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Die Ibn el-Kelbi-Handschriften im Escorial.^)
Von C. H. Becker.
Brockelmann berichtet in seiner Litteraturgeschiclite ') über
die Wertlosigkeit der Londoner Handschriften von Hi^äm b. Mu-
l;iammed el-Kelbl's grossem genealogischen Werke el-gamhara
fi-l-nasab, auch kitäb el-ruisab el-kebir genannt. Die eine
Londoner Handschrift giebt sich als Kopie der im Escorial befind¬
lichen.*) Da ihre Untersuchung oder ev. Herausgabe ein fühlbares
Desiderat auszufüUen bestimmt schien, reiste ich Herbst 1900 auf
Veranlassung von Herm Gebeimerat Sachau*) nacb dem Escorial
mit der Absicht, die Handschrift abzuschreiben. Die Resultate
meiner Untersuchung sind folgende:
Erstens haben wir hier nicht das Grundwerk vor uns,
sondem eine Bearbeitung, vielleicht die des Ihn Habib*) (t 245);
jedenfalls wird dessen Arbeit benutzt : ^.aaxs» ^y t ^JLä . . . ßi>^ ,315 6)^^^,jjü( vi*-)L\s" ^\ ^~>-j ... An einer andem Stelle (S. 453
- " . ^
unten) liest man jy> ^ac liLi^. Ibn el-
Kelbi ist also nicht der Verfasser, sondern bloss eine der Quellen
des vorliegenden Werkes, wenn auch wohl die hauptsächliche.
Hiääm und sein Vater Muhammed el-Kelbi sind fortwährend ver¬
wechselt ; in den Einleitungen der verschiedenen Teile wird noch
der Sohn, am Schluss der Vater als Verfasser genannt. Auch im
Text wechseln el-Kelbi und Ibn el-Kelbi regellos. Ob eine Kürzung
des Originals vorliegt, ist schwer zu entscheiden ; ich möchte sie
auf Grund einiger Citate annehmen. Diese stammen aus Ibn Duraid's
kitäb el-iStiqäq , dem einzigen gedruckten Werke mit grösseren
1) Die folgenden Bemerkungen wurden auf dem XIU. Internat. Orienta¬
listen-Kongress zu Hamburg vorgetragen.
2) I, 139.
3) Casiri 1693 (Hs. 1698), 265 fol. mit Seitenz&hlung.
4) Es ist mir eine angenehme Pflicht, genanntem Herrn auch hiermit öffentlich meinen Dank flir diese Anregung auszusprecben.
6) Geschichtsschreiber 59.
6) Hs. S. 144.
Becker, Die Jbn d-Kdbi-Handschriften im Escorial. 797
Citaten aus Ibn el-Kelbl, das mir zur Verfiigung stand. Die Mehr¬
zahl der Citate aus der gamhara stimmt mit der Handschrift;')
wenn nur Ihn el-Kelbl ohne Nennung des Werkes citiert wird,
kann man stets an ein anderes seiner zahlreichen Bücher denken.
Von letzteren Citaten habe ich mehrere nicht gefunden; von denen
mit ausdrücklicher Nennung der gamhara ist nur Duraid S. 195
Anm. s viel ausfuhrlicher als Ms. S. 74 (hier fehlen die Verse)
und D. S. 233 Anm. q Z. 4 als Ms. S. 160.*) Es scheint mir über¬
haupt wahrscheinlich , dass der Bearbeiter gerade die Verse und
Anekdoten häufig ausgelassen und nur das nakte Namengerüst ge¬
geben hat.
Zweitens ist die Handschrift selbst unvollständig: Es fehlen
zunächst die ganzen Mudar, die doch durch die zu ihnen ge¬
hörigen Qurai§ von besonderer Wichtigkeit wären; femer fehlen
die Hadramaut ; imd andere bedeutende Stämme sind sehr kurz
behandelt. Die Einteilung der Handschrift ist folgende:
Band I:«) Die Nizär b. Ma'add (S. 1—84)
Band II: Die Kahlän b. Sabä (85—360)
Band III: Die Himjar b. Sabä (361—529).
Diese Einteilung rührt von dem Schreiber her, der z. B. nach
Band I unmittelbar zu den Söhnen Qahtän's übergeht, sich aber
nach 3 Zeilen besinnt, abbricht und nach einer Überschrift von
Neuem anfängt.
Drittens ist die Handschrift als Grundtext für eine Edition
völlig unbrauchbar; auf Schritt und Tritt sind die bekanntesten
Eigennamen verwechselt und entstellt — und das in einem fast
ganz aus Namen bestehenden Werke ! Die wenigen Verse und
historischen Angaben sind zudem meist schon bekannt, wie mir
zahlreiche Stichproben ergaben.
Also die Escorialhandschrift der gamhara ist schlecht, frag¬
mentarisch, nicht das Originalwerk sondem ein wohl kürzender
1) Duraid S. 196 Anm. i Z. 4 = Ms. S. 73/74; D. S. 242 Anm. h = Ms.
S. 203 apu; D. 8. 252 Anm. c = Ms. S. 350; D. S. 288 Anm. o = Ms. S. 333;
auch D. 293 z, 295 e, g, 296 h, 302 q, 319 s, 322 a stimmen mit Ms.; letzteres bat jedoch meist die Namen falsch, j^^j für ^^li^i; 'xmj^ für ü^iijuj u. s. w.
2) D. S. 319 Anm. t stellt um (vgl. Ms. S. 493).
3) Er beginnt folgendermassen:
O t - j
^3 iöiAA^i lA^t [(j'j^ "J** oi] ßj^ er? J
£ Jfi
ijmJ! Ja^, ifj] (»Jiii» ^ V^ls ['^y yks] S^j*^
o
[gJt V-^i ^Liui ^jX/> ^
Die Klammern bezeichnen die Kürzungen des gleich zu besprechenden Aus¬
zuges. Die durchweg falsche Vokalisierung ist korrigiert.
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798 Becker, Die Ibn el-Kelbi-Handschriften im Escorial.
Auszug — dies sind die Gründe, die mich bestimmten, von einer
Abschrift und Herausgabe abzusehen.
Trotz allen diesen Mängeln gewinnt man aus der Handschrift
einen Eindruck von der Anlage des berühmten Werkes. Bekannt¬
lich giebt der fihrist (S. 97 Z. 23 ff.) eine Übersicht über die Stoff¬
ordnung. Diese stimmt nun mit der der Handschrift im grossen
Ganzen überein, so dass darauf verwiesen werden kann. Erst ist
immer die genealogische Anordnung beibehalten, dann folgen unter
der Rubrik ^, ^ : j einzelne hervorragende Mitglieder — gerade wie
bei Tbn Duraid, nur dass der genealogische Paden weiter gesponnen
wird und das erst später eintritt. Man könnte aus den Citaten
bei Ibn Duraid den Eindruck gewinnen , als ob Ibn el-Kelbl auch
in der (jamhara den etymologischen Fragen besondere Aufmerksam¬
keit widme; dem ist nicht so, wohl giebt er Namenerklärungen
auch hier, doch mögen die meisten seinen verschiedenen Büchern
über die alqäb entstammen.')
Von seinen Quellen erfahren wir wenig; häufig citiert wird
'Awäna b. el-Hakam;*) femer ein gewisser el-§arql, wohl der be¬
kannte el-§arql b. el-Qatäml. ")
Die grösste Abweichung von den Wüstenfeld'schen Tabellen
ist mir im Stamme Kelb begegnet, in der Ableitung der Familie
unseres HiSäm, 'Abd el-wudd, von dem Oberstamme Kelb. Wüsten¬
feld*) leitet die 'Abd el-Wudd folgendermaassen von Kelb ab: Kelb-
Taur-Rufaida-Zeidel-lät-'üdra-'Auf-Bekr. Bekr's Söhne sind 'Auf
und Kinäna. Des letzteren Sohn ist 'Auf el-'Unzuwän der Vater
des 'Abdel-Wudd und anderer Söbne mit grosser Nachkommen¬
schaft. Nach Ibn el-KelbT hat dieser 'ünzuwän b. Kinäna nur
w e n i g e Nachkommen, jedenfalls nicht die in den Tabellen *) ge¬
nannten. Letztere stammen nacb Ibn el-Kelbl von einem anderen
'Auf b. Kinäna (nicht dem 'Unzuwän) her, dessen Vater Kinäna
ein Bruder des Bekr b. 'Auf b. 'Udra war. Von ihm stammen
die von Wüstenfeld als Söhne des 'Unzuwän aufgeführten
'Abd el-Wudd, 'Ämir und 'Amr. Unter den 'Abd el-Wudd nennt
nun Ibn el-Kelbi auch seinen Vater und sich selber: . . ,
\ S. f M
Qjk«*» iwJLwjtsSlj ^*wÄxJ! ^;>j>Lw3 ^_<^JL»J! lX.«.^
jtAj! lJsIt'' vj'-*^' lvIjs? ^LiiJ> juulj ^LwJI ^\
Ein Auszug aus der gamhara liegt, wie schon Völlers er¬
kannt hat,") in Kairo (Katalog V, 156) und zwar giebt er sich als
1) Fihrist 96, 10 f.; Ibn Duraid S. 319 Anm. t.
2) Geschichtsschreiber 27.
8) Ib. 23. 4) Tabellen 2. 5) Ib. Z. 26.
6) ZDMG. 43, S. 117.
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Becker, Die Ibn d-Kelbi-Handschriften im Escorial. 799
das von H. IJ. 12740 (VI, 68) genannte Werk des Jäqüt v^^uÄiUt
^_;^.wjJt j. Die Zuweisung scheint mir zweifelhaft, da der Titel
von späterer Hand. Die Anordnung weicht sehr von der der
Escorial Handschrift ab. Die Kürzung ist eine radikale.
Ausser der yamhara ist nur noch Ibn el-Kelbl's kitäb nasab
el-hail erhalten , das im Escorial ') in einer guten , in Cairo -) in einer sehr schlechten und in Gotha") in einer von mir nicht unter¬
suchten Handschrift erhalten ist. Sein Inhalt ist analog dem „sport-
geschichtlichtlichen ' Teil des von Haffner') publizierten kitäb
el-hail des el-Asma'l. Von einem Stammbaum der Pferde ist bloss
bei den sagenhaften Prototypen , wie Zäd el-räkib die Rede , von
dem natürlich manche berühmte Pferde der späteren Zeit abstammen
sollten. An der Spitze stehen einige Traditionen über die Herkunft
der Pferde und der Pferdezucht , lauter Sagen von Ismael , David
und Salomo. Dann folgen ca. 150 Namen von Hengsten und Stuten,
die irgendwie einem Dichter als Vorwurf gedient baben. Die be¬
treflFenden Verse werden angeführt. — Das Werk*) liegt uns in
Cairo und im Escorial in der Passung des Meuhüb al-Gawäliq!")
vor , und sind beide Handscbriften aucb abgesehen davon von ein¬
ander abbängig.
Der das kitäb el-hail einscbliessende Band der Escorialbibliothek
ist ein Sammelband,') über den ja Derenbourg in seinem Kataloge
bericbten wird. Nur so viel sei schon hier bemerkt, dass er einige
kleine Schriften von berühmten Autoren enthält , von denen wir
sonst nichts besitzen ; sämtliche sind von el-GawäliqT bearbeitet und
ihm sogar z. T. bisher als eigne Werke zugeschrieben worden ; so
Ibn el-A'räbl's kitäb el-hail {fihrist 69 Z. 20) unter dem Titel
k. asma' hail el-'arab wa-fursänihä bei Brockelmann I, 280,*)
ein Werk nach Art des Kelbi'schen mit vielen gemeinsamen Versen.
Ganz unbekannt war bisher ein kitäb el-amtäl des bekannten
Grammatikers Abu faid Mu'arrig el-Sadüsi,^) das in demselben
Bande vorliegt."*) Auch el-Mubarrad's kitäb nasab 'Adnän
toa-Qahtän (fihrist 59 Z. 21) ist hier erhalten und anderes mehr.
1) Casiri 1700" (Cod. 1705). 2) Katalog VI, 206.
3) Ms. 2078. 4) SBWA. 1895.
5) Das Werk soll in Cairo gedruckt werden , und habe ich meine Ab¬
schrift der Escorial Handschrift dem Herausgeber zur Kollation überlassen.
6) El-6awalIqT hat ja auch andere Werke b. el-Kelbl's Uberliefert, so das k. d-a fnäm (Wellhausen, Skizzen und Vorarbeiten III, 8).
7) Cod. 1705 (Casiri 1700).
8) Die Citate sind hier unrichtig.
9) Brockelmann I, 102.
10) Von den genaunten Werken habe ich Abschrift genommen.
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800
Zur Siloahinschrift.
Von X. Fischer.
Über napsü, das sich bekanntlich dreimal auf der Siloah¬
inschrift findet (natürlich aucb über einige andere cruces dieser
Inschrift, so namentlich den ganzen Passus "iSn mt') riTi 13
.... T^"!») kann ich die Akten noch nicht als geschlossen betrachten.
Bekanntlich siebt man allgemein in diesem Worte ein sonst nicht
zu belegendes Substantiv nap; mit vorgesetztem Artikel. Und wie
stellt man sich zur Bedeutung dieses Substantivs?
Lidzbarski, im .Wortschatz' seines .Handbuchs der nordsemi¬
tischen Epigraphik', S. 325, giebt als Bedeutung von nap: kurzweg
Tunnel. Er übersieht dabei, dass diese Bedeutung für die Ver¬
bindung nap:n O^m Z. 3—4 (und am l'age des TunnelsW) schlecht¬
hin unzulässig ist. Sie scheint mir aber auch fraglich in dem Satze
nap:n ian n-'n nti Z. 1 (und folgendermaassen verhielt es sich
mit dem Tunnel 0. ä), denn die folgenden Angaben schildern, wie
1) Dass Blake dureh Seiuen Aufsatz „The Word nTT in the Siloam In¬
scription" („Oriental Studies . . . of the Johns Hopkins University", reprinted from the Joum. of the Amer. Orient. Soc, vol. XXII, First Half, 1901, p. 49 ff.) das Verständnis dieses Passus gefördert hätte, vermag ich nicht zu behaupten.
Er leitet mT, das ihm zufolge „evidently" die Bedeutung fissure hat, von der Wurzel znd ab, für die er im Syrischen und Arabischen die Orundbedeutung to be narrow annehmen zu dUrfen glaubt. „From such a root tbe derivation of a noun meaning fissure is perfectly natural" (p. 53). Ich habe au dieser Deutung, die Lidzbarski, Ephemeris, Bd. I, S. 310 für „nicht unmöglich" erklärt, folgendes auszusetzen. Dass niT Spalt bedeute, ist nicht „evident", sondera
nur möglicb. Die fUr Jsj: ^1 angenommeue Grundbedeutung eng sein ist
y •
ziemlich problematisch. Noch viel problematischer ist der BedeutungsUbergang von eng sein zu Spalt. (Wenn man etymologisiert, wie Blake es z. T. thut, kann man auch beweisen , dass „schwarz" ,, weiss", „krumm" „gerade" bedeutet.
Vgl. z. B. p. 53: „The two bones of the forearm, the radius . . . and the ulna . ., are called ^.^tOo^, possibly because they are close together, fit into each other"! Derartige Etymologien halte ich für blosse Spielereien.) Bedenk¬
lich ist schliesslich vor allem, dass die Wurzel and im Hebräiscben sonst gänz¬
lich fehlt.
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