3.6 Landschaft als Standortfaktor: Der Landschaftsfaktoren-‐Index als Konzept zur gesamtschweizerisch vergleichbaren Messung der Landschaftsqualität
Weil in dieser Studie auf nationaler Ebene untersucht wird, ist es notwendig, alle in Betracht gezoge-‐
nen Einflussfaktoren welche die Zuwanderung in den ländlichen Raum beeinflussen könnten, so zu erfassen, dass sie landesweit vergleichbar sind. Bei den bis jetzt erläuterten Einflussfaktoren in den Kapiteln 3.4 und 3.5 ist diese Vergleichbarkeit gewährleistet, weil die Daten allesamt aus der landes-‐
weit erhobenen Volkszählung bzw. landesweit gleich erhobenen Erreichbarkeitsmessungen stam-‐
men.
Abbildung 10: Anteil Rückwanderer und Neuzuzüger in den Arbeitsmarktregio-‐
nen (2-‐Prozent-‐Klassen der Nichterwerbspersonen in Arbeitsmarktregionen).
Soll die Qualität der Landschaft als Einflussfaktor auf die Zuwanderung untersucht werden, besteht die Herausforderung, diese Qualität der Landschaft so zu messen, dass eine landesweite Vergleich-‐
barkeit überhaupt möglich ist. Und damit stellt sich unweigerlich die Frage, was Landschaftsqualität ist. Nach Lothian (1999) kann ein objektives und subjektives Paradigma zur Beschreibung der Land-‐
schaftsqualität unterschieden werden. Beim objektiven Paradigma wird davon ausgegangen, dass die Landschaftsqualität anhand der Landschaft innewohnenden physischen Eigenschaften erfasst und klassiert werden kann. Beim subjektiven Paradigma wird Landschaftsqualität ausschliesslich als menschliches Konstrukt angesehen. Grundsätzlich wäre eine Untersuchung des Zusammenhangs zwischen Landschaftsqualität und Zuwanderung in den ländlichen Raum sowohl mit einem objekti-‐
ven als auch mit einem subjektiven Paradigma denkbar (und interessant), vorausgesetzt, die Daten sind landesweit verfügbar.
Der Landschaftsfaktoren-‐Index ist ein Versuch, die Landschaftsqualität landesweit objektiv zu erfas-‐
sen. Der Landschaftsfaktoren-‐Index wurde vom Büro die Geographen schwick+spichtig als Weiter-‐
entwicklung des LABES Parameter 21b «Wohnqualität und Wohlbefinden (objektiv)» erarbeitet, um eine neue Methode zur Messung der Landschaftsqualität zu schaffen (Schwick und Spichtig 2012). Er setzt sich aus 20 verschiedenen, physisch messbaren Einzelfaktoren auf Hektarebene zusammen, welche zusammengerechnet eine Aussage zur Qualität an jeglichem Ort der Schweiz erlauben. Trotz-‐
dem ist dieser Landschaftsfaktoren-‐Index nicht frei von subjektiven Einflüssen seitens der Forscher:
Erstens müssen die zu messenden Einflussfaktoren, welche die Landschaftsqualität «objektiv» wider-‐
spiegeln ausgewählt werden. Zweitens müssen die ausgewählten Einflussfaktoren hinsichtlich ihrer Relevanz für die Landschaftsqualität gewichtet werden. Dieser Prozess der Auswahl und Gewichtung der einzelnen Faktoren ist von den Einschätzungen der beteiligten Personen beim Entwickeln eines Landschaftsfaktoren-‐Index abhängig. Für den Landschaftsfaktoren-‐Index der Schweiz fand diese Gewichtung durch eine 13-‐köpfige Expertengruppe statt, welche sich aus den beiden Projektbearbei-‐
tern des Landschaftsfaktoren-‐Index und den Personen aus der Begleitkommission zusammensetzte.
Die Gewichtung der Experten fand für die gesamte Landschaft und nur für die Siedlungsflächen separat statt. Für die vorliegende Studie wurde der Landschaftsfaktoren-‐Index demnach folgender-‐
massen berechnet:
1. Berechnung und Messung der Einflussfaktoren11 für jede Hektare der Schweiz: «Rohdaten» der Einflussfaktoren mit unterschiedlichen Einheiten (z.B. Flächenanteil pro Hektare, Anzahl Elemen-‐
te pro Hektare) und Wertebereiche (z.B. 0 bis 50% oder acht Elemente pro Hektare).
2. Normierung der Einflussfaktoren: Umrechnung der «Rohdaten» in eine fiktive Skala von 0 bis 100, wobei 0 den tiefsten und 100 den höchsten gemessenen Wert bedeutet.
3. Gewichtung der normierten Einflussfaktoren: Multiplikation der normierten Einflussfaktoren je Hektare mit einem Wert von 0 (kein Einfluss auf Landschaftsqualität) und +/-‐ 100 (grösster posi-‐
tiver bzw. negativer Einfluss auf Landschaftsqualität) und Addition aller Einflussfaktoren: Land-‐
schaftsqualitätswert einer beliebigen Hektare X.
4. Neunormierung Landschaftsqualitätswerte aus 3 (analog zur Normierung der Einzelindikatoren):
Die Hektare mit dem höchsten Wert unter 3 enthält den Wert 100, die tiefste den Wert 0. Weist
11 Für den LF-‐Index wurden die meisten der 20 Einflussfaktoren zu zwei verschiedenen Zeitpunkten erhoben.
Daraus ist ein «aktueller» und «historischer» LF-‐Index von Schwick und Spichtig (2012) berechnet worden.
Für dieses Projekt wurde versucht, diejenigen Einflussfaktoren zu verwenden, welche möglichst nahe am Jahr 2000 erhoben wurden. Dies führt dazu, dass sowohl «historische» als auch «aktuelle» Messungen einflossen.
eine Hektare nun z.B. den Wert 43 aus, heisst dies, dass sie 43% des maximal Wertes des Land-‐
schaftsfaktoren-‐Index der Schweiz erreicht.
In Tabelle 10 sind die einzelnen Einflussfaktoren und deren Gewichtung durch die Experten darge-‐
stellt. Für ausführlichere Erläuterungen zur Konstruktion des Landschaftsfaktoren-‐Index sei auf den dazugehörigen technischen Bericht von Schwick und Spichtig (2012) verwiesen.
Tabelle 10: Gewichtung der einzelnen Einflussfaktoren des Landschaftsfaktoren-‐Index. Die Resultate in Spalte drei und vier sind die Mittwerte der von den Experten genannten Gewichtungen der jeweiligen Einflussfaktoren. Quelle: Schwick und Spichtig (2012: 59–60).
Nun stellt sich die berechtigte Frage, ob es nicht sinnvoller wäre, Landschaftsqualität nicht über die in Tabelle 10 aufgelisteten Einflussfaktoren zu erfassen, sondern über eine Personenbefragung zur Landschaftsqualität. Dies würde evtl. viel eher der tatsächlich gesellschaftlich wahrgenommenen Landschaftsqualität entsprechen. Die Mittelwerte dieser subjektiven Bewertungen der Landschafts-‐
qualität könnten bei ausreichend grosser Stichprobe ebenso als Werte für die einzelnen Gemeinden eingesetzt werden. Grundsätzlich wurden in LABES auch Parameter zur subjektiven Bewertung von Landschaft erhoben. Zum Beispiel wurde in LABES-‐Parameter 24 die wahrgenommene Schönheit der Landschaft in der Wohngemeinde erhoben. Zwei Punkte sprechen jedoch gegen die Verwendung dieser LABES-‐Daten zur Bestimmung der Landschaftsqualität.
1. In der Stichprobe wurden insgesamt 2823 Personen befragt (Frick 2012). Die Antworten stam-‐
gierten Werte auf Bezirksebene danach für die Festlegung der Landschaftsqualität auf Gemein-‐
deebene verwendet werden sollen (indem für alle Gemeinden eines Bezirks einfach der durch-‐
schnittliche Bezirkswert verwendet wird), scheint zumindest fragwürdig.
2. Bei der Befragung zur Schönheit der Landschaft in der Wohngemeinde wurden die ansässigen Bewohner zu ihrer eigenen Gemeinde befragt. Daraus ist erstens nicht ersichtlich, wie die Be-‐
wohner die Landschaft in ihrer Gemeinde im Vergleich zu einer anderen Gemeinde einstufen und zweitens, wie nicht in der Gemeinde wohnhafte Personen die Schönheit der Landschaft einschät-‐
zen. Gerade dies wäre für die Analyse von Wanderungsbewegungen aus der Agglomeration aufs Land viel wichtiger. Ob die bereits seit (möglicherweise) Jahren in einer ländlichen Gemeinde wohnenden Personen die Landschaft ihrer eigenen Gemeinde als schön einstufen, spielt für ei-‐
nen potenziellen Zuwanderer aus der Agglomeration keine Rolle. Wenn also die subjektive Ein-‐
schätzung der Landschaftsqualität einer objektiven Landschaftsqualitätsmessung, wie sie beim LF-‐Index angestrebt wird, vorgezogen werden soll, müsste für diese Studie bekannt sein, wie die Bevölkerung aus den Agglomerationen unterschiedliche Gemeinden des ländlichen Raumes hin-‐
sichtlich der Landschaftsqualität einstuft. Denn nur für diese Personengruppe soll der Einfluss der Landschaftsqualität auf die Wohnortwahl im ländlichen Raum analysiert werden.
Der Landschaftsfaktoren-‐Index weist Werte auf Hektarebene auf. Die Daten aus der Volkszählung
Eine naheliegende Aggregation wäre die Berechnung des Durchschnittswertes aller Hektaren auf der gesamten Gemeindefläche. Aufgrund der Flächenunterschiede der Gemeinden und unterschiedli-‐
chen Siedlungsflächenanteile würde dies jedoch dazu führen, dass grosse Gemeinden mit einem kleinen Siedlungsflächenanteil immer besser dastehen als kleine Gemeinden, die bereits grösstenteils überbaut sind, auch wenn in unmittelbarer Nähe der kleinen Gemeinde attraktive Landschaften in Nachbargemeinden vorzufinden sind. Es ist deshalb plausibler, dass für die Wahl des Wohnortes
nicht nur die Landschaftsqualität der gesamten Fläche der eigenen Gemeinde relevant ist, sondern vor allem die Landschaftsqualität der Siedlungsgebiete und ihrer Umgebung – unabhängig davon ob diese umliegenden Gebiete in einer Nachbargemeinde liegen oder nicht. Aus diesem Grund wurden nur Siedlungsgebiete sowie Nichtsiedlungsgebiete im Umkreis von 2 Kilometern um die Siedlungsge-‐
biete für die Berechnung des durchschnittlichen LF-‐Index je Gemeinde berücksichtigt. Dies hat zur Folge, dass sich in fast allen Gebieten die 2-‐km Puffer um die Siedlungsgebiete der einzelnen Ge-‐
meinden überlagern: Es gibt also sehr viele Gebiete, welche in die Berechnung des durchschnittlichen LF-‐Index verschiedener Gemeinden einfliessen. Nur in Berggebieten gibt es siedlungsferne Gebiete, welche ausserhalb der 2-‐km-‐Pufferzone um die Siedlungsgebiete liegen (vgl. Abbildung 11) und darum gar nicht berücksichtigt werden.
Die Wahl dieser 2-‐km-‐Pufferzone um die Siedlungsgebiete kann natürlich auch erweitert werden. Mit zunehmender Grösse der Pufferzone verringern sich jedoch die Unterschiede zwischen den Gemein-‐
den. Ausserdem ist der LF-‐Index nur für Gebiete innerhalb der Schweiz berechnet: Mit zunehmender Pufferdistanz steigt also in Grenzgemeinden der Flächenanteil, welcher nicht in die Berechnung des LF-‐Index einfliesst. Dieser «Fehler» wird mit zunehmender Pufferdistanz im Vergleich zu Gemeinden innerhalb der Schweiz grösser.
Ausgehend von diesem 2-‐km-‐Puffergebiet um die Siedlungsgebiete wurde der durchschnittliche LF-‐
Index je Gemeinde berechnet. Dabei wurden zwei Varianten gerechnet: Die erste Variante berück-‐
sichtigt für das gesamte Puffergebiet (egal ob Siedlungs-‐ oder Nichtsiedlungsgebiet) die Expertenge-‐
wichtung für den LF-‐Index der gesamten Schweiz (vgl. Tabelle 10). Die zweite Variante berücksichtigt für die Siedlungsflächen deren spezifische Gewichtung und für die Nichtsiedlungsflächen die Gewich-‐
tung für den LF-‐Index der gesamten Schweiz. In Abbildung 12 ist der LF-‐Index mit Gewichtung für die gesamte Schweiz auf Hektarebene dargestellt, in Abbildung 13 mit den aggregierten Werten je Ge-‐
meinde.
Abbildung 11: 2-‐km-‐Puffer um Siedlungsgebiete zur Berechnung des Landschaftsfaktoren-‐Index je Gemeinde.
Rote Linien: Gemeindegrenzen; schwarze Punkte: Sied-‐
lungsgebiete; gelbe Flächen, blau umrandet: 2-‐km-‐Puffer.
Abbildung 12: Landschaftsfaktoren-‐Index der Schweiz, Expertengewichtung für die Gesamtfläche. Quelle: Eigene Darstel-‐
lung, Daten: Schwick und Spichtig.
Abbildung 13: Aggregierter LF-‐Index auf Gemeindeebene. Quelle: Eigene Darstellung, Daten: Schwick und Spichtig.
Es ist nochmals darauf hinzuweisen, dass die dargestellten aggregierten Werte des LF-‐Index auf Gemeindeebene in Abbildung 13 nur auf den Siedlungsgebieten und dem 2-‐km-‐Puffergebiet um die Siedlungsgebiete gemessen sind und nicht die Gesamtfläche der Gemeinden betreffen. Der Wertebe-‐
reich des aggregierten LF-‐Index reduziert sich auf eine Spannbreite zwischen rund 45 und 84 des LF-‐
Index auf Hektarebene. Es ist gut erkennbar, dass insbesondere Gemeinden im Mittelland und in Agglomerationen eher tiefe Werte für den aggregierten LF-‐Index aufweisen. Es gibt jedoch auch ländliche Gemeinden, die sehr tiefe Werte aufweisen. Zum Beispiel wird dies bei den Gemeinden im Kanton Uri deutlich: Hier führen hohe Lärmwerte (Autobahn) und Hochspannungsleitungen in Nähe der Siedlungsgebiete zu tiefen Werten. Gut erkennbar ist auch, dass diese Gemeinden relativ gross gesamte Schweiz (Variante 1) sowie für Siedlungs-‐ und Nichtsiedlungsgebiet (Variante 2).
Tabelle 11: Durchschnittlicher LF-‐Index nach Raumtypologie ARE in 10 Klassen.
Durchschnittlicher LF-‐Index in 2-‐km-‐Puffergebieten um Siedlungs-‐
gebiete
In Abbildung 14 ist auf Hektarebene beispielhaft dargestellt, wie sich die Werte des LF-‐Index bei den unterschiedlichen Gewichtungen der Siedlungsgebiete für die Stadt Zürich unterscheiden. Hellgrün dargestellt sind alle Gebiete ausserhalb der Siedlungsgebiete: Für diese Gebiete wird in beiden Vari-‐
anten die Gewichtung für die gesamte Fläche der Schweiz verwendet, die Differenz ist daher null.
Gebiete die dunkler sind, zeigen höhere Werte für den LF-‐Index gemäss Variante 2 (getrennte Ge-‐
wichtung Siedlungs-‐ und Nichtsiedlungsgebiete) als bei Variante 1, Gebiete die heller sind, tiefere. Es ist deutlich erkennbar, dass auf dem Gemeindegebiet der Stadt Zürich bei einer getrennten Gewich-‐
tung der Siedlungs-‐ und Nichtsiedlungsgebiete höhere Werte für den Landschaftsfaktoren-‐Index erreicht werden. Da in diesem Projekt mit einem 2-‐km-‐Puffer gerechnet wird, werden die Verbesse-‐
rungen auf dem Gemeindegebiet fast vollständig zunichte gemacht, weil die an das Gemeindegebiet angrenzenden Siedlungsgebiete in anderen Gemeinden im Puffergebiet tiefere Werte (hellgrau bis weiss) aufweisen. Der LF-‐Index der Stadt Zürich «verbessert» sich darum bei der getrennten Gewich-‐
tung von Siedlungs-‐ und Nichtsiedlungsgebieten nur minim (von 57,6 auf 57,8). Weil bei fast allen Gemeinden nur eine sehr kleine Veränderung des LF-‐Index bei getrennter Gewichtung der Siedlungs-‐
und Nichtsiedlungsgebiete im 2-‐km-‐Puffer erkennbar ist, wird für die weiteren Analysen in diesem Bericht auf diese Gewichtungsvariante verzichtet.
Wie die einzelnen Einflussfaktoren nun tatsächlich am besten gewichtet werden, wird in dieser Arbeit nicht beantwortet, eine Anpassung der Gewichtung könnte Bestandteil einer Folgestudie sein.
Abbildung 14: Veränderung des LF-‐Index bei unterschiedlicher Gewichtung der Siedlungsgebiete in der Stadt Zürich: Gemeindeumriss und 2-‐km-‐Puffer um Siedlungsgebiete.
Die Veränderungen des Landschaftsfaktoren-‐Index sind in Abbildung 15 für Rückwanderer und Neuzuzüger getrennt ersichtlich. Auch hier sind kaum grosse Unterschiede in der Verteilung erkenn-‐
bar. Für beide Migrationstypen gilt, dass grösstenteils eine Verbesserung des Landschaftsfaktoren-‐
Index aufgrund des Zuzugs in eine ländliche Gemeinde erreicht wird (Werte grösser als 0). Im Durch-‐
schnitt verbesserte sich der Wert des LF-‐Index für Rückwanderer um 5,56 und für Neuzuzüger um 5,81.
Abbildung 15: Veränderung des Landschaftsfaktoren-‐Index (in 5er-‐Klassen) für Rückwanderer und Neuzuzüger beim Zuzug von einer Agglomerationsgemeinde in eine ländliche Gemeinde.