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Charakterisierung von schwangerschaftsassoziierten Glykoproteinen der frühen und peripartalen Phase der Trächtigkeit des Rindes

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Aus dem Anatomischen Institut der Tierärztlichen Hochschule Hannover

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Charakterisierung von Schwangerschaftsassoziierten Glykoproteinen der frühen und peripartalen Phase der

Trächtigkeit des Rindes

INAUGURAL – DISSERTATION

zur Erlangung des Grades einer Doktorin der Veterinärmedizin (Dr. med. vet.)

durch die Tierärztliche Hochschule Hannover

Vorgelegt von Evelyne Jeanrond

aus Eschwege Hannover 2007

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Wissenschaftliche Betreuung:

Univ.-Prof. Dr. W. Meyer Anatomisches Institut Abteilung Histologie und Embryologie Tierärztliche Hochschule Hannover

1. Gutachter: Univ.-Prof. Dr. W. Meyer 2. Gutachter: Univ.-Prof. Dr. B. Meinecke Tag der mündlichen Prüfung: 13.11. 2007

Diese Arbeit wurde von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert (KL1835/1-1).

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Den unzähligen ungenannten „Händen der Forschung“, die die großen Gedanken in die Tat umsetzen und ihnen Leben einhauchen.

Denjenigen, die Freude, Motivation und Menschlichkeit in die Labors bringen, und auf deren Sorgfalt und Kompetenz sich der Erfolg der Forschung stützt.

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Teile dieser Arbeit wurden in Form von Posterpräsentationen zum 14. Europäischen Carbohydrate-Symposium Eurocarb-Meeting (Lübeck), sowie zum ESDAR-Kongress (Celle), September 2007, veröffentlicht.

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1 EINLEITUNG 1

2 LITERATURÜBERSICHT 5

2.1 Anatomie der Rinderplazenta 5

2.2 Trophoblastriesenzellen (TGC) 7

2.3 Schwangerschaftsassoziierte Glykoproteine 9

2.4 Glykosylierung von Proteinen 16

2.5 Sda-Epitop 23

2.6 Lektine 27

3 METHODIK 31

3.1 Versuchstiere 31

3.2 Materialentnahme und Materialvorbereitung 31

3.3 Biochemie 32

3.3.1 Probenvorbereitung 32

3.3.2 Proteinextraktion 32

3.3.2.1 Fraktionierte Ausfällung mit Ammoniumsulfat 32

3.3.2.2 Einfache Ausfällung mit Ethanol 33

3.3.3 Bestimmung der Proteingesamtkonzentration 34

3.3.3.1 Bradford-Assay 34

3.3.3.2 BCA-Assay (Pierce, Rockford) 35

3.3.4 Ionenaustausch-Chromatographie 36

3.3.5 PNGase F-Verdau 37

3.3.6 Neuraminidase-Verdau 37

3.3.7 SDS-PAGE (Sodium-dodecylsulfat Polyacrylamid-Gel-Elektrophorese) 38

3.3.7.1 Coomassie-Färbung der Gele 39

3.3.8 Western Blot 39

3.3.8.1 Antikörperfärbung 40

3.3.8.2 Lektinfärbung für ECL-Detektion 40

3.3.8.3 Detektionsmethoden 41

3.3.8.3.1 DAB-Färbung 41

3.3.8.3.2 ECL-Färbung (Enhanced chemiluminescence) 41

3.3.9 Zweidimensionale Auftrennung der Proteine : 2D-PAGE 42

3.4 Histochemie 44

3.4.1 Probenentnahme und Fixierung 44

3.4.2 Probeneinbettung 45

3.4.2.1 Paraffin – Einbettung 45

3.4.2.2 EPON – Einbettung 45

3.4.3 Anfertigung von histologischen Schnitten 46

3.4.3.1 Schneiden der Präparateblöcke 46

3.4.3.2 Vorbereitung 46

3.4.3.3 Lektin-/ Antikörperfärbung der Schnitte 47

(6)

3.4.3.4 Doppelimmunfluoreszenzfärbung 47 3.4.4 Mikroskopische Auswertung der histochemischen Befunde 48

4 ERGEBNISSE 49

4.1 Frühträchtigkeit 49

4.1.1 Biochemische Analysen 49

4.1.1.1 PAG- Immunoreaktivität im Western Blot 49

4.1.1.2 Gesamtproteingehalt 50

4.1.1.3 N-Deglykosylierung mit Antikörperfärbung des Blots 50

4.1.1.4 Zweidimensionale Auftrennung der Proteine 51

4.1.2 Histochemische Analysen 53

4.1.2.1 Lektinfärbung mit DAB 53

4.1.2.2 Doppelfluoreszenzfärbung mit Anti-boPAG-Antiserum und Lektinen 55

4.1.2.2.1 Tag 20 55

4.1.2.2.2 Tag 23 56

4.1.2.2.3 Tag 32 57

4.1.2.2.4 Tag 35 (n=1) und Tag 43 (n=2) 58

4.2 Mitte der Trächtigkeit: Histochemische Analysen in Doppelfluoreszenz 64

4.2.1 CT1- Bindung 64

4.2.2 DBA- Bindung 65

4.2.3 MAL-Bindung 65

4.2.4 PHA- Bindung 66

4.3 Späte Trächtigkeit: 5 Tage / 1 Tag ante partum 69

4.3.1 Lektinhistochemie mit DAB-Färbung 69

4.3.2 Doppelfluoreszenzfärbung mit Anti-boPAG-Antiserum und Lektinen 73

4.4 Partus: Plazenta unter der Geburt 80

4.4.1 Biochemische Analysen 80

4.4.1.1 Nachgeburt, Kaiserschnitt: Ionenaustauscher-Chromatographie 80 4.4.1.2 Gesamtproteinbestimmung der PAG-positiven Eluatfraktionen 81

4.4.1.3 N-Deglykosylierung mit Peptid-N-Glykosidase F 81

4.4.1.4 PNGase-Verdau und Western Blot mit Anti-boPAG-Antiserum 83 4.4.1.5 PNGase F -Verdau und Western Blot mit Antikörper-/Lektinfärbung 84

4.4.1.6 Neuraminidase-Verdau und Antikörper-/Lektinfärbung 85

4.4.2 Histochemische Analysen 87

4.4.2.1 Lektinhistochemie mit DAB-Färbung 87

4.4.2.2 Doppelfluoreszenzfärbung mit Anti-boPAG-Antiserum und Lektinen 88

5 DISKUSSION 92

5.1 Ergebnisse der biochemischen Analysen – Frühträchtigkeit 92 5.2 Ergebnisse der biochemischen Analysen – Spätträchtigkeit 93

5.3 Ergebnisse der histochemischen Analysen 98

5.4 Funktionen von PAGs 101

5.5 Der Glykanteil der PAGs 103

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6 ZUSAMMENFASSUNG 109

7 LITERATURVERZEICHNIS 113

8 ANHANG 134

8.1 Chemikalien 134

8.2 Puffer und Lösungen 135

8.3 Antikörper 139

8.4 Lektine 139

8.5 Sonstige Materialien und Reagenzien 140

8.6 Geräte 142

8.7 PC-Programme 142

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Verzeichnis der Abkürzungen

- Abb. Abbildung - a.p. ante partum

- APS Ammoniumpersulfat - Aqua bidest. Aqua bidestillata - Asn Asparagin

- BCA Biuret-Copper-Assay - BNC Binucleated Cells - bo bovin

- BSA bovines Serumalbumin - ca. zirka

- cm Zentimeter

- CT1 Cytotoxic T-Lyphocyte-Antibody 1 - Cy2 Carbocyanin2

- Cy3 Indocarbocyanin3

- DAB 3’,3’-Diaminobenzidine-tetrahydrochlorid - DBA Dolichos biflorus Agglutinin

- DEAE Diethylaminoethyl - DTT Dithiotreitol

- ECA Erithrina cristagalli Agglutinin - ECL Enhanced Chemiluminescence - EDTA Ethylendiamin-N,N,N’,N’-tetraacetat - ER Endoplasmatisches Retikulum - et al. et alii

- g Gramm

- GA Golgi-Apparat - Gal Galaktose

- GalNac N-Acetylgalaktosamin

- GalNAcT N-Acetylgalaktosamin-Transferase - Glc Glukose

- GlcNAc N-Acetylglukosamin

- h Stunde

- HRP Horseraddish-peroxidase

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- ieP isoelektrischer Punkt - IgM Immunglobulin M - kDa kiloDalton

- KH Kohlenhydrat - l Liter

- LH Luteotropes Hormon

- LMW Low Molecular Weight-Marker

- M molar

- mM millimolar - mA Milliampere

- MAL Maackia amurensis Lektin - Man Mannose

- Mg Milligramm - min Minuten - ml Milliliter - MW Mittelwert - µl Mikroliter

- NeuAc Neuraminsäure

- n Probenmenge

- nm Nanometer - OD optische Dichte

- PAG pregnancy associated glycoprotein - PBS phosphate-buffered saline

- p.c. post coitum - PFA Paraformaldehyd

- PHA Phaseolus vulgaris Agglutinin - p.i. post inseminationem

- PNGase Peptide:N-Glycosidase F - p.p. post partum

- PSP-B pregnancy-specific protein B - PVDF Polyvinylidendifluorid - rpm rounds per minute

- s Sekunde

- SDS Sodiumdodecylsulfat

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- Ser Serin

- SVP Streptavidin-linked peroxidase - Tab. Tabelle

- TBS Tris-buffered saline - TEMED Tetramethylendiamin - Thr Threonin

- TRIS Tris(hydroxymethyl)-aminomethan - UDP Uridindiphosphat

- V Volt

- v/v Volumen zu Volumen - v/w Volumen zu Gewicht

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Einleitung 1

1 Einleitung

Die Trächtigkeit stellt als eine genaue Abfolge zeitlich relativ streng definierter Phasen komplexer Vorgänge, die den gesamten Organismus einbeziehen, eines der interessantesten Phänomene der Physiologie dar.

Das Prinzip der Fortpflanzung der Säugetiere folgt Mustern, wie sie sonst nur im Bereich des Parasitismus und der Symbiose zu finden sind: die Einnistung eines neu entstehenden, halb-allogenen Organismus, des Fetus, in einen anderen, der Mutter, mit dem Ziel, ihm bis zum Zeitpunkt seiner Ausreifung optimale Entwicklungs- bedingungen zur Verfügung zu stellen.

Um physiologische Abwehrmechanismen gegen das Fremdgewebe zu verhindern und eine bedarfsorientierte Versorgung des Fetus zu gewährleisten, müssen zwei Grundvoraussetzungen gegeben sein:

Zum einen verlangt ein evolutiver Prozess mit sich ständig ändernder Bedarfslage eine intensive Kommunikation zwischen Fetus und Mutter. Zum anderen sind zur flexiblen Reaktion auf diese Signalübertragung immunologische und metabolische Regulationsmechanismen erforderlich, die sicherlich einem genetisch definierten, speziesspezifischen Gesamtablauf folgen, sich individuellen Schwankungen jedoch anpassen müssen. Kernstück dieser Prozesse bildet die Plazenta, die, von der ersten Kontaktaufnahme ausgehend, als Verbindungseinheit aus fetalem und maternalem Gewebe den direkten Kontakt zwischen beiden Organismen herstellt.

Sie ist somit die Grenze zwischen beiden Organismen, zugleich aber auch das Element für die Signalübertragung und den regulierten Stoffaustausch zwischen Mutter und Fetus.

In der vorliegenden Arbeit soll ein Teil des Phänomens fetomaternaler Kontakt- mechanismen näher untersucht werden, der charakteristisch für die Plazenta von Wiederkäuern ist. Die schwangerschafts-assoziierten Glykoproteine (pregnancy associated glycoproteins, PAGs) werden seit den 80er Jahren als spezifische Moleküle der Trächtigkeit untersucht (SASSER et al. 1986, RUDER et al. 1988). Da sie nach ihrer Synthese im fetalen Gewebe in das maternale Serum übergehen, haben sie vor allem eine Bedeutung für die Entwicklung trächtigkeitsdiagnostischer Tests für Rinder und andere Nutztiere erlangt. Die PAGs stellen eine große Gruppe von Glykoproteinen dar, die nicht nur während der Frühträchtigkeit, sondern über die

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Einleitung 2

gesamte Gravidität vom fetalen Teil der Plazenta gebildet, und in den maternalen Organismus abgegeben werden. Dies legt ihnen eine Funktion als feto-maternales Signal nahe. Der Frage, welche Rolle sie bei Rindern für eine erfolgreiche Trächtigkeit übernehmen, soll durch die Untersuchung der verschiedenen PAG- Formen im Trächtigkeitsverlauf mit besonderer Beachtung ihrer wechselnden Glykosylierung nachgegangen werden.

Aus dem Bereich der Signalübertragung des Embryos konnten inzwischen mehrere Stoffe den verschiedenen Phasen der Trächtigkeit zugeordnet werden. So sind während der freien Phase der Blastozyste Wachstumsfaktoren wie IGF, TGFα und ß, PDGF und FGFs an der schnellen Entwicklung und Differenzierung des Embryos beteiligt (LARSON et al. 1992, WATSON et al. 1992 und 1994, YOSHIDA et al. 1998, DICKSON et al. 1995). Hinsichtlich der Implantation ist zwar bei anderen Säugern bekannt, dass Integrine, Membran-Glykoproteine, Plasmine, Metalloproteinasen und Cytokine in diesen Prozess involviert sind, außer über die Interferone liegen jedoch beim Rind keine Untersuchungen zu den genannten Faktoren vor. Das bovine Interferon tau (boIFNτ) wird vom 16 bis 25 Tage alten Embryo sezerniert und besitzt sowohl anti-luteolytische als immunmodulatorische Funktion (HELMER et al. 1988, FILLION et al. 1991). Diese Mechanismen umfassen die Hemmung bzw. Reduktion von Oestrogen- und Oxytozinrezeptoren, die Aktivierung eines Cyclooxygenase- hemmers und die Förderung der PGE2-Produktion und stellen somit embryo- protektive Bedingungen her (HANSEN et al. 1999).

Von den feto-maternalen Signalen während der Trächtigkeit wurden jedoch auch beim Rind bereits viele Elemente untersucht, so die early pregnancy factors, Östrogene, Prostaglandine, Prolaktin und Plazenta-Laktogen. Seit den 60er Jahren wurde bei Rindern nach einer luteotropen Substanz aus der Plazenta gesucht. Bis heute konnte jedoch kein dem humanen Chorion-Gonadotropin vergleichbares Analogon aus der Rinderplazenta isoliert werden. Ein von der BECKERS-Gruppe aus der Rinderplazenta isoliertes Glykoprotein zeigte allerdings eine gonadotrope Aktivität des LH-Typs (BECKERS et al. 1988).

Besonders risikoreiche Momente der Trächtigkeit bestehen zum einen in der freien Phase der Blastozyste vor der Implantation, die beim Rind ungefähr drei Wochen dauert, zum anderen in der Phase der Implantation selbst, in der die Erkennung des

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Einleitung 3 Embryos sichergestellt und Abwehrmechanismen der Mutter eingeschränkt werden müssen, um die Einnistung in den maternalen Organismus zu ermöglichen.

Eine andere entscheidende Phase der Informationsübertragung ist die der präpartalen Phase, in der sich Mutter und Fetus systemisch auf den Geburtsprozess und die Trennung der fetomaternalen Verbindung vorbereiten. Es handelt sich hierbei um ein Zeitfenster, in dem sich die fetomaternalen Signale von denen der übrigen Trächtigkeit unterscheiden müssen.

Diese kritischen Phasen der Gravidität, die Frühträchtigkeit und die präpartale Trächtigkeit, finden auch in der viehwirtschaftlichen und tierärztlichen Praxis besondere Beachtung. Zum einen entscheidet sich hier die erfolgreiche Aufnahme nach der Befruchtung, denn die meisten Aborte ereignen sich innerhalb der ersten drei Wochen der Trächtigkeit (ZAVY 1994). Zum anderen stellt die Zeitspanne zwischen der Geburtseinleitung und dem Abgang der Frucht nicht nur unter natürlichen Bedingungen eine vulnerable Phase dar, sondern birgt auch unter kontrollierten Bedingungen besondere Risiken.

Die frühe und die präpartale Phase der Trächtigkeit des Rindes sollen in dieser Arbeit auf vorhandene PAG-Formen und ihre Glykosylierung untersucht werden.

Da die biochemischen Aktionswege und somit die Funktionen von Glykoproteinen erheblich von ihrer posttranslationalen Glykosylierung abhängen, soll der Zuckeranteil der in dieser Arbeit untersuchten PAG-Formen besondere Beachtung finden. Aus Vorarbeiten ist bekannt, dass die Glykolysierung der PAGs zum Zeitpunkt der Geburt strukturellen Änderungen unterworfen ist, also scheint diesen Molekülen eine besondere Rolle während dieser Phase zuzukommen. Da die PAGs jedoch auch bereits zum Zeitpunkt der Implantation nachgewiesen werden können, ist es wahrscheinlich, dass sie auch in dieser frühen Phase entscheidende Funktionen übernehmen. Eine nähere Betrachtung dieser frühen PAG-Formen, insbesondere ihrer Glykosylierung, soll hier vorgenommen werden.

Das Verständnis des Kommunikationssystems zwischen Fetus und Mutter, welches die Plazentation und die Aufrechterhaltung der Trächtigkeit ermöglicht, ist maßgeblich für die Interpretation physiologischer und pathologischer Vorgänge in der Gravidität und Bedingung für prophylaktische und therapeutische Eingriffe.

Besonders in der Nutztierhaltung, in der die Gravidität schon als zyklischer Vorgang betrachtet werden kann, stehen Möglichkeiten zur Optimierung des

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Einleitung 4

Trächtigkeitsverlaufes im Sinne schneller Aufnahme, risikoarmer Geburt und komplikationslosen Puerperiums im Zentrum des Interesses des Zuchtmanagements.

Letztendlich können Erkenntnisse aus der Graviditätsphysiologie auf biochemischem Niveau beispielhaft für ähnliche Signalübertragungsprozesse in anderen Systemen sein und somit zu deren Aufklärung beitragen.

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Literaturübersicht 5 2 Literaturübersicht

2.1 Anatomie der Rinderplazenta

Im Laufe der Evolution entwickelten die verschiedenen Säugergruppen Plazentationsformen, die optimal an die jeweiligen Lebensumstände angepasst sind.

Bei den Wiederkäuern als Nestflüchter war die verlustarme, schnelle Trennung der beiden Organismen unter der Geburt, und somit die Verkürzung dieser empfindlichen Phase besonders bei den Boviden-Spezies in offenen Savannen ein wichtiger Faktor der Plazenta-Entwicklung.

So entwickelte sich bei den Rindern eine Placenta adeciduata, bei der die maternale Uterusmukosa nahezu vollständig erhalten bleibt und sich unter der Geburt fast ohne Substanzverlust von den fetalen Anteilen der Plazenta trennt. Die Nachgeburt bleibt somit rein fetalen Urspungs, was zu dem von STRAHL (1912) geprägten Begriff der Semiplazenta führte.

Dabei bleiben bei der Rinderplazenta alle Gewebsschichten sowohl auf maternaler als auch auf fetaler Seite mit jeweils Epithel, Mesenchym und Gefäßendothelien erhalten, womit sie zu den Plazenten des epitheliochorialen Typs gerechnet wird (GROSSER 1927).

Morphologisch gesehen, handelt es sich bei der Rinderplazenta um eine Placenta multiplex sive cotyledonaria, ein System multipler abgegrenzter Bereiche intensivster zottiger Verzahnungen von maternalen und fetalen Plazentaanteilen, den Plazentomen. Diese werden bei der Anheftung des Fetus an das Uterusepithel ab Tag 30 der Trächtigkeit (LEISER 1975) aus den maternalen Karunkeln und den fetalen Kotyledonen (BJÖRKMAN und SOLLEN 1960) gebildet.

Unter der Bedingung der schnellen und risikoarmen Trennung der beiden Plazentateile unter der Geburt wird somit die größtmögliche Ausdehnung der feto- maternalen Kontaktflächen gewährt.

Die Karunkeln des weiblichen Rindes werden bereits in der Fetalphase (ATKINSON 1984) in 4 Reihen mit je 10-15 Karunkelanlagen pro Uterushorn angelegt. An den entsprechenden Bereichen des embryonalen Chorions werden bei der Implantation die Kotyledonen ausgebildet (SCHNORR und KRESSIN 2001). Von den „milky

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Literaturübersicht 6

patches“ genannten primären Anhaftungszonen ausgehend, wachsen fetale Villi in das Kryptensystem der Karunkelanlage ein ( BJÖRKMAN 1954, HRADECKY 1988, RÜSSE und GRUNERT 1993).

Die morphologische Entwicklung der Plazentome ist um Tag 100 p.c. abgeschlossen, danach nehmen sie nur noch an Größe zu. Die größten Plazentome befinden sich im Bereich des Fruchtsackes an der Eintrittsstelle der Nabelgefäße, während diejenigen im Bereich der Uterushörner und des Korpus kleiner sind. Im nichttragenden Uterushorn werden weniger Plazentome ausgebildet.

Der Trophoblast bildet als äußere Schicht der Blastozyste zusammen mit dem parietalen Mesoderm das sekundäre Chorion. Die Allantoisblase (Entoderm und viszerales Blatt des Mesoderms) legt sich an das Chorion und bildet mit ihm das Allantochorion.

Zu Beginn der Implantation überzieht die Chorionplatte die Karunkeloberfläche kappenartig. Danach wachsen Chorionzotten tief verzweigt als Stamm-, Intermediär- und Terminalzotten in die Krypten der Uterusschleimhaut ein (BJÖRKMAN 1969, LEISER und KAUFMANN 1994). Die Zotten bestehen aus vaskularisiertem Mesenchym, das vom Trophoblastepithel überzogen ist. Dazwischen liegen die karunkulären Septen aus Bindegewebe, die ihrerseits von einschichtigem isoprismatischen Uterusepithel überzogen sind (BJÖRKMAN und SOLLEN 1960).

Auch die maternalen Septen reichen bis an die fetale Zottenbasis. Aus dieser ausgedehnten Verzahnung der Epithelien resultiert eine große Oberfläche für den Stoffaustausch.

Fetaler und maternaler Blutkreislauf bleiben jedoch bis zur Geburt durch das jeweilige Gefäßendothel, Bindegewebe und Karunkel- bwz. Trophoblastenepithel bei einer solchen Placenta epitheliochorialis getrennt, bei der es im Gegensatz zum hämochorialen Plazentatyp zu keiner Invasion des Trophoblasten in das Endometrium kommt. In Analogie hierzu findet bei den Wiederkäuern eine Migration einer bestimmten Zellpopulation aus dem Trophoblasten in das Uterusepithel statt, die von PFARRER (2006) als „eingeschränkte Trophoblastinvasion“ beschrieben wird.

Innerhalb des einschichtigen Trophoblastepithels werden zwei Zelltypen unterschieden (WIMSATT 1951, GREENSTEIN 1958):

Die fetomaternale Kontaktzone bilden einkernige Trophoblastzellen mit Kontakt zur Basalmembran, die die typischen Charakteristika von Epithelzellen aufweisen und

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Literaturübersicht 7 über Mikrovilli mit dem Uterusepithel interdigitieren (LEISER 1975, STEVEN 1975, KAUFMANN 1981).

Die zweite Zellpopulation bilden die Trophoblastriesenzellen, die nicht in Kontakt mit der Basalmembran stehen, und weder Epithelzellcharakter aufweisen, noch an apikalen Verbindungskomplexen teilhaben. Auch morphologisch unterscheiden sie sich von den kubischen bis hochprismatischen Epithelzellen. Aufgrund ihrer auffälligsten Eigenschaft, mehrere, meist jedoch zwei Zellkerne zu besitzen, werden sie binukleäre Zellen (binucleate cells, BNC) genannt.

2.2 Trophoblastriesenzellen (TGC)

Eine Besonderheit der Wiederkäuerplazenta stellen die Trophoblastriesenzellen (trophoblast giant cells, TGC) dar (WOODING 1983). Sie bilden neben den Epithelzellen die zweite Population der Zellen des Trophoblasten. Obwohl sie bis zu 8 Kerne aufweisen können, sind sie doch meist zweikernig, so dass sie auch binukleäre Zellen (BNC) genannt werden. Sie entstehen durch zwei aufeinanderfolgende azytokinetische Mitosen, also Zellkernteilungen ohne anschließende Aufteilung des Zytoplasmas auf zwei Tochterzellen (WOODING 1992, KLISCH et al. 1999) und erlangen eine Zellgröße von 30-50 µm Durchmesser.

Dabei scheint die BNC-Entwicklung nicht von einer bestimmten TGC- Stammzellpopulation auszugehen, sondern die BNC können sich aus jeder Epithelzelle entwickeln (WOODING 1992). Die ersten binukleären Zellen treten bereits in der Wand der präimplantativen Blastozyste auf (WOODING 1984, WANGO et al.1990) und werden weiter während der gesamten Trächtigkeit gebildet.

Mit Ausnahme der letzten Trächtigkeitswoche, in der ein Rückgang der TGC festzustellen ist, machen sie relativ konstant einen prozentualen Anteil von 20-25 % der Epithelzellen aus (WOODING 1983, GROSS und WILLIAMS 1988, GROSS 1991).

Nach ihrer Bildung unterscheiden sich die BNC bereits von den Epithelzellen durch ihre rundliche Form und besitzen im Gegensatz zu den uninukleären Zelle weder Kontakt zur Basalmembran noch zu apikalen Verbindungskomplexen. Ihre zunächst runden, später ovoiden Kerne sind auf einer Zellseite lokalisiert. So kann das Zytoplasma in einen größeren infranukleären Bereich, in dem sich vorwiegend die

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Literaturübersicht 8

Granula befinden, und einen kleineren supranukleären Bereich mit vielen Mitochondrien und Golgivesikeln unterteilt werden (WIMSATT 1951, SCHULER 2000). Mit ihrer Reifung treten in ihrem Zytoplasma vesikuläre Einschlüsse auf, die sich zu PAS-anfärbbaren Granula entwickeln. Diese werden von dem apikalen Golgi- Apparat produziert und in den basalen Teil des Zytoplasmas entlassen (WOODING 1980).

Die BNC unterscheiden sich jedoch nicht nur morphologisch von den uninukleären Epithelzellen des Trophoblasten. Nach vollständiger Ausreifung sind die BNC in der Lage, entlang der „Tight Junctions“, an denen sie vorübergehend teilhaben, bis zur feto-maternalen Kontaktzone zu wandern und mit einer Uterusepithelzelle zu fusionieren (WOODING 1992).

Im Gegensatz zu Schaf und Ziege, bei denen durch Fusion der TGC mit Karunkelepithelzellen mehrkernige fetomaternale Synzytien entstehen, kommt es beim Rind hauptsächlich zur Bildung von trinukleären fetomaternalen Hybridzellen (WOODING 1992), die nur temporär bestehen und anschließend degenerieren oder vom Trophoblasten resorbiert werden (WATHES und WOODING 1980, WOODING und BECKERS 1987, HOFFMAN und WOODING 1993, KLISCH et al. 1999, SCHULER 2000).

Nach der Fusion der BNC mit der maternalen Epithelzelle durchwandern die Granula das Zytoplasma der neuen Hybridzelle und setzen ihren Inhalt auf der basalen Seite durch Exozytose in das maternale subepitheliale Gewebe frei.

Die Steuerung der BNC-Migration, die maßgeblich ihre Funktion bedingt, ist bisher unbekannt. WOODING et al. (1986) zeigten, dass die BNC-Wanderung durch Ovariektomie, Plazentomreduktion oder Entfernung von Karunkelanlagen nicht beeinflusst wird.

Die Funktionen der BNC scheinen mit der Ausbildung eines feto-maternalen Synzytiums in der Signalübertragung zwischen Fetus und Mutter zu liegen und könnten analog zur humanen Placenta hemochorialis einen primitiven Synzytiotrophoblasten darstellen (LEISER und KAUFMANN 1994). Sie enthalten gonadotrope und Wachstumshormone, sowie unterschiedlich glykosylierte Proteine.

So wurden das Plazenta-Laktogen (PL) und prolactin-related proteins (PRPs) aus der Familie der Wachstumshormone in bovinen und ovinen BNC nachgewiesen (ANTHONY et al. 1995, DUELLO et al. 1986). Trotz ihrer zwischenartlichen strukturellen Ähnlichkeit zueinander scheinen sie speziesspezifische Bedeutung für

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Literaturübersicht 9 die Mammogenese und Laktation, das fetale Wachstum und den maternalen Metabolismus zu besitzen (GOOTWINE 2004). Auch Transmembranproteine wie Fertilin-ß und CD-9 (XIANG et al. 2002) und Wachstumsfaktoren aus der FGF- Familie (PFARRER et al 2006) wurden in den BNC beschrieben und scheinen Funktionen in den Bereichen der Zelldifferenzierung, -adhäsion und –migration, sowie in der Angiogenese zu erfüllen.

Weitere, in den sekretorischen Granula der BNC nachgewiesene Moleküle sind das von MORGAN et al. 1989 nachgewiesene SBU-3 Antigen und die im Folgenden beschriebenen Pregnancy-associated Glycoproteins (PAGs).

2.3 Schwangerschaftsassoziierte Glykoproteine

Viele Hormone und Proteine sind in ihrem Auftreten oder ihrer Menge charakteristisch für den Verlauf einer physiologischen Schwangerschaft.

Dabei unterscheidet man zwischen denen rein mütterlichen und denen feto- plazentären Urprungs, die hierbei die Mehrzahl darstellen. Prominente Beispiele dieser Gruppe sind das humane Chorion-Gonadotropin (hCG), welches im mütterlichem Blut und Urin ab dem 6. (-10.)Tag der Schwangerschaft nachweisbar ist, sowie das humane Plazenta-Laktogen (hPL), welches erst ab der 9. Woche der Schwangerschaft auftritt (SCIARRA 1963) und dessen Serumkonzentration stetig ansteigt.

Diese Parameter eines normalen Schwangerschaftsverlaufes sind von großer Bedeutung für diagnostische Aussagen über das Bestehen einer Schwangerschaft, ihren Verlauf und die Kontrolle der Fruchtentwicklung.

Auch bei Haustieren sind schwangerschaftsspezifische Proteine gefunden worden:

So stellt zum Beispiel das equine Chorion-Gonadotropin das Gegenstück zum humanen Chorion Gonadotropin dar und wird zur Trächtigkeitsdiagnostik genutzt.

Die Frage nach schwangerschaftsassoziierten Proteinen mit hormoneller Aktivität bei Wiederkäuern wurde bereits 1928 von ASCHHEIM und ZONDECK aufgeworfen, als sie das humane Chorion-Gonadotropin bei schwangeren Frauen nachwiesen. Ein analoges Hormon in bovinem Urin konnten sie jedoch nicht finden.

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Literaturübersicht 10

Nachdem zwei Jahre später COLE und HART (1930) das Pregnant Mare Serum Gonadotropin (PMSG) im Serum tragender Stuten entdeckten, wurden zahlreiche Versuche unternommen, im Serum oder Urin von Wiederkäuern ein vergleichbares Hormon nachzuweisen.

Mehrere Gruppen haben sich seitdem mit der Erforschung trächtigkeitsspezifischer Moleküle beschäftigt, die im maternalen Kreislauf nachgewiesen werden können.

BUTLER et al. beschrieben 1982 ein schwangerschaftsspezifisches Protein in Fetalmembranen, Amnionflüssigkeit und Endometrium, welches sie „Pregnancy Specific Protein-B“ (PSP-B) nannten.

Vier Jahre nach der Entdeckung des PSP-B entwickelten SASSER et al. einen auf diesem Protein basierenden Trächtigkeitstest, der im Vergleich zur manuellen transrektalen Trächtigkeitsuntersuchung eine weit höhere Spezifität aufwies (SASSER et al. 1986). Struktur und Funktion des PSPB blieben jedoch weiterhin unklar.

Die Gruppe um BECKERS nannte das von ihr nachgewiesene Molekül „Pregnancy Associated Glycoprotein“ (PAG), ein saures Glykoprotein von 67 kDa, das unterschiedliche Isoformen besitzt. Neben dem bekannten 67 kDa PAG wurde auch eine 47 kDa Form nachgewiesen, die im Gegensatz zur schweren Form vermehrt in späten Trächtigskeitsstadien auftritt (BECKERS 1980). LYNCH et al. wiesen einige Jahre später durch Vergleich ihres Aminosäure-Aufbaus nach, dass es sich bei dem bPSPB und dem bovinen PAG1 um das gleiche Molekül handelt (LYNCH et al.

1992).

Das boPAG besitzt eine große Ähnlichkeit zu dem ovinen PAG und wird zur Familie der Aspartatproteinasen gezählt, zu denen auch das Pepsin zählt, mit dem es zu 50

% identisch ist (ZOLI et al. 1991, XIE et al. 1991, BECKERS 1999). Allerdings scheint das Protein trotz erhaltenem aktiven Zentrum keine für diese Enzyme typische proteolytische Aktivität aufzuweisen (GREEN et al.1998). GURUPRASAD wies diesen Verlust der enzymatischen Aktivität trotz erhaltener Peptid- Bindungsfähigkeit später Mutationen im katalytischen Zentrum zu (GURUPRASAD 1996).

In den letzten Jahren wurden PAGs auch bei anderen Tieren, so bei Pferden (GREEN 1994), Elchen (WHITE 1995), Schweinen (SZAFRANSKA 1995), Hirschen (BRAND et al. 2007), Rentieren (ROPSTAD et al. 2005) und Ziegen (GARBAYO

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Literaturübersicht 11 1998, SOUSA 1999) nachgewiesen. PAG-ähnliche Moleküle wurden auch bei Katzen (GAN et al. 1997) und Mäusen (CHEN et al. 2001) gefunden.

So scheint die PAG-Familie ein Charakteristikum der Ungulaten darzustellen, und für die Wiederkäuer wird eine Anzahl von möglicherweise über 100 PAG-Genen angenommen, von denen viele plazentär exprimiert werden. Dabei könnte die Diversität der PAG-Gene einen evolutiven Selektionsvorteil darstellen, der sich in der Multifunktionalität der verschiedenen PAG-Formen innerhalb des fetomaternalen Kontaktsystems widerspiegelt (XIE et al. 1997).

Die verschiedenen PAG-Formen besitzen sowohl Bereiche konservierter Amino- säuresequenzen als auch Bereiche mit starker Sequenzvariabilität (XIE et al. 1997).

Sie besitzen bis zu sechs potentielle N-Glykosylierungsstellen, die sich meist in den oberflächlich gelegenen hypervariablen Bereichen des Proteins befinden (XIE et al.

1997). Die großen Unterschiede ihres molekularen Gewichtes, das zwischen 47 und 67 kDa liegen kann, sind abhängig von der ebenso unterschiedlichen Glykosylierung der PAGs, deren Glykanteil bis zu 44 % ihrer Masse ausmachen kann (KLISCH et al.

2005).

Inzwischen konnten 22 bovine PAG-Formen durch Klonen von PAG-Transkripten und Sequenzanalysen sowie in situ-Hybridisierung charakterisiert und ihr Expressionsmuster im Verlauf der Trächtigkeit beschrieben werden. Demnach ist die Expression einiger PAG-Formen auf definierte Perioden beschränkt, während andere über die gesamte Gravidität hinweg nachweisbar sind (GREEN et al. 2000).

Erkenntnisse über die Synthese und Lokalisation der PAGs im Gewebe stehen im engen Zusammenhang mit histochemischen Untersuchungen des bovinen Trophoblasten und der bovinen Plazenta.

Erste Hinweise auf die Herkunft der PAGs finden sich bei WIMSATT, der Kohlenhydrat-Protein-Komplexe im Zytoplasma der binukleären Zellen (BNC) des Trophoblasten und Uterusepithel beschreibt (WIMSATT 1951), die mit PAS anfärbbar sind (WEETH und HERMAN 1952, BJÖRKMAN 1954). Die BNC enthalten verschiedene in Granula gespeicherte Substanzen, die sie nach ihrer Migration in das Uterusepithel durch Exozytose in den maternalen Organismus abgeben. Wie bereits weiter oben beschrieben, wurden verschiedene Moleküle in BNC nachgewiesen. Unter anderem zeigen die BNC-Granula auch immunologische

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Literaturübersicht 12

Reaktionen mit dem SBU-3-Antikörper (MORGAN 1989), der an Kohlenhydrat- Epitope boviner und oviner PAGs bindet (ATKINSON 1993).

Durch den immunzytochemischen Nachweis der PAGs in den Granula von BNC (ZOLI et al. 1992) und den Einsatz von Lektinen als Marker für spezifische proteingebundene Kohlenhydratstrukturen, konnten die PAGs sowohl auf histochemischer als auch auf biochemischer Ebene genauer charakterisiert werden.

Die bisher beschriebenen PAG-Formen werden im Trophoblasten unterschiedlich exprimiert. WOODING teilte die PAGs in zwei phylogenetische Gruppen ein, von denen die ältere im gesamten Trophektoderm (boPAG-2, -8, -10 bis -13), die jüngere ausschließlich in dessen BNC gebildet wird und somit den maternalen Kreislauf erreicht (boPAG-1, -4, -5, -6,-7, -9, -14 bis -21) (GREEN et al. 2000, WOODING 2005).

Eine weitere Einteilung unterscheidet drei PAG-Gruppen nach strukturellen und phylogenetischen Gesichtspunkten. Der boPAG-1-Hauptgruppe werden das zuerst von ZOLI et al. 1991 beschriebene PAG-1 (PAG-67), sowie drei weitere von KLISCH et al. aus Plazenten der Mitte der Trächtigkeit isolierten PAG-Formen (boPAG 56 kDa, boPAG 67kDa und boPAG 75kDa) zugerechnet, denen ein terminales N- Acetylgalaktosamin (GalNAc) ihres Glykanteils gemein ist (KLISCH et al. 2003).

Das boPAG-2, welches für die Gruppe der Gonadotropin-artigen PAGs steht, scheint luteotrope Aktivität aufzuweisen und besitzt bis zu 96 % Sequenzhomologie zu den boPAG-11, -12 und -13 (XIE et al. 1994). Die PAG-8-Gruppe umfasst die phylogenetisch vermutlich sehr alten Pepsinogen-artigen Formen dieser Moleküle.

Neben dem boPAG-10 werden dieser Gruppe auch mehrere PAGs aus anderen Säugetieren zugeordnet (GAN et al. 1997, XIE et al. 1997, GREEN et al. 1999, GARBAYO et al. 2005).

Als trächtigkeitsassoziierte Moleküle finden die PAGs auch im Hinblick auf ihre diagnostische Aussagekraft zur Feststellung der frühen Gravidität besondere Beachtung.

Bis heute sind einige PAG-basierte Testsysteme zur Trächtigkeitsdiagnostik entwickelt worden. ZOLI et al. entwickelten 1992 einen Radioimmunoassay gegen das boPAG 67, der ab dem 28.-30. Tag p.i. zur Trächtigkeitsbestimmung und zur Kontrolle der Trophoblastaktivität eingesetzt werden kann (ZOLI et al. 1992, SCENZI et al. 1998, 1999, HUMBLOT et al. 1988). Limitiert wird die Aussagekraft des Tests durch die lange Halbwertzeit der peripartal sezernierten PAGs, die noch bis zum 80.

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Literaturübersicht 13 Tag p.p. im mütterliche3n Serum nachweisbar sind. Höhere PAG-Konzentrationen werden ab Tag 25 p.i. mit von PERENYI et al. (2002) entwickelten Radioimmunoassays (RIA-706 and RIA-708) gemessen, die auf einem Antiserum gegen mehrere PAG-Formen basiert (PAG 55 kDa + 62 kDa und PAG 55 kDa + 59 kDa). Auch der von AYAD aus mehreren, auch xenogenen Antisera (bovin, ovin, caprin) gegen PAGs zusammengesetzte RIA könnte zur Routinediagnostik eingesetzt werden (AYAD et al. 2007). Ein von GREEN et al. entwickelter Sandwich- ELISA basiert auf monoklonalen Antikörpern gegen drei halbaufgereinigte PAG- Formen der Frühträchtigkeit, deren Anstieg ab dem 28. Tag p.i. im Serum nachgewiesen werden kann (GREEN 2005).

Ein Test zur Trächtigkeitsdiagnose ab dem 30. Tag p.i. und 90 Tage p.p. in Form eines ELISA gegen PSP-B wird von der Firma BioPRYN (BioTracking, Moscow, ID, USA) angeboten.

Die Funktion der PAGs ist bislang unklar, Untersuchungen zu ihrem Vorkommen, ihrer Struktur und Glykosylierung haben jedoch zu verschiedenen Hypothesen hinsichtlich ihrer biologischen Rolle geführt.

Durch Klonierung und Screening oviner und boviner Gen-Bibliotheken konnten XIE et al. (1996) eine große Diversität der PAG-Gene feststellen und vermuteten eine Anzahl von 100 PAG-Genen mit sehr unterschiedlichen Sequenzmustern. Dabei besitzen die PAGs relativ konstante Strukturen an den Karboxylenden sowie im Bereich des katalytischen Zentrums und solche hoher Variabilität, die vorwiegend an exponierten Stellen wie oberflächlichen Schleifen liegen und potentielle Glykosylierungsstellen tragen. Untersuchungen zu Nukleotidsubstitutionen innerhalb der PAG-Gene deuten darauf hin, dass solche Mutationen, die die Aminosäuresequenz des Proteins beeinflussen, sich schneller entwickelten als die

„stillen“ Mutationen und so die genetische Variabilität der PAGs förderten. Im Zusammenhang mit phylogenetischen Studien deutet die Entwicklung einer ganzen Reihe unterschiedlicher PAG-Sortimente, die zwar speziesspezifisch sind, jedoch zum Teil extreme interspezifische Sequenzhomologien aufweisen (ovPAG2 und boPAG11 zeigen 94 % Aminosäure-Identität) auf wichtige Funktionen nicht nur der Gruppe, sondern der einzelnen PAG-Formen hin (XIE et al. 1996). Die Variabilität von Genen ist in anderen Beispielen Ausdruck für eine Verbesserung der Ligandenbindung der Proteine und könnte auch im Falle der PAGs für ihre Funktion

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Literaturübersicht 14

als Carrier-Molekül aktiver Peptide sprechen. Diese Ansicht vertritt auch DOSOGNE im Zusammenhang mit der Tatsache, dass den PAGs als sekretorischen Proteinen mit hohem Gehalt an Kohlenhydraten auch signalgebende Funktionen zukommen könnten (DOSOGNE et al. 2000). Da die meisten PAGs keine proteolytische Aktivität aufweisen, ihre Peptidbindungsspalte jedoch aufgrund der Bindungsfähigkeit an Pepstatin A funktionell erhalten scheint, liegt die Vermutung nahe, dass die PAG- Funktion eher auf Interaktion mit aktiven Peptiden als auf proteolytischen Aufgaben basiert. WOODING stellt in seiner Diskussion der Funktionen der phylogenetisch älteren PAG-Gruppe einen möglichen Zusammenhang zwischen der Bindungsfähigkeit und der potentiellen proteolytischen Aktivität der PAGs her. So wäre es zum einen denkbar, dass die PAGs latente Wachstumsfaktoren proteolytisch prozessieren und somit aktivieren. Zum anderen könnten die PAGs an der Adhäsion der fetomaternalen Kontaktzone beteiligt sein, an der unter der Geburt pH- Änderungen die proteolyische Aktivität der PAGs und somit den Ablösungsprozess der beiden Epithelschichten in Gang setzen (WOODING 2005).

Eine direkte Interaktion der PAGs mit einem anderen Molekül ist bisher mit einem progesteroninduzierten Protein der Serpin-Familie beschrieben worden. Dieses als Serinprotease bekannte Protein mit immunosuppressiver Funktion ist in der Lage, PAGs zu binden und könnte ihr natürlicher Inhibitor sein (MATHIALAGAN und HANSEN 1996).

Die große Anzahl der möglichen PAG-Formen und die sich im Laufe der Gravidität ändernde Zusammensetzung der PAG-Ausstattung versetzt diese Gruppe von Molekülen potentiell in die Lage, verschiedenste regulative Aufgaben im Verlauf der Trächtigkeit zu übernehmen (GREEN et al. 2000, PATEL et al. 2004, KLISCH et al.

2005). Besonders im Hinblick auf die neueren Untersuchungen zur Glykosylierung der PAGs in Abhängigkeit des Graviditätsstadiums scheint hier eine Ausstattung an die unterschiedlichen Phasen der Gravidität angepasster Moleküle vorzuliegen, die auf sich ändernde immunologische und metabolische Verhätnisse abgestimmt sind (KLISCH et al. 2003, 2005, 2006).

Somit lassen sich die möglichen Funktionen der PAGs in zwei Kategorien einteilen.

PAGs scheinen einerseits Liganden binden können, und andererseits eine spezifische Glykanausstattung zu besitzen, die sie befähigt, im maternalen Gewebe oder Serum spezifische Zielstrukturen zu beeinflussen. Daher sind sowohl Funktionen hormoneller als auch immunmodulatorischer Art denkbar.

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Literaturübersicht 15 In Zusammenhang mit hormonellen Funktionen stehen die Untersuchungen von DEL VECCHIO et al., die einen stimulierenden Effekt der PAGs auf die Prostaglandinproduktion in Lutalzellkulturen und im Endometrium nachweisen konnten und in einer weiteren Studie auch die Produktion von Progesteron im Corpus luteum nach Stimulation mit PAGs beschrieben (DEL VECCHIO et al. 1995, 1996).

AUSTIN et al. zeigten eine Wirkung von PAGs auf ein Chemokin der Endometriumzellen. Das in den ersten 26 Tagen der Trächtigkeit von Interferon tau stimulierte GCP-2 (granulocyte chemotactic protein) lässt sich auch durch PAG-1 in kultivierten Endometriumzellen induzieren. Ihm wird eine mögliche protektive Rolle für die Erkennung der Trächtigkeit zugeschrieben. Obwohl PAG-1 erst ab der vierten Trächtigkeitswoche in signifikanten Mengen nachgewiesen werden kann, könnte ihm eine unterstützende Funktion in der Erkennungsphase und ähnlich embyroprotektive Funktion im Anschluss an die Interferon tau-Phase zukommen (AUSTIN et al.1999).

Die immunmodulierenden Funktionen der PAGs betreffend, sind in anderen Spezies analoge Plazentaproteine als lokale immunsuppressive Faktoren zum Erhalt des Fetus bekannt. So zum Beispiel das equine Chorion Gonadotropin, welches ungleich seinem humanen Namensgeber anscheinend weniger luteoprotektive als direkt embryoprotektive Eigenschaften besitzt, indem es destruktive maternale Faktoren abfängt und Leukozyten im Bereich der „endometrial cups“ konzentriert (KOETS 1995). Auch plazentäre Cytokine und Lymphokine, die oft als Stimulatoren inflammatorischer Prozesse agieren, können wie im Falle von Interferon tau, welches noch vor der Implantation vom Trophoblasten sezerniert wird, immunsuppressive Wirkung haben (EALY et al. 1998).

Für eine PAG-vermittelte Immunsuppression gibt es einige Hinweise. So zeigten ZOLI et al., dass eine Korrelation des Vorkommens von PAGs und Antikörpern gegen Trophoblast-Antigen besteht. Besonders bei primiparen Tieren sind hohe Titer sowohl von PAGs als auch der Antikörper vorhanden (ZOLI et al. 1992). Es wäre also möglich, dass die PAGs den Effekt dieser Antikörper auf ein für den Konzeptus ungefährliches Minimum reduzieren.

Einen direkten Einfluss der PAGs auf Immunzellen bestätigen die Untersuchungen von DOSOGNE et al. (1999, 2000). Sie stellten einen Zusammenhang her zwischen der reduzierten Aktivität von neutrophilen Granulozyten (PMN), phagozytierte Keime zu zerstören (oxidative burst), und den hohen PAG-Konzentrationen in den ersten

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Literaturübersicht 16

zwei Wochen post partum. Die Vermutung, dass die PAGs für die verminderte PMN- Aktivität verantwortlich sein könnten, wurde durch die Entdeckung gestützt, dass PAGs die Proliferation von Vorläuferzellen der Neutrophilen im Knochenmark hemmen und zum Zeitpunkt der Geburt ein gesteigertes Vorkommen von unreifen Neutrophilen besteht.

Ob die PAGs an der hohen Inzidenz urogenitaler Infektionen im Puerperium des Rindes beteiligt sind, ist ungewiss.

Sicher scheint jedoch, dass die einzelnen Mitglieder eines derart komplexen Systems multigener sekretorischer Glykoproteine jeweils spezifische Aufgaben während der Trächtigkeit übernehmen.

2.4 Glykosylierung von Proteinen

Glykoproteine bilden eine große Gruppe von Proteinen, an die ein oder mehrere verzweigte oder unverzweigte Oligosaccharidketten gebunden sind. Dabei kann der Zuckeranteil je nach Glykoprotein stark variieren und bis über 60 % der Molekularmasse ausmachen (KENNEDY und WHITE 1983).

Da ein Protein unterschiedliche Glykane, also glykosidisch gebundene Oligo- saccharideinheiten tragen kann, unterscheidet man auch dessen Glykoformen.

Sowohl die Reihenfolge der Zuckeranordnung als auch die Bindungsart der Zucker untereinander können erheblich variieren und schaffen eine enorme Anzahl von Kombinationsmöglichkeiten innerhalb eines Glykanteils einerseits und in Verbindung mit unterschiedlichen Proteinen andererseits. Die tatsächlich mögliche Anzahl von Glykoproteinen in einem Organismus ist von den jeweils vorhandenen Enzymen abhängig, die diese generieren. Die häufigsten Zucker in Glykoproteinen sind die neutralen Monosaccharide D-Galaktose (Gal), D-Glukose (Glc), D-Mannose (Man), L-Fucose (Fuc), D-Xylose (Xyl), sowie die Aminosaccharide N-Acetylglukosamin (GlcNAc), N-Acetyl-Galaktosamin (GalNAc) und, meist in terminaler Stellung, N- Acetylneuraminsäure (NeuAc) oder N-Glykolylneuraminsäure.

Je nach Art der Bindung der Glykane an das Proteincore unterscheidet man O- glykosidisch, N-glykosidisch und die Glykosylphosphatidylinositol (GPI)-gebundenen Glykane, die Proteine als Glykolipidanker mit der Zellmembran verbinden. Bei den

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Literaturübersicht 17 über das Sauerstoffatom eines Serin- oder Threoninrestes des Proteins gebundenen O-Typ-Glykanen handelt es sich oft um uneinheitliche Glykanstrukturen. Je nach ihrer Zusammensetzung können sie noch weiter in Untertypen unterteilt werden (HEMA T. C. und VELURAJA 2001). Die N-Glykane sind über eine Glykosidbindung mit der Aminoseitenkette eines Asparaginmoleküls verbunden. Wie in Abb.1 dargestellt, können drei verschiedene Typen von N-Glykanen unterschieden werden, die eine Pentasaccharidstruktur gemein haben (CUMMINGS 1992): Im Mannose- reichen Typ werden die im ER mit der Kernstruktur übertragenen Glukosereste entfernt, so dass die Mannose den Hauptanteil der Zucker ausmacht. In Glykanen des komplexen Typs werden die entfernten Mannosereste durch andere Zucker ersetzt und tragen oft endständige Neuraminsäure, welche dieser Glykanform einen sauren Charakter verleiht (UNVERZAGT 1997). Wird nur ein Teil der Mannosereste durch andere Zucker substituiert, spricht man vom Hybrid-Typ.

Je nach Anzahl der ausgebildeten Zuckerketten unterscheidet man bi- bis pentaantennäre Strukturen.

Sowohl die O- oder N-Bindung der Zucker an ein Protein als auch die Art der Bindungen zwischen den einzelnen Monosacchariden über α- oder ß- Bindung

Abb. 1: Formen der N-Glykosylierung

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Literaturübersicht 18

bedingen maßgeblich die strukturellen und funktionellen Eigenschaften des Glykoproteins.

Im Allgemeinen werden Proteine nach ihrer Synthese im rauhen Endoplasmatischen Retikulum posttranslationalen Modifikationen unterzogen, unter denen die Glykosylierung eine der bedeutendsten darstellt. Die hierbei involvierten Enzyme sind die Glykosyltransferasen und die Glykosidasen. Die Synthese der Glykoproteine ist abhängig von der Art ihrer Glykanbindung und findet für die Core-Glykosylierung im Endoplasmatischen Retikulum (ER) und für die terminale Glykosylierung in den verschiedenen Zisternen des Golgi-Apparats (GA) statt.

Zucker, die über das Sauerstoffatom (O-Glykosylierung) des Serin- oder Threonin- restes am Protein gebunden sind, werden von spezifischen Glykosyltransferasen im ER und GA einzeln auf ein Disaccharid aus einer Galaktose in ß1,3-Bindung an GalNAc übertragen.

Bei der Synthese der N-Glykane wird zunächst an dem membran-gebundenen Dolicholphosphat eine aus 14 Zuckern bestehende Einheit aufgebaut. In einem zweiten Schritt wird diese dann „en bloc“ von einer multimeren Oligosaccharyl- transferase an das Aminoende des Asparaginrestes am Proteingerüst transferiert, wenn es die ER-Membran passiert. Während der sich anschließenden Proteinfaltung werden einige der terminalen Zucker (Glc, Man) wieder entfernt (Abb.2).

In weiteren Prozessierungsschritten, die in den verschiedenen Zisternen des GA stattfinden, wird dann das gebundene Glykan durch Entfernung, Substitution und Addition weiterer Zucker moduliert. Auch hierbei erfordert jeder Syntheseschritt ein spezifisches Enzym.

Abb. 2: Core-N-Glykosylierung im Endoplasmatischen Retikulum.

Das Dolicholphosphat-gebundene Glykan wird cotranslational ‚en bloc’ auf das Protein übertragen und erfährt während der Faltung des Proteins erste Modifikationen.

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Literaturübersicht 19

Die vielfachen Kombinationsmöglichkeiten der Glykanzusammensetzung ergeben sich nicht nur aus der Anordnung der einzelnen Zucker zueinander, sondern auch aus der Verbindung einheitlicher Glykanstrukturen mit unterschiedlichen Protein- grundgerüsten. So können unterschiedliche Glykane von einzelnen Proteinen oder von einem einzigen Protein mit mehreren Glykosylierungsstellen getragen werden.

Die Art, wie ein Protein glykosyliert wird, ist abhängig von seiner Struktur sowie vom Ort und Zeitpunkt seiner Modifikation. Je nach Funktion und Bedarfssituation können zwei gleiche Proteine in derselben Zelle zu unterschiedlichen Zeitpunkten auch unterschiedlich glykosyliert werden.

Die Glykosyltransferasen, die diese Prozesse katalysieren, übertragen Mono- saccharide von aktivierten Donatoren wie dem Uridindiphosphat (UDP) auf das Ziel- Abb. 3: Über Transportvesikel erreichen die Glykoproteine den Golgi-Apparat. Bei der Wanderung durch die cis-, medial- und trans-Zisternen finden weitere Modifikationen der Glykane statt.

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Literaturübersicht 20

Saccharid, wobei das entstandene Produkt als neuer Akzeptor für den folgenden Transfer dient. Oftmals kann ein solcher Akzeptor Substrat für mehrere Glykosyltransferasen, also mögliche Transferoptionen sein und unterschiedliche Zucker binden. Obwohl es sehr viele unterschiedliche Glykanstrukturen gibt, sind die meisten aus einer Reihe von Grundelementen aufgebaut und unterscheiden sich im Wesentlichen in ihrer Peripherie. Die in dieser Arbeit behandelten Glykane gehören zum komplexen Typ und tragen als peripheres Charakteristikum eine bestimmte Epitopstruktur mit terminalem GalNAc.

Es gibt eine große Anzahl an GalNAc-Transferasen (GalNAc-T), die unterschiedliche Substrate bedienen. Die Polypeptid-GalNAc-Transferasen (UDP-GalNAc:pp-GalNAc- T) übertragen einen GalNAc-Rest von einem UDP-Donator auf Ser- /Thr-Reste eines Polypeptids. Es scheint über 20 ppGalNAcT-Gene im humanen Genom zu geben. In anderen Säugern ist die gewebs- und altersspezifische Expression verschiedener Isoformen des Enzyms bekannt (TEN HAGEN et al. 2002). In N-gebundenen Glykanen ist terminales GalNAc im Vergleich zu terminaler Galaktose ein eher seltenes Phänomen. Auch sind verhältnismäßig wenige Beispiele von Transferasen bekannt, die die Übertragung von endständigem GalNAc auf N-Glykane katalysieren.

CONZELMANN und KORNFELD beschrieben 1984 das Gegenstück zu einer bekannten ß1,4GalNAc-T, die GalNAc auf Gal von O-gebundenen Glykanen muriner Lymphozyten überträgt. Sie wiesen den gleichen Transfer sowohl auf O-Glykane des humanen Glykophorin A als auch auf N-Glykane des Tamm-Horsfall Proteins (THP) nach (CONZELMANN und KORNFELD, 1984). Die so synthetisierte Struktur wurde als Bestandteil eines auf verschiedensten Zellen vorkommenden Glykoprotein- Epitops nachgewiesen und wurde als Sda-Blutgruppenantigen sowie als alters- und gewebsspezifisch exprimiertes Epitop von murinen T-Lymphozyten, intestinalen und renalen Epithelzellen und des THP bekannt (CONZELMANN und BRON, 1987). Als Teil eines Glykolipids kommt das Antigen in humaner Fundusmukosa als NGM-1 vor (DOHI et al. 1991). Auch die für Tumorzellen charakteristischen Ganglioside GM2 und GD2 tragen die genannte Epitopstruktur (DOHI et al. 1991, HIDARI et al. 1994).

So wurden auch verschiedene Formen der ß1,4-GalNAc-T beschrieben, die gewebs- und entwicklungsspezifisch exprimiert scheinen und unterschiedlich ausgeprägte Substratspezifität aufweisen (DALL’OLIO et al. 1990).

Auch das Disaccharidmotiv GalNAcβ1–4GlcNAc (LacDiNAc) kommt im Gegensatz zu der einfach acetylierten Form Galß1-4GlcNAc (LacNAc) recht selten vor und

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Literaturübersicht 21 wurde vor allem in Invertebraten und als Strukturelement von Glykoproteinhormonen beschrieben (NEELEMANN et al. 1994, SASAKI et al. 2007, KAWAR et al. 2002, 2005). Sulfatierte und sialylierte Formen des LacDiNAcs kommen auf den Glykoproteinhormonen LH und TSH vor. In bovinen Hypophysenmembranen wurde eine entsprechende GalNAc-T, die diese Struktur durch Übertragung eines ß1,4GalNAcs auf ein terminales GlcNAc katalysiert, von SMITH und BAENZIGER beschrieben. Dabei wiesen die Autoren eine für Glykosyltransferasen außergewöhnliche Substratspezifität nach, die sich auf Erkennungssequenzen im Peptidteil bezieht (SMITH und BAENZIGER 1988, 1990). Neuere Arbeiten beschreiben auch das Vorkommen einer ß1,4GalNAc-T (III) in Mukosazellen des Magens und deren Überexpression in tumorös entarteten Kolonzellen, die ihre Malignitätseigenschaften fördern (IKEHARA et al. 2006, HUANG et al. 2007).

Auch die Expression von LacDiNAc-Strukturen katalysierenden Formen der ß1,4GalNAc-T scheint also gewebsspezifisch und ihre Aktivität in vielen Fällen substratspezifisch zu sein (BAENZIGER et al. 1994, DHARMESH et al. 1993). Zum anderen sind aktivitätsinduzierende Faktoren wie α-Lactalbumin oder hemmende Faktoren wie Oestrogen für bestimmte ß1,4GalNAc-T bekannt (VAN DEN NIEUWENHOF et al. 1999, DHARMESH und BAENZIGER 1993).

Im Allgemeinen kann die Regulation der Glykosylierung von Proteinen auf mehreren Ebenen stattfinden. Dabei ist entscheidend, in welchem Zelltyp und zu welchem Zeitpunkt das Protein glykosyliert wird und welche Glykosyltransferase zu diesem Zeitpunkt in ausreichender Menge exprimiert wird, um mit anderen potentiellen Zuckerdonatoren konkurrieren zu können.

Sowohl O- als auch N-Glykane besitzen jeweils eigene Kernstrukturen: das über eine Serin- oder Threonin-Seitenkette gebundene Disaccharid Galß1,3 GalNAcα bzw. das über einen Asparaginrest gebundene Pentasaccharid Manα1,3(Manα1,6)Manß1,4 GlcNAcß1,4GlcNAcß. In der Peripherie unterscheiden sie sich jedoch stark voneinander, so dass das Proteingerüst selbst einen entscheidenden Einfluss auf seine Glykosylierung haben muss. BAENZIGER beschreibt drei mögliche Mechanismen für die proteinspezifische Aktivität der Glykosyltransferasen: zum einen könnte die Tertiärstruktur des Proteins den Zugang für das Enzym und somit eine Modifikation verhindern. Zum anderen könnte durch Interaktionen des Proteins mit dem eigenen Glykanteil eine Gesamtkonformation des Moleküls erreicht werden, die von einer bestimmten Glykosyltransferase favorisiert wird. Schließlich könnten

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Literaturübersicht 22

bestimmte Bereiche sowohl im Protein- als auch im Glykanteil als Erkennungs- schlüssel für spezifische Glykosyltransferasen dienen und somit ihre kinetischen Eigenschaften hinsichtlich ihrer Katalysegeschwindigkeit (Vmax) und/oder ihrer Bildungskonstante (KM) beeinflussen (BAENZIGER 1994). Dabei kann die Erkennungssequenz des Proteins auch von der Glykosylierungsstelle entfernt liegen (SOUSA et al. 1992) und aus einem oder mehreren Peptidmotiven bestehen, die sich über weite Bereiche auf dem Protein ausdehnen können (BARANSKI et al. 1990, 1991, 1992). Für einige Glykosyltransferasen ist die genaue Lokalisation der Erkennungssequenz(en) in Bezug zur Glykosylierungsstelle und somit auch die Tertiärstruktur des Proteins von Bedeutung (SMITH 1991, SMITH und BAENZIGER 1992). Für andere hingegen ist nur die Zugänglichkeit des Peptids entscheidend (CANTOR und KORNFELD 1992).

Die kinetischen Eigenschaften der Glykosyltransferasen stellen ein weiteres wichtiges Steuerungselement dar, wenn mehrere Enzyme um den gleichen Akzeptor konkurrieren. Dabei können die Bildungs- und die Abbaurate der Transferasen abhängig von dem Vorhandensein der Peptid-Erkennungssequenz ihres Substrats sein (REITMAN und KORNFELD 1981, SMITH und BANZIGER 1988, 1990). Eine zeitlich und räumlich koordinierte Expression des Substrates und der peptidspezifischen Transferase würde somit ihre katalytische Aktivität gegenüber der von weniger spezifischen Tranferasen begünstigen.

Bei den meisten Plasma- und Membranproteinen der Säugetiere handelt es sich um Glykoproteine. Ihre extreme Variationsbreite ermöglicht es ihnen, ein breites Spektrum an Aufgaben im Organismus wie Antigenität, enzymatische und hormonelle Aktivität, Zell-zu Zell- und Rezeptorbindung zu übernehmen.

Die Glykosylierung von Proteinen nimmt maßgeblich Einfluss auf ihre chemischen und physikalischen Eigenschaften. So werden ihre Größe, Permeabilität, Löslichkeit und Reaktivität mit anderen Molekülen und somit ihre biochemischen Laufbahnen im Organismus zum großen Teil von den ihnen anhaftenden Zuckern bestimmt. Die korrekte Faltung und der intrazelluläre Transport von Proteinen sowie ihre Fähigkeit zur Interaktion mit anderen Molekülen und Zellen über Rezeptoren werden in vielen Fällen über spezifische Kohlenhydratstrukturen vermittelt. Auch für das Erreichen von spezifischen Zielstrukturen und zur metabolischen Entfernung aus dem Organismus bilden Kohlenhydrate oft die Schlüsselmoleküle.

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Literaturübersicht 23 Proteinspezifische Glykosyltranferasen sind in der Lage, zeitgenau einzigartige Glykoproteine zu synthetisieren, die dann sehr komplexe Funktionen übernehmen können.

Um ihren Wirkungsort zu erreichen, müssen die synthetisierten Glykoproteine noch über ein angepasstes Exportsystem aus der Zelle geschleust werden.

Die Sekretion von Glykoproteinen entspricht der allgemeinen Proteinsekretion und findet im Wesentlichen über zwei Wege statt. Ausgangspunkt ist dabei der Golgi- Apparat (GA), Modifikations- und Sortierungszentrum für die Proteine der Zelle. Man unterscheidet die konstitutive und die regulative Sekretion. Lösliche Proteine, die keinen bestimmten Zielort erreichen müssen, werden über die konstitutive Sekretion kontinuierlich in Exportvesikeln aus den trans-Kompartimenten geschleust. Bei der regulierten Sekretion handelt es sich um Proteine, die zu einem bestimmten Zeitpunkt sezerniert werden und über spezifische Signale ihren Ziel- und Wirkungsort zu erkennen geben. Die Transporteinheiten für diese Proteine sind die Sekretvesikel, die von der trans-Seite des GA bis zur apikalen Zellmembran migrieren und dort ihre Proteine aus der Zelle schleusen.

2.5 Sda-Epitop

Das Sda -Epitop wurde 1967 von MACVIE et al. als Blutgruppen-Antigen beschrieben und im selben Jahr von RENTON et al. auch im Speichel nachgewiesen. 1970 schlossen MORTON et al. aus Extrationsversuchen auf ein Kohlenhydrat, dessen spezifische Kette für die Sda -Aktivität verantwortlich sei.

Die Struktur des Sda - Epitops wurde 1983 von DONALD et al. aufgeklärt.

Es besteht aus einem verzweigten Oligosaccharid, dessen Ausgangsstruktur ein α2,3-sialyliertes N-Acetyllaktosamin ist (NeuAc α2-3 Galβ1-4 GlcNAc). An die subterminale Galaktose ist in ß1,4-glykosidischer Bindung ein GalNAc gebunden.

Das Epitop kommt sowohl als Teil von N- als auch von O-gebundenen Glykanen vor und wird auf Glykoproteinen und Glykolipiden exprimiert. Ca. 96 % der Menschen tragen das Sda – Epitop als Blutgruppen-Antigen auf ihren Erythrozyten (RENTON et al. 1967). Von den 4 % Sda -Negativen besitzt jedoch nur die Hälfte Antikörper gegen

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Literaturübersicht 24

das Epitop, so dass diesem Antigen transfusions-immunologisch keine klinische Bedeutung zukommt (SPITALNIK et al. 1982).

α2-3

ß1-4

ß1-4

MORTON et al. fanden das Sda-Antigen in verschiedenen Geweben und Sekreten, in denen auch andere Blutgruppenantigene vorkommen. Dabei besteht jedoch keine Korrelation im Auftreten des Sda mit den Konzentrationen der ABH-Antigene (MORTON et al. 1970). Auch auf dem Tamm-Horsfall-Protein, das in löslicher Form im menschlichen Urin und GPI-gebunden im Nierenepithel vorkommt, wurde es nachgewiesen (SOH et al.1980, DONALD et al. 1983).

Das Sda–Epitop wurde auch in anderen Säugern, in Vögeln und Amphibien nachgewiesen. MORTON et al. untersuchten Gewebe und Sekrete verschiedener Tierarten und fanden besonders hohe Konzentrationen in Niere und Blase des Meerschweinchens (MORTON et al. 1970).

Es ist auch integraler Bestandteil der Zona pellucida von Mäuseoozyten, (EASTON et al. 2000), sowie des CD45 (Tyrosin Phosphatase) aktivierter zytotoxischen T- Lymphozyten (CTL) in Mäusen, welches für die Proliferation nach Antigenstimulation und zytolytische Aktivität dieser Immunzellen von Bedeutung ist. LEFRANCOIS und BEVAN entwickelten 1985 einen monoklonalen Antikörper (CT1) gegen dieses Epitop.

Die Sda -Struktur ist ebenfalls Teil des 1983 von BLANCHARD beschriebenen CAD- Antigens, ein Pentasaccharid des Glykophorins A, das auf Erythrozyten, im Intestinalmukus und auf Glykolipiden der Fundusmukosa vorkommt.

Abb. 4: Sda-Epitop: NeuAcα2-3[GalNAcβ1-4]Galβ1-4GlcNAc

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Literaturübersicht 25 Das Sda-Epitop ist Bestandteil vieler sehr unterschiedicher Glykokonjugate und scheint aufgrund seiner Struktur, ähnlich einem Multifunktionsschlüssel, nach gleichem biochemischem Prinzip unterschiedliche Funktionen übernehmen zu können. Seine Expression korreliert in den unterschiedlichen Geweben mit der Expression der Sda-GalNAc-Transferase (Sda-GalNAc-T) und scheint einer ontogenetischen und onkologischen Regulation zu unterliegen. So kommt es im Urin junger Meerschweinchen in sehr geringen Mengen vor, während adulte Tiere die höchsten Konzentrationen dieses Antigens aufweisen. Auch im Kolon von Neonaten ist die Sda-Konzentration im Vergleich zu adulten Tieren stark reduziert (DALL’OLIO et al. 1987, 1990).

SPITALNIK et al. stellten auch einen graviditätsbedingten Einfluss auf die Regulation der Sda-Expression fest. Demnach waren 22 % der untersuchten schwangeren Frauen im ersten Trimenon und 36 % zur Geburt Sda-negativ, gegenüber 5 % Sda - Negativer im Bevölkerungsdurchschnitt. Dabei bilden die Betroffenen weder Antikörper gegen das Epitop aus, noch ändert sich dessen Konzentration im Urin signifikant während der Schwangerschaft. Nach der Geburt ist das Antigen wieder auf den Erythrozyten vorhanden (SPITALNIK et al. 1982).

Aber auch in pathologisch veränderten Geweben besteht eine Veränderung der Sda - Expression. In tumorös entartetem Magen- und Darmgewebe ist das Epitop stark herunterreguliert (MALAGOLINI et al. 1989).

Versuche von KAWAMURA et al. zeigten, dass die Einführung der Sda-GalNAc-T in Maus-Krebs-Zelllinien durch die kompetitive Bildung von Sda-Epitopen anstatt der metastasierungsfördernden sialyl-Lewis-Epitope (sLex) auch in vivo die Meta- stasierung von Tumoren erfolgreich verhindern kann (KAWAMURA et al. 2005). Im menschlichen Modell zeigten MALAGOLINI et al. jedoch, dass die Expression der Sda-Transferase ebenso wie die sLex-synthetisierende Fucosyltransferase, in direkter Relation zur sLex-Expression steht (MALAGOLINI et al. 2007). Es wäre also zwar möglich, dass der Sda-GalNAc-T als Sda-generierendes Enzym im Gastrointestinaltrakt eine protektive Rolle in der Verhinderung der Bildung von sialyl- Lewis-Epitopen zukommt. Allerdings scheinen ihre Substratspezifität und ihre Funktion auch in sehr ähnlichen Systemen speziespezifisch unterschiedlich zu sein.

SMITH und LOWE (1994) stellen eine mögliche Beteiligung des Sda an der Modulierung von CD45-vermittelten Signalen in immunologischen Reaktionen dar. Im Falle der Zona pellucida wird seine Beteiligung an der immunologischen Erkennung

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Literaturübersicht 26

der Gameten in Betracht gezogen (EASTON et al. 2000). MONTIEL et al. (2003) bezeichneten das Sda-Epitop als Marker für Zell-Differenzierung, da es in differenzierten Kolon-Zellen in signifikant größeren Mengen als in undifferenzierten vorkommt.

Die Bildung des Sda-Epitops wird von der Sda-β-1,4-N-Acetylgalaktosaminyl- Transferase (Sda-GalNAc-T) katalysiert, die einen N-Acetylgalaktosaminrest (GalNAc) von einem Nukleotid-Donator (UDP-GalNAc) auf das C4 der Galaktose eines α2,3-sialylierten Laktosamins (β1-4GlcNAc-R) überträgt (Abb.5)

Untersuchungen von MONTIEL et al. (2003) zeigten, dass diese Transferase gewebsspezifisch dort exprimiert wird, wo auch das Sda -Epitop nachweisbar ist. Im menschlichen Darm kommt das Enzym vor allem im Kolon mit proximo-distal abnehmender Aktivität vor (MORTON et al. 1988). Auch in der Niere und in den Hauptzellen des Magens wurde die Transferase nachgewiesen (PILLER et al. 1986;

SERAFINI-CESSI et al. 1988; DOHI et al. 1990). MONTIEL et al. (2003) untersuchten die Bedingungen für eine maximale Enzymaktivität. So muss der Akzeptor in Position 3´sialyliert sein, die Disaccharideinheit NeuAcα2-3Gal aufweisen und über N-Bindung am Protein gebunden sein. Der Einfluss der Proteinbindung und des Proteingerüstes selbst auf die Transferleistung des Enzyms weisen, mit den bereits erwähnten spezies- und systemeigenen Unterschieden, auf eine proteinspezifische Transferase hin.

Abb. 5: Synthese des Sda-Epitops

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Literaturübersicht 27 2.6 Lektine

Seit ihrer Entdeckung wurden die Lektine zu Funktionsgruppen zusammengefasst, da sie kein gemeinsames Strukturprinzip besitzen. Die ersten Lektine, die aus Pflanzen isoliert wurden, wurden aufgrund ihrer gemeinsamen Eigenschaft, Erythrozyten zu agglutinieren, lange Zeit als „Phytagglutinine“, „Phythämagglutinine“

oder „Phasine“ bezeichnet.

Der Begriff Lektin (lat. „legere“ ) wurde 1954 von BOYD und SHAPLEIGH mit der Entdeckung der Blutgruppenspezifität dieser Stoffe eingeführt und deutet auf ihre spezifische Affinität zu bestimmten Zuckerstrukturen hin, die ihre Fähigkeit, bestimmte Zellen zu agglutinieren, bestimmt.

In Anlehnung an die 1980 von GOLDSTEIN eingeführte Definition der Lektine als

„Zucker-bindende Proteine nicht-immunogener Herkunft, welche Zellen agglutinieren oder Glykokonjugate präzipitieren können“, umfasst der Begriff der Lektine heute eine große heterogene Gruppe von Proteinen unterschiedlichster Herkunft, die ungeachtet ihrer Agglutinationsfähigkeit, Kohlenhydratstrukturen binden. Sie stammen aus Pflanzen, Tieren und Mikroorganismen und scheinen eine Vielzahl verschiedenster biologischer Funktionen zu erfüllen.

Abgesehen von wenigen Ausnahmen sind die meisten Lektine Glykoproteine und bestehen in der Regel aus zwei bis vier nicht-kovalent gebundenen Untereinheiten, die jeweils eine Bindungsstelle für Kohlenhydrate (KH) besitzen.

Dabei können die Untereinheiten gleichartig oder unterschiedlich sein. Die KH- Bindungsstellen sind jedoch innerhalb eines Lektins meist identisch (SHARON 1987).

Die multimerische Struktureigenschaft der Lektine befähigt sie, Zellen zu agglutinieren oder Präzipitate mit Glykokonjugaten zu bilden.

Die Bindungsstellen der Lektine erkennen spezifische KH-Strukturen, die einzelne Monosaccharide oder Oligosaccharide sein können. Somit zeichnet die Lektine eine hohe Spezifität aus, die sie befähigt, auch Oligosaccharide mit identischen Zuckern zu unterscheiden.

Die Spezifität der Lektinbindung kann sowohl von der Art des Zuckers als auch von seiner Position innerhalb der Struktur abhängig sein. Auch die Art der Bindung innerhalb eines Zuckers, welche die α- und ß-Anomerform bedingt, kann für die Lektinbindung entscheidend sein.

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Literaturübersicht 28

Die Lektine werden nach ihrer Bindungsaffinität zu bestimmten KH-Gruppen eingeteilt. Dabei werden fünf große Gruppen unterschieden (GOLDSTEIN und PORETZ 1986):

1. GlcNAc-Gruppe: Glukose-/N-Acetyl-Glucosamin-bindende Lektine heterogene Gruppe von Lektinen, die vorrangig GlcNAc oder ihre ß1-4- gebundenen Oligomere binden

z.B: Triticum vulgaris (WGA), Weizen-Keim

2. GalNAc-Gruppe: Galaktose-/ N-Acetyl-Galactosamin- bindende Lektine Glykoproteine, deren Bindung Mangan (Mn2+)-/

Kalzium (Ca2+) -abhängig ist.

z.B.: Dolichos biflorus (DBA), afrik. Pferdebohne 3. Fucose-Gruppe: L-Fucose- bindende Lektine

z.B.: Ulex europaeus (UEA), europ. Stechginster 4. Mannose-Gruppe: Mannose- bindende Lektine

meist aus Leguminosen stammende Lektine, die oft als Tetramere aus zwei leichten und zwei schweren Ketten vorliegen. Auch ihre Bindungsfähigkeit ist abhängig von Metallionen (Mn2+/Ca2+)

z.B.: Concanavalia ensiformis (Con A), Schwertbohne 5.Oligosaccharid-Gruppe: Oligosaccharide/Neuraminsäure- bindende Lektine

meist aus Invertebraten stammende Lektine.

Neuraminsäurespezifische Lektine z.B.: Limax flavus Agglutinin (LFA)

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Literaturübersicht 29 Lektine stellen vielfach Erkennungsschlüssel für physiologische und pathologische Interaktionen dar.

Regulationsmechanismen des Metabolismus und des Immunsystems, die auf Zell- Zell-Kontakten basieren, werden oft durch endogene Lektine wie Selektine vermittelt.

So sind z.B. die Phagozytose apoptotischer Zellen durch Makrophagen und die Leukozytenbindung an Endothelzellen lektinvermittelt. Auch Pflanzen nutzen Lektine zur Fixierung bestimmter Kohlenhydratstrukturen, wie die Bindung symbiontischer Rhizom-Bakterien an Wurzeln von Leguminosen und Kleeartigen (FRANZ 1990).

Auch Abwehrmechanismen von Pflanzen gegen Mikroorganismen und Insekten können lektinvermittelt sein. Nach BROOKS können Lektine in Pflanzen durch spezifische Bindung an Pilzhyphen ihr Wachstum hemmen (BROOKS et al. 1997).

Das Lektin GNA (Galanthus Nivalis Agglutinin) bewirkt die Resistenz von Schneeglöckchen gegen Insekten (FITCHES et al. 2001, 2002).

Von vielen pflanzlichen Lektinen sind sowohl toxische als auch protektive Wirkungen auf den Gastrointestinaltrakt bekannt.

In pathologischen Vorgängen sind Lektine oft an der Invasion von Erregern beteiligt.

Bakterielle Lektine, auch Adhäsine genannt, ermöglichen die Adhäsion von Bakterien an Zelloberflächen über deren Fimbrien (Salmonellen), Glykokalix (Streptokokken) oder andere Kohlenhydratstrukturen der Zellwand (Mykoplasmen).

Obwohl über die Funktion der Lektine noch vieles unbekannt ist, haben sie sich als multifunktionelle Werkzeuge zur Erforschung biologischer Strukturen und Prozesse etabliert. Da Glykokonjugate in sehr vielen Strukturen biologischer Systeme vorkommen, können Lektine vielfach zur Isolierung und Unterscheidung von Viren, Zellen und Zellprodukten eingesetzt werden. Auch bestimmte Prozesse lassen sich durch Änderungen in der Glykosylierung und verändertes Lektinbindungsverhalten nachvollziehen.

Ein bekanntes Einsatzgebiet von Lektinen ist die Typisierung von Blutgruppen, Untersuchungen von Wachstums- und Reifeprozessen sowie der Architektur von Zelloberflächen und Proteinen hinsichtlich ihrer KH-Bindungsstellen. In der Analytik werden sie als Bindungsproteine in chromatographischen Auftrennungsmethoden zur Gewinnung und Isolierung von Glykoproteinen, Membranen, Plasmabestandteilen, Enzymen und Antigenen genutzt.

Auch in der Tumorforschung und -diagnostik gewinnen Lektine aufgrund ihrer ver- änderten Affinität für normale und transformierte Zellen zunehmend an Bedeutung.

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Literaturübersicht 30

In der vorliegenden Arbeit wurden Lektine unterschiedlicher Bindungsspezifität zur Identifizierung und Darstellung der unterschiedlich glykosylierten Formen von schwangerschaftsassoziierten Glykoproteinen (PAGs) genutzt. Dazu wurden sie einerseits als Marker im Western Blot-Verfahren und andererseits zur Markierung der PAGs in histochemischen Präparaten eingesetzt.

Lektine wurden bereits 1989 von MUNSON et al. zur histotopographischen Darstellung von KH-Strukturen im bovinen Endometrium und in Plazentomen verschiedener Trächtigkeitsstadien genutzt und zeigten unterschiedliche Bindungs- muster in Abhängigkeit der Lokalisation und des Trächtigkeitszeitpunktes. Dabei ließen sich die Zellen des Trophoblastenepithels nach Tag 80 vor allem mit DBA und PHA-L anfärben (MUNSON et al. 1989). LEHMANN et al. zeigten durch lektinhistochemische Untersuchungen unterschiedliche Lektinbindung in uni- und binukleären Zellen des Trophoblastepithels der frühen Trächtigkeit und wiesen auf die potentielle Bedeutung der variierenden Glykosylierung in diesen Zellen für fetomaternale Interaktionsmechanismen hin (LEHMANN et al. 1992). Auch in der geburtsnahen Wiederkäuerplazenta konnten lektinhistochemische Studien die Struktur von BNC-exprimierten Glykanen näher charakterisieren (JONES et al. 1994, KLISCH und LEISER 2003).

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