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4 April 2 01 4 CHF 8.– www .null 41.ch schräger

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(1)

Monatszeitschrift für Luzern und die Zentralschweiz mit Kulturkalender N

O

4 April 2 01 4 CHF 8.– www .null 41.ch schräger

wOhnen

stadtvater und querdenker:

renward cysat

jubiläum und umbruch:

stanser musiktage

das leben im hOtel pilatus

(2)

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Die Zukunft beginnt heute!

Strategien für die Kulturszene Schweiz

13. Mai 2014 Tagung zu Trends in der Schweizer Kulturlandschaft Programm und Anmeldung unter:

www.kulturmanagement.org Gare du Nord, Basel

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KULT U R T E I L .ch Tolerieren

oder

debattieren?

LUZERN

1.- 4. M I 2014

T NZT ÜBER LL ! 30. April „from Südpol to Südpol“ – Bert Uyttenhove (Premiere), Südpol 1. Mai „Tarab“ – Compagnie 7273, Südpol

2. Mai „from Südpol to Südpol“ – Bert Uyttenhove, Südpol Midnight Shake, Diverse Luzerner Clubs 3. Mai Stadttanz am Stadtlauf, Altstadt Luzern

„Des bas, des hauts“ – Choreografien für Häuser, Neustadt Luzern 4. Mai Schnupperkurse, Südpol

ation und Grafik: trivialmass.com Foto: federal studio Aufnahmeort: Halle de Crissier

ascot-elite.ch

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ab 27. MÄRZ IM

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OSCAR I BESTES DREHBUCH

(3)

check-in

editOrial

Martina Kammermann kammermann@kulturmagazin.ch

Leer stehende Hotels sind in der Zentralschweiz immer wieder ein Thema. Da sind das Hotel Angelfluh in Meggen, das Hotel Kastanienbaum, das Hotel Schiff und natürlich das Château Gütsch in Luzern. Beim ehemaligen Hotel Pilatus kam man auf eine unkon- ventionelle Nutzungsidee: Seit zwei Jahren wohnen darin 16 junge Leute – und führen den Begriff WG- Party dabei in ganz neue Dimensionen. (Seite 8) Gefeiert wird diesen Monat auch in Stans, dort be- gehen die Stanser Musiktage ihr 20-Jahr-Jubiläum.

Gleichzeitig rumort es hinter den Kulissen: Da sich die internen Konflikte häuften, möchte man sich für die Zukunft neu aufstellen (Seite 12) . Als weiteres grosses Festival geht im April das Fumetto über die Bühne. Sein Wettbewerbsmotto lautet dieses Jahr

«Genuss oder Sucht», ein Thema, das die Menschheit nicht erst seit gestern beschäftigt: Luzerns Stadtvater Renward Cysat, der vor genau 400 Jahren verstarb,

hat zu den guten und schlechten Seiten des Wein- trinkens geistreiche Überlegungen niedergeschrieben.

Was läge also näher, als gleich einen Comic draus zu machen? (Seite 11)

Apropos Jahrestage: Im April 2005 hat Niko Stoif-

berg im Kulturmagazin zum ersten Mal seine «Ver-

mutungen» angestellt. Längst sind sie legendär und

wohl auch der Grund, warum viele Leser das Kultur-

magazin von hinten zu lesen beginnen. Die Kolumne

endet in diesem Heft, und wir danken Niko Stoifberg

ganz herzlich für neun Jahre voller geistreicher Nicht-

Fakten. Er geht uns allerdings nicht abhanden: Ab

Mai wird er der Welt an gleicher Stelle mit neuem

Blick begegnen.

(4)

INHALt

Bilder: M. Tahlmann/F. Pedrazzetti

PROGRAMME DER KULTURHÄUSER 42 ACT

44 Kleintheater 46 Luzerner Theater / LSO 48 Stattkino /ACT

50 Stadtmühle Willisau / Chäslager Stans 52 HSLU Musik / ACT

54 Kulturlandschaft 56 Südpol / Zwischenbühne 60 Kunstmuseum Luzern 62 Museum Bellpark

64 Historisches Museum / Natur-Museum KOLUMNEN

6

Gabor Feketes hingeschaut

7

Lechts und Rinks: Genug mitgedacht!

21 Gefundenes Fressen: essen vom Strassenrand 39 11 Fragen an: edina kurjakovic

69 kämpf / Steinemann 70 käptn Steffis Rätsel 71 Vermutungen

SERVICE

22 Comic. Die engländer kommen – auch ans

Fumetto

24 Kunst. Barbara Jäggi und das Blech 26 Musik. St. Galler Lieder mit kult-Faktor 30 Wort. Romandebüt der Theaterautorin

clavadetscher

34 Bühne. ein Donizetti eben

37 Kino. eine wahre Familiengeschichte

67 Notizen / Ausschreibungen / Forum / Impressum 68 Kultursplitter. Tipps aus der ganzen Schweiz

KULtURKALENDER 40

kinderkulturkalender

41 Veranstaltungen 61 Ausstellungen

Titelbild: Bewohner der WG im Hotel Pilatus, März 2014

Foto: Franca Pedrazzetti 16 gEDANKENWERK

noch gibt es kein Theater Werk. Wenn es so weit ist, braucht es starke köpfe.

11 nicht nur wissensdurstig Renward cysat prägte die Stadt Luzern wie kein anderer. in seinen Schriften findet sich auch Amüsantes über den Weingenuss.

8 wOhnen im grOssfOrmat

im ehemaligen hotel Pilatus leben 16 junge Leute. Wir klopften an.

17 rumOr im festivaldOrf

Die Stanser Musiktage stellen nach 20 Jahren

neue Weichen: Alle Leitungsposten sind aus-

geschrieben.

(5)

die vbl fährt bald mit bussen, die wie trams aussehen. welche trugbil- der uns sonst noch erwarten oder es gar schon gibt:

- Bahnhöfe, die wie Einkaufszent- ren aussehen

- Öffentliche WCs, die wie toi-tois aussehen

- Quartierstrassen, die wie Haupt- strassen aussehen

- Schiffe, die wie Hotels aussehen - Sitzbänkli, die wie Luft aussehen - Bühnen, die wie Seerosen aussehen - Kinos, die wie Food-Courts aussehen - Clubs, die wie grillstände aussehen

schön gesagt

FuMeTTo co-LeiTeRin unD künFTiGe iG-kuLTuR-GeSchäFTSFühReRin eDinA kuRJAkoVic (SeiTe 39)

guten tag aufgelistet

guten tag, remO helfenstein Jetzt ist es Zeit, dir endlich mal zu gratulieren.

Denn im Südpol hast du eine wahrlich steile kar- riere hingelegt, ja du bist diesem haus sozusagen verinnerlicht. Angefangen hatte für dich alles als Gast, Musiker und Barkeeper. Aber auch in der künstlerwohnung des Südpols warst du schon produktiv. Als Padi Müllers «Assistent» – man kennt sich schon ewigkeiten – halfst du bei der Öffentlichkeitsarbeit mit. und übernahmst sie letzten herbst gleich ganz, als der chef zum ober- chef wurde. Ja, im Südpol mag man sich eben.

Aber dies war nur eine übergangslösung. und der übergang dauert noch gerade so lange, bis du dein neues Amt als Musikchef und nachfolger von Fa- bian «Fesch» Fuchs antrittst. So kommst du nun in deinem eigentlichen Fachgebiet an. Das freut uns. und wir glauben, du hättest dich bestimmt auch gegen Mitbewerber durchgesetzt – hätte es sie denn gegeben.

Kuschlig, 041 – Das Kulturmagazin

guten tag, armasuisse

in deinem Auftrag führt die eidgenössische Mate- rialprüfungsanstalt diesen Monat lustig-luftig- laute Tests durch. Mit zwei neuen Propeller-Pro- totypen der Pc-21 werden Figuren und Loopings geflogen, damit über emmen der Fluglärm künf- tig «verträglicher» ist. Vertreter aus der Bevölke- rung sollen dabei entscheiden, welches Geratter ihnen eher zusagt. Man will ja den Anwohnern den «verträglichsten» Lärm garantieren. Bei der Auswahl deiner Versuchskaninchen sorgst du auch gleich dafür, dass alles mit rechten Dingen zugeht. So muss bei den Anmeldeformularen an- gekreuzt werden, ob man «lärmkritisch», «flug- begeistert» oder «armeekritisch» ist. Das gibt, nach eurem Dazutun, ganz bestimmt eine «aus- gewogene Auswahl der Testteilnehmer». Diese belohnt ihr mit einer entschädigung über dreissig Franken, dem Sold eines korpskommandanten.

So schmeichelt man Anwohnern.

Schallend, 041 – Das Kulturmagazin

«Die Menschen spielen mal mit,

mal nicht. Das ist gut so.»

 

 

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solo mit klavier-bewegung-stimme

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Markt 2014

Vom 12. April – 10. Mai sind

wir wieder samstags auf

dem Helvetiaplatz, Luzern.

(6)

kürzlich schlenderte ich mit meinem Sohn Miklos die Zürcher Seepromenade entlang. es war der erste tolle Frühlingstag. Miki hatte nach etlichen Museumsbesuchen in Winterthur eigentlich direkt nach hause nach Luzern gewollt, ich versprach ihm aber eine Schoggitorte, wenn er noch mit mir nach Zürich komme.

(ein fieser Trick von mir, ich weiss.) So landeten wir schliesslich am Seeufer – und entdeckten dort diesen lustigen, eleganten, hu- HiNgeSCHAUT

Seifenblasen-Traum

morvollen jungen Mann, der riesige Seifenblasen produzierte. Wir waren beide wie in einen Traum versetzt! Für eine halbe Stunde durfte ich wieder kind sein!

Mein Versprechen ging darüber ganz vergessen – aber schlies- slich mampften wir auch noch eine Schoggitorte.

Bild und Text Gabor Fekete

(7)

LeCHTS UNd riNKS

Regieren, bitte!

Mitdenken ist gut. Aber vernünftige Strategien zu entwickeln ist Aufgabe der Regierung und nicht der Bevölkerung.

Christine Weber,

Illustration: Meret & Johanna Dietiker, 8 Jahre

Der kanton Luzern muss sparen, und zwar

so richtig viel: Gegen 300 Millionen in den nächsten vier Jahren. Spärlich, aber stetig sickern mögliche Sparszenarien an die Öf- fentlichkeit. und nichts, aber auch wirk- lich nichts passt der Bevölkerung! ob län- gere Ferien für 20 000 Schülerinnen und Schüler, die Schliessungen der kantis Be- romünster und Schüpfheim oder die Ab- schaffung der Langzeitgymnasien – die empörung von links bis rechts ist gross.

nächster Versuch: Luzern macht einen Rückzieher und will jetzt doch nicht Gast- kanton am Sächsilüüte 2015 in Zürich sein.

Zu teuer. Spätestens jetzt weiss die ganze Schweiz, dass es um Luzern wirklich schlimm bestellt ist. Dabei war die Absage an die Zürcher doch ein gut gemeinter Wink mit dem Zaunpfahl: im kleinen fängt das Sparen an! Aber das Volk will nicht verstehen. Was tun? Die Regierung scheint am ende ihres Lateins und ruft um hilfe. Auf der Website des kantonalen Bil- dungs- und kulturdepartements wird eine Plattform für persönliche Sparvorschläge aufgeschaltet. Jetzt sind der kleine Mann, die kleine Frau gefragt! und die haben eine Menge zu sagen. kommentarfreudige on-

linenutzer kommen jedoch mehrheitlich aus dem rechtskonservativen Lager. Wer das nicht glaubt, soll einen Blick auf die kommentare des Tages-Anzeigers oder der neuen Luzerner Zeitung werfen. Soll man denen das Zepter überlassen? Wenn schon nahe ans Volk, dann richtig!, sage ich mir und eile der Regierung zu hilfe. ich stelle mich eine Stunde an die hertensteinstrasse vor die Migros und frage zufällig herausge- pickte Passantinnen und Passanten nach ihren Sparvorschlägen. Die hälfte der Be- fragten interessiert sich nicht dafür oder hat keine idee. Die andere hälfte sagt: We- niger Polizei, weniger Verkehrskontrollen, weniger gemein sein mit Asylanten, weni- ger Spitäler, weniger ÖV, weniger Strassen, weniger Abendverkauf. Meine Fragestel- lung scheint die falsche zu sein, also an- dersrum: Wo soll auf keinen Fall gespart werden? Bei der Polizei, bei den Strassen, beim ÖV, bei den Spitälern, bei der Bildung, beim Verkauf von energy-Drinks. ist das jetzt der Weisheit letzter Schluss, krethi und Plethi zu fragen? Also erkundige ich mich gezielt bei zwei unternehmern mit Geschäftssitz in Luzern, von denen ich weiss, dass sie eine dezidierte Meinung da-

zu haben. Der erste unternehmer sieht das grösste Sparpotenzial im Verwaltungsappa- rat des kantons, der die letzten Jahre un- verhältnismässig aufgestockt worden sei.

Der zweite unternehmer sieht überhaupt nirgends ein Sparpotenzial, weil sich die Regierung die Schieflage selber eingebrockt habe. So ist das, liebe Luzerner Regierung:

Alle haben eine andere Meinung, wo und wie gespart oder nicht gespart werden soll.

Darum steigt jetzt endlich in die hosen und tut, was eure Aufgabe ist: Sinnvolle, nach- haltige und realisierbare Strategien entwi- ckeln, statt mit hüsch-und-hott-Sparvor- schlägen zu weibeln, die keine chance bei der Bevölkerung haben.

PS: Die Regierung senkte 2010 und 2012 die Unternehmenssteuer um insgesamt 62 Prozent.

Das war offensichtlich eine falsche Strategie. Fie-

le der Regierung ein Zacken aus der Krone, wenn

sie rückgängig gemacht würde? Hat sie über-

haupt noch eine Krone?

(8)

wg-leben

wg de luxe

Im Zentrum von Horw, inmitten von Neubauten und Einkaufskom- plex, steht das angejahrte Hotel Pilatus. Darin lebt eine nicht ganz so alltägliche Hausgemeinschaft. Ein Blick ins Leben einer XXL-Wg.

Von Heinrich Weingartner, Bilder: Franca Pedrazzetti

(9)

wg-leben

eine unmenge an Gewürzen, büchsenweise Pelati, sämtliche Teigwarensorten, fünf kühlschränke, genü- gend herdplatten für schnell zubereitete Zehngänger.

Was aussieht wie eine voll ausgerüstete hotelküche – ist eine hotelküche. Doch gerade brutzelt nur eine Pfanne mit bräunlichen Zwiebeln, die auf eine Pelati- Rotwein-Dusche warten – es gibt Spaghetti napoli, das typisch-simple WG-Gericht, bei dem der Magen satt wird und das Portemonnaie gefüllt bleibt.

So ist das also. Die voll funktionsfähige und kom- plett ausgerüstete hotelküche nutzen einige Jugendli- che, die seit knapp zwei Jahren die wohl ungewöhn- lichste Wohngemeinschaft im Grossraum Luzern füh- ren. einige? 16 (!) Mitbewohner zählt das haus an der kantonsstrasse 75 mittlerweile. Alles ausgebucht. und zur Maxi-küche gesellen sich die ganzen eigenheiten eines dreistöckigen hotels: Gemeinschaftstoilette für WG-Partys im erdgeschoss, ein eigenes stilles Örtchen zu jedem Zimmer, nummerierte Türen für wirre köp- fe nach durchzechten nächten. Dazu gemütlicher Wohnraum en masse, mit Treppenhaus, korridoren und, das i-Tüpfelchen, ein hinterhof mit Garten und Grillplatz. Fünf Sterne – für WG-Verhältnisse.

50 Jahre lang bewirtschaftete das ehepaar küenzli das hotel Pilatus, bis die beiden es schliesslich verkau- fen wollten. Dies war erschwert durch den kanton, der das haus 1905 unter Denkmalschutz gestellt hatte. Die Transterra immobilien AG kaufte die Liegenschaft vor zehn Jahren schliesslich und vermietete das haus für ein paar Jahre an eine Schule. Auf Anregung eines neffen des Firmeninhabers Bruno Amberg hin wurde vor zwei Jahren die WG gegründet.

Das alte Restaurant im erdgeschoss steht ausser- dem leer – es sei denn, die Bewohner schmeissen eine der berüchtigten hotel-Pilatus-WG-Partys.

absolute freiheit

Wohnen 16 freischaffende Musiker, Sänger, Jazzstu-

denten, kunststudentinnen, Schlosserinnen und Bau-

arbeiter unter einem Dach, erhält der Begriff WG-Le-

ben einen völlig neuen Dreh. Wahr gewordene Ju-

gend-utopie ist das, Wohngemeinschaft in Neverland.

(10)

wg-leben

«klar, von aussen sieht das nach absoluter Freiheit aus», so Gregory Schärer, Jazzstudent und von Anfang an dabei. «Das ist es auch ein bisschen», fügt er hinzu, schmunzelt und zündet sich in dem zur Raucherecke umfunktionierten Lagerraum der küche eine Zigaret- te an. «Da kommen aber auch enorm viele Verantwor- tungen hinzu, die wir alle zusammen wahrnehmen müssen, sonst funktioniert es nicht. Wie in üblichen WGs. nur sind die bei uns halt ein bisschen grösser.»

Wenn man sich die Anekdoten der Bewohner an- hört, merkt man rasch, dass es hier definitiv unge- wöhnlicher zu- und hergeht als in einer stinknorma- len WG. So macht man mal spontan «Versteckis» im ganzen haus – im Dunkeln, versteht sich. oder lädt die halbe Bar 59 zur Afterparty ein, ohne dass die Bewoh- ner der oberen Stöcke etwas davon merken und tief weiterschlafen. Solche Geschichten fördern den Zu- sammenhalt und versöhnen das Flair eines hotels mit WG-Vorstellungen. Am 22. September 2012 veranstal- tete man gar eine hotel-Pilatus-WG-Party im Südpol.

Mit Live-Bands, bei denen alle Mitbewohner selber mitmachten.

wg-revolution

im untergeschoss lottert ein Proberaum, dem Schlag- zeug, Verstärker und überhaupt Leben fehlt. Was ist passiert? Die hotel-Pilatus-WG setzte sich bis vor ei- nem Jahr ausschliesslich aus Jazzstudenten zusam- men. improvisieren unter Gleichgesinnten stand auf der Tagesordnung. einige neuzuzüger und zahlreiche Abgänger mischten das eingespielte ensemble auf.

«Wir machen gerade eine ziemliche Veränderung durch. Aber es muss ja nicht unbedingt eine Musiker- WG sein», so Schärer. es haben sich sieben weitere Be- wohner hinzugesetzt, WG-Sitzung ist angesagt. Der unbenutzte Proberaum ist unter anderem Traktan- dum. «Machen wir ein kino draus!», heisst es, «Ja, mit Popcorn-Maschine und reihenweise Sofas!», so die prompte Antwort. Alle lachen.

Auch etwas unerfreulichere Dinge stehen an. So gibt es etwa Bewohner, die man noch nie gesehen oder zumindest noch nie in der küche gesehen hat. Verlei- ten die Annehmlichkeiten eines hotelgastes dazu, sich tatsächlich wie einer zu fühlen? Gregory Schärer stellt klar: «Wir sind eben genau keine Zweck-WG.» es soll kein hotel WG sein, sondern ein WG-hotel.

es müssen alle mitmachen, damit das funktioniert.

Wie in einer üblichen WG. nur mit ein bisschen mehr Mensch. Von diesem Geist zeugt eine auffällige Post- karte im Retro-kommunisten-Stil, die – für alle sicht- bar – in der küche prangt: «Auch du hältst die küche sauber, Genosse.»

eine XXL-WG bietet viele Freiheiten, bedeutet aber auch Verantwortung.

(11)

stadtgeschichte

a m sonnigen Musegghang oberhalb der Stadt Luzern erntet Renward cysat Pfir- siche. es sind «Zeinen voll Frücht», wie er stolz schreibt. er selbst hat den Baum aus einem Pfirsichstein aus dem Piemont in seinem botanischen Garten grossgezogen. Doch nicht nur hier oben an seinem Wohnsitz gedeihen

die Früchte seiner Arbeit. Auch unten in der Stadt hat der vielseitig begabte Mann gleich mehrere Projekte am Laufen. Bis heute haben diese deutli- che Spuren hinterlassen, davon zeu- gen auch die Bilder auf der kapellbrü- cke. cysat war der initiant und hat die Bildabfolge entworfen, um Luzerns Treue dem katholizismus gegenüber sichtbar zu machen – fromme Pro- paganda, künstlerisch aufgearbeitet.

kreativ und gleichzeitig clever in der Zeit der Glaubensspaltung.

Sichtbar wird cysats Arbeit auch in seinen kollektaneen, den 22 Sam-

melbänden, in denen er unermüdlich alles erdenkli- che niederschrieb. Alles, was er las, sah und hörte, fand akribisch notiert den Weg in seine chronik. es sind Zeugnisse eines Mannes, die tiefe einblicke in das Leben zur Zeit der Reformation, des umbruchs und der Verstaatlichung gewähren. Alles musste schriftlich festgehalten werden, um das Bewusstsein eines funk- tionierenden Staates zu fördern. Die gesamte Bürokra- tie war deshalb die Basis, auf der die Luzerner Regie- rung ihre Macht aufbauen und die herrschaft durch- setzen konnte.

Nicht nur Apotheker und Stadtschreiber, sondern Secondo, theater- regisseur, Songwriter und Vater von vierzehn Kindern – auch das war Renward Cysat (1545–1614). Ein Mann, dem Luzern selbst 400

Jahre nach seinem tod so einiges zu verdanken hat.

Von Janine Kopp, Comic: Melk Thalmann

ein migrant, der luzerner geschichte schrieb

Auch bei anderen für Luzern bedeutenden einrich- tungen hatte der umtriebige Staatsmann die Finger im Spiel: er war mitverantwortlich für die niederlassung der Jesuiten in Luzern, durch die das kollegium als Vorläufer der kantonsschule und der universität sowie die Jesuitenkirche entstanden sind. cysat verfasste das Stadtrecht von 1588. er war es, der die erste karte des kantons Luzern von 1613 erarbeitete. und er ist es auch, der als Begründer des Luzerner Stadtarchivs gilt. Das Durcheinander in den Akten störte ihn nämlich so sehr, dass er begann, alle handschrif- ten, Gesetze und urkunden seit 1252 neu zu ordnen und mit kurzen in- haltsangaben versehen wieder auf- findbar zu machen.

theater, wein und 14 kinder

neben seiner Arbeit als Stadtschrei-

ber auf der Stadtkanzlei führte er eine

eigene Apotheke am Weinmarkt. An

seinem Wohnsitz auf dem Musegghügel legte er einen

botanischen Garten mit exotischen Pflanzen, Wein-

reben und einem kräutergarten an, veredelte impor-

tierte obstsorten und betrieb Viehhandel. cysat liebte

zudem religiös-politisches Theater wie die osterfest-

spiele. er führte Regie, schrieb Theaterstücke, geistli-

che Lieder und Gedichte und verkörperte einige der

Rollen – wie etwa die des excessus, das Laster der Völ-

lerei – gleich selbst. Als Mitglied des Grossen Rates pro-

tokollierte cysat die Ratssitzungen und als Aussenpoli-

tiker leitete er wichtige diplomatische Verhandlungen,

(12)

stadtgeschichte

wo er zugleich als notar und Dolmetscher agierte.

Denn er hatte ein Faible für Fremdsprachen, das in sei- nem Wörterbuch mit übersetzungen in bis zu 22 Spra- chen sichtbar wird. in der Stadt Luzern förderte er die Schulbildung, unterstützte das Armenwesen und setz- te sich für ein hygienischeres Abwassersystem im kampf gegen die Pest ein.

Daneben fand cysat noch Zeit für weitere Leiden- schaften. Zu seinen hobbys gehörte das Wandern auf der Rigi und dem Pilatus, er machte Wellness im Bad Lützelau in Weggis und trank abends gerne mit Freun- den ein Glas Wein in der Zunftstube. und als wäre dies alles nicht genug, zeugte Tausendsassa Renward cysat mit seiner Frau elisabeth 14 kinder: «die mynig hatt mir 14 geboren», notierte er dazu in seiner chronik.

Während 46 Jahren lebten die beiden zusammen. Als seine Frau starb, dauerte es kaum einen Monat, bis auch sein Leben im Alter von 69 Jahren ein ende fand.

Das war im April vor 400 Jahren.

secondo mit schwieriger jugend

Seither blieb cysat als wahrer christ, als Mann voller Fleiss, energie und Wissensdurst in erinnerung – ein echter eidgenosse eben. nein, cysat war – um im heu- tigen Jargon zu bleiben – ein Secondo. einer mit schwieriger kindheit und Jugend noch dazu. Sein Va- ter, ein kornhändler, gehörte zum italienischen Stadt- adel von Mailand und migrierte mit seiner Familie im Jahr 1530 nach Luzern. kurz nach der einbürgerung starb der Vater, danach auch seine beiden Brüder hans-Stephan und Rochus im Alter von fünf bzw.

sechs Jahren. nach dem Besuch der Lateinschule «St.

Leodegar im hof» fehlte seiner Mutter das Geld für ei- ne hochschule. Deshalb begann der junge Renward im Alter von 14 Jahren eine Apothekerlehre. Daneben war cysat ganz «Selfmademan» und erarbeitete sich als Autodidakt das breite Wissen eines universalge- lehrten. Die krönung seiner Arbeit in der Aussenpoli- tik und als Förderer des katholischen Glaubens war die ernennung zum Ritter durch den Papst im Jahr 1593.

cysat war eigentlich viel mehr als das, was man in einem Menschenleben alles sein kann. und deshalb erstaunt es auch nicht, dass der Mann, ergriffen von einem enormen Sammeleifer und einer kaum zu über- bietenden Schreibwut, an Arbeitsüberlastung litt. es plagten ihn ein Augenleiden und die Gicht, die er selbst dem schlechten Licht und dem feuchtkalten Ar- beitsplatz in der Stadtkanzlei im Rathausturm zu- schrieb.

Letztlich ist auch das Leben eines grossen Mannes begrenzt. Sein Ziel, eine gesamtschweizerische chro- nik zu verfassen, konnte er nicht mehr erreichen. So hinterliess er ein unvollendetes Werk. Trotzdem prägte dieser Alleskönner mit italienischen Wurzeln die geis- tig-kulturelle haltung der Stadt Luzern. ein Luzern ohne cysat wäre heute möglicherweise ein ganz ande- res: Vielleicht ohne Bilder auf der weltbekannten holz- brücke, ohne Jesuitenkirche oder ohne universität – und sicherlich wären wir um so einige wunderbar witzige Anekdoten aus unserer Vergangenheit ärmer.

Wie etwa diejenige über abstinente Zeitgenossen.

Wein anstatt Wasser – so lautete das Rezept, das cysats kranke Schwiegermutter wieder gesund machen soll- te. Doch der älteren Dame war der Wein verleidet und sie trank fortan nur noch Wasser. Da versuchte es Schwiegersohn Renward mit einem Trick: um die abs- tinente Frau wieder an das Weintrinken zu gewöhnen, mischte er ihr heimlich einen Löffel Wein unter das Wasser und steigerte die Dosis täglich. nach über drei Wochen trank sie den reinen Wein, hielt diesen sogar für ein «lieplich guot Wasser» und wurde wieder ge- sund.

ein einblick in eine weitere Schrift cysats über die Vorzüge und nachteile des Weintrinkens folgt auf den nächsten Seiten.

Quellen: renward Cysat: Collectanea Chronica und denkwürdige Sachen pro Chronica Lucernensi et Helvetiae, herausgegeben von Josef Schmid, 1969.

Literatur: F. glauser, Cysat renward, in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), 2005.

gedenkanlass zum 400. Todestag von renward Cysat: SA 26. April, 9.30 Uhr, rathaus Luzern. rundgang mit sechs Stationen.

Aktuelle Geschichtsschreibung

das Staatsarchiv Luzern hat kürzlich ein weiteres Kapitel der Luzerner geschichte niedergeschrieben: im dezember 2013 publizierte es das geschichtswerk «der Kanton Luzern im 20.

Jahrhundert». in zwei Bänden erzählen 21 Autorinnen und Au- toren die wechselvolle geschichte des Kantons Luzern im 20.

Jahrhundert vom Wandel der Agrar- zur modernen dienstleis- tungsgesellschaft. Zwanzig thematische Beiträge beschäfti- gen sich mit den Veränderungen von gesellschaft, Wirtschaft, Staat und Politik, raum und Bevölkerung sowie Kultur im Kan- ton Luzern. Sie werden ergänzt durch eine chronologische dar- stellung in Bildern und einen zusammenfassenden essay. (pd)

Buch: Der Kanton Luzern im 20. Jahrhundert. 2 Bände.

Staatsarchiv Luzern (Hg.)

(13)

Der wyn nach Gottes ordnung

...erfröwet deß menschen

hertz...

...Streckett die vernunfft,

Gibet guotte gedancken...

...Gibet dem marckh ein füechtig-

keit...

Renward Cysats Schrift “Vom Weintrinken", anlässlich des Fumetto-Festivals als Comic.

(14)

...Bringet kluge sinlichkeit...

...Nimpt böse melancolisch gedancken...

...Macht lustig zuo

essen...

Von vill vnd macherlei ursachen wyn zu trinken, alls namlich

da sind:...

...von lieb wegen...

...von mannligkeit

wegen...

...von ritter- schafft vnd dapfferkeit

wegen...

Summa : der wyn jst ein

edle gaben den menschen

gegeben.

(15)

Der wyn macht böse

lüt...

Von der wandlung deß wyns,

so er getruncken wird mit überfluss

...vnd stark getränck

macht wild.

Hütet üch, das üwere hertz

nit beschwerdt werdt mit freßen vnd

suffen...

...vnd kome der letste tag

schnell über üch...

...darumb sind nüchtern

vnd bettet alle zytt.

Ein trunckes wyb

jst ein groß plag...

...dann sy kan jre schand nit bergen.

O trunkenheit

du schwere sucht...

...bringst wyb vnd man

jn groß vnzucht...

...am lyb und seel mit angst vnd not...

Armuot, kranckheit

zuo letst den tod!

der Luzerner Comic-Zeichner und illustrator Melk Thalmann wohnt an der Cysatstrasse. www.melkthalmann.ch

(16)

kOmmentar

ein «Jahrhundertprojekt» nannte Bildungsdirektor Reto Wyss das Theater Werk Luzern euphorisch, als kanton und Stadt Lu- zern Mitte März ihre Pläne zur künftigen kulturförderung prä- sentierten (siehe kasten). neues war dazu eigentlich nicht zu hören: Die Rückmeldungen aus der Vernehmlassung sind gross- mehrheitlich positiv. und seitdem man weiss, dass die Salle-Mo- dulable-Millionen nach Luzern und somit ins Theater Werk flie- ssen sollen, ist auch der Zuspruch seitens Politiker gewachsen.

Das ist eine gute nachricht, denn die Grundidee des Theater Werk ist gut. Sie ist besser und wertvoller als die Salle-Modulab- le-idee, weil sie den Theaterplatz Luzern als Ganzes denkt. Alle sollen profitieren: Die freie Theaterszene, das Lucerne Festival, der Südpol, das kkL, das Sinfonieorchester und schliesslich auch das Luzerner Theater.

Darüber herrscht konsens. Die Frage ist bloss, wie lange die- ser hält, wenn das Projekt erst einmal konkret wird. Denn fak- tisch steht dieses noch nirgends. Wie man die Theaterrevolution machen will, und was das am Schluss eigentlich bedeutet, weiss niemand. und so kann darin jeder sehen, was er will: Die einen sehen vor allem ein Bauprojekt, andere die Förderung der freien Theaterszene, und wieder andere die Schliessung des Luzerner Theaters. und das könnte es auch alles umfassen.

So lautet der Tenor der in der Vernehmlassung befragten Par- teien, Gemeinden und kulturakteure: Ja, wenn. Ja, wenns nicht mehr kostet als bis anhin. Ja, wenn ein guter Standort gefunden wird. Ja, wenn die umwelt nicht leidet. Ja, wenn die freie Szene mehr Mittel erhält. Ja, wenn der Südpol interdisziplinär bleibt.

es ist schwierig, nein zu etwas zu sagen, das es gar nicht gibt.

Momentan geniesst das theater Werk Luzern breite Zustimmung. Es existiert auch noch gar nichts, wogegen man etwas sagen könnte. Wenn es so weit ist, braucht es starke Köpfe.

Von Martina Kammermann

Ein Projekt, das es nicht gibt

Kultur-Standortberichte

in den vergangenen vier Jahren führten der Kanton und die Stadt Luzern je eine kulturpolitische Standortbestimmung durch. in breiten Mitwirkungsver- fahren analysierten die Kulturämter die Situation und entwickelten Strategien für die künftige Kulturförderung (wir berichteten). die ergebnisse daraus sind die städtische «Kultur Agenda 2020» und der Planungsbericht über die Kul- turförderung des Kantons Luzern.

Letzterer kam Mitte März aus der Vernehmlassung, und im Sommer wird das Parlament darüber befinden. die Neue Theater infrastruktur (NTi) ist eine von neun Massnahmen, die die exekutive im Planungsbericht anstrebt. Weitere Schwerpunkte sind der Ausbau des Zweckverbands grosse Kulturbetriebe, zu dem neu auch das Verkehrshaus, das Museum rosengart und das Lucerne Festival gehören sollen, eine neu strukturierte Förderung der professionel- len freien Szene und die verstärkte Kulturförderung auf dem Land durch die Schaffung von regionalen Förderfonds.

Zu diesen findet am Dienstag, 8. April um 19 Uhr eine Podiumsdiskussion im Theaterpavillon Luzern statt. es sprechen die kantonale Kulturbeauf- tragte Nathalie Unternährer, Präsident der Kulturlandschaft Marco Sieber und Paul Huber vom Vorstand der ig Kultur.

gibt der Kanton mit seinen Massnahmen wie angedacht 2,5 Millionen Fran- ken mehr für die Kultur aus, entlastet dies die Stadt Luzern um eine Million Franken. diese wird wiederum in die Kultur und vor allem in die freie Sze- ne fliessen: Unter anderem sollen Verträge mit den Kulturhäusern erneuert werden (der Südpol soll dabei 400 000 Franken mehr erhalten), neue und bestehende Festivals (Spoken Word Festival, Blue Balls Festival, World Band Festival) gefördert, und ein neues Künstleratelier aufgebaut werden (neben den bestehenden in Chicago, genua und Buenos Aires) . dem Stadtparla- ment wird die Kulturagenda 2020 erst vorgelegt, wenn das Kantonsparlament im Juni über die geplanten Massnahmen befunden hat. (mak)

(nur das Schauspielensemble des Luzerner Theaters und die SVP sprechen sich dagegen aus; ersteres fürchtet um seine existenz, letztere will keinen neubau.) erst wenn die Wenns geklärt sind, kann ernsthaft darüber diskutiert werden.

Die grösste herausforderung wird für die Theater-Werk-Ma- cher sein, sich selbst über die Ausgestaltung ihrer Vision einig zu werden. ob sie den Weg des konsens zum Schluss gehen kön- nen? Der ein oder andere Bruch wird kaum zu vermeiden sein.

und die Salle-Modulable-Millionen verleihen dem Projekt zwar neuen Fahrtwind, die inhaltliche Arbeit machen sie allerdings nicht leichter, im Gegenteil. Zwar hat man nun den Financier im Boot, aber auch dessen Wünsche. Will man das Geld, muss das Bühnenhaus nach Salle-Modulable-kriterien funktionieren, sprich im Sinne engelhorns sein. Da werden kräfte verschoben, da geht Spielraum verloren, und das alles unter erhöhtem Zeit- druck.

umso mehr braucht es starke köpfe, die für das Projekt Thea- ter Werk stehen und es politisch durchbringen – und zwar auch dann, wenn die engelhorn-Millionen dereinst nicht fliessen soll- ten. ob es das kkL auch ohne Franz kurzmeyer und Thomas held gäbe? Stapi Stefan Roth wirkt bis jetzt nicht sehr energisch:

«nun erhält die nTi eine reale chance», sagte er gegenüber der

nLZ auf die Millionen-nachricht. kulturdirektor Wyss hingegen

scheint nun schon mehr Feuer gefangen zu haben. ob ursula

Stämmer sich als kämpferin für die Theaterrevolution entpup-

pen wird? Momentan hat dieses Projekt jedenfalls noch kein Ge-

sicht. Früher oder später wird es aber eines brauchen. Vor allem,

wenn der konsens plötzlich bröckeln sollte.

(17)

stanser musiktage

Josef Mahnig, Architekt in Stans, dementiert nicht. «Wir hatten während längerer Zeit störende Meinungsverschiedenheiten in der Festivalleitung. entscheidungen sind häufig zu spät gefällt worden, was wiederum für unruhe und anschliessenden Termin- Stress sorgte.» Mahnig präsidiert den Vorstand der Stanser Musik- tage. Der Vorstand ist für den strategischen kurs des Festivals ver- antwortlich. in den letzten paar Jahren habe das Festival Defizite eingefahren, sagt der Präsident. «nicht existenzbedrohende, aber wir müssen das nun in den Griff bekommen, wenn wir das Festi- val nicht gefährden wollen.»

Seit einigen Wochen kann man auf der homepage der Stanser Musiktage nicht nur das Jubiläumsprogramm der 20. Ausgabe be- gutachten, sondern unter der Rubrik «Stellen» auch erfahren, dass für nächstes Jahr markante änderungen anstehen. Vier Stellenin- serate sind aufgeschaltet: Betriebsleitung (50 Prozent), Leitung Administration (50 Prozent), Leitung Programm & inhalte (20 Prozent), Leitung kommunikation & Fundraising (50 Prozent). Mit andern Worten: Die bisherige Führungscrew steht zur Disposition.

Mahnig präzisiert: «es geht in erster Linie darum, die Füh- rungsaufgaben neu zu strukturieren.» nicht zuletzt möchte der Vorstand «einen kopf, der entscheidungen fällt und gegenüber dem Vorstand verantwortlich ist». Das bisherige Modell trage dem zu wenig Rechnung. Das vierköpfige Leitungsteam fällt auf der Ba- sis der alten Strukturen alle entscheidungen gemeinsam. christo- phe Rosset, der nach aussen als Sprecher der Leitung auftritt, ist laut Mahnig «primus inter pares». Sein Pflichtenheft umfasst die Programmierung des hauptprogramms, das Fundraising und ei- nen wichtigen Teil der Öffentlichkeitsarbeit. Dafür hat er 40 Stel- lenprozente zur Verfügung.

Zurzeit teilen sich die vier Personen des Leitungsteams 170 Stellenprozente, dazu kommt eine Praktikumsstelle (100 Prozent).

ob die Stellenprozente in Zukunft aufgestockt werden müssen, ist noch nicht entschieden. Fest steht, dass die Festivalleitung weiter- hin vier Personen umfassen soll, aber mit teilweise neu zugeord- neten Aufgaben. «eine davon wird als künstlerischer Leiter die hauptverantwortung gegenüber dem Vorstand tragen.» Jedenfalls müssen sich auch die bisherigen Mitglieder der Festivalleitung, in- klusive christophe Rosset, bewerben, wenn sie weiterhin dabei sein wollen. Gleichzeitig möchte der Vorstand auch externe Be- werbungen haben. es sei nicht die Meinung, die bisherigen Leute

Die Stanser Musiktage finden dieses Jahr zum 20. Mal statt. Ausgerechnet zum Jubilä- umsjahr rumort es hinter den Kulissen, und erste Veränderungen machen sich bemerk- bar: 2015 soll eine anders organisierte Crew das Festival leiten. Am bisher erfolgreichen Konzept möchte man aber weitgehend festhalten.

Von Pirmin Bossart

stans stellt sich neue weichen

auszutauschen, sagt Mahnig. «Aber wir wollen mit der Ausschrei- bung in erfahrung bringen, welche externen fähigen Leute sonst noch zur Verfügung stehen.»

stark gewachsen

Die bisherigen Verantwortlichen und einige frühere Festivallei- tungsmitglieder haben es im Lauf der Zeit geschafft, die Stanser Musiktage zu einer erfolgsgeschichte zu machen. Das Abenteuer begann, als die von christoph Risi lancierte open-Air-Reihe «Jazz am See» in Buochs wiederholt Wetterpech hatte und Risi sich ent- schloss, in Stans ein kleines Festival durchzuführen. Zusammen mit christophe Rosset gründete er 1994 die Stanser Musiktage. Bei der ersten Ausgabe standen vier konzerte auf dem Programm und das Gesamtbudget belief sich auf 30 000 Franken. ein paar Jahre später trennte sich das Duo. Das ging nicht ganz glimpflich über die Bühne.

Aus den beschaulichen Musiktagen von damals ist mittler- weile ein Festival mit breitem Angebot und einigem Rummel ge- worden, es gehört zu den markanten kulturanlässen der Zent- ralschweiz. Alleine im hauptprogramm werden 24 konzerte ausgetragen. 1997 kam ein Rahmenprogramm dazu, das den Pub- likumszustrom wesentlich erhöhen konnte und für die Wahrneh- mung und den Stellenwert der Musiktage den endgültigen Durch- bruch bedeutete. heute sind die Stanser Musiktage ein Festival, das von 850 helferinnen und helfern mitgetragen wird, 30 000 Besucher anzieht und mit einem Budget von 1,4 Millionen Fran- ken operiert.

goodwill trägt

Mit andern Worten: Die Stanser Musiktage sind eine grosse kiste

geworden. Was das Festival unter anderem auszeichnet, die De-

zentralität, ist immer auch eine logistische herausforderung. Fast

30 verschiedene Locations und zwölf hauptbühnen müssen einge-

richtet und unterhalten werden. «Das macht meines Wissens kein

anderes Festival in diesem Ausmass», sagt christophe Rosset. Da-

zu kommen auch dieses Jahr 850 freiwillige helfer und helferin-

nen, die beim Festival mit anpacken. unter ihnen sind mehrere

Vereine wie der BSV Stans, die Pfadi Stans oder die harmoniemu-

sik Stans. Auch das Lakeside Festival und das chinderhus Stans

engagieren sich dieses Jahr am Festival.

(18)

stanser musiktage

es sind die Verbundenheit und die Solidarität der Bevölkerung, die ein solches Festival, das sich eine Woche lang mitten im Dorf abspielt, überhaupt erst möglich machen. Der Goodwill ist breit vorhanden – immer noch, wie alle betonen. «Wenn wir von Be- hörden und institutionen etwas wollen, bekommen wir es prob- lemlos», sagt Mahnig. er höre sehr viel Positives. «Die Leute sind tolerant und bereit, Sachen zu akzeptieren, wie sie es vielleicht privat nicht immer tun würden.» er habe als ehemaliger infra- strukturchef der Musiktage auch nie Probleme gehabt, freiwillige helfer zu rekrutieren. «Das waren längst nicht nur die Jungen, das ging vom Stift bis zum unidozenten.»

Man darf also in realistischer einschätzung davon ausgehen, dass die Stanser Musiktage weiterhin eine Zukunft haben. Die programmatische Ausrichtung mit den Schwerpunkten World und Jazz, ergänzt mit zeitgenössischer Volksmusik und anspruchs- vollerem Pop, scheint auch beim Vorstand unbestritten zu sein.

Mahnig lässt durchblicken, dass man in der Programmgruppe schon länger damit liebäugle, mal einen grösseren namen nach Stans zu holen. Für zirka 1000 Personen fehlen bis jetzt die kapa- zitäten einer potenziellen Location. Vielleicht nicht mehr lange.

Mahnig: «es ist nicht ausgeschlossen, dass wir eventuell schon nächstes Jahr eine Lösung haben, die für alle tragbar ist.»

neuerungen im rahmenprogramm

eine aktuelle Analyse zeigt, dass Stans im hauptprogrammbereich finanziell gut positioniert ist. «Wir verlieren eher im Rahmenpro- gramm Geld», sagt Mahnig. Der Gesamtaufwand sei dort zu hoch.

Das Rahmenprogramm wird vor allem von der lokalen Bevölke- rung besucht und von vielen als Treffpunkt geschätzt. Mahnig ist sich der heiklen Situation bewusst. «Wir wollen auf keinen Fall unsere Bevölkerung vergraulen. Also müssen wir einen Dreh fin- den, die dort anfallenden kosten (infrastruktur, Technik, Wer- bung etc.) zu reduzieren und gleichzeitig weiterhin unsere Leute mit einem guten Angebot bei der Stange zu halten.»

Als eine erste änderung wird dieses Jahr der ganze essbereich, der sich bisher auf dem Dorfplatz konzentrierte, dezentralisiert.

«Der Dorfplatz soll wieder mehr zum Begegnungsort und auch vi- suell attraktiven Treffpunkt werden. neu haben wir vier esszonen, die im Bereich der Spittel- und Schmiedgasse, im Schlüsselmättli, beim kollegi und auf dem Dorfplatz angesiedelt sind», sagt Rosset.

Bei jeder esszone ist eine kleinbühne eingerichtet, auf der sich ver- schiedene Strassenmusiker abwechseln werden. Angesichts der knappen Reserven ist diese Dezentralisierung der kulinarik ein gewisses Risiko. Rosset zeigt Zuversicht, aber sagt: «einen Verlust können wir uns dieses Jahr eigentlich gar nicht leisten.»

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(19)

stanser musiktage

Yasmine hamdan erlebte ihre heimatstadt Beirut nie, als diese noch «das Paris des Mittleren ostens» genannt wurde. Auf der Flucht vor den Wirren des Bür- gerkriegs verbrachte sie ihre kindheit in Griechenland und in den Golfstaaten.

erst als die Familie in den frühen 90er-Jahren nach Beirut zurückkehrte, be- gann sie sich intensiver mit der kultur ihres Landes zu beschäftigen. «ich spürte dort eine neue Freiheit und sah Möglichkeiten, denen ich mir in Abu Dhabi nicht bewusst gewesen war.» Allerdings gab es in Beirut keine Musikszene, in der sie sich wohlgefühlt hätte. Ausgerechnet im heavy-Metal-Radio-Disc-Jockey Zeid hamdan (der gemeinsame name ist Zufall) entdeckte sie einen Geistesver- wandten. Sie formierte mit ihm das Duo Soapkills und fing an, ihren arabischen Liedern einen hauch Psychedelik beizumengen. Bloss fehlte es an Musikern, welche diese Musik hätten spielen können. So landete das Duo eher zufällig beim computer, der sie vom Zwang verständnisloser Mitmusiker befreite. «Wir waren praktisch unser eigener underground», erinnert sich hamdan. «Wenn

wir nichts initiierten, hatten wir selber nichts.»

Während Zeid hamdan heute zu den wichtigsten Leuten in der auf- blühenden Musikszene von Beirut gehört, wurde es Yasmine hamdan in der Stadt schliesslich zu eng. Vor zwölf Jahren zog sie nach Paris:

«ich schätze in Paris einerseits die Anonymität, andererseits die Viel- falt», sagt sie. «in Paris bin ich ein outsider. ich bin keiner bestimmten kultur verpflichtet. ich kann nehmen, was ich will, lassen, was ich will.» Dennoch lehnte sie den Vertrag eines Plattenmulti dankend ab, als sich herausstellte, dass dieser von ihr verlangte, auf englisch zu singen. «ich trage als künstlerin eine Verantwortung, dem Material treu zu bleiben, das mir zur Verfügung steht», sagt sie. «in diesem Sinn bildet für mich die musikalische und soziale Tradition des arabischen kulturraums ein Grundmaterial, das ich knete und auf die verschie- denste Art und Weise bearbeite, um damit meine Aussage zu machen.»

in Paris tat sich hamdan zuerst mit dem Produzenten Mirwais im Duo Y.A.S. zusammen, arbeitete dann mit dem Schwestern-Duo coco- Rosie, um schliesslich beim Produzenten und Musiker Marc collin von nouvelle Vague zu landen. Das resultierende Solo-Debüt-Album «Ya nass» vereint luftig-leichte elektronik mit organischen Saiten, hypnoti- scher Repetition, da und dort einem unterspielten Dancebeat. einen Song davon schrieb sie für den neuen Film von Jim Jarmush, in dem sie ihn auch singt. «ich liess mich für diese Lieder von grossen arabischen Sängerinnen wie Shadia, nagat el Saghira und Aisha el Marta aus dem mittleren 20.

Jahrhundert inspirieren», sagt hamdan. «ihre Texte sind durchzogen von einer verspielten Sinnlichkeit, die sie mit subtiler, ironischer Sozial-

kritik verbinden. Sie erzählen von einer Periode der Freiheit und eman- zipation im Mittleren osten.» in den Augen von Yasmine hamdan ist

die Tradition kein heiligtum, das geschützt werden muss, sondern das Rohmaterial für eine neue Musik, in der Tradition und Moderne zu-

sammenfinden.

Hanspeter Künzler

stanser musiktage: yasmine hamdan, di 29. april, 21 uhr, club im engel stans

Yasmine Hamdan wurde mit ihrer Musik zwischen tradition und Elektrobeat zur Ikone der alternativen Szene des Nahen Ostens. Nun erobert sie Westeuropa und die USA.

aus dem underground von beirut

Bild: Adrian Meskotif

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Die Macher der Stanser Musiktage versprechen zu ihrem 20-Jahr-Jubiläum «eine musikalische Berg- und Talfahrt».

Zu deren höhepunkten dürfte unter anderem der Auftritt von techtelmechtel zählen.

Die nidwaldner Formation um den klarinettisten Pa- trick eigenmann verschmilzt im neuen Programm

«ziitlos» heimatli- che klänge mit sol- chen aus osteuropa oder dem Jazz. Der Flirt mit verschie- densten Genres ist ein emotionsgeladener. Die sechs Musiker ha- ben sich mit haut, haaren und instrumenten wie Akkordeon oder Alphorn den grossen Gefühlen verschrieben. Das ergebnis reicht von todbetrübt bis himmelhoch jauchzend und streift auch klassiker wie «Vreneli ab em Guggisbärg».

ebenfalls der Volks- musik widmet sich christoph pfändlers

«metal kapelle».

Doch während Tech- telmechtel sorgsam mit dem überlieferten Gut umgehen, steht dem Quartett der Sinn ganz nach umbruch.

Mit dem Traditionellen mag sich hackbrettler christoph Pfändler nicht mehr zufrieden geben, weshalb der St. Galler und seine Band die Volksmusik zu Gebieten wie Rock, Metal und klassik hintreiben. nebst eigenkompositionen gibt man denn etwa auch die Motörhead-hymne «Ace of Spades» zum Besten. Das wum- mert, das brettert, das gefällt.

Am Tag der Arbeit legen sich mo- koomba ins Zeug.

Die Musiker aus Zimbabwe gelten mittlerweile nicht mehr nur in ihrer heimat als Shoo- ting-Stars. Dank ih- res energetischen Afro-Fusion-Sounds, der mit überlieferten Melodien ihres Stam- mes, der Tonga, angereichert ist. Die Musik auf dem zweiten Al- bum «Rising Tide» – im vergangenen Jahr erschienen – glänzt

mit hellen kora-klängen, karibischen Rhythmen, sanftem Funk und einflüssen aus Ska und hip-hop. Das Tüpfelchen auf dem i bei Mokoomba ist aber der Gesang von Perkussionist Mathias Muzaza: Seine wandlungsfähige Stimme bringt die Lieder erst so richtig zum knistern.

25 Stunden später ist die Reihe dann an julia biel. Die Britin arbeitete während einiger Jahre mit Ben Watt, ex-everything But The Girl, zusam- men. ihre Aufgabe:

das kreieren von Melodien. Was der 38-Jährigen auch liegt. ihre Lieder würde sie weniger schreiben als empfangen, ist sich die Pianistin sicher.

Wie dem auch sei: Biel agiert heute solo – als Singer-Songwrite- rin, die Folk und Pop liebt und dem Jazz huldigt. ihre Musik ist relaxt, einschmeichlerisch und lebt insbesondere von der dunk- len Singstimme der künstlerin, die so hypnotisch wie erotisch ist.

Seine einflüsse könnten nicht unter- schiedlicher sein:

Der namensgeber des jono mccleery trios zählt nick Drake, Jeff Buckley, aber auch Jazzlegen- de John coltrane zu seinen Vorbildern.

Der Londoner, unterstützt von zwei Musikern, webt mit Vorliebe allerlei elektronische Momente von zurückhaltender natur in seine Lieder. Mccleery und sein Trio werden dem Post-Dub zuge- rechnet und als Vertreter des solchen hängen ihre Stücke dem Melancholischen nach. Wie das leise Debüt «There is» von 2011 beweist.

Michael Gasser

stanser musiktage

herausgepickt aus 24 konzerten

techtelmechtel: MO 28. April, 20 Uhr, Kollegium St. Fidelis christoph pfändlers «metal kapelle»: MI 30. April, 20 Uhr,

Club im Engel

mokoomba: DO 1. Mai, 20 Uhr, Kollegium St. Fidelis julia biel: FR 2. Mai, 21 Uhr, theater an der Mürg jono mccleery trio: SA 3. Mai, 20 Uhr, Club im Engel das gesamte programm und mehr infos:

www.stansermusiktage.ch

Bilder: zvg

(21)

geFUNdeNeS FreSSeN

Menüs vom Wegrand

Lindenblätterpesto. und zum Dessert kocht er Fliederblütenköpfchen vom Stras-sen- rand. Zwei nicht vegetarische Gerichte sind im Buch zu finden: ceviche mit Felchen aus dem See und im herbst – ganz stadtge- recht – Tauben auf Weichseln mit holun- derbeerensauce. ein grossartiges Buch.

Lustvoll erzählt, liebevoll gestaltet und wunderschön fotografiert. natürlich wür- de er gewisse Stellen meiden beim Sam- meln, sagt Maurice Maggi: hundewege, stark befahrene Strassen und gewisse ecken bei Fussballstadien und Bars. er- staunlicherweise seien die meisten Men- schen bezüglich der umwelteinflüsse auf Wildpflanzen viel kritischer als bei gekauf- um etwas gleich zu Beginn zu klären: ich

bin ganz und gar nicht der Survival-Typ.

erst recht nicht beim essen. nur weil etwas geniessbar wäre, muss ich es nicht um je- den Preis verspeisen. Aber als ich das erste Mal die Wildpflanzenköchin Meret Bisseg- ger auf einer ihrer Sammel- und erkun- dungstouren begleiten durfte und sie ganz verzückt die just gesprossenen Blätter di- rekt vom Ast einer Linde ass, begriff auch ich: es gibt wunderbare Wildpflanzen en- net dem Bärlauchhorizont. Dass die Wild- pflanzenküche auch für Stadtmenschen Sinn machen kann, beweist der 59-jährige Guerilla-Gärtner und koch Maurice Maggi seit Jahren und nun auch in seinem neuen Buch «essbare Stadt».

Der gelernte Landschaftsgärtner Maggi wurde bekannt durch seine heimlichen Aussaat-Aktionen, mit denen er die Stadt Zürich mit Malven verschönerte, das im Beamtendeutsch so genannte «Verkehrsbe- gleitgrün» um einiges mehr noch ergänzte und so die Grünflächen der Stadt zum Gar- ten machte. Auch Wildpflanzen aus seinem urbanen Lebensraum sammelt und ver- wertet er seit Jahren. Für Maurice Maggi ist die Stadt ein Schlaraffenland. in seinem Buch beschreibt er nun die üblichsten ess- baren Wildpflanzen, die in Städten zu fin- den sind, und seine Lieblingsgerichte, die er mit diesen Pflanzen kreiert: im Frühling zum Beispiel ein kater-Rührei mit Spitz- wegerich und Gingkoblättern, Löwenzahn- Sobanudeln auf hopfenschösslingen oder

ter Ware, obwohl diese beim Grossverteiler wohl schon Dutzende Leute vor ihnen in den händen gehalten hätten.

Das Sammeln von Wildpflanzen ist in der Schweiz für den Privatgebrauch erlaubt und anders als bei Pilzen besteht keine ge- setzliche Schonzeit. Am herzen liegt Mau- rice Maggi aber, dass Wildpflanzen kollek- tives eigentum sind: «Geerntet wird immer nur gerade so viel und auch nur das, was ich gleich verwerten will.» Gefundenes Fressen eben.

Sylvan Müller, Fotograf und Kochbuchautor.

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die Gaststube

Das Bio-Restaurant der Zentralschweiz

Maurice Maggi: essbare Stadt. AT Verlag 2014. die für die gerichte benötigten Pflanzen findet man in der Stadt.

(22)

COMIC

hilda erobert auch luzern

Wer für Nobrow zeichnet, hats geschafft: Der britische Comic-Verlag publiziert schönste geschichten in schönsten Büchern – und schreibt damit Erfolgsgeschichte. Das Comix- Festival Fumetto zeigt drei Perlen aus der Nobrow-Druckerei in der Kunsthalle Luzern.

nimmt man eine Ausgabe der dicken, bunten Zeitschrift nobrow in die hand, stutzt man angesichts der zwei gleichberechtigten Ti- telblätter: Wo ist vorne, wo ist hinten, wo beginnt, wo endet das Magazin? Der doppelte einstieg ist kein Werbe-Gag, sondern drückt die Verlagsphilosophie aus: Der eine Titel führt zu comics, der andere zu einzelbildern und illustrationen. Dieser Spagat zwi- schen dem erzählen und dem Zeigen von Geschichten habe viel mit der kindheit zu tun. «Alex Spiro und ich wuchsen mit einer grossen Leidenschaft für das erzählende Bild auf», begründet Sam Arthur, einer der zwei nobrow-Gründer. «Man kann Geschichten in Bildsequenzen erzählen oder in einzelbildern. Das sind sehr unterschiedliche erzählweisen, aber wir finden beide gleichermas- sen interessant.»

nobrow wurde 2008 gegründet und machte schon bald auf sich aufmerksam als ein Verlag mit exquisitem Geschmack und klarer haltung und handschrift. und das, obschon die Bandbreite

sehr gross ist: nobrow publiziert Avantgarde-comics und avan- cierte illustrationen ebenso wie kinderbücher, sehr grafisch ge- prägte wie auch klassisch narrative comics, comics für alle Leser- schichten ebenso wie aufwendig gedruckte Leporellos für kunst- freunde. «Wir lieben Zeichnungen, wir lieben Storys, wir lieben auch Design und Produktion», erklärt Sam Arthur. «All das muss in einem Projekt zusammenkommen, damit wir es machen. Des- halb ist es wohl keine überraschung, dass alle unsere Publikatio- nen einen typischen nobrow-Look haben.»

britische comic-renaissance

nobrow spielt auch eine wichtige Rolle in der gegenwärtigen Re- naissance der britischen comics. Lange Jahre erschienen auf der insel kaum unabhängige comics – nun tauchen mehr und mehr Talente auf, die auch ausserhalb Grossbritanniens für Aufsehen sorgen. «Die Talente gabs schon immer», behauptet Sam Arthur,

Luke Pearsons «hilda» mischt derzeit die comic-Welt auf.

Auszug aus dem Buch «Hilda und der Mitternachtsriese»

(23)

im Zentrum des diesjährigen Fumetto steht zweifellos der Stargast, die ita- lienerin Gabriella Giandelli, die seit knapp 30 Jahren unbeirrbar an ihrer Alltagsrealität und surreale Fantasie verschmelzenden Comicwelt arbeitet.

Ähnliche elemente verarbeitet auch der Belgier Eric Lambé – allerdings auf eine weit experimentellere Weise. Sein jüngster Wurf «Le fils du roi»

ist ein Kleinod in Sachen assoziativer Bildpoesie. eine Attraktion verspricht das finnische «Comic Pop Up Center» zu werden, in welchem Workshop, Ausstellung und diskussionspodium eins werden.

das

Rahmenprogramm umfasst rund 40 Satellitenausstellungen in

Cafés, geschäften, Büros und Ateliers in der Stadt Luzern sowie Konzer-

te, Workshops und Performances. das Abendprogramm präsentiert

Fumetto gemeinsam mit dem Südpol und Kleintheater Luzern, und in Ko- operation mit dem Animationsfilmfestival Fantoche wird ein Animations-

filmprogramm gezeigt. (cg)

Das ganze Programm und mehr Infos: www.fumetto.ch

«aber es gab kaum einheimische Verlage, sodass sie kommerzielle- re Pfade einschlagen mussten, um veröffentlichen zu können. Das ändert sich nun mit Verlagen wie nobrow, Self Made hero, Blank Slate und anderen.»

Das unbestritten grösste britische Talent ist der erst 26-jährige Luke Pearson, dessen Debüt «hilda und der Troll» 2010 bei nobrow erschien. Mit der unterdessen vier Bände umfassenden Serie um ein freches Mädchen mit blauen haaren, das in einer Welt voll Fantasiewesen und mythologischen Monstern lebt, gelang Pearson das seltene kunststück, sowohl kindliche als auch erwachsene Le- ser ernst zu nehmen und zu bezaubern. Die hilda-comics, die auf Deutsch im Reprodukt Verlag erscheinen, sind schmissig erzählt, wunderbar gezeichnet und auch inhaltlich bewundernswert subtil und komplex – ein grosser Wurf mit enormem Potenzial. (Siehe 041, April 2013).

drei völlig verschiedene künstler

Die zwei anderen Zeichner der nobrow-Ausstellung verdeutlichen die ästhetische Bandbreite des Verlags. kellie Strøm, ein gebürtiger Däne, der in irland aufwuchs und nun in London lebt, lässt in den zwanzig Bildern seines wortlosen Leporellos «Worse Things hap- pen At Sea» die furchterregende Welt horribler Meeresmonster und zum untergang geweihter Seeleute aufleben. Beeindruckend ist die Virtuosität, mit der Strøm sich auf alte Druck- und Radier- techniken bezieht.

Ganz anders Andrew Rae, der in «Moonhead and the Music Machine» auf 176 Seiten das klassische Drama des Schulaussensei- ters mit Witz und Poesie und in Bildern von betörendem einfalls- reichtum neu erfindet. es ist die Geschichte von Joey Moonhead, einem Jungen mit Mondkopf, der seine identität, sein Glück (aber auch neue Dramen) in der Welt der Musik findet.

Drei sehr unterschiedliche künstler – und doch gibt es für Sam Arthur Gemeinsamkeiten: «Die drei arbeiten mit grosser Leiden- schaft, sie haben alle eine klar erkennbare, sehr persönliche hand- schrift – und ihre Arbeit hat das Potenzial, vielen Leserinnen und Lesern zu gefallen. und genau das interessiert uns an jungen künstlern.»

Christian Gasser

ausstellung am comix-festival fumetto: nobrow, sa 5. bis sO 13. april, kunsthalle luzern. podium: sO 6. april, 12 uhr.

buchvernissage kellie strøm: «worse things happen at sea», sO 6. april, 15 uhr. vortrag andrew rae, kellie strøm:

di 8. april, 17 uhr

er beherrscht Druck- und Radiertechniken virtuos: kellie Strøm wird am Fumetto anzutreffen sein.

Bild aus dem Leporello «Worse Things Happen At Sea»

Fumetto – Internationales Comix-Festival Luzern, SA 5. bis SO 13. April

verlOsung

6 tagespässe für fumetto – internationales comix-festival luzern

Comics erobern ganz Luzern! Ob in den elf Hauptausstellungen, im Festivalzentrum Kornschütte oder im geschäft um die Ecke. Überall werden Comics gelesen, gezeichnet, ausgestellt und diskutiert.

sa 5. bis sO 13. april

www.fumetto.ch

Schreiben Sie uns, wenn Sie gewinnen möchten: info@kulturmagazin.ch

COMIC

Satellitenausstellung im Kultur-Forum:

david von Bassewitz’ und Peer Meters «Vasmers Bruder» zeigt eine düs- tere geschichte um den Serienmörder Karl denke.

Lesung mit Autor und Zeichner: FR 11. April, 17 Uhr.

(24)

KUNSt

kunst und natur im widerstreit

Aus sperrigem Blech schafft Barbara Jäggi lebendige Form: Das kraftvolle Werk der Luzerner Künstlerin ist in der Zentralschweiz omnipräsent. Einen Überblick schafft ihr Werkbuch «Lauter Blech».

eisenhaltige Metalle wie Stahl haben die eigenschaft, durch oxi- dation mit Sauerstoff und Wasser korrosion zu bilden: Rost. Die künstlerin Barbara Jäggi widmet sich der Schönheit dieses natür- lichen Zerfalls. Sie lässt Blechplatten verwittern – oder auch reifen, wie sie es nennt – und fügt die unterschiedlich intensiv gerosteten Teile zu einem kunstwerk zusammen. 171 Quadratplättchen sind es in Konkrete Rostwand (2006), die mit ihrer individuellen Tönung die Gesamtfläche malerisch strukturieren. oder sie bildet aus Rost rondellen ein wolkenartiges Wandobjekt (Rostflecken, 2003).

neben oxidation nutzt die künstlerin grosse hitze, um ein objekt schwarz oder nachtblau zu färben oder es mit einem schwarzsam- tenen Russmantel zu überziehen – nie würde Jäggi Blech bemalen.

Vor 28 Jahren hat Jäggi den Schritt vom Textildesign in die freie kunst gewagt. Mit Blech machte sich die in Luzern lebende

Bildhauerin einen namen. ihre Werke markieren nicht nur in Ausstellungen oder in öffentlichen Räumen Präsenz (u. a. die überbauung Opus in Zug 2002 oder die Spirale bei der Stadtmühle Willisau 2008), sondern wirken auch in Theater- und Musikinsze- nierungen mit. Vom einsiedler Welttheater (1996) über circus Monti (2000) bis zur klang-Performance an den World new Music Days (2004), um nur ein paar zu nennen.

Das eben erschienene Werkbuch «Barbara Jäggi – Lauter Blech»

beleuchtet das umfangreiche Schaffen der künstlerin. Peter Fi- scher, Direktor Zentrum Paul klee und ehemaliger Direktor des kunstmuseums Luzern, schreibt im Vorwort, dass in Jäggis Wer- ken immer wieder Fragen der kunstgeschichte, insbesondere der Plastik der Moderne, anklingen. Da gibt es eine Auseinanderset- zung mit dem Bauhaus, den konstruktivisten und mit den kon-

Barbara Jäggis Werke entpuppen sich nicht selten als herausforderung für die Wahrnehmung: konkrete Rostwand, 2006.

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kreten. Durch Jäggis bestimmte Positionierung der kunstwerke im Raum sind auch Bezüge zur Minimal Art gegeben, und die un- mittelbare konfrontation von kunst und natur reiht Jäggis Werke mitunter in die Tradition der Land Art ein.

aktiv auf verschiedensten ebenen

Die Autorin Brigit kämpfen-klapproth beschreibt Jäggi in «Lauter Blech» nicht nur als künstlerin, sondern auch als engagierte Per- sönlichkeit, die im Vorstand der kunstgesellschaft Luzern, der Vis- arte Zentralschweiz, als Stiftungsratsmitglied der Stiftung zur un- terstützung notleidender kunstschaffender oder als Jurymitglied bei kunst- und Bau-Wettbewerben wirkt.

ihren Lebensunterhalt bestreitet Jäggi neben der kunst mit zwei Jobs in ganz anderen Arbeitsgebieten. Zum einen unterrich- tet sie kinder, Jugendliche und erwachsene in karate, zum ande- ren arbeitet sie zwei Tage die Woche bei der kantonsarchäologie Zug. karate und Archäologie sind aber durchaus mehr als soge- nannte Brotjobs – auch diese erfahrungen fliessen in Jäggis künst- lerisches Schaffen ein: höchste geistige konzentration und geziel- ten körpereinsatz, wie es der kampfsport karate erfordert, be- herrscht die künstlerin auch im Atelier, wo sie einmal zierlich kleine Papiermodelle faltet und ein andermal sperrige Blechstücke biegt, hämmert, schneidet oder nietet.

«konkrete» unterwanderung

Barbara Jäggis Vorliebe für geometrische Formen ist unverkenn- bar. Sie liebt das Schnörkellose und hat einen ausgesprochenen Sinn für klarheit und ordnung. Rechnen, knobeln und an aus- geklügelten Massverhältnissen herumtüfteln gehören zu ihrer kunstarbeit. und obwohl die Werke eine einfache Formensprache aufweisen, sind sie nie auf den ersten Blick erfassbar. Sie entpup- pen sich als herausforderung für die Wahrnehmung. Die Konkrete Rostwand beispielsweise erzeugt beim Betrachten eine irritation allein durch die Schrägstellung der kleinen Quadrate zwischen den grösseren. (Die Rostwand und weitere Werke Jäggis sind ab dem 13. April in einer Ausstellung zu sehen, siehe unten.) Der Titel suggeriert einen weiteren Widerstreit: Konkret verweist auf den kunsthistorischen Begriff «Konkrete Kunst». Das ihr zugrunde lie- gende konzept wird von der konkreten Rostwand aber subversiv un- terwandert: Der Rost zeugt von Alltag, Leben und Vergänglichkeit.

ein Werk, das emotionale und spontane Reaktionen evoziert, wenn man denn für die goldene Wärme von Rost empfänglich ist.

Gabriela Wild

buch: barbara jäggi – lauter blech.

Text von Brigit kämpfen-klapproth. Stämpfli Verlag 2014.

ausstellung: barbara jäggi, ab sO 13. april, in den büroräum- lichkeiten der firma mesch.ch web consulting & design, pila- tusstr. 35, luzern. frei zugänglich während büroöffnungszeiten.

gruppenausstellung «durch die blume», ab 29. juni bis 1. november, museum bruder klaus, sachseln.

KUNSt

Barbara Jäggi mit Flugrohr. Bilder: zvg Jäggis Vorliebe für geometrische Formen ist unverkennbar:

Der chaoswürfel.

Referenzen

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Die Beteiligten oder Porträtierten lässt man zwischen längeren Musiksequenzen jeweils für sich selbst sprechen, und auf eine Moderation oder einen einordnenden

Zum einen arbeitet sie teil- zeit beim kleinen label «matrouvaille», das von schweizer Hand- werk inspirierte designprodukte herstellt, und da ist auch noch ihr

– so das Motto, für das sie eben einen Werkbeitrag von Kanton und stadt Luzern erhielten. Für den ersten dieser zehn Momente wird das open-Air zum indoor-festival:

Mawil schildert den jugendlichen alltag in der DDr aus dem blickwinkel seiner Protagonisten, die nichts anderes kennen und sich nicht vorstel- len können, dass sich je etwas

die albert Koechlin Stiftung initiiert für das Jahr 2016 zum fünften mal ein Kulturprojekt mit Pro- duktionen aus der innerschweiz für die inner- schweiz. Künstlerinnen

46 Kleintheater 48 Stadtmühle Willisau 50 Südpol / Zwischenbühne 52 HSLU Musik 54 Luzerner Theater / LSO 56 ACT / Romerohaus 58 Kulturlandschaft 60 Chäslager Stans 66