DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
B
ei mehreren Kindern aus Bauernfamilien aus der Oberpfalz und Niederbayern wurden im letzten Jahr in Münchner Kinderkliniken Erkrankungen beob- achtet, die sich primär als schwere Lebererkrankung bemerkbar mach- ten und sich ätiologisch zunächst nicht einordnen ließen, die sich aber— obwohl die betroffenen Familien nicht verwandt waren und weit von- einander entfernt wohnten — durch eine Reihe von Gemeinsamkeiten auszeichneten:
1. Die Erkrankungen betra- fen ausschließlich nicht be- ziehungsweise für nur we- nige Wochen gestillte Säuglinge.
2. Für längere Zeit gestillte Geschwister der Patienten blieben von der Erkran- kung verschont.
3. Die Säuglingsnahrung der Patienten war mit Wasser aus einer Eigentrinkwas- serversorgung (hofeigener Brunnen) zubereitet wor- den.
4. Im Trinkwasser ließen sich hohe Konzentrationen von Kupfer nachweisen.
5. In den Häusern der betrof- fenen Familien bestand ein wesentlicher Anteil der Kaltwasser-Leitungs- rohre aus Kupfer.
6. Das Wasser an der Zapf- stelle in den Häusern so- wie das Wasser der Brun- nen war sauer (pH-Werte deutlich unter 6,5) und entsprach daher nicht der
Trinkwasserverordnung.
7. Das erste Symptom der sich schleichend entwik- kelnden Erkrankung war ein Sklerenikterus, der zwischen dem 4. und 7.
Lebensmonat bemerkt wurde; spätere Symptome waren ein allgemeiner Ik- terus und eine Hepato- splenomegalie .
8. Histopathologische Unter- suchungen der Leber deckten bei allen erkrank- ten Säuglingen eine Leber- fibrose beziehungsweise Leberzirrhose auf.
9. Im Lebergewebe aller Pa- tienten ließen sich patho- logisch hohe Kupferkon- zentrationen nachweisen.
10. Bei den überlebenden (früh diagnostizierten) Pa- tienten konnte (bisher) ein Fortschreiten der Erkran- kung dadurch aufgehalten werden, daß die Säuglinge eine mit kupferfreiem Wasser zubereitete Nah- rung erhielten und mit D- Penicillamin behandelt wurden.
11. Häufigste Fehldiagnose der Erkrankung war bis- her die „Hereditäre Fruk- toseintoleranz".
Vorerst sprechen alle Anzei- chen dafür, daß die Erkrankungen ursächlich oder mitursächlich ausge- löst werden durch einen erhöhten Kupfergehalt des zur Zubereitung der Säuglingsnahrung verwendeten Trinkwassers und daß die Verunrei-
nigung mit Kupfer zurückzuführen ist auf Korrosion der Kupferinstalla- tionen durch das Brunnenwasser mit einem pH-Wert deutlich unter 6,5.
Ob weitere Faktoren (zusätzliche Bestandteile des Wassers, geneti- sche oder altersbedingte Faktoren) in der Ätiologie oder Pathogenese der Erkrankung von Bedeutung sind, können wir derzeit noch nicht sagen.
Als Risikogebiete sehen wir be- sonders Gegenden mit weichem (kalkarmen) Wasser an. Hinweise auf eine Gefährdung älterer Kinder (Alter über ein Jahr) oder von Er- wachsenen durch Trinkwasser, wel- ches auf die genannte Weise mit Kupfer kontaminiert ist, haben sich bisher bei uns nicht ergeben.
Bei Auftreten einer frühkind- lichen Lebererkrankung unklarer Genese empfehlen wir, an die Mög- lichkeit dieser alimentären Kupfer- intoxikation zu denken und in den betroffenen Familien nach entspre- chenden Konstellationen in der Trinkwasserversorgung und Nah- rungszubereitung zu suchen.
Bei Verdacht auf diese Erkran- kung, aber auch bei entsprechender Konstellation (nicht oder nicht voll gestillter Säugling, Kupferinstalla- tion, Eigen- oder Einzeltrinkwasser- versorgung) ohne Erkrankung eines Kindes bitten wir dringend um Mit- teilung an eine der folgenden Insti- tutionen:
Univ.-Kinderklinik München Lindwurmstraße 4
8000 München 2
(Prof. Dr. med. Rudolf Eife, Telefon 0 89-51 60-28 54) oder
Bundesgesundheitsamt Fachbereich BII 4 Corrensplatz 1 1000 Berlin 33
(Prof. Dr. rer. nat. Hermann Dieter, Telefon: 0 30-83 08-24 00).
Gleichzeitig empfehlen wir un- bedingt die Durchführung fol- gender Maßnahmen: Bestimmung der Serum-Transaminasen (SGOT, SGPT), des Serum-Bilirubins und der Gamma-GT. Bei deutlicher Er- höhung der Werte sollte die Nah-
Frühkindliche Leberzirrhose
Wahrscheinlich ausgelöst
durch eine alimentäre Kupferintoxikation über das Trinkwasser aus hauseigenen Brunnen (Saueres Wasser, Kupferleitungen)
Dt. Ärztebl. 85 , Heft 11, 17. März 1988 (65) A-693
rung des betreffenden Säuglings un- verzüglich mit kupferfreiem Wasser (abgepacktes Wasser oder Entnah- me des Wassers aus einer Zapfstelle vor den Kupferleitungen) zubereitet werden. Eine Woche nach der Um- stellung müssen die Labor- untersuchungen wiederholt werden.
Die erbetenen Meldungen sollen helfen, weitere Hinweise für die Er- forschung dieser Erkrankung bezüg- lich ihrer Ätiologie und Pathogenese zu erhalten. Erste Berichte über die Erkrankungen wurden auf der 36.
Tagung der Süddeutschen Kinder- ärzte in Bad Dürkheim (1987) vor- getragen (1, 2). Unsere bisherigen Fallbeschreibungen (publiziert bzw.
im Druck) behandeln ausführlich die klinischen und laborchemischen Be- obachtungen (3, 4, 5), die wasser- chemischen (Trinkwasser) Untersu- chungsbefunde (2, 3, 4), den Krank- heitsverlauf bei frühdiagnostizierten und behandelten Patienten (4), so- wie die pathologisch-anatomischen Befunde (Leberbiopsie und Autop- sie) (6, 7). Sonderdrucke bzw. Vor-
abdrucke der angeführten Arbeiten oder die Vortragsmanuskripte stel- len wir Interessierten gern zur Ver- fügung.
Literatur
1. Weiß, M.; Müller-Höcker, J.; Meyer, U.;
Wiebecke, B.; Hinckeldey, A.; Belohrad- sky, B. H.: Erstbeobachtung einer „Indian Childhood Cirrhosis" bei einem deutschen Kind, Vortrag anläßlich der 36. Tagung der Süddeutschen Kinderärzte in Bad Dürkheim (1987)
2. Eife, R.; Bender-Götze, Ch.; Müller-Hök- ker, J.; Wiebecke, B.; Arleth, S.; Kellner, M.; Ibel, H.; Endres, W.; Schramel, P.;
Holtmann, H.: „Familiäre" infantile Leber- zirrhose, Interferon-Mangel und Natural- Killer-Zell-Defekt durch chronische Kupfer- intoxikation, Vortrag anläßlich der 36. Ta- gung der Süddeutschen Kinderärzte in Bad Dürkheim (1987)
3. Eife, R.; Müller-Höcker, J.; Kellner, M.;
Arleth, S.; Schmölz, A.; Weiß, M.; Bender- Götze, Ch.; Schramel, P.; Holtmann, H.:
Kupferwasserleitungen als Ursache für Im- mundefizienz und frühkindliche letale Le- berzirrhose (vom Typ der Indian Childhood Cirrhosis), pädiat. prax. 36: 69-76 (1987) 4. Eife, R.; Müller-Höcker, J.; Kellner, M.;
Weiß, M.; Schneider, K.; Wiebecke, B.;
Schramel, J.: „Familial" infantile liver cir- rhosis due to chronic copper intoxication via tap water, Eur. J. Pediatr. (zur Publikation eingereicht)
5. Weiß, M.; Müller-Höcker, J.; Wiebecke, B.;
Belohradsky, B. H.: First desription of „In- dian childhood cirrhosis" in a non-Indian in- fant in Europe (zur Publikation eingereicht) 6. Müller-Höcker, J.; Weiß, M.; Meyer, U.;
Schramel, P.; Wiebecke, B.; Belohradsky, B. H.; Hübner, G.: Fatal copper storage disease of the liver in a German infant resembling Indian childhood cirrhosis, Vir- chows Archiv A 411: 379-385 (1987) 7. Müller-Höcker, J.; Eife, R.; Meyer, U.;
Wiebecke, B.; Hübner, G.; Kellner, M.;
Schramel, P.: Copper storage disease of the liver and chronic dietary copper intoxication in two further German infants mimicking In- dian childhood cirrhosis, Pathology, Res.
and Pract. 183: 39-45 (1988)
Prof. Dr. med. Rudolf Eife Dr. med. Michael Weiß
Universitäts-Kinderklinik München Lindwurmstraße 4
8000 München 2
Dr. med. Josef Müller-Höcker Pathologisches Institut
der Universität München Thalkirchner Straße 8000 München 2
Zum 16. Male:
Arzneiverordnungen"
Seit Anfang dieses Jahres ist die Seit
, die 16. Auflage der von der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft herausge- gebenen „Arzneiverordnungen"
auf dem Büchermarkt. Das Buch folgt dem bewährten Muster der Gliederung nach Indikationen. An der Spitze stehen jeweils allgemeine diagnostische Hinweise und Be- handlungsratschläge, auch nicht me- dikamentöser Art. Dann werden die für die Therapie in Frage kommen- den Arzneistoffe behandelt, und es wird auch dort bereits erwähnt, wel- che Behandlungsmethoden inzwi- schen mehr oder weniger obsolet ge- worden sind. Schließlich sind die einschlägigen Arzneimittel aufge- zählt, mit Stoff- und Handelsnamen.
Hierbei gibt es eine Neuerung: Den Handelspräparaten sind die Preise beigegeben, und zwar meist für die
Packungsgröße N2. Damit ist dem verschreibenden Arzt auch ein Preisvergleich möglich — allerdings muß man dabei auch Packungsgrö- ßen und Einzeldosis vergleichen, weil die Angabe eines „mittleren Dosispreises" in diesem Rahmen nicht möglich war. In der Mehrzahl sind Monopräparate angegeben, je- doch in einigen Fällen auch sinnvolle Kombinationen, zum Beispiel bei den Antihypertensiva.
Arzneiverordnungen. Ratschläge für Ärz- te und Studenten. Herausgegeben von den Mitgliedern der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft. 16. Auflage 1988, 719 Seiten, 25 Tabellen, Taschen- buch. Deutscher Ärzte-Verlag Köln, 39,80 DM. Zu beziehen über den Buchhandel oder die Versandbuchhandlung des Deut- schen Ärzte-Verlages, Dieselstraße 2, 5000 Köln 40.
NOTIZ
Einige Spezialkapitel behandeln allgemeine Ratschläge zur Arznei- mittelrezeptur, speziell auch für Be- täubungsmittel, sowie Besonder- heiten der Arzneimittelrezeptur in einigen Fächern und bei Vorliegen bestimmter, die Arzneimittelgabe beeinträchtigender Grundkrank- heiten wie Nieren- oder Leberer- krankungen oder Porphyrie. Auch die Besonderheiten während der Schwangerschaft und Stillzeit sowie bei Kindern kommen zur Sprache.
Der Untertitel des Buches heißt
„Ratschläge für Ärzte und Studen- ten". Für Ärzte ist es ein handliches und schnelles, durch ein umfangrei- ches Register leicht benutzbares Nachschlagewerk. Studenten finden darin eine erste Einführung in die Pharmakotherapie, die das in der Pharmakologie (hoffentlich) Gelern- te praktisch anwendbar macht. bt A-694 (66) Dt. Ärztebl. 85, Heft 11, 17. März 1988