1.2 Ziele, Forschungsfragen und Aufbau
Das dem Bericht zugrundeliegende Forschungsprojekt besteht aus zwei Teilen mit unterschiedlichen Zielen und Forschungsfragen. Im ersten Teil werden die Wanderungsbewegungen in den ländlichen Raum1 auf Grundlage der Volkszählungs-‐Personendaten detailliert analysiert. Im zweiten Teil geht es darum, die Rolle der Landscape Amenities als Treiber dieser Wanderungen mit einem ökonometri-‐
schen Modell zu schätzen. Im Folgenden werden die beiden Teile und ihre Ziele und Fragestellungen detaillierter beschrieben.
Teil 1: Analyse der Wanderungsströme in den ländlichen Raum der Schweiz
Ziel von Teil 1 ist eine systematische Untersuchung und Quantifizierung der Wanderungsströme im ländlichen Raum der Schweiz. Damit soll die Datengrundlage für die Analyse der Rolle der Landscape Amenities als Treiber der Migrationsströme (Teil 2) geschaffen werden. Zusätzlich hilft Teil 1, diverse Wissenslücken zur Demographie des ländlichen Raums anhand der Volkszählungs-‐Personendaten zu schliessen. Insbesondere werden Rückwanderungsbewegungen in den ländlichen Raum erstmals detailliert beschrieben.
Im Teil 1 werden folgende Forschungsfragen beantwortet:
F1.1: Welche Regionen des ländlichen Raums ziehen wie viele Zuwanderer an?
• Zuwanderung/Abwanderung/Nettowanderung nach MS-‐Regionen und Raumtyp (periurbaner ländlicher Raum, peripherer ländlicher Raum, Alpine Tourismuszentren)
• Anteil Neuzuzüger/ Rückwanderer nach MS-‐Regionen und Raumtyp.
F1.2: Welche persönlichen Merkmale zeichnen die Zuwanderer aus? Alter, Bildungsstand, Erwerbs-‐
status.
Die Resultate aus der Bearbeitung dieser Forschungsfragen dienen dazu, das ökonometrische Modell (Teil 2) zu spezifizieren. Die generierten Datensätze zur Zuwanderung in Gemeinden des ländlichen Raums fliessen als abhängige Variablen in diese Modelle ein. Ausserdem liefern die Informationen über die räumlichen Muster der Wanderungsströme, den Wanderungstyp und die persönlichen Merkmale der Wanderer erste Hinweise auf die Motivation der Zuwanderer, die Determinanten der Wanderungsströme und die relevanten Standortfaktoren.
1 Es wird die Raumtypologie des Bundesamts für Raumentwicklung ARE (2005) verwendet, welche den ländlichen Raum in die drei Hauptkategorien «Periurbaner ländlicher Raum», «Alpine Tourismuszentren» und «Peripherer ländlicher Raum» unterteilt. Diese Hauptkategorien lassen sich weiter unterteilen (siehe Karte im Anhang 6.2).
Teil 2: Treiber der Zuwanderung in den ländlichen Raum (Fokus: Landscape Amenities)
Auf Basis der in Teil 1 gewonnenen Erkenntnisse zur Zu-‐ und Rückwanderung in den ländlichen Raum wird in Teil 2 ein Regressionsmodell entwickelt, das die Determinanten der Wanderungsströme für Neuzuzüger und Rückwanderer in den ländlichen Raum untersucht. Der Fokus liegt dabei auf der Rolle der lokalen Landschaftsqualität als Pull-‐Faktor in den Zieldestinationen dieser beiden Migrati-‐
onstypen. Die verwendeten Volkszählungs-‐Personendaten erlauben eine Verknüpfung mit den per-‐
sönlichen Merkmalen der Wanderer. Mit dem Logit-‐Schätzmodell kann analysiert werden, welche sozioökonomischen und demographischen Attribute entscheidend sind für die relative Bedeutung der «Amenities» als Standortfaktoren im Vergleich mit traditionellen Standortfaktoren und Arbeits-‐
marktvariablen.
Im Teil 2 werden folgende Forschungsfragen beantwortet:
F2.1: Welche Rolle spielt die lokale Landschaftsqualität als Treiber der Zuwanderung in ländliche Gemeinden der Schweiz? Welchen Einfluss hat die lokale Landschaftsqualität? Was lässt sich aus dem Vergleich mit traditionellen Standortfaktoren (Erreichbarkeit, Arbeitsmarkt) schliessen?
F2.2: Für welche Wanderer haben Landscape Amenities eine vergleichsweise hohe Bedeutung? Wie unterscheiden sich Neuzuwanderer von Rückwanderern hinsichtlich des Einflusses persönlicher Merkmale oder der Herkunfts-‐ und Zielregionen.
Die Resultate aus Teil 2 stellen einen wichtigen Beitrag zur Weiterentwicklung der internationalen Literatur zu Amenity Migration dar. Da die Untersuchung auf der Individualebene erfolgt, erlaubt sie einerseits die Kontrolle wichtiger demographischer Eigenschaften der Individuen. Andererseits ist eine Untersuchung von Kontextvariablen möglich, wie z.B. Unterschiede zwischen Herkunfts-‐ und Zielorten betreffend den Arbeitsmarkt oder die Landschaftsqualität. So ist es möglich abzuschätzen, wie gross der Einfluss der (regional gemessenen) Landschaftsqualität für den Rückwanderungsent-‐ Neuzuzüger und Rückwanderer hinsichtlich sozioökonomischer und soziodemographischer Merkmale sowie Zielregionen unterscheiden. Im zweiten Teil dieses Berichts wird die Zu-‐ und Rückwanderung in den ländlichen Raum der Schweiz modelliert (Kapitel 4). Mit einer Regressionsanalyse wird anhand von verschiedenen Variablen zu persönlichen Merkmalen (Volkszählung) sowie regionalen Daten zu ökonomischen Standortfaktoren und Landscape Amenities geschätzt, wie sich Rückwanderer von Neuzuzügern unterscheiden. Abschliessend wird in den Schlussfolgerungen der weitere Forschungs-‐
bedarf skizziert (Kapitel 5).
Rückwanderung und Amenity Migration: Stand der Forschung
Rückwanderung findet auch im nationalen Kontext statt. Studien aus anderen Ländern haben gezeigt, dass Rückwanderung gerade im ländlichen Raum einen nicht zu vernachlässigenden Anteil an der zurückzuwandern Aspekte wie Nähe zu Freunden, Familiensituation und «allgemeine Lebenssituati-‐
on» wichtiger eingestuft werden als eigene Karrieremöglichkeiten und das Einkommen (Nadler und Wesling 2013). Nach von Reichert (2002) unterscheiden sich Rückwanderer und Neuzuzüger in ländli-‐
che Regionen hinsichtlich ihrer Beweggründe und sozio-‐ökonomischen Charakteristiken kaum, wie eine Untersuchung aus Montana zeigt.
In der Schweiz wurde das Phänomen Rückwanderung wissenschaftlich bislang kaum bearbeitet. Eine Ausnahme bildet Rérat (2013, 2014), der Rückwanderung im Kanton Jura untersucht hat. Rérat
und Bell 2001). Ein Rückwanderer ist demzufolge eine Person, die aktuell in derselben Region wie bei Geburt wohnt, dazwischen jedoch in einer anderen Region wohnte. Allerdings ist die Tatsache zu beachten, dass der Wohnort bei Geburt nicht zwingend dem entspricht, was von den Personen als
«Heimatregion» bezeichnet wird. Unter dem Begriff «Heimatregion» ist in der Regel der Ort zu verstehen, an dem Personen aufgewachsen und zur Schule gegangen sind, d.h. eine soziale Bindung besteht. Diese Heimatregion entspricht nur dann der Geburtsregion, wenn im frühen Kindesalter kein Umzug stattfand. Aus diesem Grund wird Rückwanderung teilweise nicht anhand des Geburtsortes, sondern anhand eines zweiten fest definierten Zeitpunktes in der Vergangenheit betrachtet. So wird z.B. der aktuelle Wohnort, der Wohnort vor einem Jahr und der Wohnort vor fünf Jahren verglichen (Newbold 2001).