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Archiv "Tabakwerbeverbot: Deutsche Regierung klagt gegen EU-Richtlinie" (26.09.2003)

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itte 2005 sollte sie in Kraft treten:

die EU-Richtlinie 2003/33/EG, mit der Tabakwerbung aus Zeit- schriften, Radio, Internet und aus dem Sponsoring verbannt werden soll. Ende 2002 war sie vom europäischen Parla- ment und Ministerrat verabschiedet worden. Nun hat die deutsche Regierung kurz vor Ablauf der Einspruchsfrist ge- gen die Richtlinie Klage beim Europäi- schen Gerichtshof (EuGH) in Luxem- burg erhoben. Formal wird die Klage damit begründet, dass die Richtlinien mit ihrer Einbeziehung von Radio und Printmedien in das Werbeverbot ei- ne unbotmäßige Kompetenzüberschrei- tung der EU darstelle. Schließlich han- dele es sich dabei nicht oder nur margi- nal um grenzüberschreitende Medien;

Brüssel sei jedoch nur zur Regulierung des gemeinsamen Binnenmarkts befugt.

Inhaltlich wird zudem vom klageführen- den Finanzministerium zu Protokoll ge- geben, es handele sich bei Tabakwaren um legal verkäufliche Produkte; Werbe- verbote stellten daher eine Einschrän- kung der freien Meinungsäußerung dar und stünden somit im Gegensatz zu Artikel 5 des Grundgesetzes.

Einschränkungen sind legitim

Ob Tabakwerbung diesen verfassungs- rechtlichen Schutz für sich in Anspruch nehmen kann, untersuchte der Bochu- mer Staats- und Verfassungsrechtler Prof. Helmut Siekmann in einem jüngst publizierten Gutachten (1). Er kommt zu dem Ergebnis, dass Tabakwerbung nicht mit Werbung für Spülmittel oder Gum- mibärchen vergleichbar ist. Denn es be- stünden schon längst vielfältige, verfas- sungsrechtlich abgesicherte Einschrän- kungen hinsichtlich der Tabakwerbung:

Seit 1975 darf für Tabakprodukte weder im Radio noch im Fernsehen geworben werden, und gemäß Jugendschutzgesetz- Novelle (2002) ist Tabakwerbung in Ki- nos vor 18 Uhr verboten. Das Lebensmit- telgesetz, unter das Tabakerzeugnisse in Deutschland fallen, bestimmt zudem in

§ 22 Abs. 2, dass für sie nicht in einer Wei- se geworben werden darf, „durch die der Eindruck erweckt wird, dass der Genuss oder die bestimmungsgemäße Verwen- dung von Tabakerzeugnissen gesundheit- lich unbedenklich oder geeignet ist, die Funktion des Körpers, die Leistungs- fähigkeit oder das Wohlbefinden günstig zu beeinflussen“.

Die Tatsache, dass Tabakprodukte mit deutlichen Warnhinweisen versehen sein müssen, impliziert zudem, dass hier das Recht auf freie Meinungsäußerung nicht uneingeschränkt Gültigkeit haben kann, sondern vielmehr gegen das in Artikel 2 des Grundgesetzes festgeschriebene Recht auf Leben und körperliche Unver- sehrtheit abzuwägen ist. Nach Auffas- sung des Verfassungsgerichts ist der Schutz der Gesundheit ein „schlechthin, ohne Rücksicht auf eine bestimmte Mei- nung zu schützendes Rechtsgut“ und le- gitimiert in diesem Fall die Einschrän- kung der Meinungsfreiheit. Siekmann weist allerdings darauf hin, dass derartige Einschränkungen nur dann erfolgen dür- fen, wenn sie angemessen und nachweis- lich zum Schutz der Gesundheit geeignet sind. Hinsichtlich eines Tabakwerbever- bots erachtet er diese Voraussetzungen für gegeben, konnte in Studien doch ge- zeigt werden, dass sich darüber der Ein- stieg von Kindern und Jugendlichen in die Nikotinabhängigkeit sowie der Rau- cheranteil in der Bevölkerung reduzie- ren lassen. Saffer und Chaloupka konn- ten zum Beispiel in einer Studie an 22 Hocheinkommensländern nachweisen,

dass sich der Tabakkonsum durch umfas- sende Werbeverbote um sechs Prozent senken ließe (2). Eine neue epidemiolo- gische Studie zeigt für Deutschland zu- dem einen direkten Zusammenhang von Tabakwerbung und Rauchen im Jugend- alter auf: Eine Befragung von 4 000 Heranwachsenden im Alter von zwölf bis 15 Jahren ergab, dass rauchende Jugend- liche der Tabakwerbung wesentlich posi- tiver gegenüber eingestellt sind als nicht- rauchende (3). Diese Ergebnisse hebeln die von der Tabakindustrie immer wieder vorgebrachte Argumentation aus,Tabak- werbung diene allein und ausschließlich der Gewinnung von Marktanteilen unter den praktizierenden Rauchern.

Forderung der Ärzteschaft

Gleichsetzungen von Tabakprodukten mit anderen frei verkäuflichen Waren stellen sowohl eine Verharmlosung ihrer Gesundheitsgefährlichkeit als auch eine Verzerrung der bestehenden Rechts- wirklichkeit dar. Die deutsche Ärzte- schaft bezog mehrfach zur Tabakpolitik und zum Problem der Tabakwerbung Stellung. Zuletzt sprach sich der 106.

Deutsche Ärztetag in Köln mit über- wältigender Mehrheit für das WHO- Rahmenabkommen zur Tabakkontrolle (FCTC) und die EU-Werberichtlinie aus.

Die Bundesregierung wurde aufgefor- dert, FCTC zu unterschreiben und von einer Klage gegen die EU-Richtlinie Abstand zu nehmen. Die Entschließung wurde dem Bundeskanzler durch den Präsidenten der Bundesärztekammer, Prof. Dr. med. Jörg-Dietrich Hoppe, schriftlich übermittelt. Eine Antwort darauf steht noch aus; mit dem Vor- gehen der Regierung hat sich eine solche aber fast schon erübrigt.

Literatur

1. Siekmann H: Verfassungsmäßigkeit eines umfassenden Verbots der Werbung für Tabakprodukte. In: Die Öffentli- che Verwaltung, Aug. 2003; 16: 657–664.

2.The World Bank: Curbing the Epidemic: Governments and the Economics of Tobacco Control.Washington 1999.

3. Maziak W, Rzehak P, Keil U, Weiland S: Smoking among adolescents in Muenster, Germany, increase in preva- lence (1995–2000) and relation to tobacco advertising.

In: Preventive Medicine 2003; 36: 172–176.

Dr. rer. medic. Wilfried Kunstmann

Dezernat „Gesundheitsförderung und Prävention“ der Bundesärztekammer

P O L I T I K

Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 3926. September 2003 AA2483

Tabakwerbeverbot

Deutsche Regierung klagt gegen EU-Richtlinie

Die beim Europäischen Gerichtshof eingebrachte Klagebe-

gründung erscheint jedoch verfassungsrechtlich zweifelhaft.

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