lungskonzept zu erarbeiten und umzu- setzen. Die genannten Maßnahmen soll- ten möglichst frühzeitig initiiert und langfristig durchgeführt werden, weil sich die zu einer Demenz führenden neuro- pathologischen Veränderungen bereits viele Jahre bis Jahrzehnte vor der tat- sächlichen klinischen Manifestation aus- bilden können (3).
Angesichts der in den nächsten Jahr- zehnten zu erwartenden Zunahme de- menzieller Erkrankungen und der bisher eingeschränkten therapeutischen Mög- lichkeiten werden die genannten präven- tiven Maßnahmen nicht zuletzt aus volkswirtschaftlichen Gründen künftig eine erhebliche Bedeutung für das Ge- sundheitssystem erhalten. Eine Demenz- erkrankung muss nicht schicksalhaft sein. Das Krankheitsrisiko wird von der Art des Lebensstils mitbeeinflusst. Die Chance zur Senkung der Zahl von Men- schen mit einer Demenzerkrankung (Prävalenz) beziehungsweise zur Ver- schiebung des Zeitpunkts der Krank- heitsmanifestation (Inzidenz) ist groß.
Diese Annahme wird dadurch gestützt, dass sich wichtige Risikofaktoren für die Entstehung von Demenzerkrankungen, wie arterielle Hypertonie und Adiposi- tas, durch Primär- oder Sekundärpräven- tion effektiv beeinflussen lassen. Erfreu- licherweise hat sich in den letzten Jahren das Gesundheitsbewusstsein in der Ge- sellschaft insbesondere im Wellness- und Fitness-Bereich bereits deutlich verbes- sert. Die genannten Maßnahmen zur De- menzprävention sollten jedoch sinnvoll koordiniert werden.
Manuskript eingereicht: 15. 12. 2003, revidierte Fassung angenommen: 23. 11. 2004
Die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt im Sin- ne der Richtlinien des International Committee of Medi- cal Journal Editors besteht.
❚Zitierweise dieses Beitrags:
Dtsch Arztebl 2005; 102: A 1446–1453 [Heft 20]
M E D I Z I N
Deutsches ÄrzteblattJg. 102Heft 2020. Mai 2005 AA1453
Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literatur- verzeichnis, das beim Verfasser erhältlich oder im Internet unter www.aerzteblatt.de/lit2005 abrufbar ist.
Anschrift für die Verfasser:
Dr. med. Christoph Laske Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Tübingen
Osianderstraße 24 72070 Tübingen
E-Mail: christoph.laske@med.uni-tuebingen.de
AUSGEWÄHLT UND KOMMENTIERT VON H. SCHOTT AUSGEWÄHLT UND KOMMENTIERT VON H. SCHOTT
MEDIZINGESCHICHTE(N))
Medizin im Nationalsozialismus Rassenhygiene
Der Begriff Eugenik (englisch: eugenics) wurde 1883 von dem britischen Natur- forscher und Privatgelehrten Francis Galton (1822–1911) geprägt und bedeutet wörtlich die Kunst der guten Vererbung. Galton, ein Vetter von Charles Dar- win (1809–1882), ging es um die utopische Vision einer Verbesserung der menschlichen Rasse. Dabei sollten insbesondere durch die Anwendung des Dar- winschen Selektionsprinzips (natürliche Auslese) auf die menschliche Fort- pflanzung die Begabungen („hereditary talent and character“) vermehrt wer- den, um die geistige Elite Großbritanniens zu vergrößern. Er formulierte eine spezifische Doppelstrategie: Die Fortpflanzung der Ungeeigneten (unfit) sei zu verhindern, die der Geeigneten (fit) durch kontrollierte Auslese zu fördern. Die- se Doppelstrategie wurde dann im Kontext der Rassenhygiene, wie die Eugenik ab 1895 im deutschen Sprachraum genannt wurde, als Ausmerze und Auslese be- zeichnet. Sie stand seinerzeit unter dem Vorzeichen des Sozialdarwinismus, der die Darwinschen Prinzipien („struggle for life“, „survival of the fittest“) auf ge- sellschaftliche Verhältnisse übertrug: Im Kampf ums Dasein würden die Taugli- cheren siegen, was sowohl für einzelne Menschen als auch für ganze Völker und Nationen gelte.
Die Rassenhygiene erhielt ihre rassistische Sprengkraft unter dem Einfluss des rassenbiologischen Denkens: Der französische Diplomat und Schriftsteller Comte de Gobineau (1816–1882) hatte in seinem „Essai über die Ungleichheit der menschlichen Rassen“ (1853) die rassische Überlegenheit „der weißen Menschheit und in ihr der arischen Rasse, besonders deren germanischem Zweig“ behauptet. Im frühen 20. Jahrhundert waren eugenische beziehungs- weise rassenhygienische Vorstellungen bei Ärzten und Naturforschern in Eu- ropa und Nordamerika weit verbreitet und auch in Laienkreisen höchst po- pulär.
Nach der nationalsozialistischen Machtergreifung 1933 kam es zu einer en- gen Koalition zwischen NS-Regime beziehungsweise Rassenhygienikern und Anthropologen, deren Lehren zu einer tragenden Staatsideologie erhoben wurden. Wunschvorstellungen bestimmter Wissenschaftler konnten nun unter den Bedingungen der Diktatur in die Praxis umgesetzt werden. Die Zwangs- sterilisation wurde bereits 1933 mit dem „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ legitimiert. Bis 1945 wurden schätzungsweise 300 000 bis 400 000 Menschen zwangssterilisiert. Otmar Freiherr von Verschuer (1896–
1969) war im Dritten Reich ein führender Erbpathologe und Rassenhygieni- ker, ab 1951 bis zu seiner Emeritierung Ordinarius für Humangenetik in Mün- ster/Westfalen. Das Zitat stammt aus seinem Lehrbuch.
Zitat:„Die Geschichte unserer Wissenschaft ist aufs engste verknüpft mit der deutschen Geschichte der jüngsten Vergangenheit. Der Führer des Deutschen Reiches ist der erste Staatsmann, der die Erkenntnisse der Erbbiologie und Ras- senhygiene zu einem leitenden Prinzip der Staatsführung gemacht hat. [. . .]
Man unterscheidet eine negative und eine positive Auslese. Bei der negativen Auslese (Ausmerze) werden die Erbminderwertigen und Erbkranken von der Fortpflanzung ausgeschaltet. Die positive Auslese (Selektion oder Auslese schlechthin) besteht in einer bevorzugten Fortpflanzung der Erbtüchtigen und Erbgesunden. Beide Male ist das Ergebnis eine Zunahme der Erbgesundheit und der Erbtüchtigkeit des Volkskörpers. Von Gegenauslese (Kontraselektion) spricht man, wenn die Untüchtigen überleben und die größere Nachkommen- schaft haben.“
Otmar von Verschuer: Leitfaden der Rassenhygiene. Leipzig 1941, Seite 11 und 108