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Archiv "Kassenärztliche Bundesvereinigung: Stille Revolution" (04.04.2008)

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Deutsches ÄrzteblattJg. 105Heft 144. April 2008 A713

P O L I T I K

W

ären die Kassenärztlichen Vereinigungen Personen, würde man sagen, sie stehen mit dem Rücken zur Wand. Die Politik untergräbt mit der Liberalisierung des Vertragsgeschäfts in der ambu- lanten Versorgung die einstige Mo- nopolstellung der ärztlichen Körper- schaften. Seit die AOK Baden-Würt- temberg Ende 2007 entschied, die hausarztzentrierte Versorgung ihrer Versicherten nicht mehr über die dortige KV, sondern über die Ärzte-

organisation Medi und den Hausärz- teverband zu organisieren, hat diese Entwicklung eine neue Dynamik er- halten. Auch die Unzufriedenheit bei den Mitgliedern wächst. Viele Ärz- tinnen und Ärzte würden den KVen am liebsten den Rücken kehren, weil sie in ihren Augen mitverantwortlich sind für Bürokratiewust und Ho- norarmisere. Der Bayerische Haus- ärzteverband und Medi Baden-Würt- temberg werben zurzeit massiv für eine kollektive Rückgabe der Kas- senzulassung. Der Erfolg des Pro- jekts ist zwar fraglich, doch die Zu- stimmung unter Ärztinnen und Ärz- ten liegt in einigen Regionen Bay- erns bei 50 Prozent.

Für das KV-System ist es höchste Zeit, dem etwas Konstruktives ent- gegenzusetzen. Einen Vorstoß hat jetzt die Kassenärztliche Bundes- vereinigung (KBV) unternommen und ein Diskussionspapier zur stra- tegischen Neuausrichtung der Kör- perschaften im Wettbewerb vorge- legt. Was harmlos klingt, ist in Wirklichkeit eine Revolution. Denn

wenn sich die KBV mit ihrem Kon- zept durchsetzen kann, bleibt in der medizinischen Versorgung kaum et- was so, wie es war. Es sieht nämlich vor, die Versorgungsebenen – Haus- arzt, Facharzt, Krankenhaus – neu zu definieren und für jede Ebe- ne Wettbewerbsregeln einzuführen.

„Wir wollen mit diesem Papier auf zwei Fragen eine klare Antwort ge- ben“, sagt der KBV-Vorstandsvor- sitzende, Dr. med. Andreas Köhler.

„Das ist zum einen die Frage, wie wir trotz drohendem Ärztemangel flächen- deckend eine wohn- ortnahe Versorgung sicherstellen können.

Und zum anderen die Frage, wo Wettbewerb stattfinden soll.“

Das KBV-Konzept geht von drei Grundprinzipien aus:

> Je mehr die Versorgung der Versicherten Wohnortnähe und Flä- chendeckung erfordert, desto stärker müssen kollektivvertragliche Struk- turen vorhanden sein.

> Je krankenhausnäher und spe- zialisierter die Versorgung der Ver-

sicherten ist, desto mehr Wettbe- werb wird notwendig.

> Die freie Arztwahl innerhalb einer Versorgungsebene bleibt erhal- ten, der Zugang zur nächsten Ver- sorgungsebene wird gesteuert.

Die KBV definiert in ihrem Stra- tegiepapier fünf Versorgungsebenen:

die Primärversorgung, die wohn- ortnahe fachärztliche Versorgung, die spezialisierte fachärztliche kran- kenhausnahe Versorgung, die statio- näre Grund- und Regelversorgung sowie die stationäre spezialisierte Versorgung.

Auf der Ebene der Primärversor- gung, das heißt für die hausärztliche Betreuung der Patienten, gilt der Kol- lektivvertrag. Vertragspartner sind, wie bisher, Krankenkassen und KVen.

Zusätzlich zum Kollektivvertrag können die Kassen sektorübergrei- fende Integrationsverträge schließen.

Bei diesen ergänzenden Verträgen ist die KV ein möglicher Vertragspartner unter vielen.

An der Primärversorgung teilneh- men können Ärzte für Allgemeinme- dizin, hausärztliche Internisten, Kin- der-, Frauen- und Augenärzte. In Re- gionen, in denen Hausärztemangel herrscht, sollen auch Fachärzte der wohnortnahen fachärztlichen Versor- gungsebene an der Primärversorgung teilnehmen dürfen. Sie benötigen da- für eine Zusatzqualifikation und dür- fen, wenn sie sich für die Primär- versorgung entscheiden, nicht mehr fachärztlich tätig sein. Die Patienten können auf dieser Ebene ihren Arzt frei wählen. Wollen sie in eine höhere Versorgungsebene wechseln, benöti- gen sie eine Überweisung. „Das ist kein Primärarztmodell“, betont KBV- Vorstand Köhler. „Denn das Konzept sieht nicht vor, dass sich der Versi- cherte für eine bestimmte Zeit an ei- nen Hausarzt bindet.“ Dennoch sei es sinnvoll, wenn ein Arzt der Primär-

KASSENÄRZTLICHE BUNDESVEREINIGUNG

Stille Revolution

Die Kassenärztlichen Vereinigungen diskutieren zurzeit intern ein Papier, das Ordnung in den Vertragswettbewerb bringen soll. Wird das Konzept verwirklicht, bleibt in der Versorgung kaum etwas, wie es war.

DIE FÜNF EBENEN

Primärversorgung Wohnortnahe fachärztliche

Versorgung Spezialisierte fachärztliche krankenhausnahe Versorgung

Stationäre Grund- und Regelversorgung Stationäre spezialisierte

Versorgung

Jeder Arzt muss sich jetzt zwischen drei

Dingen entscheiden. Setzt er auf die KV, auf

freie Verträge oder auf den Systemausstieg?

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A714 Deutsches ÄrzteblattJg. 105Heft 144. April 2008

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versorgung die Steuerungsverant- wortung übernehme. „Gerade im Wettbewerb wird es für die Patienten immer schwieriger, die Versorgungs- kette zu erkennen. Das System wird komplexer“, sagt Köhler. Lotse der Wahl ist auch für die KBV in erster Linie der Facharzt für Allgemeinme- dizin. Dieser Teil des Konzepts dürf- te deshalb auch dem Deutschen Hausärzteverband gefallen. Will eine Krankenkasse ihren Versicherten den freien Zugang zu allen Versorgungs- ebenen ermöglichen, kann sie spezi- elle Wahltarife anbieten.

Wechsel der Versorgungsebene nur mit Überweisung

Die Organisationsstruktur auf der Ebene der Primärversorgung wird sich nach Ansicht der KBV kaum verändern. Sie geht davon aus, dass Einzel- und Gruppenpraxen vorherr- schen. Medizinische Versorgungs- zentren würden – wenn überhaupt – in Ballungsgebieten in der Primär- versorgung tätig werden. Grundlage für die Vergütung bleibt der Einheit- liche Bewertungsmaßstab. Dabei wird der Vergütungsanteil für die Primärversorgung separat definiert und weiterentwickelt. Für Versicher- te, die ohne Überweisung einen Arzt der nächsten Versorgungsebene auf- suchen, gilt nicht mehr das Sachleis- tungsprinzip. Sie müssen in Vorleis- tung treten und sich die Kosten von ihrer Krankenkasse erstatten lassen.

Auf der wohnortnahen fachärztli- chen Versorgungsebene wählen die Krankenkassen jeweils aus, welche Vertragsform ihnen für die Sicher- stellung der Versorgung am besten geeignet erscheint: der Kollektiv- vertrag mit der KV, Verträge nach

§ 73 c SGB V („Besondere ambulan- te ärztliche Versorgung“) oder Inte- grationsverträge jeweils mit der KV oder anderen Partnern. Ein Neben- einander mehrerer Vertragsformen in einer Region ist nach dem KBV- Konzept jedoch nicht möglich.

Dass eine solche Wettbewerbs- ordnung die KV über kurz oder lang auf eine reine Hausarzt-KV redu- zieren könnte, sieht KBV-Vorstand Köhler nicht. „Ich bin überzeugt, dass wir über §-73c- und Integrati- onsverträge sehr wohl als Vertrags- partner in den anderen Versorgungs-

ebenen vertreten sein werden. Die Frage ist: Wollen die Ärzte mit uns oder mit anderen Partnern Kassen- verträge schließen? Dem muss sich das KV-System jetzt stellen.“ Künf- tig können auch Verbände, Genos- senschaften, Verbünde oder Manage- mentgesellschaften Vertragspartner der Kassen werden. „Ob sie damit aufgewertet werden, lässt sich heute noch nicht sagen“, meint Köhler.

„Das wird der einzelne Arzt ent- scheiden. Das ist Wettbewerb.“

Auf der Ebene der spezialisier- ten fachärztlichen krankenhausnahen Versorgungsebene geht dem KBV- Konzept zufolge der Sicherstellungs- auftrag auf die Krankenkassen über.

Den Kollektivvertrag gibt es dort nicht mehr. Die KV kann nur noch als ein möglicher Vertragspartner von vielen im Rahmen von §-73c- und Integrationsverträgen auftreten.

„Die Trennlinie zwischen der wohn- ortnahen fachärztlichen Versorgung und der spezialisierten fachärztli- chen krankenhausnahen Versorgung verläuft innerhalb der Arztgruppen“, erläutert Köhler das Konzept. „Wir haben heute schon Frauenärzte, die hoch spezialisiert sind und nur La- borleistungen anbieten oder nur Re- produktionsmedizin oder nur gynä- kologische Endokrinologie. Sie ar- beiten krankenhausnah und werden über kurz oder lang – das ist unter an- derem eine Folge des Vertragsarzt- rechtsänderungsgesetzes – sowohl im Krankenhaus als auch in der Nie- derlassung tätig sein.“ Die betroffe- nen Fachärzte müssten sich für eine Versorgungsebene entscheiden. „Der Charme liegt darin, dass hier die Sektorengrenze ambulant/stationär überschritten wird“, sagt Köhler. Die Kassen können nach dem KBV-Kon- zept entweder mit ambulant tätigen Ärzten oder mit stationären Einrich- tungen Verträge schließen. Vergütet werden deren Leistungen nach einer einheitlichen Gebührenordnung.

Die KBV geht davon aus, dass auf dieser Versorgungsebene das Medi- zinische Versorgungszentrum mit an- gestellten Ärzten dominieren wird.

„Wir unterscheiden zwischen der wohnortnahen fachärztlichen Grund- versorgung – die bleibt weiterhin in der Einzel- und Gemeinschaftspraxis – und der krankenhausnahen fach-

ärztlichen Versorgung“, erklärt Köh- ler. „Letztere wird eher in größere Organisationseinheiten münden. Aus Effizienz- und Kostengründen macht das auch Sinn.“

Am Konzept zur stationären Grund- und Regelversorgung arbei- tet die KBV noch. Hier stelle sich die Frage, inwieweit diese eher über ein Konsiliar- und Belegarztsystem organisiert werden sollte. „Das gibt es ja auch in anderen Ländern“, sagt Köhler. „Dort stellen Kommunen, Länder oder private Träger die In- frastruktur bereit, und niedergelas- sene Ärztinnen und Ärzte überneh- men die Versorgung. Dieses System ist durchaus bewährt und würde an bestimmten Stellen auch das Pro- blem des Ärztemangels lösen.“

Sollte die Strategie der KBV sich umsetzen lassen, müssen sich auch die KVen verändern. „Wir werden die Repräsentanz der einzelnen Versor- gungsebenen stärker in den Entschei- dungsstrukturen verankern müssen“, ist Köhler überzeugt. In jedem Fall müsse sich das KV-System offensiv dem Wettbewerb stellen.

Die Sachzwänge bleiben, auch wenn die KV weg ist

Ob jedoch die künftige Vertragsviel- falt Patienten und Ärzten nützt, ist of- fen. Die einen versprechen sich eine Steigerung von Qualität und Effi- zienz. Die anderen befürchten eine Zersplitterung der Versorgungsland- schaft und den bürokratischen Super- GAU. „Es gibt eine große Unsicher- heit“, sagt Köhler. „Jeder Arzt muss sich jetzt im Grunde zwischen drei Dingen entscheiden. Setzt er auf die KV und deren Revitalisierung? Setzt er auf freie Verträge und einen Wettbewerb, bei dem die Kasse nach- fragt und er zum Einzelanbieter wird?

Oder setzt er auf den Systemausstieg und ein individuelles Vertragsverhält- nis zum Patienten?“ Hinzu komme die große Unzufriedenheit mit den ökonomischen Rahmenbedingun- gen. „Bedauerlicherweise wird das immer alles auf die KV geschoben“, sagt Köhler. „Die Ärzte sehen nicht, dass das die Sachzwänge sind, die uns die Politik auferlegt hat. Das Pro- blem ist, dass die Sachzwänge blei- ben, auch wenn die KV weg ist.“ I Heike Korzilius

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