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Archiv "Zielblutdruck bei Diabetikern mit Nephropathie: Systematische Literaturbewertung notwendig" (29.08.2005)

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M E D I Z I N

A

A2308 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 102⏐⏐Heft 34–35⏐⏐29. August 2005

F

ür eine möglichst tiefe Blutdruck- senkung bei Patienten mit Diabetes mellitus und Mikroalbuminurie trat Carl Erik Mogensen kürzlich in einem Editorial im Deutschen Ärzteblatt ein (1). Auch Patienten mit Normotonie sollten seiner Ansicht nach behandelt werden, und zwar bevorzugt mit ACE- Hemmern und Angiotensin-Rezeptor- blockern.

Diese Forderungen unterstützt Carl Erik Mogensen durch eine selektive Er- wähnung internationaler Leitlinien, ins- besondere aber durch epidemiologi- sche Daten und die Ergebnisse ausge- wählter Interventionsstudien (1).

„Erfordernisbluthochdruck“

als Dogma bis in die 1980er-Jahre

Bis in die 80er-Jahre glaubte die Schul- medizin an die Existenz des so genann- ten „Erfordernisbluthochdrucks“, also einer reaktiven anatomisch-physiolo- gisch bedingten Steigerung des systemi- schen Blutdrucks, die zur ausreichen- den Durchblutung von Zielorganen – zum Beispiel der Niere oder des Ge- hirns – notwendig sei. Eine Blutdruck- senkung galt bei ischämischen zerebra- len und renalen Erkrankungen als ob- solet. Es ist ein Pionierverdienst von Carl Erik Mogensen, dass er in den 1970er-Jahren durch systematische ex- perimentelle Arbeit mit diesem Irr- tum aufgeräumt und das Gegenteil ge- zeigt hat. Er hat nachgewiesen, dass hypertone Patienten mit nephrogenem Bluthochdruck infolge diabetischer Nephropathie bezüglich der Progressi-

on der Nierenschädigung von einer an- tihypertensiven Therapie profitieren.

Der systematische Denkfehler der 1960er- und 1970er-Jahre war, dass ein theoretisches anatomisch-physiologisch begründetes Konstrukt ohne ausreichen- de experimentelle klinische Forschung direkt auf die Therapie der Patienten übertragen wurde. Nun begeht Mogen- sen, der vor dreißig Jahren dazu beitrug, diesen Fehler zu korrigieren, den glei- chen Irrtum.

Datenlage unzureichend

Als Beleg für die Senkung des Blut- drucks im normotonen Bereich und als Begründung für den spezifischen blut- druckunabhängigen hämodynamisch- bedingten nephroprotektiven Effekt der Blockade des Renin-Angiotensin- Systems, diente das pathophysiologi- sche Konstrukt der intraglomerulären Hypertonie. Es beruht auf Untersu- chungen an zu fünf Sechstel nephrek- tomierten Ratten. Diese Ergebnisse konnten bisher weder im Humanver- such (2, 3) noch in Tiermodellen ohne Fünf-Sechstel-Nephrektomie überzeu- gend bestätigt werden (4).

Mogensen zitiert eine Reihe von Interventionsstudien als Beleg seiner Forderung der strikten Blutdruckkon- trolle und der Bevorzugung von ACE- Hemmern und Angiotensin-Rezeptor- blockern bei Patienten mit Diabetes mellitus und Mikroalbuminurie. Eine medikamentöse Behandlung mit dem Ziel, sehr niedrige Blutdruckwerte zu erreichen, ist aus Sicht des Patienten und des behandelnden Arztes dann ge- rechtfertigt, wenn sich hierdurch mikro- und makrovaskuläre Folgekomplika- tionen verhindern oder verzögern las-

sen. Dies setzt voraus, dass es sich hier- bei um ein Ausmaß handelt, das einen verursachten Schaden durch uner- wünschte Arzneimittelwirkungen über- steigt (Nutzen-Schaden-Abwägung).

Die von Mogensen zitierten Inter- ventionsstudien sind nicht geeignet, die aufgeworfene Frage nach der Notwen- digkeit einer strengeren Blutdruckkon- trolle unter Berücksichtigung dieser pa- tientenrelevanten Endpunkte zu beant- worten. In diesen Studien sind entwe- der keine niedrigen Blutdruckziele un- tersucht, patientenrelevante Endpunk- te nicht erhoben oder multifaktorielle Therapieansätze getestet worden. Mo- gensen irrt auch, wenn er die „Appro- priate Blood Pressure Control in Dia- betes“- (ABCD-) und die „Hypertensi- on Optimal Treatment“- (HOT-)Studie als Interventionsstudien bei Patienten mit Normotonie ansieht. Die Definition der Normotonie beinhaltet sowohl dia- stolische als auch systolische Blutdruck- werte. Die Methoden beider Studien besagten, dass auch Patienten mit Er- höhung des systolischen Blutdrucks eingeschlossen wurden (5–7).

Bei einer antihypertensiven Inter- vention im diastolischen Bereich unter 90 mm Hg wird nicht nur der diasto- lische, sondern auch der systolische Blutdruck gesenkt. Niemand bestreitet den positiven Einfluss der antiyperten- siven Therapie bei erhöhten systoli- schen Blutdruckwerten bei Patienten mit Diabetes mellitus. In der ABCD- Studie wurden aber beispielsweise auf- grund der Beschränkung des Behand- lungsziels auf diastolische Blutdruck- werte etwa die Hälfte der Patienten in der Gruppe mit höherem diastolischen Zielwert trotz systolisch hypertoner Blutdruckwerte nicht antihypertensiv behandelt (6, 7).

Zielblutdruck bei

Diabetikern mit Nephropathie

Systematische Literaturbewertung notwendig

Thomas Kaiser, Peter T. Sawicki

Editorial

Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheits- wesen (Direktor: Prof. Dr. med. Peter T. Sawicki), Köln

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Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 102⏐⏐Heft 34–35⏐⏐29. August 2005 AA2309

Aus diesen Studien lässt sich daher unabhängig davon, ob andere methodi- sche Schwächen dieser Studie das je- weilige Ergebnis generell infrage stel- len, nicht ablesen, dass normotone Pati- enten mit Diabetes mellitus, das heißt mit Blutdruckwerten diastolisch unter 90 mm Hg und systolisch unter 140 mm Hg, von einer blutdrucksenkenden In- tervention bezüglich der Reduktion re- naler und/oder vaskulärer Morbidität profitieren.

Mehr als eine

„bürokratische Übung“

Das Institut für Qualität und Wirtschaft- lichkeit im Gesundheitswesen wurde vom gemeinsamen Bundesausschuss be- auftragt, der Frage nach dem Nutzen niedriger Blutdruckzielwerte bei Pati- enten mit Diabetes mellitus mit oder ohne Mikroalbuminurie oder Nephro- pathie nachzugehen (siehe auch unter www.iqwig.de).

Das Institut wird sich dabei im We- sentlichen der international anerkannten Methodik der systematischen Recherche und Bewertung relevanter wissenschaft- licher Literatur bedienen. Für Carl Erik Mogensen stellt ein solches Vorgehen, wie es auch in der Cochrane Collaborati- on praktiziert wird, eine „bürokratische Übung“ dar.

Diese „bürokratische Übung“ hat in der Vergangenheit dazu beigetragen, durch Zusammenführung der Ergeb- nisse kleinerer und für sich genommen jeweils nicht ausreichend aussagekräfti- ger Studien den Nutzen neuer Thera- pien frühzeitig darzustellen sowie Scha- den einiger etablierter Behandlungs- methoden aufzuzeigen und damit Pati- enten vor deren weiteren Anwendung zu schützen (8).

Die systematische Aufarbeitung wis- senschaftlicher Literatur ersetzt nicht die individuelle Entscheidung von Arzt und Patient, sondern steigert ihre Qua- lität. Eine unkritische Anwendung ab- strakten Wissens in der Praxis ist zu ver- meiden, aber solche Informationen sind immer ein notwendiger und wesentli- cher Bestandteil der Entscheidungsfin- dung. Die systematische Literaturbe- wertung sichert den Fortschritt und re- duziert die Wahrscheinlichkeit einer

Fehlbehandlung. Die gezielte Auswahl genehmer Literatur sowie das Propa- gieren von Therapieempfehlungen auf Grundlage von Surrogatparametern und pathophysiologischen Konstrukten ohne gezielten Nachweis des Patienten- nutzens, wie es Carl Erik Mogensen vornimmt, haben hingegen in der Ver- gangenheit häufig zu Trugschlüssen ge- führt und unnötiges Leid verursacht (9).

Es ist Ziel des Instituts, durch objek- tive wissenschaftliche Information der Bevölkerung und der Praktizierenden in den Gesundheitsberufen die Basis für eine informierte Therapieentschei- dung zu legen. Dies wird auch bei der Frage des Nutzen-Schaden-Verhältnis- ses einer blutdrucksenkenden Therapie bei normotonen Patienten mit Diabetes mellitus der Fall sein.

Manuskript eingereicht: 8. 7. 2005, angenommen:

12. 7. 2005

Die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt im Sin- ne der Richtlinien des International Committee of Medi- cal Journal Editors besteht.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dtsch Arztebl 2005; 102: A 2308–2309 [Heft 34–35]

Literatur

1. Mogensen CE: Zielblutdruck und Screening bei Diabeti- kern mit Nephropathie. Dtsch Arztebl 2005; 102:

A 1124–1126 [Heft 16].

2. Ruggenenti P, Perna A, Loriga G et al.: Blood-pressure control for renoprotection in patients with non-diabe- tic chronic renal disease (REIN-2): multicentre, rando- mised controlled trial. Lancet 2005; 365: 939–946.

3. Marre M, Lievre M, Chatellier G, Mann JF, Passa P, Men- ard J: DIABHYCAR Study Investigators. Effects of low dose ramipril on cardiovascular and renal outcomes in patients with type 2 diabetes and raised excretion of urinary albumin: randomised, double blind, placebo controlled trial (the DIABHYCAR study). BMJ 2004;

328: 495.

4. Lassila M, Cooper ME, Jandeleit-Dahm K: Antiproteinu- ric effect of RAS blockade: new mechanisms. Curr Hy- pertens Rep 2004; 6: 383–392.

5. Hansson L, Zanchetti A, Carruthers SG et al.: Effects of intensive blood-pressure lowering and low-dose aspi- rin in patients with hypertension: principal results of the Hypertension Optimal Treatment (HOT) randomised trial. Lancet 1998; 351: 1755–1762.

6. Estacio RO, Jeffers BW, Gifford N, Schrier RW: Effect of blood pressure control on diabetic microvascular com- plications in patients with hypertension and type 2 dia- betes. Diabetes Care 2000; 23 (Suppl. 2): B54–B64.

7. Schrier RW, Estacio RO, Esler A, Mehler P: Effects of aggressive blood pressure control in normotensive type 2 diabetic patients on albuminuria, retinopathy and strokes. Kid Int 2002; 61: 1086–1097.

8. Egger M, Smith GD, O'Rourke K: Rationale, potentials, and promise of systematic reviews. In: Egger M, Smith GD, Altman DG, ed.: Systematic Reviews in Health Care. London: BMJ Publishing Group 2001.

9. Mühlhauser I, Berger M: Surrogat-Marker: Trugschlüs- se. Dtsch Arztebl 1996; 93: A 3280–3283 [Heft 49].

Anschrift für die Verfasser:

Dr. med. Thomas Kaiser

Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen – IQWiG

Dillenburger Straße 27 51105 Köln

E-Mail: thomas.kaiser@iqwig.de

AUSGEWÄHLT UND KOMMENTIERT VON H. SCHOTT AUSGEWÄHLT UND KOMMENTIERT VON H. SCHOTT

MEDIZINGESCHICHTE(N))

Geburtshilfe Kindbettfieber

Zitat:„Eine Verstopfung nach der Entbindung ist oft die Ursache des Fiebers [1], weit öfter aber das frühzeitige Aufstehen. [...]

Empfindlichkeit und Geschwulst des Unterleibs mit Fieber sind die eigenen Zeichen der Krankheit. In den übrigen herrscht viel Verschiedenheit. Rosenar- tige, dunkelrothe Flecken an den Gelenken von der Gröse eines Viergroschen- stücks, sind alle allemal ein tödliches Zeichen [2], welches sich aber nur alsdann einfindet, wenn die Krankheit in den Zeugungstheilen ihren Sitz hat. [...]

In Wien war das Kindbettfieber 1777 gallichter Art, ohne wirkliche Entzün- dung, obgleich der Puls zuweilen hart, und in einem Falle die Zunge rein war. Es wurden auch solche Frauen befallen, die ein leichte Entbindung gehabt hat- ten.“

Johann August Philipp Gesner: Die Entdeckungen der neuesten Zeit in der Arzneygelahrtheit. 4. Band. Nördlingen 1788, Seite 86 ff. – [1] Kindbett-,Wochenbett- oder Puerperalfieber, durch Infektion der Geburtswunde. [2] Als Sym- ptome der Sepsis. – Gesner (1738–1801), Arzt in Erlangen, beschreibt die gefürchtete Krankheit, deren Ursache erst später durch Ignaz Semmelweis aufgeklärt wurde, der 1847 in Wien erstmals die Händedesinfektion als hygieni- sche Gegenmaßnahme einführte (Antisepsis).

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