Ein Vergleich der Anzahl Kinder pro Haushalt zeigt kaum Unterschiede zwischen Rückwanderern und Neuzuzügern (vgl. Abbildung 8). Neuzuzüger haben etwas häufiger keine Kinder als Rückwanderer, dafür sind die Anteile bei 3, 4 und mehr als 5 Kindern pro Haushalt bei den Neuzuzügern etwas grösser.
3.5 Herkömmliche Standortfaktoren: Vergleich Rückwanderer und Neuzuzüger
In diesem Kapitel wird dargelegt, wie weit sich Rückwanderer und Neuzuzüger hinsichtlich ihre Woh-‐
nortwahl im ländlichen Raum unterscheiden. Welche Raumtypen und MS-‐Regionen wie viele Neuzu-‐
züger und Rückwanderer zwischen 1995 und 2000 angezogen haben, wurde bereits in den Kapiteln 3.1 und 3.3 ausführlich dargelegt. In diesem Kapitel geht es um die Unterscheidung der Neuzuzüger und Rückwanderer hinsichtlich der gewählten Zielregionen im ländlichen Raum. Dies geschieht anhand einiger herkömmlichen Standortfaktoren. Folgende Standortfaktoren wurden untersucht:
Arbeitsmarktvariablen
• UNI: Anteil Personen mit Uni-‐ oder Fachhochschulabschluss in der Zielregion
• NICHTERWERB: Anteil Nichterwerbspersonen in der Zielregion
• BESCHÄFTIGUNG: Differenz Beschäftigungswachstum Herkunfts-‐ und Zielregion Erreichbarkeitsvariablen
• ERR_DL: Differenz der durchschnittlichen Erreichbarkeit von alltäglichen Dienstleistungen mit ÖV und MIV (Vergleich Herkunfts-‐ mit Zielgemeinde)
Abbildung 8: Anzahl Kinder pro Haushalt: Vergleich Rückwanderer und Neuzuzüger.
• ERR_STADT: Differenz der durchschnittlichen Erreichbarkeit der nächsten Kernstadt mit ÖV und MIV (Vergleich Herkunfts-‐ mit Zielgemeinde)
• GDETYP_2000: Klassierung der Zielgemeinde im ländlichen Raum nach Raumtypologie ARE
• GDETYP_1995: Klassierung der Herkunftsgemeinde in der Agglomeration nach Raumtypolo-‐
gie BFS
Bei den Standortfaktoren geht es darum, anhand von schweizweit einheitlich erhobenen und flä-‐
chendeckend verfügbaren Daten die Attraktivität für Zuwanderer zu schätzen.
Die Arbeitsmarktvariablen UNI und NICHTERWERB sollen die Marktgrösse und das Konsumvermögen und damit die Attraktivität für Unternehmen bzw. Personen in der Ziel-‐Arbeitsmarktregion8 schätzen.
Mit der Variablen UNI soll geschätzt werden, wie gross das Arbeitskräftepotenzial von Hochqualifi-‐
zierten für Unternehmen ist (Angebotsseite), mit der Variablen NICHTERWERB wird gemessen, wie gross das Konsumvermögen in der Region ist (Nachfrageseite). Die Idee dahinter ist, dass sich Wirt-‐
schafts-‐ und Bevölkerungswachstum gegenseitig beeinflussen, was im Modell zu regionalen Wachs-‐
tum von Carlino und Mills (1987) mit zwei Gleichungen für Wirtschafts-‐ und Bevölkerungswachstum aufgegriffen wird. Zentral ist dabei die Frage nach dem Zusammenhang zwischen der Standortsuche von Unternehmen und der Migration von Personen, was häufig unter «people follow jobs» vs. «jobs Konsumvermögen und damit die Attraktivität für Unternehmen, was zu einer geringeren Attraktivität für potenzielle Zuwanderer führt. Für das Beschäftigungswachstum (BESCHÄFTIGUNG) gilt, dass ein höheres Beschäftigungswachstum zu einer höheren Zuwanderung führen sollte.
Mit den Erreichbarkeitsvariablen soll gemessen werden, wie attraktiv eine ländliche Region als Wohnstandort ist, wenn die Distanz zu Kernstädten als «Wachstumsmotoren» der Schweiz sowie der Verfügbarkeit von «alltäglichen» Dienstleistungen9 berücksichtigt wird. Die Erreichbarkeit der Kern-‐
städte zielt somit eher auf die Attraktivität der Gemeinde hinsichtlich ihrer Nähe zu Regionen mit grossem Arbeitsplatzangebot und übergeordneten Dienstleistungen. Die Erreichbarkeit von «alltägli-‐
chen» Dienstleistungen soll eher die Attraktivität einer Gemeinde hinsichtlich der Verfügbarkeit von Dienstleistungen des «täglichen Gebrauchs» abdecken. Die Erreichbarkeit der Kernstädte ist somit eher für das Arbeiten relevant, die Erreichbarkeit von Dienstleistungen für das Wohnen. Die Erreich-‐
barkeit einer ländlichen Gemeinde wird in klassierter Form auch in der Gemeindetypologie des ARE
8 Die 16 Arbeitsmarktregionen sind Zusammenzüge aus den funktional ausgerichteten MS-‐Regionen. Arbeits-‐
marktregionen erlauben die Darstellung von Phänomenen, deren grossräumige Differenzierung wichtig scheint. Sie wurden als Einzugsgebiete von Gross-‐ und Mittelzentren der Schweiz konzipiert (Schuler et al.
2005: 76). Folgende Regionen werden unterschieden: Genève, Lausanne, Sion, Fribourg, Neuchâtel, Biel, Bern, Basel, Aarau – Olten, Zürich, Winterthur – Schaffhausen, St. Gallen, Chur, Luzern, Bellinzona, Lugano.
9 Es handelt sich um neun Gruppen von Dienstleistungen: Autos (Autogarage, Tankstellen), Geschäfte (Super-‐
märkte, Geschäfte etc.), Gesundheit (Apotheken, Krankenhäuser etc.), Detailhandel (Detailhandel mit Back-‐
waren, Kioske etc.), Gastronomie (Hotels, Restaurants etc.), öffentliche Dienste (Post, allg. öff. Verwaltung) Banken (Grossbanken, Kantonalbanken etc.), Bildung (Kindergärten, Primarschulen, Gymnasien etc.), Frei-‐
zeit/Kultur (Kinos, Museen etc.) (vgl. Auswertungsprotokoll für LABES-‐Parameter 20: Weiss 2010).
abgedeckt. Je nach Erreichbarkeit der nächsten Agglomeration mit ÖV und MIV sowie ihrer regiona-‐
len Relevanz für das Umland (Regionale Zentren) wird eine Gemeinde in eine andere Klasse einge-‐
teilt. Die Gemeindetypologie für den ländlichen Raum des ARE kann somit auch als Standortfaktor verstanden werden, der die Attraktivität einer Zielgemeinde hinsichtlich der Erreichbarkeit von Agglomerationen und alltäglichen Dienstleistungen misst.
Für den Wohnort 1995 (Herkunftsgemeinde) kann die Gemeindetypologie des ARE nicht verwendet werden, da nach dieser Typologie alle Gemeinden als Agglomerationsgemeinde klassiert wären. Die Gemeindetypologie des BFS in 9 Klassen erlaubt jedoch auch eine Differenzierung innerhalb der Agglomerationsgemeinden. Diese Typologie10 basiert auf einem Zentrum-‐Peripherie-‐Modell, wobei innerhalb von Agglomerationsgemeinden nach Kriterien der Arbeitsplatzintensität, Gebäudestruktur und Einkommen der Bewohner differenziert wird (ARE 2000). Im Anhang (6.2) sind die Zugehörigkei-‐
ten der Agglomerationsgemeinden zu den Gemeindekategorien gemäss BFS ersichtlich.
Auffällig ist, dass unter den regionalen Standortfaktoren keine Variable zur Steuerbelastung aufge-‐
führt ist, was normalerweise Bestandteil einer Standortanalyse ist. Die Steuerbelastung der Gemein-‐
den konnte nicht ermittelt werden, da diese schweizweit erst seit 2009 auch für Gemeinden mit weniger als 2000 Einwohner erhoben wird. Im ländlichen Raum haben jedoch fast alle Gemeinden weniger als 2000 Einwohner. Es ist in diesem Zusammenhang jedoch darauf hinzuweisen, dass die Steuerbelastung der Gemeinden offensichtlich keinen signifikanten Einfluss auf die Binnenwande-‐
rung in der Schweiz hat, oder nur einen sehr geringen (abhängig von der Altersgruppe und den Aus-‐
bildungs-‐ und Einkommensverhältnissen). Zu diesen Resultaten kamen zwei Studien aus der Schweiz, welche Volkszählungsdaten bzw. Daten aus der Schweizer Haushaltsbefragung analysiert wurden (Liebig et al. 2007; Liebig und Sousa-‐Poza 2006). Insofern scheint das Fehlen einer Variablen für die Steuerbelastung vertretbar.
Bei allen Regionsdaten wurde die Differenz zwischen Herkunftsort (1995, in der Agglomeration) und Zielort (2000, auf dem Land) der Binnenwanderer errechnet. Eine Ausnahme bilden die Variablen UNI und NICHTERWERB, weil diese direkt aus der Volkszählung ermittelt werden mussten. Es war darum nicht möglich, eine Differenz zu bilden. Bei den Gemeindetypologien ist eine Differenzbildung zwi-‐
schen dem Jahr 2000 und 1995 ebenfalls nicht möglich, darum werden diese Variablen einzeln be-‐
handelt.
Für diese Variablen werden im Folgenden die Unterschiede zwischen Rückwanderern und Neuzuzü-‐
gern anhand von Mittelwerten und Histogrammen dargestellt. Tabelle 7 zeigt, dass Neuzuzüger im Vergleich zu Rückwanderern eher in Arbeitsmarktregionen ziehen, welche einen höheren Anteil von Personen mit Uni-‐ oder FH-‐Abschluss haben und der Anteil der nichterwerbstätigen Bevölkerung leicht tiefer liegt. Die Unterschiede sind jedoch auch hier sehr gering. Die durchschnittliche Erreich-‐
barkeit von «täglichen» Dienstleistungen (ERR_DL) verschlechtert sich bei den Neuzuzügern gering-‐
fügig weniger als bei den Rückwanderern. Nicht erstaunlich ist jedoch, dass sich die Werte bei beiden Migrationstypen verschlechtern, da die Erreichbarkeit von Dienstleistungen im ländlichen Raum offensichtlich schlechter ist als in den Agglomerationen. Dasselbe ist für die Erreichbarkeit der Kern-‐
städte (ERR_STADT) beobachtbar.
10 Schuler et al. (2005: 116–127) beschreiben ausführlich die Konstruktion der Gemeindetypologie des BFS.
Tabelle 7: Durchschnittswerte regionaler Standortfaktoren. Unterscheidung Rückwanderer und Neuzuzüger in den
Tabelle 8 zeigt die Erreichbarkeit des Wohnorts im Jahr 2000 aufgrund der zugehörigen Gemeindeka-‐
tegorie für Neuzuzüger und Rückwanderer (GDETYP_2000). in den periurbanen Raum mit durchschnittlicher Erreichbarkeit («Periurban [Err. 0]»). Sowohl Neuzu-‐
züger als auch Rückwanderer ziehen viel häufiger in periurbane als in periphere Gemeinden. Es zeigt sich, dass Rückwanderer etwas häufiger in periphere Regionen ziehen als Neuzuzüger.
InTabelle 9 ist anhand der Gemeindetypologie des BFS erkennbar, wie zentral der Wohnort 1995 der Rückwanderer und Neuzuzüger in den Agglomerationen war.
Tabelle 9: Verteilung der Neuzuzüger und Rückwanderer in der Herkunftsgemeinde, Jahr 1995
Gemeinde 1995 Neuzuzüger
(%)
Rückwanderer (%)
Total (%)
Zentrum 36,0 39,6 36,6
Suburbane Gemeinde 41,3 38,9 40,9
Einkommensstarke Ge-‐
meinde
3,8 2,7 3,6
Periurbane Gemeinde 17,2 16,9 17,1
Touristische Gemeinde 1,5 1,8 1,6
Industrielle und tertiäre Gemeinde
0,2 0,1 0,2
Total 100 100 100
1995 wohnte der grösste Teil der Rückwanderer in einer Zentrumsgemeinde (39,6%), während bei den Neuzuzügern der grösste Teil in einer suburbanen Gemeinde wohnte (41,3%). Sowohl bei den Rückwanderern als auch den Neuzuzügern machen Personen aus industriellen und tertiären Ge-‐
meinden nur einen verschwindend kleinen Anteil aus (0,1% vs. 0,2%), dasselbe gilt für die touristi-‐
schen Gemeinden (1,5% vs. 1,8%).
Die nachfolgenden Histogramme verdeutlichen die Unterschiede zwischen Rückwanderern und Neuzuzügern in den Variablen UNI und NICHTERWERB, die eine etwas spezielle Verteilung aufweisen.
Abbildung 9: Anteil Rückwanderer und Neuzuzüger in den Arbeitsmarktregio-‐
nen (2-‐Prozent-‐Klassen des Uni/FH-‐Anteils in Arbeitsmarktregionen).
In Abbildung 9 sind auf der X-‐Achse die Anteile der Personen mit Uni-‐ oder FH-‐Abschluss (UNI) in den Arbeitsmarktregionen dargestellt (in 2-‐Prozentklassen gruppiert). Auf der Y-‐Achse sind die Anteile der Rückwanderer und Neuzuzüger in den Arbeitsmarktregionen mit entsprechendem Anteil Perso-‐
nen mit Uni-‐ oder FH-‐Abschluss erkennbar. Auffällig ist, dass fast alle Arbeitsmarktregionen Uni/FH-‐
Anteile zwischen 4 und 12 Prozent ausweisen. Es gibt jedoch keine Arbeitsmarktregion, die einen Anteil zwischen 11 und 18 Prozent ausweist. Nur die Arbeitsmarktregion Genf weist einen Uni/FH-‐
Anteil von über 18 Prozent aus. In dieser Region leben jedoch fast keine Rückwanderer und Neuzuzü-‐
ger, weil diese Region fast nur Agglomerationsgemeinden beinhaltet – Bedingung für die Klassierung als Neuzuzüger oder Rückwanderer ist in beiden Fällen jedoch der Zuzug in eine ländliche Gemeinde.
In der Arbeitsmarktregion Genf gibt es jedoch nur zwei ländliche Gemeinden.
Die Abbildung 10 zeigt, dass sich Rückwanderer und Neuzuzüger auch hinsichtlich der Anteile der Nichterwerbspersonen in den Arbeitsmarktregionen (NICHTERWERB) nur wenig unterscheiden.
Tendenziell verzeichnen Arbeitsmarktregionen mit einem höheren Anteil Nichterwerbspersonen einen leicht höheren Anteil Rückwanderer. Es ist ausserdem erkennbar, dass es keine Arbeitsmarkt-‐
regionen gibt, die einen Nichterwerbspersonenanteil von 37 bis 39 Prozent und von 41 bis 43 Prozent aufweisen.