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Archiv "Vertikale HIV-Transmission und Transmissionsprophylaxe" (22.06.2007)

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S

chätzungen des Robert-Koch-Institutes zufolge leben in Deutschland derzeit etwa 49 000 Men- schen mit einer HIV-Infektion, 2 600 Personen haben sich im Jahr 2005 neu mit HIV infiziert – davon etwa 2 250 Männer, 350 Frauen und 20 Kinder (1). Die HIV-Infektion im Kindesalter erfolgt überwiegend vertikal entweder während der Schwangerschaft, un- ter der Geburt oder über die Muttermilch (2). In Euro- pa beträgt die vertikale Infektionsrate circa 14 %, wenn keine präventiven Maßnahmen ergriffen werden (3, 4). Eine niedrige CD4-Zahl, eine hohe Viruslast,

Frühgeburtlichkeit, vorzeitige Wehen, ein vorzeitiger Blasensprung oder ein Amnioninfektionssyndrom sind Risikofaktoren für eine erhöhte vertikale Trans- mission (5, 6).

Mit einer effektiven antiretroviralen Prophylaxe kann das Risiko einer vertikalen HIV-Transmission heute auf < 2 % gesenkt werden (7, 8, 9). Die Säulen der Prophylaxe bestehen aus:

pränatal: einer risikoadaptierten antiretroviralen, medikamentösen Therapie (ART) der Schwange- ren

ORIGINALARBEIT

Vertikale HIV-Transmission und Transmissionsprophylaxe

Retrospektive Studie am Universitätsklinikum Düsseldorf von 1998–2004 Jennifer Neubert, Joerg Gehrke, Ulrike Friebe-Hoffmann,

Hans Stannigel, Mark Oette, Ulrich Göbel, Tim Niehues

ZUSAMMENFASSUNG

Einleitung: In klinischen Studien wird die vertikale Transmissionsrate für HIV durch eine präpartale, intrapartale und postnatale antiretrovirale Prophylaxe, elektive Sectio caesarea und Stillverzicht auf < 2 % gesenkt. In dieser Studie wurde untersucht, wie vielen Schwangeren ihr HIV-Status bekannt war, welche von ihnen eine vollständige Transmissionsprophylaxe erhielten und ob die vertikale HIV-Transmissionsrate unter 2 % lag.

Methoden: Die Autoren analysierten die Daten von 118 HIV-exponierten Kindern, die an der Universitätskinderkli- nik Düsseldorf betreut wurden. Der Großteil der Kinder (58, 5 %) war in auswärtigen Kliniken geboren worden.

Ergebnisse: Die Transmissionsprophylaxe wird häufig nicht vollständig wahrgenommen; bei 21,6 % der Mutter-Kind- Paare erfolgte keine Prophylaxe. Der fehlende HIV-Test war die Hauptursache für dieses Versäumnis. Die Trans- missionsrate lag bei 10,3 %, bei vollständiger Transmis- sionsprophylaxe bei 2,2 %. Diskussion: Zwischen der aus Studien ermittelten Transmissionsrate von < 2 % und der Transmissionsrate in der alltäglichen Praxis bestehen zum Teil erhebliche Unterschiede. Eine erfolgreiche Transmis- sionsprophylaxe ist nur möglich, wenn der HIV-Status der Mutter bekannt ist.

Dtsch Arztebl 2007; 104(25): A 1827–31.

Schlüsselwörter: HIV, vertikale Transmission, Kinder, Transmissionsprophylaxe

SUMMARY

VERTICAL TRANSMISSION OF HIV AND

TRANSMISSION PREVENTION – RETROSPECTIVE DATA FROM THE UNIVERSITY HOSPITAL

DÜSSELDORF BETWEEN 1998–2004

Introduction: In clinical studies prophylactic antiretroviral treatment, elective cesarian section, and the avoidance of breastfeeding will reduce vertical transmission of HIV to less than 2 %. The objective of this study was to determine how many pregnant women were not diagnosed as HIV positive how many received a complete mother to child transmission (MTCT) prophylaxis. Methods: Data on 118 children were analysed retrospectively, all of whom were born to HIV positive mothers and referred to the University Children´s Hospital Düsseldorf. The majority of 69/118 children had been born in external hospitals. Results: In 21.6 % of pregnancies analysed, interventions to prevent MTCT were not fully implemented. In most of these cases HIV screening had not been offered during pregnancy.

Undiagnosed HIV in the mother was the main reason for failure to implement effective MTCT. The overall trans- mission rate was 10.3 %. When intervention to prevent MTCT was offered the overall transmission rate was 2.2 %.

Discussion: In this day to day clinical practice analysis of a German cohort MTCT occurs more often than expected from clinical studies. This is mainly due to undiagnosed HIV Infection because of lack of HIV testing or inefficient response to positive test results.

Dtsch Arztebl 2007; 104(25): A 1827–31.

Key words: HIV, vertical transmission, neonatal HIV, perinatal prophylaxis

Klinik für Kinder-Onkologie, -Hämatologie und -Klinische Immunologie, Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin, Universitätsklinikum Düsseldorf:

Dr. med. Neubert, Dr. med. Gehrke, Prof. Dr. med. Göbel, PD Dr. med. Niehues Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe, Universitätsklinikum Düsseldorf: Dr. med.

Friebe-Hoffmann Klinik für Allgemeine Pädiatrie, Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin, Universitätsklinikum Düsseldorf: Dr. med.

Stannigel Klinik für Gastroenterologie, Hepatologie und Infektiologie, Universitätsklinikum Düsseldorf:

Dr. med. Oette

(2)

intrapartal: einer elektiven Sectio caesarea am wehenlosen Uterus in der 37. Schwangerschafts- woche (SSW), einer i.v.- Zidovudin-Gabe und ei- ner adäquaten Kreißsaalversorgung des HIV-ex- ponierten Neugeborenen (zum Beispiel: vorzeiti- ges Austupfen von Körperöffnungen)

postnatal: einem Stillverzicht und einer risiko- adaptierten antiretroviralen Prophylaxe des Kin- des (2).

Die Durchführung dieser effektiven Prophylaxe setzt voraus, dass der HIV-Status der Mutter bekannt ist. Die vorliegende Arbeit soll einen Beitrag zur Ver- sorgungsforschung durch Evaluierung der Effektivität der vertikalen HIV-Transmissionsprophylaxe leisten.

Fragestellung

Anhand der Daten eines Kollektivs von 118 HIV- exponierten Kindern, die alle in der Ambulanz für Pädiatrische Immunologie und Rheumatologie der Klinik für Kinder-Onkologie, -Hämatologie und -Kli- nische Immunologie am Universitätsklinikum Düssel- dorf (UKD) betreut wurden und in auswärtigen Kliniken oder in der Frauenklinik des UKD zur Welt gekommen waren, werden folgende Hypothesen über- prüft:

Allen Schwangeren ist ihr HIV-Status bekannt.

Bei allen HIV-positiven Schwangeren wird eine vollständige Transmissionsprophylaxe durchge- führt.

Die vertikale HIV-Transmissionsrate des Ge- samtkollektivs der untersuchten HIV-positiven Schwangeren liegt unter 2 %.

Patienten und Methoden

In einer retrospektiven Studie wurden 118 HIV-expo- nierte Kinder, die in der Kinderklinik der Universität Düsseldorf betreut wurden, analysiert. Der Beobach- tungszeitraum erstreckt sich vom 1. Januar 1998 bis zum 31. Dezember 2004. Es wurden folgende Ein- schlusskriterien definiert:

Entbindung der HIV-positiven Mutter in der Uni- versitätsfrauenklinik Düsseldorf

Entbindung der HIV-positiven Mutter in einer ex- ternen Klinik und anschließende Vorstellung des Kindes innerhalb der ersten 18 Lebensmonate, entweder zur weiterführenden Diagnostik bei HIV-Exposition oder zur Therapie des HIV-infi- zierten Kindes in der Universitätskinderklinik Düsseldorf.

Patientenkollektiv

Im Patientenkollektiv befanden sich 118 Kinder von 109 HIV-infizierten Müttern. Es bestanden 2 Gemini- Schwangerschaften, 7 Mütter trugen 2 aufeinander- folgende Schwangerschaften aus. Bei diesen Müttern erfolgte eine Mehrfachnennung. In diesem Kollektiv befanden sich 69 Kinder (58,5 %), die in auswärtigen Kliniken geboren worden waren. Der andere Teil der Kinder (n = 49, entsprechend 41,5 %) kam im Univer- sitätsklinikum Düsseldorf zur Welt. Die Mütter

stammten zu 65,4 % aus Afrika, 26 % aus West-Euro- pa, 3,8 % aus Asien, 2,9 % aus Ost-Europa und 1,9 % aus der Karibik.

Die Information über das Gestationsalter bei Geburt lag in 110 Schwangerschaften vor. Der Durchschnitt lag bei 36,9 ± 2,1 Wochen, die kürzeste Schwanger- schaft dauerte 25, die längste 43 Wochen.

Gemäß Schwangerschaftsleitlinien wird in norma- les, erhöhtes – zum Beispiel vorzeitige Wehen – und sehr hohes Transmissionsrisiko wie beispielsweise Aids unterteilt (2). Bei unregelmäßigem Erscheinen zu Vorstellungsterminen oder ungenauen Angaben zu Medikamenten wurde die Compliance als problema- tisch eingestuft.

Entbindungskliniken

Die Zahl an externen Entbindungen verteilte sich wie folgt: Arnsberg (n = 1), Berlin (n = 2), Bonn (n = 1), Datteln (n = 1), Dinslaken (n = 1), Dortmund (n = 12), Dresden (n = 1), Duisburg (n = 6), Düsseldorf (n = 6), Essen (n = 2), Hamm (n = 5), Hüsten (n = 1), Köln (n = 5), Krefeld (n = 3), Langenfeld (n = 1), Moers (n = 2), Mönchengladbach (n = 3), Münster (n = 2), Neuss (n = 2), Paderborn (n = 1), Rheinhausen (n = 1), Solingen (n = 4), Wesel (n = 1), Wuppertal (n = 4) sowie Thailand (n = 1).

Ergebnisse

Kenntnisstand der Mütter über den HIV-Status

Bei 99 der 118 Geburten (83,9 %) wussten die Mütter bereits in der Schwangerschaft von ihrer HIV-Infekti- on. Bei 16 Geburten (13,6 %) war die HIV-Infektion nicht bekannt. Bei 2 weiteren Geburten ist nicht doku- mentiert, ob die Mütter von ihrer Infektion wussten, weil das positive Ergebnis des HIV-Tests nicht über- mittelt werden konnte. Bei einer Geburt war der Test in der Frühschwangerschaft zunächst negativ. Mögli- cherweise infizierte sich die Mutter kurz vor oder während der Schwangerschaft und es kam erst später zu einer Serokonversion. Ein Folgetest wurde nicht durchgeführt. Alle Frauen, die zum Zeitpunkt der Ge- burt nicht über ihre HIV-Infektion informiert waren, wurden in externen Kliniken entbunden. Aus der Tat- sache heraus, dass den Frauen und den behandelnden Ärzten der HIV-Status der Mutter nicht bekannt war, erklären sich die nachfolgend erhobenen Befunde.

Transmissionsprophylaxe bei HIV-positiven Schwangeren Bei 102 Schwangerschaften sind die Daten über eine antiretrovirale Therapie dokumentiert. Am häufigsten wurde die Dreifach-Therapie angewandt (32,3 %). Ei- ne Zweifach-Therapie wurde in 25 Schwangerschaf- ten (24,5 %) durchgeführt, in 2 Schwangerschaften sogar eine Vierfach-Therapie. Eine Monotherapie mit Zidovudin (AZT) wurde 14 Schwangeren (13,7 %) gegeben. 22 Schwangere (21,6 %) erhielten keine Therapie. Bei 6 Schwangerschaften wurde zwar be- handelt, die Art der antiretroviralen Therapie (Kombi- nationstherapie oder Monotherapie) wurde jedoch nicht dokumentiert.

(3)

Entbindungsmodus

Bei 112 Geburten liegen Daten zum Entbindungsmo- dus vor. Der häufigste Entbindungsmodus war die primäre Sectio am wehenfreien Uterus (76 %). 13 von 112 Kindern kamen mittels Spontanpartus zur Welt (12 %). Bei einsetzender Wehentätigkeit wurde die sekundäre Sectio bei 14 Schwangeren (12 %) vorge- nommen.

Intrapartale antiretrovirale Prophylaxe

Bei 116 Geburten liegen Daten darüber vor, ob eine intrapartale antiretrovirale Prophylaxe durchgeführt wurde. Bei 20 Schwangeren (17 %) erfolgte keine Therapie, bei 93 eine Therapie mit Zidovudin und bei 3 eine Behandlung mit Zidovudin und Nevirapin.

Postnatale antiretrovirale Therapie

Insgesamt wurden 99 Kinder nach der Geburt mit ei- ner Postexpositions-Prophylaxe behandelt. Bei 16 Kindern fand keine Therapie statt, bei 3 Kindern wur- de nicht dokumentiert, ob die Kinder eine Postexposi- tionsprophylaxe erhielten. Die häufigste Form der Therapie war die Monotherapie mit AZT. Sie wurde bei 84 Kindern (73,0 %) angewendet.

Stillen

8 der 118 Kinder wurden gestillt. 101 Kinder (85,6 %) wurden nicht gestillt. Bei 9 Kindern konnten keine Angaben gemacht werden. Unabhängig von anderen Risikofaktoren haben von den 8 gestillten Kindern 5 Kinder eine HIV-Infektion.

Vollständigkeit der Transmissionsprophylaxe

Bei 92 Kindern erfolgte ein vollständiges Therapiere- gime, bestehend aus prä-, intrapartaler und postnataler antiretroviraler Therapie (ART), Sectio und Still- verzicht. Eine inkomplette Transmissionsprophylaxe fand bei 9 Kindern statt, bei 1 Kind konnte keine Angabe gemacht werden. 16 Kinder erhielten keine Transmissionsprophylaxe, weil bei der Mutter die HIV-Infektion in der Schwangerschaft nicht bekannt war.

Faktoren für die Einteilung in die Transmissionsrisiko-Gruppe

76 von 118 Schwangerschaften verliefen normal. Bei 25 lag ein erhöhtes Transmissionsrisiko und bei 11 ein sehr hohes Transmissionsrisiko vor. Bei 6 Schwangerschaften konnte keine Aussage über das Risiko getroffen werden. Es wurde untersucht, welche geburtshilflichen Risiken vorlagen, die zu einer Er- höhung des Transmissionsrisikos für das HIV-expo- nierte Kind führen konnten. Eine vorzeitige We- hentätigkeit trat bei 12 Geburten, eine vorzeitige We- hentätigkeit in Kombination mit einem Amnioninfek- tionssyndrom bei 4 Geburten auf. Angaben zur Virus- last im letzten Trimenon gab es bei 46 Schwangeren (39 %). Der Mittelwert lag bei 3 582 Eq/mL ± 6 805 (Eq/mL = HI Virusäquivalente/mL). Eine Viruslast

> 10 000 Eq/mL führt zur Einstufung in die Gruppe

mit sehr hohem Transmissionsrisiko für eine vertikale HIV-Infektion. Am häufigsten (bei 42 Frauen) betrug die Viruslast < 10 000 Eq/mL. Bei 4 Frauen lag die Vi- ruslast > 10 000 Eq/mL.

Bestimmung der Transmissionsrate

Im Gesamtkollektiv infizierten sich 12 Kinder mit HIV.

Davon waren 2 Kinder zuvor in die Gruppe der HIV-ex- ponierten Kinder mit geburtshilflich niedrigem Trans- missionsrisiko eingeteilt worden. Die weiteren 10 HIV- infizierten Kinder entstammten der Gruppe mit geburts- hilflich hohem Transmissionsrisiko (n = 25). Trotz voll- ständig durchgeführter Transmissonsprophylaxe infi- zierten sich 2 der 92 Kinder (2,2 %) mit HIV (Tabelle 1).

In beiden Schwangerschaften ist dokumentiert, dass die Compliance der HIV-positiven Mütter im Hinblick auf die Einnahme der antiretroviralen Medikamente proble- matisch war. Beide Kinder waren in die Gruppe der HIV-exponierten Kinder mit niedrigem Transmissions- risiko eingeteilt worden. Die Viruslast im letzten Trime- non lag bei beiden Müttern < 10 000 Eq/mL.

Von den 16 Mutter-Kind-Paaren, bei denen keine Transmissionsprophylaxe durchgeführt wurde, infi- zierten sich insgesamt 9 Kinder (56,3 %). Bei inkom- plett durchgeführter Transmissionsprophylaxe infi- zierte sich 1 von 10 Kindern (10 %) vertikal mit HIV.

Insgesamt beträgt die HIV-Transmissionsrate im Ge- samtkollektiv 10,3 %.

HIV-infizierte Kinder und Konstellationen bei vertikaler HIV-Transmission

Bei 5 Schwangeren war kein HIV-Test durchgeführt worden (Konstellation I), bei 3 war der Test zwar vor- genommen worden, hatte aber zu keiner Konsequenz geführt (Konstellation II), und bei 3 Schwangeren mit bekannter HIV-Infektion waren Probleme mit der Ein- nahme der antiretroviralen Medikamente aufgetreten (Konstellation III) (Tabelle 2).

Diskussion

Die präpartale, intrapartale und postpartale antiretro- virale Therapie, die elektive Sectio caesarea und der Stillverzicht sind feste Bestandteile der HIV-Trans- missionsprophylaxe. Durch eine kombinierte risiko- adaptierte Intervention kann das vertikale HIV-Trans- missionsrisiko von 15 bis 40 % auf unter 2 % gesenkt werden (7, 8, 9).

TABELLE 1

Transmissionsrate in Abhängigkeit von der Vollständigkeit der Transmis- sionsprophylaxe

Transmissionsprophylaxe

komplett (n = 92) inkomplett (n = 10) keine (n = 16)

HIV-Kind negativ 90 8 7

HIV-Kind positiv 2 1 9

Transmissionsrate 2,2 % 11,1 % 56,3 %

(4)

In der Arbeit von Gingelmaier et al. war die HIV-Trans- missionsrate bei 599 Geburten in 10 deutschen Zentren und bei vollständig durchgeführter Prophylaxe 1,68 % (10). Die Unterschiede in den Transmissionsraten (2,2 versus 1,68 %) beruhen möglicherweise auf der niedrigen Fallzahl in der vorliegenden Studie beziehungsweise auf dem unterschiedlichen Studiendesign: Die hier vorgelegte Studie hatte unterschiedliche Ein- und Ausschlusskriteri- en, insbesondere das Einschlusskriterium Geburt außer- halb eines HIV-Schwerpunktzentrums.

In der Untersuchung der Autoren zeigte sich, dass 13 Kinder mittels Spontanpartus zur Welt kamen – bei allen Geburten war die HIV-Infektion nicht bekannt. Ähnli- ches galt für die medikamentöse Prophylaxe.

Eine erfolgreiche Transmissionsprophylaxe ist nur möglich, wenn der HIV-Status der Mutter bekannt ist.

Nur in 83,9 % hatten die Mütter Kenntnis über ihre HIV-Infektion. Alle Frauen, die zum Zeitpunkt der Ge- burt nicht über ihre HIV-Infektion informiert waren, wurden extern betreut. Bei 6 der 12 HIV-infizierten Kin- der war der fehlende HIV-Test in der Schwangerschaft

die Hauptursache dafür, dass es zur vertikalen HIV- Transmission kam. Bei 5 der 12 vertikalen HIV-Infek- tionen stammten die Frauen aus HIV-Endemiegebieten und in allen 5 Schwangerschaften war kein HIV-Test durchgeführt worden. Diese Arbeit zeigt, dass bei der Schwangerschaftsvorsorge trotz Herkunft aus Endemie- gebieten nicht immer ein HIV-Test vorgenommen wird und deshalb eine effektive Transmissionsprophylaxe unterbleibt. Die genaue Ursache für den hohen Anteil an extern betreuten Schwangeren ohne HIV-Test ist unklar.

Nicht alle HIV-infizierten Frauen werden in HIV- Schwerpunktzentren während der Schwangerschaft und Geburt betreut, wie die Verteilung der Kliniken in dieser Untersuchung zeigt.

Die Untersuchung belegt, dass die Durchführung des HIV-Tests allein nicht immer ausreicht. In 2 Schwan- gerschaften wurde das positive HIV-Testergebnis nicht an die Frau übermittelt und führte deshalb zu keiner the- rapeutischen Konsequenz. In einer Schwangerschaft hatte der HIV-Test bei einer Frau zunächst ein negatives Ergebnis erbracht. Ob die Betroffene zum Zeitpunkt des Tests überhaupt schon HIV-positiv war oder ob die In- fektion zu einem späteren Zeitpunkt der Schwanger- schaft erfolgte, bleibt unklar.

Die Transmissionsrate im Kollektiv bei Kindern ohne Transmissionsprophylaxe war außerordentlich hoch. Zu bedenken ist an dieser Stelle, dass die in der vorliegen- den Untersuchung ermittelte Transmissionsrate bei Kin- dern ohne Transmissionsprophylaxe auf einer geringen Fallzahl von nur 16 Geburten basiert. Darüber hinaus besteht ein „Bias“, weil es sich gerade bei den Mutter- Kind-Paaren, bei denen keine Transmissionsprophylaxe durchgeführt wurde, um Risikoschwangerschaften han- delt, in denen beispielsweise die Frauen die Vorsorge- untersuchungen nicht wahrnahmen oder Compliance- probleme bestanden.

Trotz vollständig durchgeführter Transmissionspro- phylaxe infizierten sich 2 der 92 Kinder (2,2 %) mit HIV. Bei beiden Mutter-Kind-Paaren, bei denen es trotz vollständiger Transmissionsprophylaxe zu einer verti- kalen HIV-Transmission kam, ist dokumentiert, dass die Compliance der betreffenden HIV-positiven Mütter mangelhaft war. Dies trug möglicherweise dazu bei, dass es zu einer maternofetalen Transmission kam und die erwartete Transmissionsrate von < 2 % im Kollektiv verfehlt wurde. Allerdings könnte es auch sein, dass die Transmissionsrate im klinischen Alltag höher liegt als dies anhand der Studienlage zu erwarten ist.

Patientinnen mit Complianceproblemen und Sprach- barriere werden möglicherweise in klinische Studien nicht eingeschlossen. Bei der Bewertung der Transmissionsrate im Gesamtkollektiv ist allerdings zu berücksichtigen, dass in der Literatur zum Teil die Transmissionsraten von Kol- lektiven mit einer vollständigen Transmissionsprophylaxe dargestellt werden beziehungsweise Patientinnen ausge- schlossen sind, die erst nach der Geburt über ihre Diagno- se informiert wurden. In der hier vorgelegten Auswertung sind diese Schwangerschaften aber bewusst enthalten, um den Stand einer möglichst flächendeckenden Transmis- sionsprophylaxe erkennbar zu machen.

* Bei unregelmäßigem Erscheinen zu Vorstellungsterminen oder ungenauen Angaben zu Medikamenten wurde die Compliance als problematisch eingestuft.

TABELLE 2

Synopse der infizierten Kinder im Gesamtkollektiv Konstellationen bei vertikaler HIV-Transmission

Kind, Alter Zugehörigkeit HIV-Test Transmissions- bei Diagnose zu Risikogruppe durchgeführt prophylaxe Konstellation I: HIV-Test bei der Mutter nicht durchgeführt

3 Jahre ja (Kongo) nein nein

7 Monate ja (Kongo), 5-jährige

Tochter an Pneumonie nein nein

gestorben 3 Jahre ja (Elfenbeinküste,

Tumoren im nein nein

Kieferbereich)

5 Monate ja (Kongo) nein nein

3 Jahre ja nein (trotz Anfrage) nein

2 Jahre ja (Haiti) nein nein, nur Sectio

Konstellation II: HIV-Test bei der Mutter durchgeführt, aber keine Konsequenz

2 Jahre nein ja (zu früh im 1. nein

Monat: negativ)

6 Monate ja (Kenia) ja (Frauenarzt nein

gewechselt)

9 Monate nein ja (weggezogen) nein

Konstellation III: HIV schon vor Schwangerschaft bekannt, aber Compliance problematisch

11 Monate ja (HIV bekannt,

Mutter bricht von sich entfällt nein

aus Therapie ab)

1 Monat ja (HIV bekannt, entfällt ja

Complianceprobleme)

1 Monat ja (HIV bekannt, entfällt ja

Complianceprobleme)*

(5)

In Deutschland wird zurzeit eine Opt-in-Strategie an- gewandt. Bei dieser Strategie werden die Schwangeren vor Abnahme des Blutes für den HIV-Test gefragt, ob sie einwilligen. Bei der Opt-out-Strategie müssen die Schwangeren aktiv und von sich aus den Test ablehnen, sonst wird er routinemäßig durchgeführt. In anderen Län- dern, zum Beispiel den USA, ist die Erfassung HIV-infi- zierter Schwangerer ebenfalls unvollständig und es zei- gen sich starke regionale Unterschiede aufgrund unter- schiedlicher Strategien. Es konnte jedoch gezeigt werden, dass die Erfassung des HIV-Status in der Schwanger- schaft in Regionen mit Opt-out-Test-Strategien deutlich höher ist als in Regionen mit einer Opt-in-Strategie (11).

Über das persönliche Schicksal des betroffenen Kindes hinaus ist zu bedenken, dass die Kosten eines HIV-Tests in der Schwangerschaft mit etwa 10 Euro pro Test (budget- neutral) gering sind. Eine lebenslange antiretrovirale The- rapie kostet > 20 000 Euro pro Jahr. Experten weisen dar- auf hin, dass nicht bei allen HIV-infizierten Schwangeren Risikofaktoren für eine HIV-Infektion – wie etwa Her- kunft aus einer HIV-Hochprävalenzregion, aktueller oder zurückliegender intravenöser Drogenkonsum oder eine HIV-Infektion des Partners – erkennbar sind (2). Eine ge- naue Kostenaufrechnung, ob ein generelles Screening mittels eines HIV-Tests während der Schwangerschaft ökonomisch sinnvoll ist, wird dringend gefordert.

Fazit für die Praxis

Alle in der Fragestellung formulierten Hypothesen konn- ten nicht verifiziert werden.

Jeder Schwangeren ist nach einer persönlichen Be- ratung ein HIV-Antikörpertest anzubieten; dies gilt insbesondere für Frauen mit Zugehörigkeit zu einer Risikogruppe, wie beispielsweise die Herkunft aus einem Endemiegebiet.

Zur Wahrung des Datenschutzes erscheint das Er- gebnis nicht im Vorsorgeheft (Mutterpass), jedoch bei allen Schwangeren die Dokumentation der Ab- nahme.

Es ist dafür Sorge zu tragen, dass die Schwangere vom Testergebnis Kenntnis erhält.

Es muss diskutiert werden, wann eine Wiederho- lung des HIV-Tests im Verlauf der Schwanger- schaft sinnvoll ist.

Eine interdisziplinäre Anbindung der HIV-infizier- ten Schwangeren und des HIV-exponierten Kindes an ein Zentrum erscheint sinnvoll, weil hier eine ri- sikoadaptierte Betreuung gewährleistet ist.

Interessenkonflikt

Die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt im Sinne der Richtlinien des International Committee of Medical Journal Editors besteht.

Manuskriptdaten

eingereicht: 24. 7. 2006, revidierte Fassung angenommen: 1. 3. 2007

LITERATUR 1. www.rki.de

2. Gemeinsame Erklärung der Deutschen AIDS-Gesellschaft und der Österreichischen AIDS-Gesellschaft sowie des Robert-Koch-Institutes Berlin (RKI), der Deutschen Arbeits- gemeinschaft der niedergelassenen Ärzte in der Versorgung von

HIV- und AIDS-Patienten (DAGNÄ), der Deutschen AIDS-Hilfe, der Deutschen Gesellschaft für Kinderheilkunde, der Pädiatrischen Arbeitsgemeinschaft Aids Deutsch-österreichische Empfehlungen zur HIV-Therapie in der Schwangerschaft (2005); AWMF online;

www.uni-duesseldorf.de/awmf/ll/055-002.html

3. Schäfer A, Friese K: Maßnahmen zur Senkung des materno- fetalen HIV-Transmissionsrisikos. Dtsch Arztebl 1996; 93(36):

A 2234–6.

4. European collaborative study: Risk factors for mother-to-child transmission of HlV-1. Lancet 1992; 339: 1007–12.

5. Sperling RS, Shapiro OE, Coombs R et al.: Maternal viral load, zidovudine treatment, and the risk of transmission of human immunodeficiency virus type 1 from mother-to-infant. N Engl J Med 1996; 335: 1621–8.

6. The European collaborative study: Vertical transmission of HlV-1:

maternal immune status and obstetric factors. AIDS 1996; 10:

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7. Kind C, Rudin C, Siegrist C et al.: Prevention of vertical HIV Trans- mission: additive protective effect of elective cesarean section and zidovudine prophylaxis. AIDS 1998; 12: 205–10.

8. Cooper ER, Charurat M, Mofenson L et al.: Combination antire- troviral strategies for the treatment of pregnant HIV-1-infected women and prevention of perinatal HIV-1 transmission. J Acquir Immune Defic Syndr 2002; 29(5): 484–94.

9. Grosch-Wörner I, Schäfer A, Obladen M et al.: An effective and safe protocol involving zidovudine and caesarean section to reduce vertical transmission of HIV-infection. AIDS 2000; 14:

2903–11.

10. Gingelmaier A, Hollwitz B, Casteleyn S et al.: Schwangerschafts- verlauf und kindliches Outcome bei 599 HIV-exponierten Schwangerschaften an deutschen Schwerpunktzentren 1999–

2003. GebFra 2005; 65: 1058–63.

11. CDC: Achievements in Public Health: Reduction in perinatal Transmission of HIV Infection. United States 1985–2005. MMWR 2006; 55(21): 592–7.

Anschrift für die Verfasser PD Dr. Tim Niehues

Universitätsklinikum Düsseldorf Zentrum für Kinder und Jugendmedizin Klinik für Kinder-Onkologie, Hämatologie und Immunologie Moorenstraße 5

40225 Düsseldorf

E-Mail: niehues@uni-duesseldorf.de

The English version of this article is available online:

www.aerzteblatt.de/english

@

Berichtigung

In dem Artikel „Operationsrisiko aus der Sicht des Kardiologen“ von Bauriedel et al. in Heft 22 ist auf Seite A 1586 leider ein Fehler aufgetreten, auf den uns verschiedene Leser aufmerksam gemacht haben: Anders als irrtümlich dargestellt, handelt es sich bei Clonidin nicht um einen Alpha-2-Re- zeptor-Antagonisten, sondern um einen Alpha-2- Rezeptor-Agonisten. Auch im weiteren Verlauf des Absatzes hätte es Alpha-2-Rezeptor-Agonisten statt -Antagonisten heißen müssen. Wir bedauern dieses

Versehen. MWR

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