Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL
Heft 22, 2015
WSL Berichte
ISSN 2296-3456
Landscape and Amenity Migration
Die Rolle von Landschaft für Wanderungsbewegungen in den ländlichen Raum der Schweiz
Christian Zäch
Tobias Schulz
Fabian Waltert
Marco Pütz
Herausgeberin
Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL CH-8903 Birmensdorf
Heft 22, 2015
WSL Berichte
ISSN 2296-3456
Landscape and Amenity Migration
Die Rolle von Landschaft für Wanderungsbewegungen in den ländlichen Raum der Schweiz
Christian Zäch
Tobias Schulz
Fabian Waltert
Marco Pütz
Verantwortlich für die Herausgabe der Schriftenreihe Prof. Dr. Konrad Steffen, Direktor WSL
Verantwortlich für dieses Heft
PD Dr. Irmi Seidl, Leiterin Forschungseinheit Wirtschafts- und Sozialwissenschaften
Zitiervorschlag
Zäch, C.; Schulz, T.; Waltert, F.; Pütz, M., 2015: Landscape and Amenity Migration:
Die Rolle von Landschaft für Wanderungsbewegungen in den ländlichen Raum der Schweiz. WSL Ber. 22: 58 S.
PDF Download: www.wsl.ch/publikationen/pdf/14238.pdf
ISSN 2296-3448 gedruckt, 2296-3456 elektronisch
Christian Zäch, WSL Tobias Schulz, WSL Fabian Waltert, WSL
Marco Pütz, WSL (Projektleitung)
Kontakt
Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL CH-8903 Birmensdorf
E-Mail: marco.puetz@wsl.ch Tel. 044 739 26 98
Dank
Wir danken der WSL und dem Bundesamt für Umwelt für die finanzielle Unterstützung des Projektes.
Fotos Umschlag: Baldeggersee (LU), Birri (AG), Flughafen Mollis (GL), Giessen (SG), Muri (AG), Niederurnen (GL) © Silvia Tobias
© Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL, Birmensdorf, 2015
Inhaltsverzeichnis
Einleitung ... 7
1 1.1 Ausgangslage und Motivation ... 7
1.2 Ziele, Forschungsfragen und Aufbau ... 8
Rückwanderung und Amenity Migration: Stand der Forschung ... 10
2 2.1 Rückwanderung ... 10
2.2 Amenities als Treiber für Rückwanderung ... 11
Deskriptive Analyse der Zu-‐ und Rückwanderung in den ländlichen Raum der Schweiz ... 13
3 3.1 Methodik ... 13
3.2 Quantifizierung der Zu-‐ und Rückwanderung in den ländlichen Raum der Schweiz: Tabellen ... 15
3.3 Quantifizierung der Zu-‐ und Rückwanderung in den ländlichen Raum der Schweiz: Karten ... 20
3.4 Soziodemographische und -‐ökonomische Auswertung der Individualdaten aus der Volkszählung ... 23
3.5 Herkömmliche Standortfaktoren: Vergleich Rückwanderer und Neuzuzüger ... 26
3.6 Landschaft als Standortfaktor: Der Landschaftsfaktoren-‐Index als Konzept zur gesamtschweizerisch vergleichbaren Messung der Landschaftsqualität ... 31
Modellierung der Zuwanderung in den ländlichen Raum: Unterscheidung von Neuzuzügern 4 und Rückwanderern ... 40
4.1 Methodik: Logit-‐Modell zur Unterscheidung von Rückwanderern und Neuzuzügern ... 40
4.2 Resultate des binären Logit-‐Modells ... 41
Schlussfolgerungen ... 49
5 Literatur ... 50
Anhang ... 53
6 6.1 Binnenmigrationsströme im ländlichen Raum ... 53
6.2 Raumtypologien für die Schweiz gemäss ARE und BFS ... 54
6.3 Übersicht der Variablen im Regressionsmodell ... 55
6.4 Migrationsbewegungen der im ländlichen Raum geborenen Bevölkerung ... 58
Abstract
Landscape and Amenity Migration: The Role of Landscape as a Driver of Immigration to Rural Switzerland
In this study, domestic return migration from agglomerations to rural areas is examined for all of Switzerland for the first time. Using Swiss census data, a definition of return migration was devel-‐
oped which takes into account the small-‐scale situation in Switzerland and allows a comparison of return and new migrants to rural areas. The main goal of this study was to distinguish these two types of migration in terms of personal characteristics and location factors. Of particular interest is the influence of landscape quality on the migration decision.
Looking at migratory moves from agglomerations to rural areas (comparing place of residence in 1995 and 2000) shows that about 16% can be considered as return moves. Return migrants as well as new migrants most often moved to peri-‐urban areas near agglomerations. The proportion of return migrants is larger in peripheral areas than in peri-‐urban areas. Taking all domestic moves between 1995 and 2000 into account reveals that only peri-‐urban areas gained in population from domestic migration. All other areas (agglomerations, peripheral areas) experienced more domestic emigration than immigration.
The descriptive analysis of internal migration to rural areas shows that new migrants and return migrants are very similar in terms of socioeconomic and sociodemographic characteristics. The largest differences can be observed in their levels of education.
Concerning location factors, the accessibility of agglomerations is important for both types of mi-‐
grants. New migrants tend to move to more accessible peri-‐urban areas than return migrants do.
Comparing the place of origin of new and return migrants within agglomerations (in 1995) reveals that return migrants lived in the central communities of the agglomerations more frequently. Differ-‐
ences between the two migration groups in terms of their labor market situation can be observed, but they are rather small: new migrants move slightly more often to regions with more attractive labor markets.
The influence of landscape quality on the locational choice within the rural area is measured using a
“landscape factor index”, which tries to capture “landscape quality” objectively. In most cases, both new and return migrants experienced an improvement of the landscape factor index by moving from an agglomeration to a rural area. On average, this improvement is slightly larger for new migrants than for return migrants.
The investigated variables in the descriptive analysis were included in a binary regression model to distinguish new from return migrants. The results confirmed the relationships observed in the de-‐
scriptive analysis. However, the model is not able to sufficiently discriminate between return and new migrants. This is probably due to the lack of central explanatory factors known to be influencing domestic migration decisions. In particular, factors relating to the real estate market or social as-‐
pects, such as proximity to family, are missing. These factors could not be measured with individual-‐
level data from the Swiss census.
Zusammenfassung
In dieser Studie werden erstmals gesamtschweizerisch Wanderungsbewegungen aus den Agglomera-‐
tionen in den ländlichen Raum der Schweiz untersucht. Im ersten Teil werden diese Rückwande-‐
rungsströme definiert und auf Grundlage der Volkszählungs-‐Personendaten detailliert deskriptiv analysiert. Im zweiten Teil wird die Rolle der Landscape Amenities als Treiber dieser Rückwanderung mit einem ökonometrischen Modell geschätzt.
Für die deskriptive Analyse der Zuwanderung in den ländlichen Raum werden Rückwanderer von Neuzuzügern unterschieden. Die Studie zeigt, dass von der gesamten Binnenmigration aus den Ag-‐
glomerationen in den ländlichen Raum (Vergleich des Wohnorts 1995 und 2000) rund 16 Prozent als Rückwanderung bezeichnet werden können. In periurbane, agglomerationsnahe Gebiete ziehen sowohl am meisten Rückwanderer als auch Neuzuzüger. In peripheren Regionen ist der Anteil von Rückwanderern grösser als in periurbanen Gebieten. Werden sämtliche Binnenwanderungsströme zwischen 1995 und 2000 betrachtet, weist nur der periurbane Raum eine positive Nettowanderungs-‐
bilanz auf. Alle anderen Raumtypen verlieren aufgrund von Binnenwanderungsbewegungen Einwoh-‐
ner. Weiter zeigen die Ergebnisse, dass sich Neuzuzüger und Rückwanderer kaum hinsichtlich ihrer sozioökonomischen und soziodemographischen Merkmale unterscheiden. Die grössten Unterschiede zeigt das Ausbildungsniveau. Die Erreichbarkeit von Agglomerationen ist sowohl für Rückwanderer als auch für Neuzuzüger wichtig, wobei Neuzuzüger im Vergleich zu Rückwanderern etwas häufiger in gut erreichbare periurbane Regionen ziehen. Werden die Herkunftsorte von Neuzuzügern und Rück-‐
wanderern innerhalb der Agglomerationen (1995) verglichen, ist erkennbar, dass Rückwanderer vermehrt in Zentrumsgemeinden wohnen. Neuzuzüger ziehen etwas häufiger in Regionen mit einem attraktiveren Arbeitsmarkt. Der Einfluss der Landschaftsqualität auf die Wohnortwahl im ländlichen Raum wird in dieser Studie mit einem Landschaftsfaktoren-‐Index gemessen, der «Landschaftsquali-‐
tät» objektiv zu erfassen versucht. Es zeigt sich, dass sowohl Rückwanderer als auch Neuzuzüger durch die Migration von einer Agglomerationsgemeinde aufs Land in den meisten Fällen eine Verbes-‐
serung des Landschaftsfaktoren-‐Index erfahren. Bei den Neuzuzügern ist diese Verbesserung im Durchschnitt jedoch etwas grösser als bei den Rückwanderern.
Die in der deskriptiven Analyse untersuchten Variablen fliessen in ein binäres Regressionsmodell zur Unterscheidung von Neuzuzügern und Rückwanderern. Das Modell bestätigt die Ergebnisse der deskriptiven Analyse. Erstmals wurde die Rolle der lokalen Landschaftsqualität explizit in den Mittel-‐
punkt eines Regressionsmodells gestellt, das gesamtschweizerisch mit Individualdaten aus der Volkszählung arbeitet. Weitere Einflussfaktoren für die Binnenmigrationsentscheidungen wie z.B. der Immobilienmarkt familiäre Beziehungen konnten mit diesen Daten nicht untersucht werden.
Insgesamt liefert das Projekt wichtige empirische Erkenntnisse für die Landschaftsforschung, Sied-‐
lungsentwicklung und Regionalentwicklungspolitik, indem das Verständnis der Determinanten von Wanderungsbewegungen verbessert wurde. Das Projekt leistet nicht zuletzt einen Beitrag zur Ver-‐
besserung von Bevölkerungs-‐, Regionalentwicklungs-‐ und Landnutzungsszenarien.
Einleitung 1
1.1 Ausgangslage und Motivation
Die Schweiz verzeichnete über die vergangenen Jahrzehnte ein im europäischen Vergleich relativ kräftiges Bevölkerungswachstum (1990–2010: 0,8% pro Jahr) – hauptsächlich aufgrund der andau-‐
ernden Zuwanderung aus dem Ausland. Dabei sind insgesamt nicht nur die Zentren und ihr unmittel-‐
bares Umland gewachsen. Auch im ländlichen Raum ist eine beachtliche Bevölkerungsdynamik zu beobachten. Allerdings verläuft die Bevölkerungsentwicklung innerhalb des ländlichen Raums nicht einheitlich. Während vor allem periurbane Gebiete rasch wachsen, stagnieren oder schrumpfen viele ländlich-‐periphere Regionen aufgrund von Abwanderung und Überalterung (vgl. ARE 2006;
regiosuisse 2010).
Neben der Zuwanderung aus dem Ausland sind für viele Regionen der Schweiz die Binnenwanderun-‐
gen mitentscheidend. Durch fallende Transportkosten, technischen Fortschritt, Globalisierung und ortsunabhängige Einkommen steigt die Mobilität von Haushalten und Unternehmen. Gleichzeitig sorgt die zunehmende Verstädterung und Zersiedelung für eine Verknappung von natürlichen Land-‐
schaften und traditionellem Kulturland (s. auch Jaeger et al. 2011; Roth et al. 2010). Diese Verknap-‐
pung führt zusammen mit dem steigenden Wohlstandsniveau zu einer erhöhten Nachfrage nach Wohngebieten mit hoher Landschaftsqualität, Freiflächen und Naherholungsräumen (vgl. Waltert und Schläpfer 2010; Waltert et al. 2011). Der steigende Stellenwert dieser nichtökonomischen Attri-‐
bute und die fallenden Kosten der Mobilität könnten ländlichen Regionen, welche gemessen an den traditionellen Standortfaktoren wenig konkurrenzfähig sind, neue Entwicklungschancen bieten (vgl.
Green et al. 2005). Die internationale Literatur spricht in diesem Zusammenhang von Amenity Migra-‐
tion, d.h. von Migration, welche weniger durch ökonomische Faktoren, sondern durch räumliche Unterschiede in der Lebensqualität getrieben wird. Relevante standortspezifische Attribute der Lebensqualität sind dabei z.B. das Klima oder die lokale Landschaftsqualität (Landscape Amenities).
Tatsächlich sind verschiedene internationale Studien zum Resultat gekommen, dass die Amenities einen grossen Teil der Zuwanderung in ländliche Gebiete erklären (McGranahan 2008; Rasker und Hansen 2000). Erste Untersuchungen zeigen, dass Gemeinden mit attraktiven Landschaftsressourcen auch in der Schweiz tendenziell stärker wachsen (Waltert et al. 2011). Welche Regionen davon profi-‐
tieren, welche Landschaftsattribute relevant sind und welche Personen von Regionen mit hoher Landschaftsqualität angezogen werden, ist noch weitgehend unbekannt. Damit diese Fragen beant-‐
wortet werden können, müssen zuerst die Wanderungsströme genauer analysiert werden. Zwar gibt es bereits Studien zu Wanderungen in den ländlichen Raum (z.B. ARE 2006), doch lassen diese einige wichtige Fragen unbeantwortet. Insbesondere ermöglichen diese Studien kaum räumlich differen-‐
zierte Aussagen über die Herkunfts-‐ und Zieldestinationen der Wanderer sowie deren persönliche Merkmale (Alter, Bildung, Erwerbsstatus). Ausserdem gibt es in der Schweiz keine Informationen zu Rückwanderung. Rückwanderer sind Personen, welche in die Region zurückkehren, in welcher sie aufgewachsen und die sie zwischenzeitlich verlassen haben. Verschiedene ausländische Studien (z.B.
Foeken 1980; Kauhanen und Tervo 2002; Pekkala 2003) haben gezeigt, dass diese Wanderungen einen grossen Teil der Zuwanderung in ländlich-‐periphere Regionen ausmachen.
Die Schweiz eignet sich hervorragend, um die Rolle von Landscape Amenities als Treiber der Migrati-‐
on in den ländlichen Raum zu analysieren. Sie ist von einem hohen Mass an landschaftlicher und
institutioneller Heterogenität gezeichnet und weist eine sehr gute Verfügbarkeit von demografischen und sozioökonomischen Daten auf. Die Verfügbarkeit georeferenzierter Daten zu Landschaft und Landnutzung hat sich in den letzten Jahren deutlich verbessert. Neben der etablierten Arealstatistik, den Bundesinventaren und den Daten zu Pärken und Schutzgebieten sind in der Landschaftsbe-‐
obachtung Schweiz LABES (Roth et al. 2010) unter Mitwirkung der WSL neue Landschaftsindikatoren entwickelt worden, die teilweise auch die subjektive und objektive Landschaftsqualität widerspiegeln (s. auch Kienast 2011; Schwick und Spichtig 2012).
1.2 Ziele, Forschungsfragen und Aufbau
Das dem Bericht zugrundeliegende Forschungsprojekt besteht aus zwei Teilen mit unterschiedlichen Zielen und Forschungsfragen. Im ersten Teil werden die Wanderungsbewegungen in den ländlichen Raum1 auf Grundlage der Volkszählungs-‐Personendaten detailliert analysiert. Im zweiten Teil geht es darum, die Rolle der Landscape Amenities als Treiber dieser Wanderungen mit einem ökonometri-‐
schen Modell zu schätzen. Im Folgenden werden die beiden Teile und ihre Ziele und Fragestellungen detaillierter beschrieben.
Teil 1: Analyse der Wanderungsströme in den ländlichen Raum der Schweiz
Ziel von Teil 1 ist eine systematische Untersuchung und Quantifizierung der Wanderungsströme im ländlichen Raum der Schweiz. Damit soll die Datengrundlage für die Analyse der Rolle der Landscape Amenities als Treiber der Migrationsströme (Teil 2) geschaffen werden. Zusätzlich hilft Teil 1, diverse Wissenslücken zur Demographie des ländlichen Raums anhand der Volkszählungs-‐Personendaten zu schliessen. Insbesondere werden Rückwanderungsbewegungen in den ländlichen Raum erstmals detailliert beschrieben.
Im Teil 1 werden folgende Forschungsfragen beantwortet:
F1.1: Welche Regionen des ländlichen Raums ziehen wie viele Zuwanderer an?
• Zuwanderung/Abwanderung/Nettowanderung nach MS-‐Regionen und Raumtyp (periurbaner ländlicher Raum, peripherer ländlicher Raum, Alpine Tourismuszentren)
• Anteil Neuzuzüger/ Rückwanderer nach MS-‐Regionen und Raumtyp.
F1.2: Welche persönlichen Merkmale zeichnen die Zuwanderer aus? Alter, Bildungsstand, Erwerbs-‐
status.
Die Resultate aus der Bearbeitung dieser Forschungsfragen dienen dazu, das ökonometrische Modell (Teil 2) zu spezifizieren. Die generierten Datensätze zur Zuwanderung in Gemeinden des ländlichen Raums fliessen als abhängige Variablen in diese Modelle ein. Ausserdem liefern die Informationen über die räumlichen Muster der Wanderungsströme, den Wanderungstyp und die persönlichen Merkmale der Wanderer erste Hinweise auf die Motivation der Zuwanderer, die Determinanten der Wanderungsströme und die relevanten Standortfaktoren.
1 Es wird die Raumtypologie des Bundesamts für Raumentwicklung ARE (2005) verwendet, welche den ländlichen Raum in die drei Hauptkategorien «Periurbaner ländlicher Raum», «Alpine Tourismuszentren» und «Peripherer ländlicher Raum» unterteilt. Diese Hauptkategorien lassen sich weiter unterteilen (siehe Karte im Anhang 6.2).
Teil 2: Treiber der Zuwanderung in den ländlichen Raum (Fokus: Landscape Amenities)
Auf Basis der in Teil 1 gewonnenen Erkenntnisse zur Zu-‐ und Rückwanderung in den ländlichen Raum wird in Teil 2 ein Regressionsmodell entwickelt, das die Determinanten der Wanderungsströme für Neuzuzüger und Rückwanderer in den ländlichen Raum untersucht. Der Fokus liegt dabei auf der Rolle der lokalen Landschaftsqualität als Pull-‐Faktor in den Zieldestinationen dieser beiden Migrati-‐
onstypen. Die verwendeten Volkszählungs-‐Personendaten erlauben eine Verknüpfung mit den per-‐
sönlichen Merkmalen der Wanderer. Mit dem Logit-‐Schätzmodell kann analysiert werden, welche sozioökonomischen und demographischen Attribute entscheidend sind für die relative Bedeutung der «Amenities» als Standortfaktoren im Vergleich mit traditionellen Standortfaktoren und Arbeits-‐
marktvariablen.
Im Teil 2 werden folgende Forschungsfragen beantwortet:
F2.1: Welche Rolle spielt die lokale Landschaftsqualität als Treiber der Zuwanderung in ländliche Gemeinden der Schweiz? Welchen Einfluss hat die lokale Landschaftsqualität? Was lässt sich aus dem Vergleich mit traditionellen Standortfaktoren (Erreichbarkeit, Arbeitsmarkt) schliessen?
F2.2: Für welche Wanderer haben Landscape Amenities eine vergleichsweise hohe Bedeutung? Wie unterscheiden sich Neuzuwanderer von Rückwanderern hinsichtlich des Einflusses persönlicher Merkmale oder der Herkunfts-‐ und Zielregionen.
Die Resultate aus Teil 2 stellen einen wichtigen Beitrag zur Weiterentwicklung der internationalen Literatur zu Amenity Migration dar. Da die Untersuchung auf der Individualebene erfolgt, erlaubt sie einerseits die Kontrolle wichtiger demographischer Eigenschaften der Individuen. Andererseits ist eine Untersuchung von Kontextvariablen möglich, wie z.B. Unterschiede zwischen Herkunfts-‐ und Zielorten betreffend den Arbeitsmarkt oder die Landschaftsqualität. So ist es möglich abzuschätzen, wie gross der Einfluss der (regional gemessenen) Landschaftsqualität für den Rückwanderungsent-‐
scheid ist, im Vergleich zu ökonomischen Eigenschaften der Region und im Vergleich zu persönlichen Charakteristika.
Der Bericht gliedert sich in zwei Teile. Nach einem kurzen Überblick über den Stand der Forschung zum Thema Rückwanderung und Amenity Migration (Kapitel 2) wird im ersten Teil des Berichts die Zu-‐ und Rückwanderung in den ländlichen Raum der Schweiz mit Daten der Bevölkerungsstatistik und der Volkszählung deskriptiv untersucht (Kapitel 3). Anhand von Tabellen, Karten und Diagrammen wird dargelegt, welche Regionen stark von Zu-‐ und/oder Rückwanderung profitieren und wie sich Neuzuzüger und Rückwanderer hinsichtlich sozioökonomischer und soziodemographischer Merkmale sowie Zielregionen unterscheiden. Im zweiten Teil dieses Berichts wird die Zu-‐ und Rückwanderung in den ländlichen Raum der Schweiz modelliert (Kapitel 4). Mit einer Regressionsanalyse wird anhand von verschiedenen Variablen zu persönlichen Merkmalen (Volkszählung) sowie regionalen Daten zu ökonomischen Standortfaktoren und Landscape Amenities geschätzt, wie sich Rückwanderer von Neuzuzügern unterscheiden. Abschliessend wird in den Schlussfolgerungen der weitere Forschungs-‐
bedarf skizziert (Kapitel 5).
Rückwanderung und Amenity Migration: Stand der Forschung 2
2.1 Rückwanderung
Als Rückwanderer werden Personen bezeichnet, welche die Region, in der sie aufgewachsen sind, verlassen haben und nach einiger Zeit wieder in diese Region zurückkehren. Das Phänomen der Rückwanderung wird in der Literatur grösstenteils im Zusammenhang mit internationalen Wande-‐
rungsströmen untersucht, nur ein relativ kleiner Teil der Migrationsliteratur befasst sich mit Rück-‐
wanderung innerhalb von Nationalstaaten (von Reichert 2002). Studien zur internationalen Rück-‐
wanderung befassen sich meist mit Wanderungsbewegungen, welche aufgrund besserer Arbeits-‐
oder Ausbildungsbedingungen in anderen Ländern stattfinden (Constant und Massey 2002;
Dustmann et al. 2011; Dustmann und Weiss 2007).
Rückwanderung findet auch im nationalen Kontext statt. Studien aus anderen Ländern haben gezeigt, dass Rückwanderung gerade im ländlichen Raum einen nicht zu vernachlässigenden Anteil an der Zuwanderung ausmachen kann. Die Beweggründe, in eine ländliche Region zurückzukehren, sind jedoch vielfältig (Bijker et al. 2012; Foeken 1980; Kauhanen und Tervo 2002; Lundholm 2012;
Niedomysl und Amcoff 2011; Pekkala 2003; von Reichert 2002; von Reichert et al. 2012). Insbesonde-‐
re untersuchen verschiedene Studien einzelne Altersgruppen – hauptsächlich Rentner und junge Erwachsene – um ihre Beweggründe zur Rückwanderung zu klären (Jauhiainen 2009; Poudyal et al.
2008). Auf diese Rückwanderungsentscheidung haben offensichtlich Alter und Ausbildungsniveau sowie der Wunsch, der eigenen Familie wieder näherzukommen oder in einer ländlichen Idylle zu wohnen einen Einfluss (Haartsen und Thissen 2013). Eine Untersuchung zu den Motiven von Perso-‐
nen in Deutschland, die vom Westen in den Osten zurück ziehen, zeigte, dass für den Entscheid zurückzuwandern Aspekte wie Nähe zu Freunden, Familiensituation und «allgemeine Lebenssituati-‐
on» wichtiger eingestuft werden als eigene Karrieremöglichkeiten und das Einkommen (Nadler und Wesling 2013). Nach von Reichert (2002) unterscheiden sich Rückwanderer und Neuzuzüger in ländli-‐
che Regionen hinsichtlich ihrer Beweggründe und sozio-‐ökonomischen Charakteristiken kaum, wie eine Untersuchung aus Montana zeigt.
In der Schweiz wurde das Phänomen Rückwanderung wissenschaftlich bislang kaum bearbeitet. Eine Ausnahme bildet Rérat (2013, 2014), der Rückwanderung im Kanton Jura untersucht hat. Rérat (2013) beschränkte sich bei der Auswahl der Personen auf junge Hochschulabsolventen, die nach dem Studium zurück in den Kanton Jura zogen. Als Hauptmotiv zur Rückwanderung gaben 34 Prozent der Befragten Jobangebote an, gefolgt von Nähe zu Familie und Freunden (25%). Bei der Frage zur Wichtigkeit verschiedener Faktoren zur Rückwanderung nannten knapp 75% die Nähe zu Familie und Freunden als wichtig oder sehr wichtig, gefolgt von Jobangeboten (74%), ländliches Umfeld (73%) und Verbundenheit zum Ort (70%). Interessanterweise wurde die Erreichbarkeit mit ÖV und MIV nur von 14 Prozent als wichtig oder sehr wichtig eingestuft (Rérat, 2013: 7). Werden diese Antworten mit den in vorliegender Studie erfassten Variablen verglichen, ist schnell zu sehen, dass z.B. die beiden Kategorien Nähe zu Familie und Freunden sowie Verbundenheit zum Ort nicht abgedeckt sind, weil hier der Fokus auf Landschaftsattributen liegt. Auch Studien aus dem Ausland betonen häufig die Nähe zu Familie und Freunden und Ortsverbundenheit als sehr wichtige Motive zur Rückwanderung in den ländlichen Raum (Niedomysl und Amcoff 2011; von Reichert 2002).
Um Rückwanderung innerhalb eines Nationalstaates zu erfassen, wird meist der aktuelle Wohnort mit dem Wohnort vor z.B. fünf Jahren sowie dem Geburtsort verglichen (Newbold 2001; Newbold
und Bell 2001). Ein Rückwanderer ist demzufolge eine Person, die aktuell in derselben Region wie bei Geburt wohnt, dazwischen jedoch in einer anderen Region wohnte. Allerdings ist die Tatsache zu beachten, dass der Wohnort bei Geburt nicht zwingend dem entspricht, was von den Personen als
«Heimatregion» bezeichnet wird. Unter dem Begriff «Heimatregion» ist in der Regel der Ort zu verstehen, an dem Personen aufgewachsen und zur Schule gegangen sind, d.h. eine soziale Bindung besteht. Diese Heimatregion entspricht nur dann der Geburtsregion, wenn im frühen Kindesalter kein Umzug stattfand. Aus diesem Grund wird Rückwanderung teilweise nicht anhand des Geburtsortes, sondern anhand eines zweiten fest definierten Zeitpunktes in der Vergangenheit betrachtet. So wird z.B. der aktuelle Wohnort, der Wohnort vor einem Jahr und der Wohnort vor fünf Jahren verglichen (Newbold 2001).
2.2 Amenities als Treiber für Rückwanderung
Um Zuwanderungsströme in ländliche Regionen zu erklären, werden seit einiger Zeit Amenities dieser Region als Pull-‐Faktoren genauer analysiert. Vor allem in Nordamerika spielt Amenity Migrati-‐
on in ländliche Regionen eine nicht zu vernachlässigende Rolle (Chi und Marcouiller 2012, 2013;
Gunderson et al. 2008; McGranahan 2008; Mueser und Graves 1995). Unter Amenities werden standortspezifische Attribute der Lebensqualität verstanden, zu denen u.a. das Klima und die lokale Landschaftsqualität gehören. Eine gute Übersicht über die verschiedenen Landschaftselemente, die zur Messung von Amenities benutzt werden können, geben Waltert und Schläpfer (2010) sowie Waltert et al. (2011).
In Europa wurde Amenity Migration bislang wenig untersucht (vgl. Müller 2006; Perlik 2006;
Steinicke et al. 2011; Waltert et al. 2011). Nach Perlik (2010) ist das Konzept der Amenity Migration in der Schweiz schwierig anzuwenden, weil es nicht zwischen permanenter und temporärer Migrati-‐
on sowie Zweit-‐ und Hauptwohnsitzen unterscheidet. Die Europäischen Alpen sind eine ländliche,
„Amenity-‐reiche“ Landschaft, die im Vergleich zu anderen Berggebieten sehr gut erschlossen ist. In der kleinräumigen Schweiz liegen das urbane Mittelland und der ländliche Raum nahe beieinander und sind dank eines gut ausgebauten Verkehrsnetzes schnell erreichbar. Personen, die aus der Stadt in die Berge ziehen, würden darum ihren Wohnsitz in der Stadt behalten. Es bleibt damit schwierig, Amenity Migration von anderen Formen der Mobilität wie Tourismus und Freizeit in „Amenity-‐
reiche“ Gebiete zu unterscheiden. Perlik (2006: 226) bezeichnet nur Wanderungsbewegungen, die eine ständige Wohnsitzverlagerung in den nicht-‐periurbanen2 Raum der Alpen beinhalten, als Ameni-‐
ty Migration. Hingegen zählt er Personen mit Zweitwohnungen in den Alpen sowie Personen, die ihren Hauptwohnsitz in den ländlichen periurbanen Raum in Pendlerdistanz der Metropolitanregio-‐
nen verlagern, nicht als Amenity Migrants.
In diesem Projekt geht es primär jedoch nicht darum, Amenity Migration von anderen Formen der Migration zu unterscheiden. Vielmehr geht es darum festzustellen, ob eine «schöne» Landschaft überhaupt einen Einfluss auf Neuzuzüger und Rückwanderer in den ländlichen Raum hat und wie gross dieser Einfluss im Vergleich zu anderen Faktoren ist. Es werden zudem ausschliesslich Verlage-‐
2 Perlik (2006) spricht in seinem Artikel zu Amenity Migration im Europäischen Alpenraum in allgemeiner Form vom periurbanen Raum oder von Periurbanisierungsprozessen. Der periurbane Raum nach Perlik entspricht jedoch nicht dem periurbanen Raum gemäss Raumtypologie für den ländlichen Raum der Schweiz vom Bun-‐
desamt für Raumentwicklung ARE (vgl. ARE 2000 ).
rungen des Hauptwohnsitzes analysiert. Ob diese Wohnsitzverlagerungen nun in den ländlichen Raum der Alpen oder des Mittellandes stattfindet, spielt für die vorliegende Untersuchung keine Rolle, um den Einfluss der lokalen Landschaftsqualität auf die Zuwanderung zu untersuchen.
Teilweise wird in der Literatur zwischen Amenity Migrants und Amenity-‐led Migrants unterschieden.
Amenity Migrants sind Personen, die tatsächlich wegen den Amenities in eine Region ziehen, wohin-‐
gegen Amenity-‐led Migrants Personen sind, die aufgrund von Verdienstmöglichkeiten, welche durch die lokalen Amenities ausgelöst werden (also z.B. im Tourismussektor) in die Region migrieren (Moss 2006: 10). Diese Unterscheidung ist in vorliegender Studie jedoch nicht möglich, da ausschliesslich Volkszählungsdaten ausgewertet werden.
Deskriptive Analyse der Zu-‐ und Rückwanderung in den ländlichen 3 Raum der Schweiz
3.1 Methodik
In diesem Projekt wurden keine Daten erhoben sondern ausschliesslich Daten aus der Volkszählung 2000 ausgewertet. Wenn Informationen zur Herkunfts-‐ und Zielregion von Migranten auf Gemeinde-‐
ebene sowie deren sozioökonomischen Charakterisierungen auf Individualebene zur Erklärung von Binnenmigrationsströmen beigezogen werden, ist es in der Schweiz nur mit Volkszählungsdaten möglich, landesweite Aussagen zur Binnenmigration zu machen. Zwar werden seit der Einführung der STATPOP-‐Statistik im Jahre 2010 sämtliche Wohnortswechsel erfasst, eine Angabe zum Wohnort bei Geburt ist jedoch nicht enthalten. Aufgrund der fehlenden Angabe zum Geburtsort, der kurzen Zeitspanne sowie den nur spärlich verfügbaren Informationen zu sozioökonomischen und soziode-‐
mographischen Merkmalen der Migranten, eignen sich die STATPOP Daten jedoch nicht zur Untersu-‐
chung von Zu-‐ und Rückwanderungsströmen in den ländlichen Raum.
Die Analyse von Rückwanderungsströmen findet in der Literatur meist in relativ grossen räumlichen Grössenordnungen und folglich über weite Distanzen statt – Grössenordnungen und Wanderungs-‐
bewegungen die mit der Schweiz aufgrund ihrer geringen Fläche und kleinräumigen natürlichen und administrativen Grenzen nicht verglichen werden können. Zum Beispiel wird Rückwanderung in Kanada meist auf Ebene der Provinzen und in den USA auf Ebene der Bundesstaaten analysiert (Newbold 1996; von Reichert 2002). Auch wenn in der Schweiz Rückwanderung z.B. auf Ebene der Kantone untersucht werden könnte, macht dies für das vorliegende Projekt wenig Sinn, weil alle Kantone sowohl ländliche als auch urbane Gemeinden aufweisen. Im Fokus dieser Untersuchung stehen jedoch ländliche Regionen und nicht einzelne (grossregionale) administrative Gebietskörper-‐
schaften wie Bezirke oder Kantone. Aus diesem Grund musste für dieses Projekt zuerst eine Definiti-‐
on für Rückwanderung entwickelt werden, welche den besonderen Gegebenheiten der kleinräumi-‐
gen Schweiz gerecht wird, um überhaupt von Rückwanderung in ländliche Regionen sprechen zu können.
In diesem Projekt werden unter Rückwanderern in den ländlichen Raum alle Personen verstanden, die von einer ländlichen Gemeinde in eine Agglomerationsgemeinde und zurück in eine ländliche Gemeinde in ihrer Geburtsregion migriert sind. Die Geburtsgemeinde muss dabei in maximal 20 Minuten mit dem motorisierten Individualverkehr (MIV) erreichbar sein. In Tabelle 1 wird dieser Zusammenhang verdeutlicht: zieht eine Person aus der Agglomeration (Wohnort 1995) in Wohnort A wird sie als Rückwanderer gezählt, zieht sie in Wohnort B oder wurde sie in einer Agglomeration geboren wird sie als Neuzuzüger gezählt. Die Informationen zu den Geburtsorten, Wohnorten im Jahr 1995 und 2000 (Abbildung 1: Wohnort A oder B) sind in der Volkszählung 2000 erfasst worden. Die Definition der Rückwanderung über die zeitliche Entfernung der aktuellen Wohngemeinde von der Geburtsgemeinde (max. 20 Minuten) ergibt für jede ländliche Gemeinde der Schweiz eine spezifische ländliche «Heimatregion», welche aus allen umliegenden ländlichen Gemeinden besteht, die inner-‐
halb von 20 Minuten mit dem MIV erreicht werden können. Dadurch können «Fehlklassierungen»
umgangen werden, die sich z.B. bei einer Definition über Bezirke ergeben könnten. Bei einer Definiti-‐
on der Rückwanderung über den Geburtsbezirk wäre es denkbar, dass die Geburtsgemeinde einer Person an einer Bezirksgrenze liegt. Zieht diese Person nun zurück in eine Nachbargemeinde, welche jedoch im angrenzenden Bezirk liegt, würde sie nicht als Rückwanderer in die Heimatregion gezählt.
Eine solche Person nicht als Rückwanderer in die Heimatregion zu zählen, scheint wenig plausibel.
Diese «Heimatregionen» sind natürlich gerade im Vergleich zu Rückwanderungsstudien aus Nord-‐
amerika extrem klein. Eine Definition in dieser Art ist jedoch notwendig, um Rückwanderer von Neuzuzügern in den ländlichen Raum unterscheiden zu können, wenn der ländliche Raum anhand der Raumtypologie des ARE auf Ebene der Gemeinden definiert wird.
Tabelle 1: Kriterien zur Unterscheidung von Rückwanderern und Neuzuzügern in den ländlichen Raum.
Abgrenzungskriterium Neuzuzüger Rückwanderer
Aktueller Wohnort (2000) Ländliche Gemeinde Ländliche Gemeinde
Wohnort vor 5 Jahren (1995) Agglomerationsgemeinde in CH Agglomerationsgemeinde in CH Geburtsgemeinde Geburt im Ausland oder in einer
Agglomerationsgemeinde (CH) oder in einer ländlichen Gemeinde (CH), die weiter als 20 Minuten Reisezeit mit MIV oder weiter als 10 km vom aktuellen Wohnort entfernt ist.
Ländliche Gemeinde (CH), die maxi-‐
mal 20 Minuten Reisezeit MIV oder 10 km vom aktuellen Wohnort ent-‐
fernt ist.
In Tabelle 1 ist zusätzlich zur 20-‐Minuten-‐MIV-‐Definition als Alternative das Kriterium maximal 10 km Entfernung vom Geburtsort zur Klassierung als Rückwanderer erwähnt. Diese Erweiterung der Defini-‐
tion wurde eingeführt, um der speziellen Situation in Bergtälern gerecht zu werden: So ist es bei-‐
spielsweise denkbar, dass jemand in sein Nachbardorf auf der anderen Talseite zurückzieht, dazwi-‐
schen jedoch keine Strassenverbindung besteht. Mit dem Auto würde die Fahrzeit möglicherweise länger als 20 Minuten dauern, das Dorf liegt jedoch nur 2 km vom Geburtsort entfernt. Was von einer Person als Heimatregion bezeichnet wird, kann nicht abschliessend definiert werden. Die zeitliche Abgrenzung von 20 Minuten Fahrzeit mit dem MIV kann erweitert oder eingeschränkt werden, die Anzahl Rückwanderer vergrössert oder verkleinert sich entsprechend. Nach Ansicht der Autoren sind jedoch 20 Minuten Fahrzeit eine Grössenordnung, welche es Personen erlaubt, Verwandte und Bekannte in der näheren Umgebung relativ «häufig» zu treffen – nicht nur am Wochenende sondern auch unter der Woche nach der Arbeit. Um Reisezeiten mit dem MIV zwischen aktuellem Wohnort
Abbildung 1: Rückwanderungsdefinition.
und Geburtsort zu ermitteln, wurden Daten des Verkehrsmodells 2000 vom Bundesamt für Raum-‐
entwicklung (ARE) mit den Personendaten der Volkszählung 2000 verknüpft. Die in dieser Studie verwendete Definition des ländlichen Raumes bezieht sich auf die problem-‐ und potenzialorientierte Raumtypologie des ARE. Der ländliche Raum gemäss ARE setzt sich aus allen Gemeinden der Schweiz zusammen, welche gemäss Agglomerationsdefinition aus dem Jahr 2000 keiner Agglomeration angehören. Diese Typologie besteht aus vier Haupt-‐ und elf Unterkategorien (vgl. ARE 2000) und ist im Anhang (6.2) dargestellt. In diesem Projekt stehen Wanderungsbewegungen zwischen Agglomera-‐
tionen und ländlichem Raum im Vordergrund. Die Unterscheidung ländliche Gemeinden und Agglo-‐
merationsgemeinden gemäss Agglomerationsdefinition 2000 wird mit Ausnahme der alpinen Tou-‐
rismuszentren innerhalb von Agglomerationen konsequent eingehalten. Diese acht Gemeinden3 werden in dieser Studie immer als Agglomerationsgemeinden gezählt und sind somit nicht Bestand-‐
teil des ländlichen Raumes. Die in den folgenden Kapiteln verwendeten Übersichten zu Migrations-‐
bewegungen auf Grundlage der Raumtypologie des ARE verwendet darum auf der genaueren Unter-‐
scheidung der Raumkategorien nicht elf, sondern lediglich zehn Klassen, weil die besagten Gemeinden zur Kategorie «Agglomerationen» gezählt werden.
3.2 Quantifizierung der Zu-‐ und Rückwanderung in den ländlichen Raum der Schweiz: Tabellen
Als Zuwanderer in den ländlichen Raum werden sämtliche Personen gezählt, die 1995 in einer Ag-‐
glomeration wohnten und 2000 in einer ländlichen Gemeinde. Untersucht wurden nur Wanderungs-‐
bewegungen von Personen über 25 Jahren, welche in Personenhaushalten wohnen. Damit Binnen-‐
wanderungsströme untersucht werden können, muss ausserdem der Wohnort 1995 in einer bekannten Schweizer Gemeinde liegen. Dies reduziert die total 7‘288‘010 erfassten Personen der Volkszählung 2000 auf 4‘519‘302 analysierbare Personen. Diese Personen sind mind. 25 Jahre alt, wohnten im Jahr 2000 in einem Personenhaushalt, 1995 in einer bekannten Schweizer Gemeinde und bei Geburt ebenfalls in einer bekannten Schweizer Gemeinde oder im Ausland. Weil ein Ver-‐
gleich der Wohnorte im Jahr 2000 und 1995 stattfindet um Binnenwanderungsströme zu analysieren, waren 25jährige Personen im Jahr 1995 folglich 20 Jahre alt. Dass Personen unter 20 Jahren bereits über «ausreichende» Möglichkeiten verfügen ihren Wohnort möglichst nach den eigenen persönli-‐
chen Präferenzen zu wählen, ist eher unwahrscheinlich (z.B. wegen starken finanziellen Einschrän-‐
kungen, noch nicht abgeschlossenen Ausbildungen etc.). Personen in Kollektivhaushalten wurden in dieser Untersuchung auch nicht berücksichtigt, weil hier ebenfalls von einer eingeschränkten Wahl-‐
freiheit des Wohnortes auszugehen ist. Zu den Kollektivhaushalten werden z.B. Strafanstalten, Stu-‐
dentenwohnheime, Spitäler, Alters-‐ und Pflegeheime etc. gezählt (vgl. BFS 2005). Wann genau die Migration an den aktuellen Wohnstandort stattgefunden hat, kann nicht gesagt werden: Sicher ist nur, dass diese im Zeitraum von 1995 bis 2000 stattgefunden hat. Ob in diesem Zeitraum von einer Person mehrere Wohnortswechsel vorgenommen wurden, kann ebenfalls nicht gesagt werden, weil in der Volkszählung lediglich der aktuelle Wohnort und der Wohnort 1995 abgefragt wurde.
3 Folgende acht Gemeinden sind alpine Tourismuszentren innerhalb von Agglomerationen: Celerina/
Schlarigna, Pontresina, St. Moritz, Sils im Engadin/Segl, Silvaplana, Davos, Chermignon, Montana
In Tabelle 2 wird zusammengefasst, welche Binnenwanderungen zwischen den Raumkategorien Agglomerationen und ländlicher Raum zwischen 1995 und 2000 stattfanden. Die nachfolgenden Tabellen geben einen Überblick über die zentrale Wanderungsmasse, welche für die Analyse der Zu-‐
und Rückwanderung in den ländlichen Raum relevant sind. Eine Übersicht über sämtliche Binnenmig-‐
rationsbewegungen zwischen den einzelnen Raumkategorien gemäss ARE (2000) findet sich im Anhang (6.1).
Tabelle 2: Unterscheidung verschiedener Binnenmigrationstypen zwischen Agglomerationen und ländlichem Raum.
Migrationstypen Anzahl Anteil an
Gesamtbe-‐
völkerung (A) in %
Anteil an Binnenmig-‐
ration (B) in %
Anteil an Wanderung Agglo-‐Land (C) in %
Erfasste Personen VZ 2000, ab 25 (A) 4‘519‘302 100 – -‐
• Davon keine Binnenmigration 1995 bis 2000
3‘649‘080 80,7 – –
• Davon Binnenmigranten (B) 870‘222 19,3 100 –
o davon Wanderung Agglo-‐Agglo 549‘928 12,2 63,2 –
o davon Wanderung Land-‐Land 104‘536 2,3 12,0 –
o davon Wanderung Land-‐Agglo 107‘375 2,4 12,3 –
o davon Wanderung Agglo-‐Land (C)
! davon Neuzuzüger
! davon Rückwanderer
108‘383 90‘916 17‘467
2,4 2,0 0,4
12,5 10,4 2,0
100 83,9 16,1
Die Unterscheidung zwischen Neuzuzügern und Rückwanderern in den ländlichen Raum findet an-‐
hand der Reisezeiten mit dem MIV zwischen Wohnort 2000 und Geburtsort statt (vgl. Rückwande-‐
rungsdefinition: Abbildung 1 und Tabelle 1). In Abbildung 2 ist dargestellt, wie weit die Rückwanderer tatsächlich von ihrem Geburtsort entfernt wohnen. Über 50 Prozent der Rückwanderer ziehen in die eigene Geburtsgemeinde zurück. Die Häufigkeit der Rückwanderer nimmt mit zunehmender Reise-‐
zeit zu der Geburtsgemeinde ab. Eine Ausnahme bildet die Kategorie «max. 5 Minuten» Dies ist darauf zurückzuführen, dass es kaum Gemeinden gibt, die näher als 5 Minuten von einer anderen Gemeinde entfernt liegen: Es ist also kaum möglich, überhaupt in eine Gemeinde zurückzuziehen, die max. 5 Minuten von einer anderen Gemeinde entfernt ist. Die Kategorie «über 20 Minuten» beinhal-‐
tet diejenigen Personen, welche zwar weiter als 20 Minuten mit dem MIV von ihrem Geburtsort, aber trotzdem näher als 10 km Luftdistanz vom Geburtsort wohnen.
In nachfolgenden Tabellen wird dargestellt, wie sich die Bevölkerung in den einzelnen Raumkatego-‐
rien gemäss ARE aufgrund von Binnenmigrationsströmen verändert hat. Die Migrationsströme bezie-‐
hen sich auf den Zeitraum 1995 bis 2000, wobei nur Personen die im Jahr 2000 25 Jahre alt oder älter waren, berücksichtigt sind. Bei der Betrachtung von Binnenwanderungsbewegungen ist zu beachten, dass bei der Volkszählung 2000 in einigen Gemeinden einzelne Personen keine Angaben zum Woh-‐
nort 1995 und Geburtsort gemacht haben. Je nachdem, wie hoch dieser Anteil Personen mit fehlen-‐
den Angaben in den Gemeinden ist, bestehen Unsicherheiten zum Migrationsverhalten dieser Perso-‐
nen. Es ist unklar, ob diese Personen bereits 1995 in dieser Gemeinde gewohnt haben oder zugezogen sind. Das heisst, dass für Gemeinden mit hohem Anteil dieser Personen die Zahlen zur Binnenwanderung mit Vorsicht zu interpretieren sind, da nur die Personen ausgewertet wurden, welche korrekte Angaben zum Wohnort 1995 und Geburtsort machten. Werden Resultate zu Bin-‐
nenwanderungsströmen auf aggregierter Ebene (z.B. MS-‐Regionen, Raumkategorien gemäss ARE) ausgewiesen, verkleinern sich diese Unsicherheiten4.
4 Insgesamt haben 5,9% der Personen ab 25 keine Angabe zum Wohnort 1995 oder Geburtsort gemacht. Die Anteile auf Ebene der Gemeinde schwanken zwischen 0% und 99%, wobei von 2896 Gemeinden 122 einen Anteil von über 10% aufweisen, von diesen 122 Gemeinden haben wiederum 5 einen Anteil von über 30%. In diesen 5 Gemeinden wohnten bei der Volkszählung 2000 insgesamt 1195 Personen. Auf Ebene der MS-‐
Regionen reduzieren sich die Anteile der Personen mit fehlenden Angaben zum Wohnort 1995 oder Geburts-‐
ort auf den Bereich zwischen 1,5% und 12,5% je MS-‐Region.
Abbildung 2: Reisezeit Geburtsort – Wohnort 2000 in Minuten mit dem MIV der Rückwanderer.
Tabelle 3: Binnenwanderungsströme nach Raumtypologie ARE in 10 Klassen: absolute Zahlen.
Einwohner
2000
Einwohner 1995
Abwanderung Zuwanderung Netto-‐
wanderung
Agglomerationen 3'332'580 3'333'588 658'311 657'303 -‐1'008
Periurban (Err. +) 340'890 338'787 64'828 66'931 2'103
Periurban (Err. 0) 486'579 480'651 87'734 93'662 5'928
Periurban (Err. -‐) 49'026 49'068 9'653 9'611 -‐42
Periurbane Zentren 98'298 99'428 15'852 14'722 -‐1'130
Alpine Tourismuszentren 38'451 41'194 7'361 4'618 -‐2'743
Periphere Zentren 17'603 17'628 2'815 2'790 -‐25
Periphere Kleinzentren 51'987 53'265 8'018 6'740 -‐1'278
Peripherer Raum 69'674 71'071 10'494 9'097 -‐1'397
Peripherer bevölkerungsarmer Raum
34'214 34'622 5'156 4'748 -‐408
Gesamt 4'519'302 4'519'302 870'222 870'222 0
Tabelle 4: Wanderungsziffern je 100 Einwohner im Jahr 2000 nach Raumtypologie ARE in 10 Klassen.
Anzahl Wanderer je 100 EW im Jahr 2000
Abwanderung Zuwanderung Nettowanderung
Agglomerationen 19,8 19,7 0,0
Periurban (Err. +) 19,0 19,6 0,6
Periurban (Err. 0) 18,0 19,2 1,2
Periurban (Err. -‐) 19,7 19,6 -‐0,1
Periurbanes Zentrum 16,1 15,0 -‐1,1
Alpine Tourismuszentren 19,1 12,0 -‐7,1
Periphere Zentren 16,0 15,8 -‐0,1
Periphere Kleinzentren 15,4 13,0 -‐2,5
Peripherer Raum 15,1 13,1 -‐2,0
Peripherer bevölkerungsarmer Raum 15,1 13,9 -‐1,2
Deutlich zu sehen ist, dass nur der periurbane Raum von einem Bevölkerungszuwachs aufgrund von Binnenwanderungen profitiert. Die Agglomerationen verzeichnen zwar einen negativen Binnenwan-‐
derungssaldo von rund -‐1000 Personen (vgl. Tabelle 3). Die Einwohnerzahl von rund 3,3 Millionen Personen im Jahr 2000 in Agglomerationen relativiert diese Zahl jedoch: je 100 Einwohner im Jahr 2000 wandern etwa gleichviele Personen zu oder ab (vgl. Tabelle 4). Aus dem peripheren Raum wandern in allen Unterkategorien insgesamt mehr Personen in andere Regionen der Schweiz ab als zu.
Die grössten Bevölkerungsrückgänge aufgrund von Binnenwanderungen sind in den alpinen Touris-‐
muszentren (ausserhalb der Agglomerationen) auszumachen (Tabelle 3 und Tabelle 4). Die relativ hohen negativen Binnenwanderungssaldi in alpinen Tourismuszentren in den späteren 1990er Jahren wurde auch in ESPOP-‐Daten beobachtet (vgl. dazu ARE 2005).
Tabelle 5: Verhältnis Neuzuzüger zu Rückwanderer in den Kategorien des ländlichen Raumes gemäss ARE (Anteile in Zeilen).
Neuzuzüger Rückwanderer Total
Periurban (Err. +) 32'965 5'976 38'941
Anteil (%) 84,7 15,4 100,0
Periurban (Err. 0) 41'606 7'394 49'000
Anteil (%) 84,9 15,1 100,0
Periurban (Err. -‐) 3'129 547 3'676
Anteil (%) 85,1 14,9 100,0
Periurbane Zentren 4'202 1'182 5'384
Anteil (%) 78,1 22,0 100,0
Alpine Tourismuszentren 2'407 355 2'762
Anteil (%) 87,2 12,9 100,0
Periphere Zentren 494 192 686
Anteil (%) 72,0 28,0 100,0
Periphere Kleinzentren 1'567 503 2'070
Anteil (%) 75,7 24,3 100,0
Peripherer Raum 2'945 800 3'745
Anteil (%) 78,6 21,4 100,0
Peripherer bevölkerungsarmer Raum 1'601 518 2'119
Anteil (%) 75,6 24,5 100,0
Total 90'916 17'467 108'383
Anteil (%) 83,9 16,1 100,0
Wird das Verhältnis von Neuzuzügern zu Rückwanderern in den einzelnen Raumtypen verglichen, ist erkennbar, dass der Anteil der Neuzuzüger in allen Kategorien massiv höher ist (Tabelle 5). Werden die einzelnen ländlichen Raumkategorien in die drei Kategorien periurbaner und peripherer Raum sowie alpine Tourismuszentren zusammen gefasst, zeigt sich, dass der periphere Raum mit einem Rückwanderungsanteil von gut 23 Prozent und rund 77 Prozent Neuzuzügern den grössten Anteil Rückwanderer verzeichnet. Den tiefsten Anteil Rückwanderer verzeichnen die alpinen Tourismuszen-‐
tren: Hier machen Rückwanderer nur knapp 13 Prozent an der Zuwanderung aus den Agglomeratio-‐
nen aus. Im Durchschnitt sind im gesamten ländlichen Raum von 100 Zuwanderern aus der Agglome-‐
ration 16 Rückwanderer und 84 Neuzuzüger. Beim Vergleich der Anzahl Rückwanderer mit der ge-‐
samten Zuwanderung – also aus Agglomerationen und anderen ländlichen Gemeinden – verringert sich der Anteil der Rückwanderer in den ländlichen Raum auf rund 8 Prozent. Es ist nochmals darauf hinzuweisen, dass in dieser Studie ausschliesslich Binnenwanderungsströme untersucht werden, die gesamte Zu-‐ und Abwanderung ins Ausland wird hier nicht berücksichtigt.
3.3 Quantifizierung der Zu-‐ und Rückwanderung in den ländlichen Raum der Schweiz: Karten
Die in den Tabellen des vorangehenden Kapitels gezeigten Veränderungen der ständigen Wohnbe-‐
völkerung aufgrund von Binnenwanderungsströmen können auf beliebigen Massstabsebenen karto-‐
graphisch dargestellt werden. Werte auf Ebene der Gemeinden lassen sich gesamtschweizerisch jedoch schlecht darstellen, die Interpretierbarkeit wäre nahezu unmöglich.
In Abbildung 3 werden darum auf Ebene der MS-‐Regionen die aggregierten Werte der darin enthal-‐
tenen ländlichen Gemeinden dargestellt. Die Veränderungen in den Agglomerationen wird NICHT gezeigt. Dargestellt ist die Bevölkerungszu-‐/abnahme aufgrund von Binnenmigration im Zeitraum 1995 bis 2000, gemessen je 100 Einwohner im Jahr 2000 (analog zur Nettowanderung je 100 Ein-‐
wohner in Tabelle 4). Es wird deutlich, dass insbesondere der innere Alpenraum einen negativen Binnenwanderungssaldo aufweist: Es wandern mehr Personen ab, als zuwandern. Im Mittelland sieht dies grösstenteils gerade umgekehrt aus, die ländlichen Gemeinden im Mittelland verzeichnen mehr Binnenzuwanderer als Abwanderer.
Abbildung 3: Binnenwanderungssaldi der ländlichen Gemeinden in den MS-‐Regionen der Schweiz. Bevölkerungszu-‐/
abnahme aufgrund von Binnenwanderung je 100 Einwohner im Jahr 2000.