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Archiv "Verzweigtkettige Aminosäuren bei Leberzirrhose" (25.05.1984)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

EDITORIAL

Verzweigtkettige

Aminosäuren bei Leberzirrhose

Andreas Sieg und Burkhard Kommtereil

S

eit kurzem sind in Deutschland orale Amino- säurengemische mit ei- nem hohen Anteil verzweigt- kettiger Aminosäuren erhält- lich (Falkamin®, Lactostrict® ).

Dieses in der Hepatologie neue Therapiekonzept beruht auf der erstmals 1971 hypo- thetisch formulierten „Theorie der falschen Neuro-

transmitter" in der Pathogene- se der hepatischen Enzepha- lopathie (1).

Die bei Leberzirrhose regel- mäßig vorkommenden Verän- derungen der Plasmaamino- säuren mit erniedrigten Spie- geln der verzweigtkettigen Aminosäuren (Valin, Leuzin, Isoleuzin) und erhöhten Spie- geln der aromatischen Amino- säuren (Phenylalanin, Tyrosin, Tryptophan) führen zu einer veränderten Kompetition um das gemeinsame Transportsy- stem an der Blut-Hirn-Schran- ke. Daraus resultiert ein er- höhter intrazerebraler Ein- strom von aromatischen Ami- nosäuren. Dieser Einstrom wird durch hohe Ammoniak- konzentrationen begünstigt, da Ammoniak in den Hirnzel- len zu Glutamin detoxifiziert wird, das dann an der Blut- Hirn-Schranke gegen die aro- matischen Aminosäuren aus- getauscht werden kann (2).

Erhöhte intrazerebrale Phenyl- alaninspiegel sollen den Ab- bau von Tyrosin zu den ech- ten Neurotransmittern Dopa-

min und Noradrenalin hem- men. Das anfallende Tyrosin kann aber alternativ zu dem falschen (bzw. schwachen) Neu rotransmitter Oktopamin metabolisiert werden.

Erhöhte Tryptophankonzentra- tionen im Liquor führen zu- sätzlich zur Bildung des inhi- bitorischen Neurotransmitters Serotonin. Aus den oben ge- nannten Veränderungen resul- tiert insgesamt eine Verdrän- gung der echten durch schwa- che oder inhibitorische Neu- rotransmitter von den Synap- sen. Hierdurch soll eine hepa- tische Enzephalopathie indu- ziert werden (3).

Die Theorie der falschen Neu- rotransmitter wird durch Un- tersuchungen gestützt, in de- nen erhöhte Plasmaspiegel von aromatischen Aminosäu- ren und Oktopamin bei hepati- scher Enzephalopathie gefun- den wurden. Außerdem konn- te in unkontrollierten Studien die hepatische Enzephalopa- thie durch die dopaminergen Substanzen L-Dopa und Bro- mocriptin gebessert wer- den (3).

Gegen die Theorie spricht, daß sich tierexperimentell nach intrathekaler Gabe hoher Dosen von Oktopamin kein Koma induzieren ließ. In kon- trollierten Studien erwiesen sich L-Dopa und Bromocriptin als unwirksam in der Behand- lung der hepatischen Enze-

phalopathie. Und schließlich wurden bei Patienten, die im Leberkoma verstorben waren, unmittelbar postmortem intra- zerebral unveränderte Kon- zentrationen von Dopamin, Noradrenalin und Oktopamin gegenüber einem Kontrollkol- lektiv gefunden (3).

Die Theorie der falschen Neu- rotransmitter kann somit bis heute weder eindeutig bewie- sen noch widerlegt werden.

Sie hat jedoch zu einem neu- en Therapiekonzept mit ver- zweigtkettigen Aminosäuren bei Leberzirrhose geführt.

Diese Therapie wird heute un- ter zwei Gesichtspunkten durchgeführt, der Verbesse- rung a) der hepatischen Enze- phalopathie und b) der Ernäh- rungssituation der Patienten.

Effekt verzweigtkettiger Aminosäuren auf die

hepatische Enzephalopathie Der Effekt verzweigtkettiger Aminosäuren auf die hepati- sche Enzephalopathie wird bei parenteraler Gabe in kon- trollierten Studien überwie- gend positiv beurteilt (4). So wurde eine signifikante Besse- rung der hepatischen Enze- phalopathie im Vergleich zu einer konventionellen Amino- säurenlösung oder zu Neomy- cin, sowie eine der Laktulo- setherapie gleichwertige Bes- serung beschrieben (4). In zwei Studien wurde allerdings kein signifikanter Unterschied gegenüber 5prozentiger Glu- kose beobachtet.

Da die parenterale Therapie nur während der Dauer des Klinikaufenthaltes praktikabel ist, wurden orale Aminosäu-

1698 (50) Heft 21 vom 25. Mai 1984 81. Jahrgang Ausgabe A

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rangemische zur Langzeitbe- handlung entwickelt Nur in ei- ner von acht kontrollierten Studien wurde eine signifikan- te Verbesserung der hepati- schen Enzephalopathie nach Gabe oraler verzweigtkettiger Aminosäuren nachgewiesen (4). ln den übrigen Studien konnte jedoch mit Sicherheit die Verschlechterung einer hepatischen Enzephalopathie unter verzweigtkettigen Ami- nosäuren ausgesch Iossen werden. Um eine endgültige Bewertung vornehmen zu können, müssen die Ergebnis- se weiterer kontrollierter Langzeitstudien abgewartet werden.

Ernährungs-

physiologischer Effekt verzweigtkettiger Aminosäuren

Sowohl tierexpe~imentell als auch bei Patienten konnte ein antikataboler Effekt der ver- zweigtkettigen Aminosäuren mit Steigerung der Proteinsyn- these im Skelettmuskel nach- gewiesen werden {5). Da bis zu 50 Prozent des..anfallenden Ammoniaks im Skelettmuskel metabolisiert werden können (3), ist dieser antikatabole Ef- fekt von besonderer Bedeu- tung für Patienten mit Leber- zirrhose, die ja häufig fehler- nährt si.(lJi und eine geringe Muskelma$se aufweisen. Die orale Gabe verzweigtkettiger Aminosäuren in einer Dosie- rung zwischen 15 und 20 Gramm pro Tag führte bei Pa- tienten mit Leberzirrhose in etwa 90 Prozent zu einer Ver- besserung der Stickstoffbilanz (4). Möglicherweise kann die hepatische Enzephalopathie sekundär durch Verbesserung

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

der Ernährungssituation über einen gesteigerten Ammoniak- metabolismus im Skelettmus- kel gebessert werden.

Indikation

verzweigtkettiger Aminosäuren

Nach Auswertung der gegen- wärtig vorliegenden Literatur ist die Therapie mit verzweigt- kettigen Aminosäuren indiziert bei Patienten mit Leberzirrho- se oder einer anderen Form chronischer Leberzellschädi- gung, die zur Vermeidung ei- ner hepatischen Enzephalo- pathie eine Proteinrestrik- tionsdiät einhalten müssen.

Besondere Beachtung sollten hier Patienten nach portosy- stemischer Shunt-Operation finden, die ja eine hohe Ei- weißempfindlichkeit aufwei- sen. Auch bei fehlernährten Leberzirrhotikern mit katabo- ler Stoffwechsellage und Zei- chen des Muskelschwundes sollte eine Zusatzbehandlung mit verzweigtkettigen Amino- säuren erfolgen.

Für eine Langzeittherapie eig- nen sich vor allem orale Ami- nosäurengemische. Die Zufuhr verzweigtkettiger Aminosäu- ren sollte zwischen 15 und 20 Gramm pro Tag liegen bei ei- ner Gesamtproteinzufuhr von 1 Gramm pro Kilogramm Kör- pergewicht pro Tag. Die Gabe verzweigtkettiger Aminosäu-

ren bei latenter (d. h. klinisch nicht manifester) hepatischer Enzephalopathie, die bei etwa 60 Prozent aller Leberzirrhoti- ker vorliegt (3), muß von dem Ergebnis weiterer kontrollier- ter Langzeitstudien abhängig gemacht werden und kann ge-

Aminosäuren bei Leberzirrhose

genwärtig noch nicht generell empfohlen werden.

· Nicht indiziert sind verzweigt- kettige Aminosäuren bei

~ fulminantem Leberversa- gen, da es hier zu einer Erhö- hung aller Plasmaaminosäu- ren kommt (3).

~ Alkoholhepatitis, da diese Patienten konventionelle Ami- nosäurenlösungen gut vertra- gen {3).

Eine Kontraindikation besteht bei angeborenen Stoffwech- selstörungen der verzweigt- kettigen Aminosäuren (z. B.

Ahornsirupkrankheit).

Literatur

(1) Fischer. J. E. und Baldessarini, R. J.:

False Neurotransmittersand hepatic ence- phalopathy. Lancet II (1971) 75-80- (2) Ja- mes, J. H.; Jeppson, B.; Ziparo, V.; Fischer, J. E.: Hyperammonemia, plasma amino acid imbalance, and blood brain amino acid transport: a unified theory of portal- systemic encephalopathy, Lancet II (1979) 272 - (3) Hoyumpa, A. M.; Schenker, S.:

Perspectives in hepatic encephalopathy, J. Lab. Cl in. Med. 100 (1982) 477-487- (4) Sieg, A. und Kommerell, B.: Die hepati- sche Enzephalopathie. Moderne pathoge- netische und therapeutische Aspekte, In- nere Medizin (1984 im Druck)- (5) Fischer, J. E.: Portasystemic Encephalopathy. ln:

Wright, R. et ·al. (Hrsg): Liver and biliary Disease, pp 973-1001, Saunders, Landon- Philadelphia-Toronto (1979)

Anschrift der Verfasser:

Dr. med. Andreas Sieg Professor Dr. med.

Burkhard Kammereil Ärztlicher Direktor der Abteilung Innere Medizin IV (Schwerpunkt

Gastroenterologie)

Medizinische Universitätsklinik Bergheimer Straße 58

6900 Haideiberg

Ausgabe A 81. Jahrgang Heft 21 vom 25. Mai 1984 (53) 1699

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