2.2 Amenities als Treiber für Rückwanderung
Um Zuwanderungsströme in ländliche Regionen zu erklären, werden seit einiger Zeit Amenities dieser Region als Pull-‐Faktoren genauer analysiert. Vor allem in Nordamerika spielt Amenity Migrati-‐
on in ländliche Regionen eine nicht zu vernachlässigende Rolle (Chi und Marcouiller 2012, 2013;
Gunderson et al. 2008; McGranahan 2008; Mueser und Graves 1995). Unter Amenities werden standortspezifische Attribute der Lebensqualität verstanden, zu denen u.a. das Klima und die lokale Landschaftsqualität gehören. Eine gute Übersicht über die verschiedenen Landschaftselemente, die zur Messung von Amenities benutzt werden können, geben Waltert und Schläpfer (2010) sowie Waltert et al. (2011).
In Europa wurde Amenity Migration bislang wenig untersucht (vgl. Müller 2006; Perlik 2006;
Steinicke et al. 2011; Waltert et al. 2011). Nach Perlik (2010) ist das Konzept der Amenity Migration in der Schweiz schwierig anzuwenden, weil es nicht zwischen permanenter und temporärer Migrati-‐
on sowie Zweit-‐ und Hauptwohnsitzen unterscheidet. Die Europäischen Alpen sind eine ländliche,
„Amenity-‐reiche“ Landschaft, die im Vergleich zu anderen Berggebieten sehr gut erschlossen ist. In der kleinräumigen Schweiz liegen das urbane Mittelland und der ländliche Raum nahe beieinander und sind dank eines gut ausgebauten Verkehrsnetzes schnell erreichbar. Personen, die aus der Stadt in die Berge ziehen, würden darum ihren Wohnsitz in der Stadt behalten. Es bleibt damit schwierig, Amenity Migration von anderen Formen der Mobilität wie Tourismus und Freizeit in „Amenity-‐
reiche“ Gebiete zu unterscheiden. Perlik (2006: 226) bezeichnet nur Wanderungsbewegungen, die eine ständige Wohnsitzverlagerung in den nicht-‐periurbanen2 Raum der Alpen beinhalten, als Ameni-‐
ty Migration. Hingegen zählt er Personen mit Zweitwohnungen in den Alpen sowie Personen, die ihren Hauptwohnsitz in den ländlichen periurbanen Raum in Pendlerdistanz der Metropolitanregio-‐
nen verlagern, nicht als Amenity Migrants.
In diesem Projekt geht es primär jedoch nicht darum, Amenity Migration von anderen Formen der Migration zu unterscheiden. Vielmehr geht es darum festzustellen, ob eine «schöne» Landschaft überhaupt einen Einfluss auf Neuzuzüger und Rückwanderer in den ländlichen Raum hat und wie gross dieser Einfluss im Vergleich zu anderen Faktoren ist. Es werden zudem ausschliesslich Verlage-‐
2 Perlik (2006) spricht in seinem Artikel zu Amenity Migration im Europäischen Alpenraum in allgemeiner Form vom periurbanen Raum oder von Periurbanisierungsprozessen. Der periurbane Raum nach Perlik entspricht jedoch nicht dem periurbanen Raum gemäss Raumtypologie für den ländlichen Raum der Schweiz vom Bun-‐
desamt für Raumentwicklung ARE (vgl. ARE 2000 ).
rungen des Hauptwohnsitzes analysiert. Ob diese Wohnsitzverlagerungen nun in den ländlichen Raum der Alpen oder des Mittellandes stattfindet, spielt für die vorliegende Untersuchung keine Rolle, um den Einfluss der lokalen Landschaftsqualität auf die Zuwanderung zu untersuchen.
Teilweise wird in der Literatur zwischen Amenity Migrants und Amenity-‐led Migrants unterschieden.
Amenity Migrants sind Personen, die tatsächlich wegen den Amenities in eine Region ziehen, wohin-‐
gegen Amenity-‐led Migrants Personen sind, die aufgrund von Verdienstmöglichkeiten, welche durch die lokalen Amenities ausgelöst werden (also z.B. im Tourismussektor) in die Region migrieren (Moss 2006: 10). Diese Unterscheidung ist in vorliegender Studie jedoch nicht möglich, da ausschliesslich Volkszählungsdaten ausgewertet werden.
Deskriptive Analyse der Zu-‐ und Rückwanderung in den ländlichen 3 Raum der Schweiz
3.1 Methodik
In diesem Projekt wurden keine Daten erhoben sondern ausschliesslich Daten aus der Volkszählung 2000 ausgewertet. Wenn Informationen zur Herkunfts-‐ und Zielregion von Migranten auf Gemeinde-‐
ebene sowie deren sozioökonomischen Charakterisierungen auf Individualebene zur Erklärung von Binnenmigrationsströmen beigezogen werden, ist es in der Schweiz nur mit Volkszählungsdaten möglich, landesweite Aussagen zur Binnenmigration zu machen. Zwar werden seit der Einführung der STATPOP-‐Statistik im Jahre 2010 sämtliche Wohnortswechsel erfasst, eine Angabe zum Wohnort bei Geburt ist jedoch nicht enthalten. Aufgrund der fehlenden Angabe zum Geburtsort, der kurzen Zeitspanne sowie den nur spärlich verfügbaren Informationen zu sozioökonomischen und soziode-‐
mographischen Merkmalen der Migranten, eignen sich die STATPOP Daten jedoch nicht zur Untersu-‐
chung von Zu-‐ und Rückwanderungsströmen in den ländlichen Raum.
Die Analyse von Rückwanderungsströmen findet in der Literatur meist in relativ grossen räumlichen Grössenordnungen und folglich über weite Distanzen statt – Grössenordnungen und Wanderungs-‐ stehen jedoch ländliche Regionen und nicht einzelne (grossregionale) administrative Gebietskörper-‐
schaften wie Bezirke oder Kantone. Aus diesem Grund musste für dieses Projekt zuerst eine Definiti-‐
on für Rückwanderung entwickelt werden, welche den besonderen Gegebenheiten der kleinräumi-‐
gen Schweiz gerecht wird, um überhaupt von Rückwanderung in ländliche Regionen sprechen zu Definition der Rückwanderung über die zeitliche Entfernung der aktuellen Wohngemeinde von der Geburtsgemeinde (max. 20 Minuten) ergibt für jede ländliche Gemeinde der Schweiz eine spezifische ländliche «Heimatregion», welche aus allen umliegenden ländlichen Gemeinden besteht, die inner-‐
halb von 20 Minuten mit dem MIV erreicht werden können. Dadurch können «Fehlklassierungen»
umgangen werden, die sich z.B. bei einer Definition über Bezirke ergeben könnten. Bei einer Definiti-‐
on der Rückwanderung über den Geburtsbezirk wäre es denkbar, dass die Geburtsgemeinde einer Person an einer Bezirksgrenze liegt. Zieht diese Person nun zurück in eine Nachbargemeinde, welche jedoch im angrenzenden Bezirk liegt, würde sie nicht als Rückwanderer in die Heimatregion gezählt.
Eine solche Person nicht als Rückwanderer in die Heimatregion zu zählen, scheint wenig plausibel.
Diese «Heimatregionen» sind natürlich gerade im Vergleich zu Rückwanderungsstudien aus Nord-‐
amerika extrem klein. Eine Definition in dieser Art ist jedoch notwendig, um Rückwanderer von Neuzuzügern in den ländlichen Raum unterscheiden zu können, wenn der ländliche Raum anhand der Raumtypologie des ARE auf Ebene der Gemeinden definiert wird.
Tabelle 1: Kriterien zur Unterscheidung von Rückwanderern und Neuzuzügern in den ländlichen Raum.
Abgrenzungskriterium Neuzuzüger Rückwanderer
Aktueller Wohnort (2000) Ländliche Gemeinde Ländliche Gemeinde
Wohnort vor 5 Jahren (1995) Agglomerationsgemeinde in CH Agglomerationsgemeinde in CH Geburtsgemeinde Geburt im Ausland oder in einer
Agglomerationsgemeinde (CH) oder in einer ländlichen Gemeinde (CH), die weiter als 20 Minuten Reisezeit mit MIV oder weiter als 10 km vom aktuellen Wohnort entfernt ist.
Ländliche Gemeinde (CH), die maxi-‐
mal 20 Minuten Reisezeit MIV oder 10 km vom aktuellen Wohnort ent-‐
fernt ist.
In Tabelle 1 ist zusätzlich zur 20-‐Minuten-‐MIV-‐Definition als Alternative das Kriterium maximal 10 km Entfernung vom Geburtsort zur Klassierung als Rückwanderer erwähnt. Diese Erweiterung der Defini-‐
tion wurde eingeführt, um der speziellen Situation in Bergtälern gerecht zu werden: So ist es bei-‐
spielsweise denkbar, dass jemand in sein Nachbardorf auf der anderen Talseite zurückzieht, dazwi-‐
schen jedoch keine Strassenverbindung besteht. Mit dem Auto würde die Fahrzeit möglicherweise länger als 20 Minuten dauern, das Dorf liegt jedoch nur 2 km vom Geburtsort entfernt. Was von einer Person als Heimatregion bezeichnet wird, kann nicht abschliessend definiert werden. Die zeitliche Abgrenzung von 20 Minuten Fahrzeit mit dem MIV kann erweitert oder eingeschränkt werden, die Anzahl Rückwanderer vergrössert oder verkleinert sich entsprechend. Nach Ansicht der Autoren sind jedoch 20 Minuten Fahrzeit eine Grössenordnung, welche es Personen erlaubt, Verwandte und Bekannte in der näheren Umgebung relativ «häufig» zu treffen – nicht nur am Wochenende sondern auch unter der Woche nach der Arbeit. Um Reisezeiten mit dem MIV zwischen aktuellem Wohnort
Abbildung 1: Rückwanderungsdefinition.
und Geburtsort zu ermitteln, wurden Daten des Verkehrsmodells 2000 vom Bundesamt für Raum-‐
entwicklung (ARE) mit den Personendaten der Volkszählung 2000 verknüpft. Die in dieser Studie verwendete Definition des ländlichen Raumes bezieht sich auf die problem-‐ und potenzialorientierte Raumtypologie des ARE. Der ländliche Raum gemäss ARE setzt sich aus allen Gemeinden der Schweiz zusammen, welche gemäss Agglomerationsdefinition aus dem Jahr 2000 keiner Agglomeration angehören. Diese Typologie besteht aus vier Haupt-‐ und elf Unterkategorien (vgl. ARE 2000) und ist im Anhang (6.2) dargestellt. In diesem Projekt stehen Wanderungsbewegungen zwischen Agglomera-‐
tionen und ländlichem Raum im Vordergrund. Die Unterscheidung ländliche Gemeinden und Agglo-‐
merationsgemeinden gemäss Agglomerationsdefinition 2000 wird mit Ausnahme der alpinen Tou-‐
rismuszentren innerhalb von Agglomerationen konsequent eingehalten. Diese acht Gemeinden3 werden in dieser Studie immer als Agglomerationsgemeinden gezählt und sind somit nicht Bestand-‐
teil des ländlichen Raumes. Die in den folgenden Kapiteln verwendeten Übersichten zu Migrations-‐
bewegungen auf Grundlage der Raumtypologie des ARE verwendet darum auf der genaueren Unter-‐
scheidung der Raumkategorien nicht elf, sondern lediglich zehn Klassen, weil die besagten Gemeinden zur Kategorie «Agglomerationen» gezählt werden.