A K T U E L L
Deutsches Ärzteblatt½½Jg. 98½½Heft 22½½1. Juni 2001 AA1433
Gesundheitsreport
Psychosen nehmen zu
Arbeitsunfähigkeit häu- figer auf psychische Störungen zurückzuführen
D
er Anteil von Fehlzeiten durch psychische Erkran- kungen an allen krankheits- bedingten Arbeitsausfällen stieg innerhalb der letzten zehn Jahre von 5 auf 8,1 Pro- zent. Das ist ein Ergebnis des Gesundheitsreports 2001 der Gmünder Ersatzkasse (GEK).Psychische Störungen wer- den zwar „nur“ bei 3,2 Pro- zent aller Fälle als Grund für Arbeitsunfähigkeit genannt, allerdings liegt die Dauer der Krankschreibung mit 33,5 Ta- gen deutlich höher als bei an- deren Patienten(13,4 Tage).
Dies trifft auch auf den Kli- nikbereich zu, so Prof. Dr. med.
Friedrich Wilhelm Schwartz,
Direktor des Instituts für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitssystemfor- schung (ISEG) der Medizini- schen Hochschule Hannover und Vorsitzender des Sach- verständigenrates für die Kon- zertierte Aktion im Gesund-
heitswesen. Während die durchschnittliche Liegezeit im Kran- kenhaus 10,3 Tage je Fall betrage, seien es bei Patienten mit psychischen Erkran- kungen 27,4 Tage.
Schwartz: „Damit entfielen im vergan- genen Jahr auf die stationäre Behand- lung psychischer Stö- rungen mehr Lei- stungstage in Akut- krankenhäusern als auf die Behandlung von Krebserkran- kungen.“
Die Diagnosen zeigen geschlechtsbe- zogene Unterschie- de: Bei den Männern überwiegt der Alko- holmissbrauch, bei den Frau- en dominieren affektive Stö- rungen, darunter vor allem de- pressive Erkrankungsformen.
Schizophrene und wahnhaf- te Störungen beträfen beide Geschlechter etwa gleich häufig.
Alterungsforschung
Mehr Aktion
FDP macht sich für koor- dinierte Forschung stark.
F
DP-Bundestagsabgeordne- te haben die Bundesregie- rung aufgefordert, ein Pro- gramm „Alterungsforschung“aufzulegen. Im umfangrei- chen Programm „Gesund- heitsforschung“ des Bundes- bildungsministeriums sei die- ser Bereich unterrepräsen- tiert. Die Regierung soll sich zudem innerhalb der Europäi- schen Union für ein koordi- niertes Forschungsprogramm zu diesem Thema stark ma- chen.
Zur Begründung heißt es, die Molekularbiologie alte- rungsbedingter Zellverände- rungen werde in Deutschland nur in geringem Umfang un- tersucht. Auf diesem Gebiet würden aber international gro- ße Fortschritte gemacht.
Endokrinologie
Düstere Perspektiven für das Fachgebiet
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illionen Menschen in Deutschland sind auf eine qualifizierte Behand- lung von hormonellen Erkrankungen angewiesen. Mindestens sechs Millio- nen Patienten leiden an Diabetes, zehn Millionen an Osteoporose und mehr als 20 Millionen an einer Schilddrüsen- vergrößerung. Die qualifizierte Behand- lung dieser Erkrankungen sei jedoch in Gefahr, warnte Prof. Petra-Maria Schumm-Draeger (Universität Frank- furt/Main) auf einer Pressekonferenz der Deutschen Endokrinologischen Gesell- schaft (DGE) in Frankfurt/M. Ein wich- tiger Grund für den drohenden Zu- sammenbruch der Versorgung sei die„Austrocknung“ des Fachs Endokrino- logie an den Universitäten. Immer mehr endokrinologische Lehrstühle gin- gen verloren, und immer weniger Ärzte sähen während ihrer Ausbildung Pati- enten mit Hormonstörungen. Als eine
der Ursachen sah Schumm-Draeger die Tatsache, dass die meisten endokrino- logischen Patienten ambulant diagno- stiziert und behandelt werden können:
„Da kaum mehr Endokrinologen aus- gebildet werden, ist jedoch mittelfristig auch die ambulante Versorgung der Be- troffenen in Gefahr.“
U
m Abhilfe zu schaffen, hat Schumm- Draeger im Auftrag der DGE das Konzept der Integrationsversorgung entwickelt. Diese soll eine lückenlose Betreuung von Patienten mit Hormon- störungen einschließlich Diabetes ge- währleisten. Eine enge Verzahnung zwischen Universitätskliniken, endokri- nologischen Schwerpunktpraxen und endokrinologisch geschulten Hausärz- ten soll eine konstant hohe Qualität der Diagnostik und Therapie auf dem je- weils fachlich und wirtschaftlich ange- messenen Niveau garantieren. Derzeit laufen Verhandlungen mit den Vertre- tern der Krankenkassen, wie das Kon- zept finanziell umgesetzt werden könn- te. Aus Sicht der AOK sollten sich nie- dergelassene Ärzte und Krankenhäu- ser, die an der Integrationsversorgungteilnehmen wollen, zu einer GmbH zu- sammenschließen. Diese könne dann den entsprechenden Vertrag mit der Krankenkasse schließen.
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ach Angaben von Schumm-Draeger könnte das Integrationskonzept be- reits Ende des Jahres als Modellvorha- ben im Raum Frankfurt/M. auf seine Praxistauglichkeit getestet werden. Nach Etablierung der Integrationsversorgung in der Inneren Medizin sollen bald- möglichst auch Disziplinen in das Kon- zept eingebunden werden, in denen endokrinologische Krankheitsbilder ei- nen breiten Raum einnehmen – wie die Gynäkologie und die Kinderheilkunde.Prof. Martin Grußendorf (Stuttgart) un- terstrich die Dringlichkeit einer Ver- besserung der endokrinologischen Ver- sorgung mit einem Zahlenbeispiel. In Deutschland gebe es zwar 2 300 Kardio- logen, 34 000 Internisten ohne Schwer- punkt, aber nur 282 Endokrinologen, von denen lediglich 76 endokrinolo- gische Fachpraxen betrieben werden.
Demgegenüber seien in Frankreich zwischen 5 000 und 6 000 Endokrinolo-
gen niedergelassen. EB
Akut