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Archiv "Richtgrössenprüfungen: Kein Grund zur Panik" (20.11.2009)

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Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 106

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Heft 47

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20. November 2009 A 2385 RICHTGRÖSSENPRÜFUNGEN

Kein Grund zur Panik

Überschreitungen des Richtgrößenbudgets lassen sich in der Regel rechtfertigen.

V

ielen niedergelassenen Ärzten flattert in diesen Tagen ein Schreiben der Prüfungsstellen ins Haus, in dem wegen der Über- schreitung von Richtgrößen im Jahr 2007 eine Prüfung angekündigt wird. Richtgrößen sind Durch- schnittswerte für die Verordnung von Arzneimitteln und Heilmitteln pro Jahr und Patient. Sie werden für jede Arztgruppe gesondert festge- legt, weil sich die Verordnungskos- ten unterscheiden. Die Richtgrößen und die damit gebildeten Richtgrö- ßenvolumina bilden die Grundlage für die in mit Krankenkassen- und KV-Vertretern paritätisch besetzten Ausschüssen durchgeführte Richt- größenprüfung. In diesen Aus- schüssen wird entschieden, ob der Arzt bei Überschreitung seines Richtgrößenvolumens in Regress genommen wird oder sich einer Be- ratung unterziehen muss.

Richtgrößenprüfungen drohen somit Vertragsärzten aller Fachrich- tungen, die Arznei- und Heilmittel verordnen und hierbei zugleich den vereinbarten Richtgrößen unterlie- gen. Das Prüfverfahren wird bereits dann eingeleitet, wenn das jeweili- ge Richtgrößenbudget des Arztes um mehr als 15 Prozent überschrit- ten wurde. Das Richtgrößenbudget errechnet sich nach der Zahl der Be- handlungsfälle (aufgegliedert nach Mitgliedern und Familienangehöri- gen einerseits sowie Rentnern ande- rerseits), multipliziert mit der je- weils für Mitglieder und Rentner gültigen Richtgröße.

Wenn und soweit Ärzte nun im Jahr 2007 ihr individuelles Richt- größenbudget um mehr als 15 Pro- zent überschritten haben, sieht der Gesetzgeber zwingend die Einlei- tung einer Wirtschaftlichkeitsprü- fung vor. Ein Regress droht aller-

dings nur dann, wenn das Richt- größenbudget um mehr als 25 Prozent überschritten wurde. Wer also ein Schreiben bekommt, weil er sein Richtgrößenbudget um mehr als 15 Prozent, jedoch um weniger als 25 Prozent überschritten hat, der kann sich beruhigt zurücklehnen. Er hat zwar die Möglichkeit, eine Stel- lungnahme abzugeben und die Überschreitung um mehr als 15 Pro- zent zu begründen. Da ihm jedoch kein Regress droht, sondern ledig- lich eine Beratung stattfindet, ist er noch nicht einmal verpflichtet, überhaupt Stellung zu nehmen.

Anders sieht es aus, wenn das Richtgrößenbudget um mehr als 25 Prozent überschritten wurde. In die- sem Fall ist der Arzt gut beraten, sich sowohl die Statistik als auch die Verordnungslisten beziehungs- weise die von den Prüfgremien mit- geschickte CD-ROM sorgfältig an- zusehen und zu prüfen, weshalb die Richtgrößen nicht eingehalten wer- den konnten. Nun ist auch ein Bera- tungsgespräch bei der KV (siehe Kasten „Das leistet die KV“) oder die Einschaltung einer auf Regress- verfahren spezialisierten Anwalts- kanzlei ratsam. So kann frühzeitig die Festsetzung eines Regresses vermieden werden, der sonst mit der Weihnachtspost hereinflattert.

Sodann ist sowohl in rechtlicher als auch in medizinischer Hinsicht sorgfältig darzulegen, weshalb die Richtgrößen nicht eingehalten wer- den konnten. Hier geht es um die sorgfältige und plausible Beschrei- bung von Praxisbesonderheiten, die gut zu begründen sind. Gleichzeitig Mit Fragen zur Verordnungsfähigkeit von Arznei-

und Heilmitteln oder bei Problemen mit den indi- viduellen Richtgrößen können sich Ärztinnen und Ärzte an ihre Kassenärztliche Vereinigung (KV) wenden. Zwar unterscheidet sich das Beratungs- angebot von KV zu KV, fachkundige Ansprechpart- ner für Rat- und Hilfesuchende stehen aber in der Regel überall bereit. Über die jeweilige Homepage der zuständigen KV können sich Ärztinnen und Ärzte meist schon einen guten ersten Überblick über geltende Regelungen, Richtlinien und Verein- barungen verschaffen.

Drei Beispiele zeigen die Bandbreite des Bera- tungsangebots:

Die KV Nordrhein informiert in individuellen Beratungsgesprächen, in Vorträgen und Work- shops über die wirtschaftliche Verordnungsweise von Arznei- und Heilmitteln. Eine regelmäßig er- scheinende Broschüre widmet sich darüber hin - aus dem Thema „Arznei- und Heilmittelregresse“.

Die KV verspricht außerdem Hilfestellung bei der Umsetzung von Generika-, Me-too- und DDD-

Quoten. Unter www.kvno.de findet man gut sor- tiert die wichtigsten Richtlinien und Rahmenver- einbarungen sowie die Kontaktdaten derjenigen KV-Mitarbeiter, die für eine persönliche Beratung zur Verfügung stehen.

Ähnlich strukturiert und übersichtlich sind die Arzneimittelinformationen der KV Westfalen- Lippe unter www.kvwl.de. Auch dort beantwortet man Fragen zur Verordnungsfähigkeit und Wirt- schaftlichkeit. Auf Wunsch organisieren die Bera- ter der KV eine ausführliche Verordnungsanalyse.

Unter www.kvhessen.de findet man aus- führliche Informationen zum Thema „Wirtschaft- lichkeits- und Plausibilitätsprüfung“ mit den dazu- gehörigen Ansprechpartnern vor Ort. Neben sol- chen klassischen Informationen hat die KV Hessen zusammen mit der dortigen AOK eine Audioakade- mie aufgelegt, die sich unter anderem mit den Marketingtricks der Pharmaindustrie auseinander- setzt. Die CDs waren so beliebt, dass die Audio- akademie der KV zufolge inzwischen in acht wei- teren Bundesländern verteilt wird. HK

DAS LEISTET DIE KV

Foto: Eberhard Hahne

S T A T U S

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A 2386 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 106

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Heft 47

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20. November 2009 muss überprüft werden, ob alle Pra-

xisbesonderheiten (wie etwa beson- dere Behandlungsmethoden oder die notwendige Versorgung einiger Patienten mit sehr teuren Präpara- ten), die bereits im Vorfeld auf- grund bestimmter Indikationen oder Wirkstoffe anzuerkennen sind, bei den Berechnungen der Prü- fungsstelle auch tatsächlich berück- sichtigt wurden. Eine sorgfältige Stellungnahme kann dazu führen, dass auch eine Überschreitung des Richtgrößenbudgets um mehr als 25 Prozent aufgrund von Praxisbe- sonderheiten plausibel erklärt wer- den kann und folglich kein Regress ausgesprochen wird.

Wenn die betroffenen Ärzte der- zeit noch keine Stellungnahme ab- geben, so ist dies zu diesem Zeit- punkt nicht nachteilig. Denn die sorgfältige Begründung der Richt- größenüberschreitung kann auch noch nach Erhalt des Prüfbescheids erfolgen. Wichtig ist es jedoch, die Widerspruchsfrist von einem Monat unbedingt einzuhalten, um die Rechtskraft des Bescheids zu ver-

hindern. Im weiteren Verlauf kann vor dem Beschwerdeausschuss noch eine sorgfältige Widerspruchsbe- gründung übersandt werden. Zuvor sollte jedoch Akteneinsicht bean- tragt werden, um sicherzustellen, dass alle nötigen statistischen und formalen Grundlagen tatsächlich mit den im Prüfbescheid behaupteten Zahlen und Fakten übereinstimmen.

Spätestens im Widerspruchsver- fahren sind dann alle Einwendungen – medizinischer als auch rechtlicher Art – vorzutragen, damit diese be- rücksichtigt werden können. Wer jetzt noch immer nicht reagiert und im Zweifel keinen Rechtsbeistand einschaltet, könnte in einem späteren

Klageverfahren mit wesentlichen Ar- gumenten und Einwendungen ausge- schlossen sein, wenn diese erstmalig vorgetragen werden. Selbst wenn die Einwendungen also noch überzeu- gend sind, könnte das Sozialgericht diese zurückweisen, weil sie als „ver- spätet“ angesehen werden. Daher muss spätestens nach Erhalt eines Prüfbescheids unter Festsetzung ei- ner Regresssumme reagiert werden.

Die anwaltliche Erfahrung zeigt jedoch, dass Überschreitungen im Arzneimittel- und im Heilmittelbe- reich meist durch die Patienten- klientel und die damit verbundene Notwendigkeit, entsprechende Ver- ordnungen auszustellen, begründet sind. Denn eines ist klar: Wer krank ist und entsprechender Medikamen- te oder Heilmittel bedarf, der hat – trotz der Richtgrößen – einen ge- setzlichen Anspruch auf Verord- nung durch den Arzt. Ein Arzt kann und muss diese Verordnungen aus- stellen, wenn sie unter Berücksich- tigung des Wirtschaftlichkeitsge - bots notwendig sind. Notwendige Medikamente und Heilmittel dür- fen niemals unter Berufung auf die Überschreitung des Richtgrößen- budgets versagt werden. Der Arzt hat zwar später die lästige Pflicht, die Notwendigkeit der Verordnung darzulegen. Soweit jedoch das Krankheitsbild und die damit ver- bundene Behandlungsbedürftigkeit die Verordnungen erforderlich ma- chen, sind Überschreitungen des Richtgrößenbudgets gerechtfertigt und dürfen nicht zu einem Regress gegen den Arzt führen. ■

Beate Bahner, Heidelberg Fachanwältin für Mediz inrecht Internet: www.beatebahner.de

Bis zum Jahr 1999 gab es in Deutschland noch keine gefestigte innerstaatliche Recht- sprechung zu der Frage, ob ein Hausarzt ver- pflichtet ist, den Partner eines Patienten auch gegen dessen ausdrücklichen Willen über eine HIV-Infektion aufzuklären. Der Europäische Ge- richtshof für Menschenrechte hat deshalb die Klage einer infizierten Frau abgelehnt und dar - auf verwiesen, die deutschen Gerichte hätten das Recht der Beschwerdeführerin auf Leben und körperliche Unversehrtheit hinreichend be- rücksichtigt.

Im entschiedenen Fall stellte der Lebens- partner der Klägerin Ende 1992 fest, dass er an Lymphknotenkrebs und Aids erkrankt war.

Die letzte Erkrankung verschwieg er seiner Partnerin. Dem gemeinsamen Hausarzt unter- sagte er, sie zu informieren.

Der Mann starb Ende 1994. Im März 1995 teilte der Hausarzt der Klägerin mit, dass ihr Partner an Aids verstorben sei. Auch sie war daran mittlerweile erkrankt und wurde behan- delt. Sie litt nicht an einer „Full-blown“-Erkran- kung.

Ihre Klage gegen den Hausarzt wurde in ers- ter und zweiter Instanz abgewiesen. Das Ober- landesgericht Frankfurt/Main entschied, dass der Hausarzt zwar seine Sorgfaltspflicht ihr ge- genüber verkannt und seine Schweigepflicht gegenüber ihrem Lebenspartner überschätzt habe. Denn nach § 34 Strafgesetzbuch müsse das ärztliche Schweigegebot zum Schutz eines höherwertigen Rechtsguts eingeschränkt oder sogar durchbrochen werden.

Allerdings habe der Arzt sich nicht über me- dizinische Standards hinweggesetzt, sondern

verschiedene Interessen lediglich falsch bewer- tet. Folglich liege kein grober Behandlungsfeh- ler vor, der eine Beweislastumkehr zur Folge gehabt hätte. Den Nachweis, dass sie sich nach dem Zeitpunkt mit dem HI-Virus infiziert hatte, an dem der Hausarzt von der Erkrankung ihres Partners erfuhr, konnte die Klägerin nicht er- bringen.

Der Europäische Gerichtshof kam deshalb zu seinem ablehnenden Ergebnis. Die deut- sche Rechtsprechung sehe genug Rechtsmittel vor, die den Anforderungen nach Artikel 2 der Konvention (Recht jedes Menschen auf Schutz seines Lebens) genügten. Einer durch die Ver- letzung der ärztlichen Sorgfaltspflicht geschä- digten Partei würden straf- und zivilrechtliche Schadensersatzverfahren ermöglicht. (Europä - ischer Gerichtshof, Urteil vom 5. März 2009, Invidiualbeschwerde Nummer 77144/01 und 35493/05) RAin Barbara Berner

RECHTSREPORT

HIV-Infektion des Partners: Urteil des Europäischen Gerichtshofs

Notwendige Medikamente dürfen niemals unter Berufung auf die Überschreitung des Richtgrößenbudgets versagt werden.

S T A T U S

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