DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
KURZBERICHT
Strukturwandel auf dem Markt für rezeptfreie Präparate
Der „Selbstmedikationsmarkt"
wird voraussichtlich auch in Zu- kunft stetig — wenn auch langsa- mer als bisher — wachsen. „Mode- wellen" beeinflussen die Entwick- lung und bremsen den sonst zu verzeichnenden Umsatzboom auf diesem Sektor pharmazeutischer Präparate. In den letzten beiden Jahren sind allerdings erhebliche Verschiebungen bei den für die Selbstmedikation geeigneten Arz- neimitteln feststellbar. Allerdings haben die Verbraucher ihre Ein- stellung zur Selbstmedikation und ihre Verhaltensweise bei „selbst- kurierbaren" Krankheiten und Be- schwerden nur langsam geändert.
Diese Feststellungen sind einer re- präsentativen Umfrage und einer qualitativen Analyse der Einstel- lung zur Selbstmedikation zu ent- nehmen, die das Meinungsfor- schungsinstitut Infratest , Gesund- heitsforschung, München, durch- geführt hat und deren Ergebnisse im Rahmen eines Presseseminars des Bundesverbandes der Phar- mazeutischen Industrie (BPI) Mitte Mai in Mayschoß/Ahr erläutert worden sind.
Die Studie kommt zu folgenden markanten Ergebnissen: Im Früh- jahr 1986 war — im Vergleich zu 1983 bis 1985 — zu beobachten, daß die Arztbesuche bei „leichte- ren" Beschwerden und Krank- heiten zunahmen, mehr Medika- mente eingenommen wurden, die- se Medikamente häufiger vom Arzt verordnet wurden und der rezept- freie Verkauf von Präparaten in Apotheken stagnierte. Das men- gen- und wertmäßige Volumen des Selbstmedikationsmarktes ging insgesamt und bei einzelnen Produkten zum Teil spürbar zu- rück. Zur Zeit beläuft sich das Um- satzvolumen auf dem Markt für Selbstmedikation auf annähernd 2,2 Milliarden DM (davon entfallen rund 120 Millionen DM auf die so-
genannten Verbrauchermärkte).
Den Ermittlungen von Infratest und der Verbrauchermarktkette Droma GmbH zufolge betragen die Durchschnittspreise rezept- pflichtiger Präparate zur Zeit 18,61 DM, die Preise rezeptfreier Präpa- rate 17,04 DM; die Preise rezept- freier Präparate, die vom Arzt ver- ordnet werden, 8,88 DM und die Preise rezeptfreier Präparate, die ohne Verordnung abgegeben wer- den, 5,64 DM.
Der Selbstmedikationsmarkt hat offenbar nur kurzfristig von der am 1. April 1983 gesetzlich einge- führten Arzneimittel-Negativliste
„profitiert". Dr. Manfred Herr- mann, der für die Infratest-Studie verantwortlich zeichnet, nannte die Negativliste ein „klassisches Beispiel" dafür, daß gesetzliche Maßnahmen — zumal dann, wenn sie relativ unproblematisch von Arzt und Patient unterlaufen und in ihren Auswirkungen einge- grenzt werden könnten — mittelfri- stig keine entscheidenden Verhal- tensänderungen bei den Versi- cherten bewirkten.
Nach den Feststellungen von In- fratest hat der Bekanntheitsgrad der Negativliste im Frühjahr 1986 in weiten Kreisen der Bevölkerung stark abgenommen. Sie wird heu- te noch von 37 Prozent der Befrag- ten bejaht, 63 Prozent lehnen sie ab. Heute wird offenbar das Ver- braucherverhalten auf dem Selbst- medikationsmarkt auch durch
„massive Erinnerungswerbung"
(Herrmann) zu beeinflussen ver- sucht — ähnlich wie im übrigen Be- reich der Konsumgüterindustrie.
Erfahrungsgemäß bewirken „Ein- mal-Werbeaktionen" bei präsumti- ven Käuferschichten nichts. Zur Zeit halten 92 Prozent der Bevöl- kerung Arzneimittel zur Linderung der meisten Krankheiten für un- verzichtbar. Andererseits werden Arzneimittel — zumindest bei leich- teren Befindensstörungen und Be- schwerden — nicht mehr als „Pro- blemlöser Nummer eins" einge- stuft. 80 Prozent der Befragten ga- ben an, sich bei leichteren Befin-
densstörungen„lieber noch etwas länger herumzuplagen", bevor sie zunächst Hausmittel, dann apo- thekenpflichtige Arzneimittel ein- nehmen. Über zwei Drittel der Be- völkerung hat bereits Erfahrungen mit Naturheilmitteln. Nur von einer kleinen Gruppe der Bevölkerung wird ihre Wirkung schlechter als die von (ethischen) Arzneimitteln eingestuft.
Für über zwei Drittel aller Bundes- bürger ist der Preis eines (rezept- freien) Mittels kein Entschei- dungskriterium für den Kauf. Arz- neimittelwerbung im Fernsehen und in Zeitschriften stehen drei Viertel aller Bürger „kritisch" ge- genüber. Nur jeder zweite kann sich nach Angaben von Infratest Gesundheitsforschung an Werbe- spots oder Produktanzeigen erin- nern. Aussageträchtige Fachinfor- mationen und detaillierte Produkt- beschreibungen werden von der Bevölkerung für „unverzichtbar"
gehalten.
Selbstmedikation — ein Mittel zur Kostendämpfung
Die Selbstmedikation mit Hilfe nicht rezeptpflichtiger Arzneimit- tel hat kürzlich auch der Vorsit- zende der- Kommission „Gesund- heitspolitik" der CDU/CSU-Mittel- standsvereinigung, Dr. med. Karl Becker, CDU-MdB aus Frankfurt, als ein tolerables Mittel zur Ko- stendämpfung in der Krankenver- sicherung bezeichnet. Bei begrün- detem Hinweis auf gesundheit- liche Risiken sollten aber Medika- mente für apothekenpflichtig er- klärt werden, da die Sicherheit der Arzneimittel stets hohe Priorität habe. Freiverkäufliche Arzneimit- tel, die in der Selbstbedienung an- geboten werden, sollten dann in den Bedienungsverkauf überge- führt werden, wenn Beratungsbe- darf zur sicheren Anwendung be- steht. Dieser solle aufgrund der Arzneimittel-Monographien der Transparenzkommission, festge- stellt werden, fordert Internist Dr.
Becker. HC 1756 (24) Heft 24 vom 11. Juni 1986 83. Jahrgang Ausgabe A