 1889, S. 727, in:

Madaus G: Lehrbuch der biologischen Heilmittel, Bd. 2. Leipzig: Verlag Georg Olms, 1938; 952.

2. Budelmann/Grauel, Klinische Wochen- schrift, 15. Jahrgang, S. 225, in: Madaus G:

Lehrbuch der biologischen Heilmittel, Bd.

2, Leipzig: Verlag Georg Olms, 1938; 953.

3. Moeschlin S: Klinik und Therapie der Ver- giftungen. 7. neubearb. und erw. Auflage, Stuttgart, New York: Thieme, 1986.

Dr. med. Stefan Deinhart, Arzt für Allgemeinmedizin – Homöopathie

Dr. med. Veronika Rampold, praktische Ärztin – Homöopathie August-Weihe-Institut für homöopathische Medizin Benekestraße 11

32756 Detmold

Am Schluß unseres Berichtes hatten wir zu weiteren Selbstversu- chen, vor allem solchen mit höherer Dosierung, eingeladen. Weil kein Vertreter der Homöopathie erschien, trugen wir den noch ausstehenden Versuch mit Hahnemanns Dosis, also vier alten Quentchen, entsprechend 14,5 Gramm, nach. Die Herzfrequenz des Probanden (H.-J. K.) stieg nach halbstündiger Latenz für etwa 30 Mi- nuten von 88 auf 100/min, der Blut- druck sank für etwa eine Stunde von 125/99 auf 116/77. Profuse, rindenfar- bene, schmerzlose Durchfälle melde- ten sich nach einer Stunde und vor al- lem zwei Stunden; anschließend nor- malisierte sich die Darmfunktion prompt. Die Körpertemperatur des Probanden blieb um die 36,5 °Celsi- us, die Befindlichkeit blieb, wenn man vom Stuhlgang absieht, unge- stört.

Durchfälle nach China-Alkaloi- den gehören ebenso wie Kreislauf- störungen zum typischen Vergif- tungsbild.

Ob die milden Kreislaufreaktio- nen direkt oder gastrointestinal be- dingt waren, bleibt offen. Wir konn- ten also Hahnemanns markante

„Arzneimittelkrankheit“ selbst durch eine eben noch tolerable Dosis von Cortex Chinae nicht reproduzieren, obwohl sie „jedesmahl“ hätte eintre- ten müssen.

Dieser Hochdosisversuch ent- kräftet zugleich den ersten Kri- tikpunkt von S. Deinhart und V.

Rampold. Zum Glück hatten wir uns in der Vorlesung auf 8 Gramm Cor- tex Chinae beschränkt, sonst hätte der Vortragende vom Lehrstuhl auf den Nachtstuhl wechseln müssen.

Jetzt hatten wir die Gabe von zwei- mal 14,5 Gramm erwogen. Aber der braunschwarze, sehr dünne Stuhl ließ erwarten, daß die Resorption der auslösenden und erst recht einer nachfolgenden Gabe gestört wird.

Auch ist Hahnemanns Protokoll zu entnehmen, daß sein zwei- bis drei- stündiger Paroxysmus jedesmal auf- trat und sich erneuerte, wenn er die Gabe wiederholte. Aus beiden Grün- den verzichteten wir auf eine zweite Gabe am gleichen Tag. Unabhängig davon bleibt offen, ob Hahnemanns

„gute China“ mit ihrem Wirkstoffge- halt an unsere DAB-Droge heran- reichte.

Auch der zweite Einwand läßt sich entkräften; denn 8 Gramm (dreimal geprüft) und 14,5 Gramm (einmal geprüft) nahm nur der 37jährige, gesunde, medikamenten- freie Autor (H.-J. K.) mit bis dahin normalem Stuhlgang. Zum dritten wird vorgehalten, wir hätten nur auf Puls, Blutdruck und Temperatur ge- achtet, nicht aber auf die Befindlich- keit. Hahnemanns dramatische Be- funde hätten niemandem entgehen können; wir berichteten, daß sie aus- blieben. Wir maßen den Puls, weil

Schlußwort

(4)

Hahnemann eine Beschleunigung – bei ihm das Äquivalent von „Fieber“

– angegeben hatte. Unsere Messung der Temperatur leitet über zum vier- ten Einwand. Wenn Hahnemann sich gleich zweimal auf Wechselfieber be- zieht, aber die Körpertemperatur nicht ins Kalkül zieht, sollte man de- ren Messung nicht als widersinnig bezeichnen. Zu unserem Erstaunen geht die Kritik nahtlos in Argumente für das Chininfieber über. Wegen der Komplexität dieses Begriffs verwei- sen wir wieder auf Bayr (1989), we- gen der akuten Toxizität von China- Alkaloiden auf (6). Dazu paßt, daß man (3) homöopathisches China bei verschiedenen Arten von Fieber, darunter „Wechselfieber“, verord- net.

Wir haben im Rahmen des Mög- lichen unser Bestes getan, um Hahne- mann zu folgen. Aber es bleibt dabei:

Nach Gabe von 1,6 bis 14,5 Gramm Cortex Chinae hat sich weder die Be- findlichkeit verschlechtert, noch ist

„Fieber“ im Sinne des 18. oder 20.

Jahrhunderts entstanden.

Von Studenten erwarten wir, daß sie mit uns nicht nur diskutieren, son- dern auch experimentieren. Beson- ders danken wir für den Hinweis, daß aus Versuchen wie dem von uns über- prüften die Potenzierung abgeleitet wurde. Wenn nämlich das „Arznei- mittelbild“ nicht stimmt, müßte die homöopathische Potenzierung – ge- setzt, sie funktionierte – in die Irre führen.

J. C. Frölich meint, über die feh- lende Reproduzierbarkeit des Hah- nemannschen Grundversuchs sei schon früher berichtet worden. Er bleibt aber Zitate schuldig, die einen strengen Nachvollzug bis in subtoxi- sche Bereiche hinein ermöglicht hät- ten. Die gelegentlichen, von uns er- wähnten (Bayr 1989) Prüfungen mit Chinin statt Cortex Chinae hätte Hahnemann abgelehnt; denn er glaubte, das Alkaloid Chinin weise gegen das genuine Phytotherapeuti- kum Nachteile auf (1). – Die Ethik- Kommission des hiesigen Fachbe- reichs mußte nicht eingeschaltet wer- den, weil es sich um einen Selbstver- such voll informierter Ärzte handel- te, der nicht gegen die guten Sitten verstieß (Grundsatzbeschluß AZ 12/97). – Unser Versuch war als Vor-

lesungsexperiment geplant und aus- gewiesen. Wie beschrieben, wurde der Ablauf, beginnend mit einer ein- stündigen Kontrollphase, im Labor eingeübt und messend verfolgt. In den Vorlesungen wurden gekürzte Versionen demonstriert. Plazebokon- trollen wären wegen des durchschla- gend bitteren Geschmacks des Ve- rums sofort erkannt worden. Aus mehreren Gründen – darunter sol- chen ethischer Art – mußten wir auf eine streng klinisch-pharmakologi- sche Studie mit größerer Probanden- zahl verzichten.

K. Reuber und W. Rosenberg be- tonen, daß das Simile-Prinzip längst vor Hahnemann in der Medizin hei- misch war. Ergänzend nennen wir den Titel einer Hallenser Dissertation fünfzig Jahre vor Hahnemanns Ver- such: „De curatione per similia“ (5).

Jütte (1996) findet Züge des Prinzips im Corpus Hippocraticum und bei Paracelsus. Aber ich zögere, Jenner mit Hahnemann gleichzusetzen. Jen- ner blieb auf dem Boden der Tatsa- chen, und die Vakzination gewann schnell generelle Bedeutung. Hahne- mann ritt Prinzipien, mit denen wir uns noch heute, nach zweihundert Jahren, herumplagen müssen.

R. Störiko sei versichert, daß uns nur der Grundversuch Hahnemanns interessierte. Dieser schrieb 1811 (2):

„. . . ein Erfahrungswerk wie mein Organon der rationellen Heilkunde, welches bloß aus Erfahrung fließt, bloß auf Erfahrung hinweist und nie anders als durch Gegenerfahrung oder Gegenversuche bestätigt oder widerlegt werden könnte. . .“ Dies, und nur dies, haben wir versucht. An anderer Stelle hob er hervor (Paragr.

28 in [1]): „. . . so kommt es auf die scientifische Erklärung, wie dies zu- gehe wenig an und ich setze wenig Wert darauf, dergleichen zu versu- chen.“ Dem schließen wir uns an, auch hinsichtlich des Imprinting- Effekts (gemeint ist hierbei das „Ge- dächtnis des Wassers“. [Die Auto- ren]).

Ch. Zang-Svojanovsky wünscht sich einen konstruktiven Dialog, gibt aber dazu kein Stichwort. Die Aussa- ge, daß sich Hahnemann geirrt habe, stammt nicht von uns. Wir zitierten sie aus dem Buch von Bayr, einem Sym- pathisanten der Homöopathie. Herr

Zang möge verstehen, daß man über Irrtümer ebensowenig hinwegreden darf wie über Computerviren. Beide können auch gute Programme zer- stören.

Ebensowenig wie J. Stürmer geht es uns darum, die Rätsel der Homöopathie zu entschlüsseln. Wir wollten lediglich den vielzitierten Selbstversuch Hahnemanns öffent- lich nachvollziehen. Wenn Stürmer unsere Vorlesungsversuche mit ei- nem Kasperletheater vergleicht, dann sollte er auch das Theaterstück nennen: Es handelt von des Kaisers neuen Kleidern. Der Schleppenträ- ger des Kaisers ästimiert sie. Das un- verständige Kind zeigt mit dem Fin- ger: „Aber der Kaiser ist ja nackt!“

Die Blöße läßt sich nicht verdecken, indem man auf des Kaisers reichliche häusliche Garderobe (sprich: the- rapeutische Kasuistiken) verweist.

Stürmers Erfolge in der Praxis seien nicht bestritten. Man darf sich aber fragen, wieviel sie mit der hier in Fra- ge gestellten wissenschaftlichen Es- senz der Homöopathie zu tun haben.

Wenn man homöopathische Therapie mit modernen Methoden prüft – das ist durchaus möglich –, bleibt nicht viel übrig (4). Zwar rate ich meinen Studenten nicht von der Verschrei- bung der Homöopathika ab, wenn nur der Patient keinen körperlichen oder finanziellen Schaden erleidet und korrekt informiert wird. Aber sie müssen wissen, was sie tun; denn in der heutigen Zeit hat rationales Den- ken auch eine moralische Dimension.

Literatur

1. Hahnemann S (1842): Organon der Heil- kunst. 6. Auflage, Hrsg. von R. Haehl.

Leipzig: 1921. Paragr. 273, Fußnote 2.

2. ebendort, S. V., Vorwort von R. Haehl 3. Dorcsi M: Homöopathie heute. Hamburg:

1990; 233.

4. Kleijnen J, Knipschild P, ter Riet G: Clinical trials of homeopathy. Brit Med J 1991; 302:

316–323.

5. Bruguiere FA la: De Curatione per Similia.

Inaug. Diss. Halle, 1734.

6. Ludewig R, Lohs K: Akute Vergiftungen.

Jena: 1991; 142–145. (Hier wird vermerkt, daß bei Vergiftung mit einer Senkung, bei Überempfindlichkeit mit einer Steigerung der Temperatur zu rechnen sei).

Für die Verfasser

Prof. Dr. med. Ernst Habermann Klinische Pharmakologie

Justus-Liebig-Universität Gießen Gaffkystraße 11 c

35385 Gießen A-3006

M E D I Z I N DISKUSSION

(62) Deutsches Ärzteblatt 94, Heft 45, 7. November 1997

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