• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Leitlinien: Unzureichend umgesetzt" (27.01.2006)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Leitlinien: Unzureichend umgesetzt" (27.01.2006)"

Copied!
1
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

W

ir sind schon ziemlich gut“, urteilten die Teilnehmer der 16. Leitlinienkonferenz der AWMF – Arbeitsgemeinschaft der Me- dizinisch Wissenschaftlichen Fachge- sellschaften – in Berlin. Denn das Re- gelwerk zur Erstellung und Wartung von Behandlungsleitlinien würde im- mer umfassender. So kümmert sich die AWMF nicht nur darum, die Entwick- lung von Leitlinien zu fördern und zwi- schen den Fachgesellschaften, die sie er- stellen, zu vermitteln. Auch die Metho- dik der Qualitätssicherung wird zuneh- mend ausgefeilter – sei es durch das Leitlinien-Clearing-Verfahren beim Ärztlichen Zentrum für Qualitätssiche- rung (ÄZQ), Berlin, oder durch die Orientierung an den DELBI-Kriterien – einem Instrument zur methodischen Leitlinien-Bewertung.

Empfundener Mehraufwand

Doch das alles reicht nicht aus, um gut ge- nug zu sein, wie sich auf der Tagung her- ausstellte. Ein Grund: Ärzte empfinden Leitlinien, die eigentlich als Hilfe für de- ren Entscheidungsprozesse gedacht sind, als zusätzlichen Aufwand. „Ähnlich den Disease-Management-Programmen, In- tegrationsverträgen oder Qualitätsma- nagement- und Fortbildungsverpflich- tungen werden auch Leitlinien unter Bü- rokratie verbucht“, gab Prof. Dr. med.

Ferdinand M. Gerlach vom Institut für Allgemeinmedizin an der Universität Frankfurt/Main zu bedenken. Der emp- fundene Mehraufwand sei ein Grund, warum Ärzte Leitlinien nur unzurei- chend umsetzten.

Das Ergebnis einer Dissertation an der Universität zu Köln über die Implemen- tierung von Leitlinien deckt sich mit den Erfahrungswerten Gerlachs: Zwei Drittel

der im Rahmen der wissenschaftlichen Arbeit befragten Hausärzte (185 in Ber- lin und 135 in Hessen) gaben an, Leitlini- en selten oder nie zu nutzen, referierte Prof. Dr. med. Günter Ollenschläger vom ÄZQ. Nach Gründen, warum Ärzte of- fenbar seltener Leitlinien in ihre Tätigkeit einbeziehen, wurde in einer Magisterar- beit an der Freien Universität Berlin ge- sucht.Von 189 Hausärzten äußerten mehr als 60 Prozent, Leitlinien nicht zu kennen, zudem fällt es etwa 55 Prozent schwer, gute Leitlinien zu finden. Etwa 50 Pro- zent der Hausärzte befürchten auch, die Autoren von Leitlinien arbeiteten nicht

„unabhängig“.Als weitere „Barrieren für die Leitlinien-Nutzung“ bezeichneten die Berliner Hausärzte deren Format, fehlen- de Aktualität und die Kosten. Welche Haltung die ärztliche Selbstverwaltung zum Thema Leitlinien einnimmt, ist vie- len im Übrigen unbekannt.Auf die Frage,

„Stimmen Sie mit der Haltung der ärztli- chen Selbstverwaltung zum Thema Leitli- nien überein?“, antworteten mehr als 60 Prozent der 189 Hausärzte,sie kennen die Haltung nicht. Etwa zehn Prozent be- zeichneten die Haltung als „zu positiv“, etwa acht Prozent finden die „zustimmen- de Haltung“ der Selbstverwaltung „o.k.“.

Probleme, Leitlinien umzusetzen, gibt es aus weiteren Gründen: Die vorhande- nen Leitlinien sind nicht ausreichend praxisbezogen. Dem liegen verschiedene Ursachen zugrunde. „Oftmals werden die Schnittstellen zwischen ambulanter und stationärer Versorgung nicht ausrei- chend herausgearbeitet“, kritisiert bei- spielsweise Dr. med. Bernhard Gibis, De- zernent bei der Kassenärztlichen Bun- desvereinigung für Versorgungsqualität und Sicherstellung. Zudem werde in vie- len Leitlinien nicht deutlich festgelegt, welche Behandlung für einen speziellen Patienten Priorität haben soll, bemängelt Gerlach. Bei einem multimorbiden Pati-

enten verstärke sich dieses Problem. „Er- hält der Arzt in der Leitlinie keinerlei Anweisungen, worauf zuerst zu achten ist, besteht die Gefahr der Interaktion zwischen verschiedenen Therapien“, so Gerlach gegenüber dem Deutschen Ärz- teblatt.Auf diesem Gebiet bestehe Nach- holbedarf, betonte auch Prof. Dr. med.

Jürgen Windeler vom Medizinischen Dienst (MDS) der Spitzenverbände der Krankenkassen, Essen. „Krankheitsori- entierte Leitlinien bringen dem Arzt we- nig“, meint der Leiter des Fachbereichs evidenzbasierte Medizin beim MDS.

Für die Professionalisierung von Leitlinien fehlt Geld

Um die vorhandenen Leitlinien zu pro- fessionalisieren, ist jedoch mehr Geld er- forderlich. Denn derzeit müssen sich die Fachgesellschaften beim Erstellen von Leitlinien in ihren Kosten im internatio- nalen Vergleich massiv einschränken, be- richtete Dr. med. Ina Kopp vom Marbur- ger Leitlinienbüro der AWMF. Während in Deutschland circa 200 000 US-Dollar für die Erstellung einer Leitlinie anfallen, sind es in anderen Ländern mit schät- zungsweise 900 000 US-Dollar weitaus mehr. Die meisten Fachgesellschaften lehnen es aber ab, sich von der Industrie sponsern zu lassen, weil sie hierbei die Gefahr der Abhängigkeit fürchten. Auch von staatlicher Seite ist wenig zu erwar- ten. Zwar hat das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) in den vergangenen Jahren modellhaft die Erstellung be- stimmter Leitlinien gefördert – wie von 1999 bis 2003 mit 800 000 Euro neun Leit- linien der Deutschen Gesellschaft für All- gemeinmedizin. „Eine dauerhaft staatli- che Förderung von Leitlinien wird es aber nicht geben“, sagt Ministerialrätin Dr.med.Hiltrud Kastenholz,Leiterin des Referats Qualitätssicherung beim BMG, gegenüber dem Deutschen Ärzteblatt.

Ein wenig Hoffnung verspricht ein Leitlinien-Konto, das die AWMF vor kurzem beim Stifterverband der In- dustrie eingerichtet hat. Bislang, sagt Kopp, sei jedoch nicht viel eingezahlt

worden. Martina Merten

P O L I T I K

A

A164 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 4⏐⏐27. Januar 2006

Leitlinien

Unzureichend umgesetzt

Obwohl immer mehr Leitlinien aktualisiert, in ihrer Qualität kontrolliert und bewertet werden, kritisieren Experten deren fehlende Implementierung und mangelnden Praxisbezug.

Magisterarbeit an der FU Berlin: http://www.leitlinien.de/

implementierung/pdf/magisterarbeitrk.pdf

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Während die Studienanfänger aller drei Gruppen in ihrer Zustimmung dabei noch relativ dicht beieinander liegen (43 bis 58 Prozent), unterscheiden sich die höheren Semester deutlich:

Ihr Leben war eine unendli- che Qual, nicht nur für sich selbst, sondern auch für mich, der ich sie über 20 Monate lang täglich für sechs bis acht Stunden besuchte, ohne dass sie

Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich auch in Deutschland die Berichte mehren, daß Patienten ihren Arzt nach den Leitlinien seiner Fachge- sellschaft fragen und

Die wissenschaftlichen medizinischen Fachgesell- schaften haben von Anfang an eine Arbeitsteilung dahin- gehend vorgeschlagen, daß sie die Bürde der Entwick- lung von Leitlinien

(Az.: 5 AZB 46/04) darüber zu entscheiden, ob die Kosten- erstattung im Nebentätig- keitsbereich in einem rechtli- chen oder unmittelbaren wirt- schaftlichen Zusammenhang mit

„Diese Ergebnisse waren unabhängig davon, ob die Patienten wegen einer Unverträglichkeit keinen ACE-Hem- mer erhielten (Studienarm CHARM- Alternative), ob sie konventionell

Programm/Information: Bayerische Landesärztekam- mer, Daniela Putzlocher, Tel. 16, 81677 München, E-Mail: suchtmedizin@blaek.de, Online-Anmeldung

Solange wir in Deutschland die essentielle Forderung nach einer Eva- luation als „allzu künstlich“ emp- finden und uns weigern, Umsetzung und Folgen eigener Leitlinien vor ih-