Das Schaf und das Messer.
Von Siegmund Fraenkel.
Die alten Araber sagten von Jemandem, der sicb selbst ins
Unglück bringt : ,Er gleicht dem Schafe, das in seinen Pfoten sein
Verbängniss brachte*. Diese Redensart kommt schon in einer Er¬
zählung aus der Zeit des Propheten vor und findet ihre Er¬
läuterung durch eine Reihe von Versen, die Wellhausen {Skizzen
IV, 160 Anm. 3) gesammelt hat. Einige von ihnen folgen hier.
,Es geht mir wie dem Schaf von 'Ad, das sich selber seinen
Tod aufgrub. Es grub sich ein Messer aus mit der Pfote und
wurde damit zu Ende der Nacht geschlachtet,* Diw. Hud. 225, 3
(nach Wellh. Uebersetzung S. 160).
„Sei nicht wie das Schaf, dem sein Verbängniss ward durch
das Scharren seiner Füsse' (Ibn His. 303, 3).
An einer Stelle wird statt des Schafes ein Ochse genannt:
,Sei nicht wie der Ochse, dem ein tödtliches Eisen versteckt
war und der es selbst aufgrub" (Agäni VI, 63, 23) ^).
Meidäni kennt zwei Formen dieses Sprichwortes.: J t-gy'« Ljääs»
•u^^U (ed. Freyt. I, 341) und ü_jJ»_*Jt ^ viA.j>L>JLJ'
(II, 359) „wie der, der das Messer suchte" ') und erläutert sie über¬
einstimmend durch folgende Erzählung: Ein Mann hatte ein Schaf
gefunden. Er wollte es schlachten, hatte aber kein Messer. Da grub
das Schaf selbst mit seinen Füssen ein Messer aus und vrarde damit
1) Ibn Sa'd (WeUhausen, Skizzen IV) fl 1. 8 v. u. Eine etwas ab¬
weichende Form nämlich IsÄS» vi>JU.S>- {^j*-* J'>i-^ Uberliefert Tabari I, 232, 20 (s. die Errata nach S. 320). Bei Ibn Sa'd wird die Geschichto von der Frau erzählt, bei Tabari erzählt sie der betheiligte Mann. Anch der Namo
- ,
des Mannes, der sonst immer genannt wird, lautet bei Tabari ab¬
weichend C^L^ ,
2) Ausserdem noch Hamäsa 648.
[3) Vgl. noch Hariri Siances (II) 11, 7. Praetorius.]
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gesehlachtet. (Ev citirt ausserdem nur noch die bereits erwähnte
Erzählung aus dem ^jj^s» und einen Vers des Abul Aswad, in
dem ebenfalls auf das Schaf angespielt wird.)
Meidani's Erläuterung scheint nur aus den Versen geschöpft
zu sein und entbehrt eigentlich der rechten Pointe. Unwillkürlich
erhält iijan den Eindruck, dass hier etwas verloren gegangen ist.
Nun nehme man aber die folgende Geschichte, die uns der zu
Hadrians Zeit lebende Grammatiker Zenobius {Corp. paroemiograph.
Graec. ed. Leutsch et Sebneidewin Cent. I, 27) überliefert. „v^i'|
TTIV fid^aigav. Dies Sprichwort gilt von denen, die sich selbst
Unheil zufügen und schreibt sich von der folgenden Geschichte her.
Die Korinthier brachten der von Medea errichteten, Akraea be¬
nannten Hera jährlich eine Ziege zum Opfer dar. Einige der dabei
beschäftigten Sclaven versteckten aber [einmal] das [Opfer-] Messer
und gaben vor, vergessen zu haben, wo sie es hingelegt hätten. Da
scharrte nun die Ziege mit ihren Füssen das Messer auf; so zer¬
störte sie ihren Vorwand, wurde aber selbst die Ursache ihres Todes.
Daher das Sprichwort." ')
Die Uebereinstimmung zwischen dem arabischen und griechischen
Sprichworte und auch zwischeu den Erzählungen, die sie erläutern,
ist so augenfällig, dass sie nicht erst nachgewiesen zu werden
braucht.
Aber die theoretische Möglichkeit, dass diese Uebereinstimmung
auf einem rein zufälligen Zusammentreffen beruht und that¬
sächlich ein innerer Zusammenhang zwischen den beiden Sprichwörtern
und Erzählungen nicht besteht, müssen wir für einen Moment
immerhin erwägen. Wissen wir doch, dass sich Fabeln und Märchen
mit auffällig übereinstimmenden Motiven bei Völkern verschiedener
Zonen wiederfinden , ohne dass es stets gelungen wäre , dies auf
Urzusammenbang oder litterarische Einwirkungen zurückzuführen.
Sprichwörter vollends treten vielfach in denselben Formen auf,
wie es ja auch leicht begreiflich ist, dass unter verschiedenen
Völkern das Resultat der gleichen Beobachtungen den gleichen präg¬
nanten oder witzigen Ausdruck gefunden hat. —
Indessen, das trifft doch stets Sprichwörter, die auf Be¬
obachtungen oft wiederholter Vorgänge, Gewohnheiten von Menschen
und Thieren oder einzelner Klassen von ihnen, gegründet sind.
Etwas anderes ist es mit unserem Sprichworte. Hier ist nicht
das allgemein Gültige, sondern ein höchst seltsamer Einzel Vorgang
1) llagoifiia ini xcöv xaxfüä t« xni9'' eavTCÖv Tioiovvrtov, nnd laro- Qine roiavrrn. Kopiv&ioi &voiav reXoijvTee 'Hqu sviav'aiov iij vno MriSeine tS^vvd'tiari xai lAxonia xaLovfiEvrj aiya t-^ O'efp ^&vov. Tiree Si tö5i' xoiiioärrcov uiod'oiTotv ixgvKpcxv ttjv ^n^ai^at' xni axrjnTOfiivcov ini^ekf,- o&nt i'r&a inid^evTO. fj n'i^ roie nooiv avaaxnXsvoaoa avefTjvs xal Tr,v /liv oxf,yjiv aiiruiv Sir/Xey^ev, invrfj Si -rijs aipayije nixia iyii'sro. otfrv l'l nnooiuia. — Vgl. auch die in der Anmerkung a. a. 0. aufgeführten Parallelen.
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der Ausgangspunkt gewesen. Nimmt man nun aber die Details,
die sich in beiden Geschichten wiederfinden: Ein Schaf soll ge¬
schlachtet werden — das dazu nöthige Messer fehlt — das Schaf
kratzt ein in der Erde verborgenes Messer mit den Füssen auf
— es wird mit diesem Messer geschlachtet — so sind sie so
durchaus charakteristisch, dass man unbedingt einen inneren
Zusammenhang zwischen der arabischen und griechischen Erzählung
annehmen muss.
Theoretisch sind nun wieder zwei Fälle denkbar. Es kann die
arabische Erzählung der griechischen zu Grunde liegen oder um¬
gekehrt auf ein griechisches Original zurückgehen.
Die erste Möglichkeit ist eigentlich kaum ernsthaft in Erwägung
zu ziehen. Ein intimerer Verkehr von Arabern mit den Ländern
griechischer Zunge lange vor der römischen Kaiserzeit — und zur
Zeit des Zenobius mag ja unser Sprichwort schon Jahrhunderte lang
gegolten haben — ist fast undenkbar. Dass die Griechen älterer
Zeit ein solches Wort von Fremden entlehnt haben, kann ebenfalls
als ausgeschlossen gelten.
Es bleibt also nur die andere Möglichkeit übrig, die auch von
vomherein die meiste Wahrscheinlichkeit für sich hat. Die Ge¬
schichte muss griechischen Ursprungs sein, denn sie trägt grie¬
chisches Gepräge und hat vor Allem in der griechischen Form noch
ihre Pointe. Die Sclaven, die bei dem Opfer thätig sind, sind un¬
zweifelhaft Kriegsgefangene, und wenn sie das Messer
verstecken, so wollen sie, dass die über die Vereite¬
lung desOpfers zürnendeHera der StadtKorinth ein
schweres Unglück sende. Die Göttin aber, die den
Korinthiern wohl will, liisst durch das Thier das
Messer aufscharren. In dieser Form hat man wohl die Ge¬
schichte als korinthische Localsage anzusetzen und aus ihr
hat sich dann das Sprichwort entwickelt. Vergleicht man nun da¬
mit die dürftige und rohe Ausstattung der arabischen Versionen,
so erkennt man, dass hier nur die Reste dessen vorliegen, was uns
die Griechen überliefern, nicht etwa der rohe Stoff, der in Griechen¬
land durch neue Motive erweitert und ausgestaltet worden ist.')
Dass eine solche Erzählung auf der Wanderung manches ein¬
gebüsst hat, ist sehr begreiflich. Die innere Verknüpfung der
Motive lag ja auch dem arabischem Bewusstsein so fern , dass ein
Theil verloren gehen musste.
Fragt man nun, wie man sich die Wanderung des griechischen
Sprichwortes nach Arabien zudenken hat, so sind litterarische
Beziehungen völlig ausgeschlossen. Es gilt in Arabien schon zu
1) Herr Professor Nöldeke, dem ich meine Combination mitgetheilt hatte, schrieb mir, dass er sich schon im Jahre 1858 zu seiner Sammlung von Stellen, an denen diese Geschichte vorkommt, notirte : „Dieselbe Geschichte bei Hesychius 8. V. aif. xTiV fiäxatQav". Er theilte mir ferner mit, dass das ganze
115. Capitel der Ham&sa des Buhturi Verse Uber das dumme Schaf enthält.
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einer Zeit, wo von solchen keine Bede sein kann. Dagegen können
wir z. B. sehr wohl annehmen, dass ein arabischer Kaufmann in
Aegypten oder Syrien diese Geschichte bei einer Gelegenheit, die
ihn selbst betraf, gehört hat. Gerade um ihrer Seltsamkeit willen
mag sie sich seinem Gedächtnisse eingeprägt haben. Er hat sie
dann bei ähnlicher Gelegenheit unter seinen Landsleuten erzählt.
Hier wurde sie allmählich populär, wie die DichtersteUen zeigen.
Ist es nun schon an sich nicht ganz uninteressant, einen ver¬
sprengten Rest griechischen Geistes in Mekkas Nähe zu finden, so
ist doch der hier geführte Nachweis auch noch von weiterer Be¬
deutung. Jetzt wird nämlich ein ähnlicher Zusammenhang auch
noch für ein anderes Gleiehniss wahrscheinlich. In Arabien und
in Griechenland wurde die Fabel vom Kameel (oder Esel), die aus¬
gingen, Hörner zu suchen und dabei die Ohren verloren, erzählt.
Nöldeke, Erzählung vom Mäusekönig (Abh. Gött. Ges. W. 1879) S. 10
gab die Möglichkeit, dass diese Geschichte aus Griechenland stamme,
zwar zu, entschied sich aber schliesslich für ihren orientalischen —
wenn auch nicht gerade arabischen — Ursprung. Da die Möglich¬
keit der Wanderung einer griechischen Fabel nach Arabien nach
unserem Nachweise auch für jene frühe Zeit nicht mehr zu
bestreiten ist, so Mit damit der einzige Einwand, den man etwa
dort gegen die Annahme griechischer Herkunft hätte erheben können.
Um nun auf unser Sprichwort vom Schafe und Messer zurück¬
zukommen , so wäre es verlockend , auch die indische Geschichte
vom Bocke und dem Messer mit ihm zu combiniren. Indessen da
die competentesten Sachkenner, wie aus unserer Zeitschrift (43,
604; 44,371,493,497) ersichtlich ist, über die Auffassung der
in Betracht kommenden Stelle nicht einig sind, so wird natürlich ein
Nichtsanskritist darüber nicht einmal eine Vermuthung äussern dürfen.
Vielleicht kann aber der Hinweis auf die arabische Geschichte auch
für die Behandlung der indischen Verse von Nutzen sein.
1) Vielleicht ist zu beachten, dass, wie es scheint, bei keinem der älteren Dichter eine Anspielung auf diese Geschichte vorkommt. Natürlich ist darans nicht mit Sicherheit zu scbliessen, dass sie ihnen nicht bekannt war, zumal ja auch die betreffenden Verse verloren soin können. — Uebrigens wird —
ausser an der einen Stelle im Diw, Hud. — das Schaf immer bei einer War¬
nung citirt; es scheint bei den Dichtern zu Muhammed's Zeit gerade diese
Form ein« stehende Wendung geweseu zu sein.
Zum Fihrist.
Von Sieginnnd Fraenkel.
Bei der hervorragenden Stellung, die der Fihrist innerhalb der
arabischen Litteratur einnimmt, ist es wohl gestattet, auch einige
zusammenhangslose, auf zufälliger Lectüre beruhende Beiträge zur
Erklärung schwieriger Stellen oder Verbesserungen des Flügel'scben Textes zu veröffentlichen.
S. 5, Z. 20 stehen in dem angeblich von 'Abd al-Muttalib
geschriebenen Documente die Worte: ^5' ^^J^O ^! »-aJLc
5 JuJ>.^Lj . Flügel selbst erklärt (II, S. 3), dass die üebersetzung :
„mit Zumessung vermittelst des Eisengeräthes (eisemen Hohlmaasses)"
einen unmöglichen Sinn ergiebt und vermuthet, dass bJ^-jiA-^sÜlj
aus zwei Wörtern (worunter «Jo) corrumpirt sei. Zu lesen ist
aber : äJoA:pJij und zu übersetzen : ,er schuldet ihm tausend
Silberdirham zuznwiegen naoh neuem Gewicht." (Oder ist Dirham
hier vielleicht nicht die Münze, sondern Name des Gewichtes? vgl.
Belädori 467, 8).
S. 6, Z. 8 folgen in der Aufzählang der koranischen Schrift¬
arten auf den dunklen Namen ^^/i(^Jl die Worte ^^.s^u^j hJ^a^
^tX»- *Jj j-^»^^ . Mit den letzten Worten hat Flügel
nichts anzufangen gewusst; sie sind wohl zu lesen: Lj.ä ÖJ*.=>-.
Vielleicht darf folgende Uebersetzung gewagt werden : „Und aus
dieser Schriftart entwickeln (vgl. S. 7, Z. 29, 30; S. 8, Z. 1 u. ö.) die Perser [theils neue Schriftarten], theils bleiben sie bei ihr stehen.
, V,
Sie ist in neuerer Zeit entstanden". Man erwartete cyA_s>5.
cjAs» wie S. 8, Z. 25. Zu dem prägnanten Gebrauch vou ,_ji_ijs
für J>^t ^ j , vgl. Dozy s. v.
S. 14, Z. 10 wird eine persische Schriftart genannt
lid. XLVI. 48
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