Krebsreeter: Pflicht
Gesetzentwurf
für alle Bundesländer
Als das Bundesgesundheitsministerium im vergangenen Jahr das Gesetz zur Sicherung und vorläufigen Fortführung des Nationalen Krebsregisters der DDR vorbereitete (vgl. Heft 30/1992), wurde betont, daß es um die Sicherung der vorhan- denen Daten gehe. Einen Vorgriff auf ein bundesweit gülti- ges Krebsregistergesetz bedeute dies nicht. Nun ist das soge- nannte Krebsregistersicherungsgesetz zum 1. Januar 1993 wie geplant in Kraft getreten. Und siehe da: Mitte Februar teilte das Gesundheitsministerium mit, daß ein Referentenentwurf für ein Bundeskrebsregistergesetz erarbeitet worden sei.
m Entwurf wird ausführlich dar- auf eingegangen, welchen Sinn Krebsregister haben und wes- halb der Bund plötzlich gesetzgebe- risch tätig wird. Trotz belegter schä- digender Einzelfaktoren (wie dem Rauchen) seien die ursächlichen Zu- sammenhänge, die zu einer Krebser- krankung führen, weitgehend unbe- kannt. Mit Hilfe entsprechender Krebsregister könne man eine ad- äquate Ursachenforschung betreiben und einen Überblick über die jähr- lich auftretenden Krebsfälle sowie die Zahl der vorhandenen Krebspa- tienten gewinnen. Zwar hätten ein- zelne Bundesländer Krebsregisterge- setze erlassen und führten auch Re- gister. Doch weder sei eine ausrei- chende Registrierung gesichert, noch könne man die erhobenen Da- ten miteinander vergleichen.
Deshalb will der Bund die Län- der nun zur flächendeckenden, be- völkerungsbezogenen Registrierung von Krebserkrankungen verpflichten
— und zwar ausnahmslos. Den Län- dern wird im Entwurf lediglich die Möglichkeit eingeräumt, gemeinsa- me Register zu führen. Dabei ist durchaus nicht unumstritten, ob der Bund überhaupt die Kompetenz zu einem solchen Rahmengesetz be- sitzt. Im Referentenentwurf wird sie aus Artikel 74 Grundgesetz abgelei- tet, der Gegenstände der konkurrie- renden Gesetzgebung regelt. Da- nach kann der Bund gegebenenfalls tätig werden, wenn es um „Maßnah- men gegen gemeingefährliche und
übertragbare Krankheiten bei Men- schen und Tieren" geht. „Krebs", so steht es ein paar Sätze weiter im Ent- wurf, „ist eine gemeingefährliche Krankheit." Ausschlaggebend für diese Beurteilung sei die große Zahl der Erkrankungen und eine hohe Letalität.
Umstritten war und ist innerhalb der Diskussion um Krebsregister, wie man einerseits epidemiologi- schen Anforderungen gerecht wer- den kann und andererseits dem in- formationellen Selbstbestimmungs- recht von Patienten und Patientin- nen. Diese Diskussion hat sich auch im Referentenentwurf niederge- schlagen. So ist zum Beispiel ein Melderecht, nicht jedoch eine Mel- depflicht für Ärzte und Zahnärzte vorgesehen. Durch eine Vergütungs- regelung für die Ärzte soll „ein An- reiz zur Abgabe von Meldungen" ge- schaffen werden.
Der Patient muß von einer Mel- dung unterrichtet werden. Ein- schränkung: Die Unterrichtung dür- fe unterbleiben, „solange zu erwar- ten ist, daß dem Patienten dadurch gesundheitliche Nachteile entstehen könnten". Er sei sowohl auf sein Wi- derspruchsrecht hinzuweisen als auch — auf Wunsch — über den In- halt der Meldung zu informieren.
Das Bundesgesundheitsministe- rium ist offenbar dennoch optimi- stisch, was die Repräsentativität der Daten betrifft. Im Entwurf heißt es dazu: Es „muß nicht damit gerechnet werden, daß eine nennenswerte Zahl
von Patienten, die über Art und Aus- maß ihrer Erkrankung aufklärbar sind, von ihrem Recht auf Wider- spruch Gebrauch machen. Daher ist auch bei einer Melderechtslösung mit Widerspruchsrecht von einer ausreichenden Vollständigkeit aus- zugehen." Im Zusammenhang mit Meldungen ist im übrigen noch vor- gesehen, daß die Gesundheitsämter eine Kopie aller Leichenschauschei- ne an die örtliche zuständige Stelle übermitteln.
Um die Trennung von epidemio- logischen und Identitätsdaten abzusi- chern, sollen sämtliche Meldungen in einem Zwei-Stufen-Verfahren bear- beitet werden: Meldungen des Arztes gehen zunächst an die sogenannte Vertrauensstelle, die unter ärztlicher Leitung steht. Dort werden die Anga- ben auf Schlüssigkeit überprüft. An- schließend werden die epidemiologi- schen von den Identitätsdaten ge- trennt; letztere werden verschlüsselt und erhalten eine Kontrollnummer.
Die epidemiologischen Daten, die verschlüsselten Identitätsdaten, die Kontrollnummer und eine Anga- be, ob der Patient unterrichtet wur- de, gehen dann an die sogenannte Registerstelle. Die Vertrauensstelle muß die Identitätsdaten sowie die verschlüsselten Daten spätestens nach drei Monaten wieder löschen.
Anträge der Patienten
Vorgesehen ist im Entwurf auch, daß Patienten über ihren Arzt erfra- gen können, ob und welche Meldun- gen im Register über sie gespeichert sind. Die Entschlüsselung und Wei- tergabe von Identitätsdaten soll zu- dem nur in bestimmten Fällen mög- lich sein. Zuvor hat der meldende Arzt allerdings die schriftliche Ein- willigung der Patienten einzuholen;
falls er nicht mehr lebt, die seiner Angehörigen.
Dr. Werner Schmidt, Referats- leiter beim Bundesbeauftragten für den Datenschutz, ist in der Grund- tendenz mit dem Entwurf einver- standen: Er sei eine „gangbare Lö- sung", um zu Krebsregistern für die Länder zu kommen. Die Interessen der Betroffenen seien in hohem Ma- ße gewahrt. Sabine Dauth A1-694 (22) Dt. Ärztebl. 90, Heft 10, 12. März 1993