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Archiv "Antibiotika in der Tierhaltung: Ursachen und Wirkungen des Mißbrauchs" (23.12.1996)

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endet man sich dem Pro- blem von Antibiotika in der Tierhaltung zu, ist ein grundsätzlicher Punkt zu bedenken: Tiermediziner sind Arzt und Apotheker in einer Person. Folg- lich verdient der Veterinär nicht nur an der Leistung, Tiere zu untersuchen und wirksame Medikamente zu be- nennen. Für ihn ist die Medikamenta- tion auch ein Umsatzfaktor.

Schließlich sind Antibiotika auch als das Wachstum beschleunigende Mittel bekanntgeworden, weshalb die Futtermittelverordnung eine Reihe von ihnen eigens als Futterbeimen- gung aufführt und diese als „Lei- stungsförderer“ deklarierten Zusätze im Tonnenmaßstab und rezeptfrei in die deutsche Agrarerzeugung gehen.

Swann-Report

Bereits 1969 wurden in England im sogenannten Swann-Report mo- derate Korrekturen der damaligen Praxis, nämlich dem Einsatz aller bil- ligen Antibiotika als wachstumsför- dernde Futterbeimengung, gefordert und eine Sicherheitsphilosophie für den Einsatz von Antibiotika am Tier vorgezeichnet. In einigen Ländern wurden Empfehlungen dieses Komi- tees in der Folgezeit auch umgesetzt.

Eine Trennung der Einsatzgebiete sollte gewährleisten, daß humanmedi- zinisch bedeutsame und wichtige An- tibiotika nur gut kontrolliert und eher

restriktiv zum Einsatz kommen und Therapieversager bei Mensch und Tier vermieden werden:

l Unterste Kategorie: Antibio- tika, die für den Einsatz am Patienten kaum geeignet sind. Solche Stoffe werden unter Umständen futtermit- telrechtlich zugelassen. Im Futter ver- kürzen sie die Zeit bis zur Schlachtrei- fe oder erhöhen, in der Legehennen- haltung, die Produktivität des Tieres.

l Mittlere Kategorie: Antibioti- ka, die zur Therapie von Tieren zur Verfügung stehen sollen und daher in tiermedizinischen Präparationen zulässig sind.

l Höchste Kategorie: Wirkstof- fe, die erkrankten Menschen mit größtmöglicher Sicherheit helfen sol- len und der Humanmedizin vorbehal- ten bleiben.

Schaut man sich die Liste der für die Tiermedizin freigegebenen Anti- biotika an, findet man Namen, die ei- nem aus der Humanmedizin vertraut sind – wie Penicillin, Erythromycin oder Gentamicin. Auf die Frage, wor- in denn die grundsätzlichen Unter- schiede zwischen einerseits Tieren und andererseits Menschen verab- reichten Antibiotika lägen, nennt Tierarzt Reinhold Vahlefeld (Bezirks- amt Berlin-Wilmersdorf) dann tat- sächlich auch nicht irgendwelche Merkmale der Substanzen, sondern den Preis.

Denselben Aspekt unterstreicht auch ein von Lester Crawford präsen- tierter statistischer Vergleich der Re-

sistenzen von Keimen aus der Tierkli- nik der Universität von Georgia.

Während bei der Mehrzahl von Wirk- stoffen im Zeitraum von 1970 bis 1979 die Empfindlichkeit der Keime merk- lich absank, blieb das Antibiotikum Gentamicin recht konstant gegen vier von fünf isolierten Krankheitserre- gern effektiv (The Control of Anti- biotic Resistant Bacteria, Hrsg.:

Stuart-Harris, London 1982).

Crawford erklärt dies dadurch, daß Gentamicin in diesem Zeitraum nicht zur Behandlung von Masttieren zulässig war, nicht ins Futter gemischt werden durfte und der Preis des Anti- biotikums relativ hoch geblieben war.

In dem damaligen Diskussionsforum wurden nicht mehr Anwendungsmög- lichkeiten für das Mittel gefordert, sondern im Gegenteil sprach man sich gegen die Erweiterung des Zulas- sungsbereiches von Gentamicin aus, weil es genügend Alternativen gebe.

Ciprofloxacin und Enrofloxacin

Auch die Chinolone (Gyrase- hemmer) sind nicht die „unbezwing- baren“ Antibiotika, wie es die Wer- bung hoffen ließ. Zehn Jahre nach Einführung der Gyrasehemmer fin- den sich Chinolon-Resistenzen nicht nur in Kliniken, sondern auch bei Tie- ren, Lebensmitteln und in der Um- welt. Die Zulassung des Chinolons Enrofloxacin, der einzige in der Tier- medizin zugelassene Vertreter der Chinolon-Familie, war umstritten – zumal sich Ciprofloxacin und Enro- floxacin nur an einer Stelle des Mo- leküls unterscheiden; und mit einer einzigen Abbaureaktion wird Enro- floxacin zu Ciprofloxacin.

Die steigende Resistenz gegen Chinolone ist bei Salmonellen bereits belegt: Waren 1986 und 1987 nur 0,2 Prozent der Salmonellen gegen das Chinolon Nalidixinsäure resistent, so stieg der Prozentsatz ab 1988 (dem Jahr der Zulassung Enrofloxacins) deutlich an: Im Jahr 1990 waren be- reits 13 Prozent der Salmonellenpro- ben gegen Nalidixinsäure resistent.

Im Jahr 1991 wurde erstmals ein Fall beschrieben, bei dem chinolonre- sistente Salmonellen aus Nahrung oder Umwelt wieder den Menschen A-3396 (24) Deutsches Ärzteblatt 93,Heft 51–52, 23. Dezember 1996

T H E M E N D E R Z E I T AUFSÄTZE

Antibiotika

in der Tierhaltung

Ursachen und Wirkungen des Mißbrauchs

Weshalb Antibiotika in der Tierhaltung illegal, aber durchaus auch innerhalb der Beschränkungen legal in riesigen Mengen verwendet werden, ist zu wenig be- kannt. Keineswegs kommen sie nur dann zum Einsatz, wenn ein Tier wegen einer Infektion behandelt werden muß. Mit prophylaktischen Gaben zielen Züchter darauf ab, Krankheiten zuvorzukommen, die ihre Tiere in einem gewissen Alter häufig befallen. Wenn in großen Beständen nicht ein Tier das nächste anstecken soll, werden auch gesunde Tiere im Stall „metaphylaktisch“ mitbehandelt.

Markus Hiereth

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erreichen. Bei einer 11jährigen Pati- entin wurden Chinolon-resistente Sal- monellen festgestellt. Weitere, zu- gleich vorliegende Resistenzen und genetische Merkmale des Isolates wie- sen die Erreger dieses Falles als Ab- kömmlinge der Salmonellen aus, die Mikrobiologen schon kurz mit „Käl- berstamm-Salmonellen“ ansprechen.

Das Mädchen dürfte die Keime durch verseuchte Lebensmittel aufgenom- men haben, nur ihrem intakten Im- munsystem kann sie es zuschreiben, daß sie auf Mittel, die unwirksam ge- blieben wären, nicht angewiesen war.

Laut Reiner Helmuth vom Bun- desinstitut für gesundheitlichen Ver- braucherschutz und Veterinärmedizin (BgVV) erhielt der Hersteller die Zu- lassung für Enrofloxacin, da er die da- zu nötigen Unterlagen vorlegte und beim Zulassungsverfahren nie ein Si- cherheitskonzept hinsichtlich der Re- sistenzproblematik Eingang fand. So habe dem damaligen BGA die Hand- habe gefehlt, sich gegen eine Zulas- sung auszusprechen.

Ein nach erfolgter Zulassung un- ternommener Versuch der Risikoein- dämmung sei der Vollständigkeit hal- ber erwähnt: Auf den Beipackzetteln von Enrofloxacin muß der Hersteller inzwischen darauf hinweisen, daß die Verabreichung „nur unter Berück- sichtigung eines Antibiogrammes er- folgen sollte“. Dadurch ist jedoch nicht gewährleistet, daß Enrofloxacin erst eingesetzt wird, wenn andere Mit- tel nicht ebenso helfen könnten. Die Empfehlung schließt höchstens aus, daß es in Fällen verschrieben wird, in welchen schon eine Enrofloxacinresi- stenz vorliegt, es somit im konkreten Fall keinen medizinischen Nutzen bringen wird, mit dem Einsatz ande- rerseits aber die unvermeidliche Se- lektion weiterer resistenter Mikroben vorangetrieben wird. Somit könnte der Hinweis bloß verhindern, daß auch die Antibiotikafamilie der Chi- nolone vollends „verschlissen“ wird.

Nach 25 Jahren bewerten Fach- leute den Swann-Report als einen zu zaghaft ausgefallenen Versuch, in der Agrarerzeugung zu einem verant- wortbaren Einsatz von Antibiotika zu gelangen. Die Gesetzmäßigkeiten der Evolution und die Erfahrung haben gelehrt, daß es einen dauerhaften Sieg über Infektionskrankheiten nicht ge-

ben kann. So bleibt nur, die Forde- rung nach einem sicheren Antibioti- kaeinsatz am Tier auf anderem Wege zu verwirklichen.

Management des Resistenzproblems

Allgemeine Orientierung bietet das BgVV immerhin an: Es trägt seit einigen Jahren jährlich Meldungen über Resistenzen verschiedener Kei- me zusammen und veröffentlicht eine statistische Zusammenfassung zur Resistenzlage der wichtigsten Erre-

ger. Den Tierärzten ist damit insofern gedient, als wahrscheinlich unwirksa- me Mittel nicht verabreicht werden.

Weshalb nun auf wahrscheinlich effektive Mittel setzen, wenn die rech- ten feststellbar sind? Das Versäumnis, während der Zulassung Sicherheits- forderungen Genüge zu tun, könnte ausgeglichen werden, indem vom Ve- terinärmediziner gefordert wird, was innerhalb seiner Disziplin immer wie- der als Empfehlung ergeht: eine ge- setzliche Verpflichtung, jegliche Anti- biotikaanwendung im Stall an eine Er- regercharakterisierung und ein Anti- biogramm, beides mit entsprechender Dokumention beim Halter, zu binden.

Diese böte eine doppelte Chance: So- wohl illegale als auch legale, aber

unnötige und unwirksame Antibioti- kagaben ließen sich eindämmen. Ein – eventuell erst ab einer gewissen Be- standsgröße eines Betriebes gesetzlich bindender – Behandlungsleitfaden:

1. Keine Beimengung von Anti- biotika in das Futter. Keine „meta- phylaktischen“ oder „prophylakti- schen“ Gaben. Nur kranke Tiere er- halten Medikamente.

2. Für neu erkrankte Tiere wer- den vom Tierarzt nur die für zwei er- ste Behandlungstage nötigen Dosen eines Standardantibiotikums verab- reicht oder zugänglich gemacht. Zu- dem muß vorher eine Probe zur Erre- geridentifikation genommen werden.

3. Für diese und weitere Schritte der Behandlung werden Belege aus- gestellt, die der Tierhalter aufzube- wahren hat.

4. Am dritten Tag liegen ein La- borbefund und das Antibiogramm vor. Erkennbar wird, ob der Arzt mit der Initialtherapie und dem Stan- dardantibiotikum richtiglag, ob er auf ein anderes einfaches Mittel zurück- greifen kann oder ob der Erreger womöglich wirklich schon „mit einer Reihe von Wassern gewaschen“ ist.

5. Amtstierärztliche Kontrollen auf Antibiotikarückstände werden ausgedehnt. Viehhaltern, in deren Be- ständen Antibiotikaspuren festgestellt werden, ohne daß tierärztliche Belege zu diagnostizierten Krankheiten und Laborberichte zu Erregern und etwai- gen Resistenzen vorgelegt werden können, wird Strafe angedroht.

Unvermeidlich würden die Auf- wendungen für ein solches Reglement zu Millionenbeträgen auflaufen, doch wäre dieses Geld womöglich sinnvol- ler angelegt als die Milliarden, mit welchen die Forschung nach immer neuen Wirkstoffen im Laufen gehal- ten wird, Neuentwicklungen aber dann doch innerhalb weniger Jahre von der realen Biologie eingeholt werden.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärztebl 1996; 93: A-3396–3397 [Heft 51–52]

Anschrift des Verfassers:

Markus Hiereth Spielmannstraße 14 38106 Braunschweig

A-3397 Deutsches Ärzteblatt 93,Heft 51–52, 23. Dezember 1996 (25)

T H E M E N D E R Z E I T AUFSÄTZE

„Produktionssteigerung“ im Tierstall: Durch den Zu- satz von Antibiotika im Futter wird die Zeit bis zur

Schlachtreife verkürzt. Foto: dpa

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