A696 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 106⏐⏐Heft 15⏐⏐10. April 2009
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iefer in die eigene Tasche grei- fen sollen Patienten künftig nach Ansicht von Prof. Dr. med. Fritz Beske, Direktor des Instituts für Ge- sundheits-System-Forschung (IGSF) in Kiel. Die gesetzlichen Kranken- kassen sollen nach seiner Ansicht nur noch eine Grundversorgung überneh- men. „Wir brauchen endlich klare und einsehbare Regelungen bei Zu- zahlungen und Festbeträgen im Rah- men eines Gesamtkonzepts“, erklärte Beske bei der Vorstellung seiner neu- en Studie „Zuzahlungen im Gesund- heitswesen – Grundlagen, internatio- naler Vergleich und Konzept für die gesetzliche Krankenversicherung“am 2. April in Berlin.
Klare Regeln sollen es richten Beske bedauerte, dass in Deutsch- land die Begrenztheit der finanziel- len Mittel für die Gesundheitsver- sorgung nicht ausreichend gesamt- gesellschaftlich diskutiert werde:
„Die gesetzliche Krankenversiche- rung wird mehr und mehr unfinan- zierbar sein und braucht sowohl zu- sätzliches Geld als auch mehr Syste- matik“, betonte er. Das bisherige
„Zuzahlungswirrwarr“ belaste zu- dem das Arzt-Patienten-Verhältnis durch ständige Diskussionen über Ausnahme- und Härtefallregelun- gen. Dies müsse ein Ende haben.
Der Leiter des IGSF-Instituts schlägt deshalb vor, alle über eine Grundversorgung hinausgehenden und individuell nachgefragten Leis- tungen von den Patienten privat fi- nanzieren zu lassen. Die Grundleis- tungen sollen von den Krankenkas- sen als „Festzuschusses“ abgedeckt werden. Wählt der Versicherte eine darüber hinausgehende Leistung, hat er einen gesetzlichen Anspruch auf Erstattung dieses Grundbetrags. Die Krankenkassen sollen ihren Versi- cherten dabei zwischen Kostener- stattung und Abrechnung über eine Kassenärztliche Vereinigung wählen lassen. Auch chronisch Kranke will Beske nicht von den erhöhten Zuzah- lungen ausnehmen. Für sie soll eine Belastungsgrenze von zwei Prozent statt wie bisher einem Prozent des Jahreseinkommens gelten.
Die Vorschläge im Einzelnen:
>Praxisgebühr: Beske fordert, die Praxisgebühr von zehn Euro in ihrer jetzigen Form abzuschaffen. Künftig solle sie nicht beim ersten Besuch im Quartal fällig werden, sondern erst von dem 4. Arztbesuch im Quartal an.
Bei Hausbesuchen sollten die Patien- ten zehn Euro direkt an die Ärzte be- zahlen, die diese behalten dürfen.
Beske hofft, auf diese Weise unnötige Hausbesuche, die bislang nicht kos- tendeckend honoriert würden, ver- meiden zu können.
>Zuzahlung bei Krankenhausbe- handlung: Auch wenn Patienten län- ger als 28 Tage stationär behandelt werden müssen, sollen sie nach Ablauf dieser Zeit nicht wie bisher von der Zuzahlung befreit werden.
Schließlich handele es sich bei der Zuzahlung um eine Eigenbeteili- gung, die eher als Kosten- oder Ver-
pflegungspauschale angesehen wer- den könne, meint Beske.
>Ambulante psychotherapeuti- sche Versorgung: Hier sollten Pa- tienten zehn Prozent der Kosten pro Sitzung zuzahlen. Die Selbstbeteili- gung sieht Beske als Teil des thera- peutischen Prinzips.
>Zuzahlungen bei Arzneimitteln:
Auch hier sollten Versicherte mehr zahlen müssen. Fällig werden sollte bei jeder Arzneimittelabgabe künf- tig eine feste Zuzahlung in Höhe von fünf Euro und eine prozentuale Zuzahlung in Höhe von zehn Prozent der Differenz zum Gesamtbetrag des Arzneimittels (Kappungsgrenze von 20 Euro).
>Hilfsmittel: Die Krankenkassen sollten die Kosten generell nur bis zur Höhe eines bestimmten Festbe- trags übernehmen. Eine Ausschrei- bung von Hilfsmitteln sollte es nicht mehr geben.
>Zahnmedizinische Versorgung:
Das Festzuschusssystem sollte aus- geweitet werden, ohne dass der Pa- tient den Anspruch auf eine Grund- absicherung verliert.
>Künstliche Befruchtung: Die Kosten der künstlichen Befruchtung möchte Beske zu je einem Drittel zwischen gesetzlicher Krankenversi- cherung, den behandelten Ehepaaren und der öffentlichen Hand aufgeteilt sehen, da eine erhöhte Geburtenzahl auch im gesamtgesellschaftlichen In- teresse liege.
Im Bundesgesundheitsministeri- um stoßen die Pläne von Beske auf Skepsis. „Es gibt immer Vorschläge“, sagte Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt. Man müsse sie aber
nicht alle umsetzen. I
Dr. med. Eva Richter-Kuhlmann Durchschnittlich
18-mal im Jahr sucht der Deutsche einen Arzt auf. Eine nach dem vierten Arztbesuch im Quartal fällige Praxisgebühr soll diese Anzahl reduzieren.
ZUZAHLUNGEN
Mehr Eigenbeteiligung gefordert
Ein Konzept, das Grund- und Zusatzleistungen
miteinander verbindet, kann nach Ansicht des Gesund- heitswissenschaftlers Prof. Fritz Beske die gesetzliche Krankenversicherung finanziell sanieren.
Foto:ddp