THEMEN DER ZEIT
Über die Ätiologie und Ver- breitung der Creutzfeldt-Jakob- Krankheit (CJK) und anderer über- tragbarer Formen spongiformer Enzephalopathien des Menschen bestehen noch viele Unklarheiten, vor allem auch bezüglich der Mög- lichkeit von Übertragungen derarti- ger Krankheiten vom Tier auf den Menschen.
Mit einer Verordnung des Bundesministers für Gesundheit (BGBl. I Nr. 41, S. 1455) wird die Meldepflicht für in § 3 Bundes-Seu- chengesetz aufgeführte Krankhei- ten auf übertragbare spongiforme Enzephalopathien ausgedehnt. Die Ausdehnung der Meldepflicht auf diese Krankheiten ist geboten, auch wenn sie nach dem Stand des Wis- sens nicht von Mensch zu Mensch in unmittelbarem Kontakt übertragen werden und eine ursächliche Thera- pie derzeit nicht zur Verfügung steht.
Die Verordnung soll die Erfassung der Fälle einer bislang seltenen Krankheitsgruppe mit dem Ziel er- möglichen, mittelfristig verläßlichere Erkenntnisse zur Diagnostik, Er- krankungshäufigkeit und Trendent- wicklung, zu Infektionsquellen und Übertragungswegen zu gewinnen.
Die Creutzfeldt-Jakob-Krank- heit wird seit 1979 in der Todesursa- chenstatistik der Bundesrepublik Deutschland beim Statistischen Bundesamt nach Geschlecht, Alter und Bundesland erfaßt. Diese Da- ten gestatten jedoch keine epide- miologische Analyse über Herkunft und Weiterverbreitung des ursächli- chen Agens.
Im April 1992 hat das ehemali- ge Bundesgesundheitsamt einen Aufruf veröffentlicht, diagnostizier- te Fälle von Creutzfeldt-Jakob- Krankheit auf freiwilliger Basis an das Bundesgesundheitsamt zu mel- den. Auch diese sporadischen Ein- zelfallmeldungen geben keine be- friedigende Aufklärung über mögli-
BERICHTE
che Kausalzusammenhänge. Nur bei gezielten Nachforschungen in einzelnen Fällen können zusätzliche Erkenntnisse über vermutete Infek- tionsquellen, Übertragungswege und Gesundheitsrisiken gefunden werden. Aus Gründen des vorbeu- genden Gesundheitsschutzes wer- den in allen Mitgliedstaaten der Eu- ropäischen Union epidemiologische Analysen über das Auftreten der CJK für notwendig erachtet.
Trendentwicklung
Zu melden sind spontan auftre- tende, übertragbare Formen neuro- logischer Erkrankungen, die vor- wiegend, aber nicht ausschließlich im sechsten Lebensjahrzehnt mit dem führenden Symptom progre- dienter Demenz innerhalb weniger Monate, in Einzelfällen nur weniger Wochen bis über zwei Jahre unter Berücksichtigung der klinischen Symptome Ataxie, Aphasie und Myoklonien sowie typischer EEG- Befunde auftreten. Postmortale Untersuchungen sichern die Dia- gnose. Nach § 32 Abs. 3 BSeuchG kann die zuständige Behörde die in- nere Leichenschau anordnen, wenn dies vom Gesundheitsamt für erfor- derlich gehalten wird. Zur Unter- stützung der Gesundheitsbehörden bei ihren Ermittlungen wurde vom Robert-Koch-Institut unter Zu- grundelegung klinischer Diagnose- kriterien ein Erhebungsbogen er- stellt. Der Meldebogen liegt den Landesgesundheitsbehörden vor und kann von den Ärzten bei allen zuständigen Gesundheitsämtern an- gefordert werden. Auszuschließen von der Meldung sind eindeutig fa- miliär-hereditäre Leiden.
Das Robert-Koch-Institut er- hält die Ergebnisse der Ermittlun- gen anonymisiert und veröffentlicht kurzfristig infektionsepidemiologi-
sche Übersichten. Gegenwärtig wird die durchschnittliche Häufig- keitsrate weltweit auf etwa 1,0 pro eine Million Einwohner geschätzt.
Es ist davon auszugehen, daß die aktiven Nachforschungen zu einer Erhöhung der Berichte über Creutz- feldt-Jakob-Krankheitsfälle führen werden. Desgrandchemps, Rieder und Marti berichteten hierzu kürz- lich (1) für die Schweiz über eine Vervierfachung der bekanntgewor- denen Fälle. Es wird auch in der Bundesrepublik Deutschland mit der Einführung der Meldepflicht für diese Erkrankungen einige Zeit dau- ern, bis eine verläßliche Bewertung der Trendentwicklung möglich ist.
Die erhöhte Aufmerksamkeit und das gesteigerte öffentliche In- teresse an der Creutzfeldt-Jakob- Krankheit dürfen aber keinesfalls zu überschießenden Reaktionen im Umgang mit diesen Patienten führen. Andererseits bedeutet die Einführung der Meldepflicht auf- grund des Bundes-Seuchengesetzes nicht, daß auch Veranlassungen zu drastischen seuchenhygienischen Maßnahmen bestehen. Alle bisheri- gen epidemiologischen Untersu- chungen sprechen dafür, daß die CJK keine eigentliche kontagiöse Erkrankung ist (2). Darum sind übertriebene Vorsichtsmaßnahmen beim Umgang mit verdächtigen Pa- tienten bei der Pflege und während der Hospitalisierung nicht angemes- sen. Hier erscheint die Einhaltung allgemeiner krankenhaushygieni- scher Erfordernisse völlig ausrei- chend. Auch die gelegentlichen Forderungen nach einer Feuerbe- stattung verstorbener CJK-Patien- ten ist beim gegenwärtigen Stand der Kenntnis nicht zu rechtfertigen.
Vorsorgliche Hygienemaßnahmen sind geboten bei der Obduktion und dem Umgang mit verdächtigen Organen sowie bei der Dekontami- nation der verwendeten Materialien und Instrumente.
1. Desgrandchemps und andere., The Lancet, Bd. 343, 14. 5. 1994.
2. A. Uysal und O.-R. Kaaden, Der Patholo- ge (1993) 14; 351-354.
Dr. med. Ursula Niemer, Bundesministerium für Gesundheit,
Am Propsthof 78 a, 53121 Bonn
Humane Spongiforme Enzephalopathie
Meldepflicht wurde ausgedehnt
A-3004 (32) Deutsches Ärzteblatt 91, Heft 44, 4. November 1994