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Archiv "Medizinische Ethik — weltweit in Gefahr (Fortsetzung aus Heft 51 und Schluß)" (28.12.1981)

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Heft 52/53 vom 28. Dezember 1981

Medizinische Ethik — weltweit in Gefahr

Fortsetzung aus Heft 51 und Schluß

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Sollte wieder einmal eine Regie- rung sich anmaßen, auf dem Weg der _Gesetzesbestimmun- gen uns Arzte zu ihren politi- schen Sonderzwecken zu miß- brauchen, so muß die Ärzte- schaft im Interesse ihres Stan- desethos sowie im Interesse der Kranken und der ganzen Gesell- schaft laut und deutlich Protest einlegen.

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August Mayer t

Wolfgang Furch

Wichtige Informationen für die heu- tige Ethikdiskussion gewinnt man auch durch die Betrachtung der gei- stig-philosophischen Techniken, mit denen die Bevölkerung auf die Un- geheuerlichkeit z. B. der Euthanasie eingestimmt wurde.

Schon im Jahre 1922 war von Bin- ding und Hoche (Jurist und Psychia- ter) ein Buch unter dem Titel „Die Freigabe der Vernichtung lebensun- werten Lebens" vorgelegt worden, das mit seinen Definitionen wie „lee- re Menschenhülsen", „Ballastexi- stenzen" die geistige Grundlage für die Euthanasie schuf. Sie sprachen schon davon, daß einer staatlich au- torisierten Euthanasie von Men- schen, die als Folge von Krankheit oder' Verwundung unrettbar verlo- ren sind, oder von unheilbar Blöd- sinnigen ein langfristig angelegter

Wandel dessen vorauszugehen ha- be, was unter Humanität zu verste- hen sei.

Zitat: „Das Bewußtsein der Bedeu- tungslosigkeit der Einzelexistenz, gemessen an den Interessen des Ganzen, das Gefühl einer absoluten Verpflichtung zur Zusammenraffung aller verfügbaren Kräfte unter Absto- ßung aller unnötigen Aufgaben, das Gefühl, höchst verantwortlicher Teil- nehmer einer schweren und leidvol- len Unternehmung zu sein, wird in viel höherem Maße als heute Allge- meinbesitz werden müssen, ehe die

hier ausgesprochenen Anschauun- gen volle Anerkennung finden können".

Sogar das Kostenargument kommt schon vor, wenn davon gesprochen wird, daß die Erhaltung „Blödsinni- ger" oder „geistig Toter" eine un- glaubliche Vergeudung von Arbeits- kraft und Geld darstellt.

Auch der amerikanische Nobelpreis- träger Alexis Carell schrieb ein Buch mit ähnlicher Tendenz „Der Mensch, das unbekannte Wesen", in dem von der „unerhörten Belastung des Vol- kes durch die Unnormalen" die Re- de ist. Es ist in diesem Zusammen- hang interessant festzustellen, daß heute die weitestgehenden Forde- rungen, was die Vernichtung gebo- renen, schwer mißgebildeten Le- bens angeht, von den beiden ameri- kanischen Nobelpreisträgern James Watson und Francis Crick erhoben werden. Der erste fordert eine Drei- Tages-Frist, nach der erst ein neuge- borenes Kind in die menschliche Ge- meinschaft aufgenommen werden darf (in der Hoffnung, daß bis dahin die Kinder mit schweren Mißbildun- gen bereits gestorben sind), und Crick fordert, daß ein Baby erst als menschliches Wesen anerkannt wird, wenn es einige genetische Tests durchlaufen hat. Diese Aussa- gen liefern den geistigen Hinter- grund für die Tötung neugeborener, mißgebildeter Kinder, meist durch

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Medizinische Ethik

Verhungernlassen (Low calorie diet), die nach Mitteilung des be- kannten amerikanischen Kinderchir- urgen Professor Koop (Philadelphia)

„in allen Städten der USA üblich ist, die ich bisher besucht habe". Unter den amerikanischen Pädiatern ist die Gruppe derer, die die aktive Eu- thanasie an mißgebildeten gebore- nen Kindern als eine Art von Thera- pie betrachten, stark im Zunehmen begriffen.

Zur geistigen Vorbereitung der Eu- thanasie wurden im Dritten Reich auch die öffentlichen Medien einge- setzt, so zum Beispiel durch den Film „Ich klage an", in dem sich ein Arzt wegen Tötung seiner jungen, an multipler Sklerose erkrankten Frau verteidigen mußte. „Die vor dem Filmgericht geheuchelte Humanität diente als massenwirksame Recht- fertigung für die Unmenschlichkei- ten, denen zwischen 1939 und 1945 mehr als 100 000 Menschen zum Op- fer fielen" (Zitat aus der „Süddeut- schen Zeitung" vom 20. Juni 1981).

Der Arzt wurde im Dritten Reich zum abhängigen Instrument von Partei und Staat. Teilweise machte er sich auch selbst dazu (die im Nürnberger Ärzteprozeß verurteilten Mediziner waren fast alle SS-Offiziere). Die Ideologie wurde quasi über die Ethik des hippokratischen Eides gestülpt.

Für den Verlauf des ganzen Pro- grammes war es von erheblicher Be- deutung, daß es im Anfang keine nennenswerte Gegenwehr der eta- blierten Ärzteschaft gegeben hat.

Mitscherlich zitiert die später noch oft kontrovers diskutierte Bespre- chung mit Psychiatern am 1. Juli 1939, bei der den betroffenen Fach- leuten das Euthanasieprogramm vorgestellt wurde. In dieser Bespre- chung widersprach lediglich Profes- sor Ewald aus Göttingen, alle ande- ren Teilnehmer stimmten schließlich offen oder durch Schweigen zu. Der falsche, verlogene Biologismus, in dem die „Schädigung des Volkskör- pers" durch die Vernichtung der Schädlinge therapiert wird, war ebenso wie das „Überholterklären"

des hippokratischen Eides (so Prof.

Karl Brandt) weitere wesentliche

Voraussetzung für die Durchfüh- rung dieses schrecklichen Program- mes. Hinzu kam schließlich ein Ei- genmechanismus, der die Medizi- ner, die an der „Erlösung von Lei- den" im Sinne des „neuen Humanis- mus" mitarbeiteten, sehr schnell und unaufhaltsam in die sogenannte Endlösung der Judenfrage mit ver- strickte.

Legalität und Ethik—

nicht mehr deckungsgleich

In unserer Zeit nun beobachten wir weltweit, daß Legalität (Gesetzge- bung) und Ethik nicht mehr wie frü- her absolut deckungsgleich sind, sondern zunehmend mehr oder we- niger deutlich differieren, wie das bei den Problemkreisen Abtreibung, Euthanasie und Kindestötung deut- lich wird. Eine Zunahme dieser Dif- ferenzen wird unausweichlich eine Grundsatzkrise der hippokratischen Medizin auslösen.

In allen drei eben zitierten Fällen fin- den wir einen Hintergrund, der fatale Parallelen zu den vorlaufenden Er- eignissen in der NS-Zeit aufweist.

Folgende Punkte wären da zu nennen:

Eine geistig-philosophische Vor- bereitung auf das Problem „lebens- unwerten" Lebens durch wissen- schaftlich fragwürdige, willkürliche, an überkommenen Wertvorstellun- gen christlich-abendländischer Kul- tur orientiert: sogar barbarisch wir- kende Feststellungen hochklassiger Wissenschaftler (Watson und Crick) sowie durch falsche biologische oder anthropologische Aussagen („Zellklumpen" für einen menschli- chen Embryo in der 12. Woche) und fragwürdige Aussagen über die Wür- de des Sterbens.

Vorherrschende Ideologien (Emanzipationsideologie, autono- mer Mensch, Wunschkinddogma) beginnen bei manchen, den hippo- kratischen Eid zu relativieren. Das Wiederaufkommen der verschleiern- den Sprache: „Gnadentod", „würdi- ger Tod", „Menschenrecht auf den eigenen Tod", „Schwangerschafts-

unterbrechung" anstelle von Abtrei- bung der Leibesfrucht, „Low calorie diet" für Verhungernlassen usw.

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Auch der hippokratische Eid wird erneut für überholt erklärt, obwohl doch diese 2000 Jahre alten grund- sätzlichen Erklärungen zur ärztli- chen Ethik im Genfer Gelöbnis der Weltärzteschaft nach dem 2. Welt- krieg erneut als allgemeinverbindli- che Richtlinie für die Ärzteschaft be- stätigt wurden und dieses Gelöbnis auch in die Berufsordnung für die deutschen Ärzte eingegangen ist.

Der Bericht der von der Bundesre- gierung eingesetzten Kommission zur Auswertung der Erfahrungen mit dem reformierten § 218 des Strafge- setzbuches darf den traurigen Ruhm für sich in Anspruch nehmen, erst- mals wieder öffentlich nach Prof.

Karl Brandt, Hitlers Reichskommis- sar für das Sanitäts- und Gesund- heitswesen, das „Überholtsein" des hippokratischen Eides festgestellt zu haben.

Wenn man auf diesem Hintergrund und in Kenntnis der auf den ver- schiedenen erwähnten ärztlichen Veranstaltungen mitgeteilten Fakten über aktuelle, die hippokratische ärztliche Ethik bedrohende Proble- me einmal die ärztliche Abwehr da- gegen an den einzelnen Problem- kreisen durchgeht, so erschrickt man doch über die weltweite Inakti- vität und Apathie der Ärzteschaft. Dr.

Schepens (Belgien) führte dazu in Dublin aus: „Hitler führte die Dispo- sitionsstellung des Lebens bestimm- ter Menschengruppen konsequent ein, heute ist die Mißachtung menschlichen Lebens weltweit ver- breitet, und insofern war Hitler auch kein Unfall der Geschichte. Die mei- sten Ärzte verhalten sich heute so wie die Deutschen 1940".

Eine Liste

drängender ethischer Probleme für den Arzt

Wie groß die Liste ethischer Proble- me für den Arzt schon geworden ist, zeigt auch ein Blick in den Themen- katalog des Dubliner Kongresses;

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diese lauteten in Auswahl: „Der Arzt und der Gefangene", „Der Arzt und die Medien", „Schwangerschaft",

„Abtreibung und Fortpflanzung",

„Medizinische Genetik", „Sorge für das Kind mit angeborenen Mißbil- dungen", „Versorgung des Sterben- den und Todesdiagnose", „Ethik in der medizinischen Ausbildung",

„Berufliche Verantwortung des Arztes".

Nicht nur Überlegungen, wie sie Dr.

Schepens mitteilte, sondern auch die Berichte etwa aus Dänemark, wo bereits „Berufsverbote" für junge Kollegen bestehen, die Gynäkologe werden wollen, aber nicht bereit sind, vor Vertragsabschluß eine bin- dende Erklärung zu unterschreiben, daß sie in jedem Falle bereit sein werden, Abtreibungen durchzufüh- ren, waren der Hintergrund für die Entschlossenheit, mit der dieser Kongreß eine Strategie der Verteidi- gung der hippokratischen Medizin diskutierte und dabei folgende Vor- schläge machte:

die Schaffung eines internationa- len Ethik-Rates,

die Gründung eines internationa- len Institutes mit Hochschulcharak- ter, das in hippokratischer Medizin graduiert,

die Errichtung von Ethik-Lehr- stühlen an allen medizinischen Fa- kultäten aller Länder.

Sollten diese oder andere Vorhaben nicht zum gewünschten Erfolg füh- ren, so drohe die Spaltung der Ärzte- schaft in hippokratische Ärzte und solche, die ihre Unabhängigkeit auf- gegeben haben. Noch haben wir die schon länger bekannten, ethisch- kontrovers diskutierten Themen nicht völlig vom Tisch und meistens durch Kömpromißlösungen zuge- deckt, da stehen uns bereits neue, noch schwerer wiegende Bedrohun- gen bevor.

Schon das Abtreibungsproblem macht bis in die Berufsordnung hin- ein das Auseinanderklaffen von ärzt- licher Ethik und staatlicher Gesetz- gebung deutlich. § 5 Berufsordnung

lautet: „Der Arzt ist grundsätzlich verpflichtet, das keimende Leben zu erhalten", dann folgt als Eingehen auf das abweichende Legalitätsprin- zip mit einschränkender Wirkung auf das eben Gesagte der Satz „Der Schwangerschaftsabbruch unter- liegt den gesetzlichen Bestim- mungen".

Bisher konnte eine ärztliche Ethik so unter dem gemeinsamen Dach der Berufsordnung sowohl den Arzt, der das Genfer Gelöbnis wörtlich nimmt, also versucht, menschliches Leben möglichst immer zu erhalten, als auch denjenigen, der es auf Wunsch Dritter vernichtet, zusammen beher- bergen.

Es ist aber zu fragen, ob dies in Zukunft auch noch bei den Perver- sionen dieses Eingriffes der Fall sein kann, die zum einen in den riesigen Zahlen vernichteten menschlichen Lebens liegen (1,5 Millionen jährli- che Abtreibungen in den USA, 200 000 an deutschen Frauen pro Jahr, gar über 100 Millionen in China von 1971 bis 1979), zum anderen in der Unglaublichkeit, durch diesen Eingriff die Wahl des gewünschten Geschlechtes des Kindes herbeizu- führen (USA).

Kann diese Ethik gar noch den hip- pokratischen Arzt und denjenigen, der aktiv Euthanasie durchführt, un- ter einer Berufsordnung vereinigen?

Die American Medical Association und die British Medical Association waren und sind nicht in der Lage, den in ihren Bereichen geübten In- fanticide geborener mißgebildeter Kinder zu stoppen, der im übrigen eine logische Folge dar Abtreibun- gen, speziell der eugenischen Indi- kation, ist.

Gerade der Gießener Frauenarzt- kongreß im Januar 1981 hat sich mit der Unterstützung des Ordinarius für Moral-Theologie an der Universi- tät Bonn, Professor Boeckle, sehr intensiv mit den ethischen Aspekten der pränatalen Diagnostik beschäf- tigt. Sehr eingehend wurde die The- se von Professor Boeckle diskutiert, daß postnatal und pränatal die glei- chen ethischen Grundsätze gelten

müßten, d. h. daß ein Kind, das mit einer Mißbildung geboren wird, mit der es ohne medizinische Intensiv- versorgung selbständig leben könn- te, postnatal nicht getötet würde und deshalb auch pränatal nicht ei- ner Abtreibung aus eugenischer In- dikation zum Opfer fallen dürfe, so etwa ein Kind mit Down-Syndrom.

Vorgeburtliches und nachgeburtli- ches Leben haben ethisch grund- sätzlich den gleichen Wert.

Diese Diskussion zeigte die ganzen drängenden Probleme der Grenzzie- hung auf und die Tatsache, daß es immer Dritte sind, die über den Le- bensunwert eines menschlichen Le- bens diskutieren und urteilen, Dritte, die sich davon in irgendeiner Weise beschwert fühlen. Niemand kann sich den beiden Kardinalfragen die- ses Problemes entziehen, nämlich:

Wer entscheidet über den Unwert eines Lebens und wer vollstreckt das Urteil? Es muß unbestritten blei- ben, daß ein humaner Arzt zwar Siechtum lindert, aber niemals Voll- strecker wird, also niemals aktiv tötet.

Fehlentwicklungen in den angelsächsischen Ländern beachten

Für das Schicksal unserer eigenen Berufsethik in Deutschland ist es wichtig, das Beispiel der angel- sächsischen Länder zu betrachten, die ja die bei uns übliche Organisa- tion der Ärzteschaft in Körperschaf- ten des öffentlichen Rechts nicht kennen.

Es darf ohne Übertreibung festge- stellt werden, daß die American Me- dical Association (AMA) sowohl in der Frage Abtreibung bis in hohe Schwangerschaftswochen hinein als auch in der Frage des „infanti- cide" keine richtige Abwehrstrategie entwickelt hat, ja sogar im ersteren Falle dem Arzt noch mit Erklärun- gen, daß man dem Lauf der Zeit nachgeben müsse und als Arzt nicht abseits stehen könne, sogar noch in den Rücken fiel. Daß fehlende Ab- wehr in einer solchen ethischen Fra- ge neue Gefahren heraufbeschwört,

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Medizinische Ethik

hat man dort an der Frage der Betei- ligung von Ärzten an der Todesstra- fe durch Injektionen (drug-injection) schmerzhaft erfahren müssen. So mußten nun ärztliche Zusam- menschlüsse und die AMA die inter- nationale Ärzteschaft zur Unterstüt- zung ihrer Ablehnung in dieser Fra- ge aufrufen, was mittlerweile auch zu einer weltweit beachteten Reso- lution des Weltärztebundes geführt hat.

Auch in der Ablehnung der Zwangs- ernährung hungerstreikender Ge- fangener, ebenso wie bei dem Pro- blem des Mißbrauches der Psychia- trie zur Disziplinierung politisch Op- positioneller beginnt sich weltweit einiges zu bewegen, so daß zumin- dest die Hoffnung besteht, daß sich die Ärzteschaft der zunehmenden Bedrohung bewußt wird.

Wir müssen hierzulande außerdem darauf achten, daß wir nicht vor lau- ter Konzentration auf die Abwehr ei- nes sozialisierten (patientenfeindli- chen) Gesundheitswesens die min- destens ebenso gefährliche Bedro- hung ärztlich-ethischen Selbstver- ständnisses übersehen. Dabei unter- liegt es für mich keinem Zweifel, daß ein bürokratisiertes (vergesellschaf- tetes oder sozialisiertes) Gesund- heitswesen, das versucht sein könn- te den Arzt seiner Unabhängigkeit zu berauben — dem entscheidenden Kriterium hippokratischer Medizin —, die Bedrohung ärztlicher Ethik po- tenzieren würde.

Das größte Interesse an einer hippo- kratischen Medizin müßten also ei- gentlich die Patienten selber haben, denn der abhängige Arzt steht in größerer Gefahr, andere Loyalitäten mit dem Wohl des Patienten in Kon- kurrenz treten zu lassen. Kaum ein Patient in unserem Lande wird heute ein von staatlicher Lenkung abhän- giges Gesundheitssystem haben wollen, nur ist er meist nicht in der Lage, die Vielzahl der politischen und gesetzlichen Vorentscheidun- gen zu durchschauen, die in diese Richtung führen könnten. Wir müs- sen dringend eine glaubhaft am Wohl des Patienten orientierte allge- meine Abwehrstrategie entwickeln

und nicht mehr so viel davon reden, was uns selbst eventuell in einem solchen System verlorengehen könnte.

Bedenkliche Rechtsentwicklungen in der Bundesrepublik

Komplettiert wird dieses Gefahren- spektrum durch Rechtsentwicklun- gen in unserem Lande, die die ärztli- che Verantwortung unterhöhlen, ja die schließlich dazu führen könnten, daß „Ärzte nur noch Erbringer und Anbieter von technischen Gesund- heitsleistungen sein dürfen, die ih- nen von Politologen, Soziologen, Psychologen oder Sozialarbeitern vorgeschrieben werden" (Professor Dr. med. Dr. jur. R. Wille, Kiel, auf der 59. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Rechtsmedizin in Heidelberg 1981).

Die ärztliche Verantwortung wird zu- nehmend als lediglich formal rechtli- che Verantwortung definiert mit dem Ergebnis, daß z. B. an der Kieler Universität Ärzte, die am Kranken- bett tätig sind, bereits den Weisun- gen von Ingenieuren und Pharma- zeuten unterliegen, ohne daß die Ärztekammern dagegen einschrei- ten (können?).

Eindeutig in diese Richtung zielt auch eine Empfehlung der schon zi- tierten §-218-Kommission, die aus- führt: „Die forma/rechtliche Verant- wortlichkeit des Arztes, der den Ab- bruch durchführt, kann nicht die Verpflichtung beinhalten, auch den

Inhalt nichtmedizinischer Indikatio- nen noch einmal zu prüfen, sondern sich nur beziehen auf die Überprü- fung des Verfahrensablaufes sowie die Befragung der betroffenen Frau- en über ihre Entschiedenheit zum Abbruch der Schwangerschaft".

Dies bedeutet, nach Professor Wille, das Ende einer vor dem Recht und dem ärztlichen Gewissen verant- wortlichen Ärzteschaft.

Die Ärzte müssen endlich auf sol- che, mit nie erlahmender Entschlos- senheit vorgetragene Versuche, ärztliche Kunst und ärztliches Wis- sen für nichtmedizinische Zwecke in

den Griff zu bekommen mit genauso großer, zu letztem Widerstand ent- schlossener Abwehr antworten — so- wohl im eigenen als auch im Interes- se unserer Patienten. Gelingt das nicht, wird die Ärzteschaft als ein- heitlich verfaßte Berufsgruppe kei- nen Bestand haben.

Not tut also eine Strategie zur Vertei- digung der hippokratischen Medi- zin, der patientengemäßesten ärztli- chen Versorgung, die vorstellbar ist.

Was müßte in unserem Lande geschehen?

Wir brauchen dringend Ethik- Kommissionen in einem viel umfas- senderen Sinne als diejenigen, die zur Zeit schon bei uns tätig sind.

Vorstellbar ist, daß diese als Aus- schüsse den Vorständen der Landesärztekammern und selbstver- ständlich auch der Bundesärzte- kammer zuarbeiten. Damit soll si- chergestellt werden, daß die Ärzte- kammern diese Aufgabe als ihre ur- eigenste Aufgabe begreifen, ohne daß die Vorstände befürchten müs- sen, von der damit verbundenen zu- sätzlichen Arbeit übermannt zu wer- den. Der von ausländischen Ärzten mit einem gewissen Neid bewunder- te Status der verfaßten Ärzteschaft, als Körperschaft des Öffentlichen Rechts, muß hier voll zur Auswir- kung kommen.

Die Errichtung von Ethiklehrstüh- len an allen medizinischen Fakultä- ten muß ganz ernsthaft angepackt werden.

O Die Landesärztekammern sollten sich nicht scheuen, ethische The- men in ihren Delegiertenversamm- lungen zu diskutieren und auch in übergeordnete Gesprächskreise mit anderen Berufsgruppen hineinzutra- gen, wie das in Hessen im Rahmen der Bad Nauheimer Gespräche ge- schehen ist und weiter geschehen wird.

Die Ausdehnung der pränatalen Tötungshandlungen auf den unmit- telbar postpartalen Zeitraum, etwa

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bei Mißbildungen als „nicht lebens- wertes Leben", muß mit allen zu Ge- bote stehenden Mitteln verhindert werden. Der Begriff und der Tatbe- stand „lebensunwertes Leben" muß zumindest für uns Deutsche (und wenn wir die einzigen auf der Welt wären) für immer zusammen mit dem unseligen „Dritten Reich" der Vergangenheit angehören. Um hier Dr. Woollan (Großbritannien) zu zi- tieren: „Wir erhalten Kinder mit Miß- bildungen nicht nur um ihrer selbst willen am Leben, sondern auch un- seretwegen, denn an ihnen erweist und trainiert sich die Humanität ei- ner Gesellschaft." Es ist in diesem Zusammenhang eine mutmachende Tatsache, daß deutsche Pädiater dieses Problem genau erkannt ha- ben, wie ihr Symposion „Ethische Probleme in der Pädiatrie" vom 22.

bis 24. Februar 1981 in Tegernsee und der dort verabschiedete The- senkatalog gezeigt haben (Professor Boehnke in „Der Frauenarzt", Seite 162, 3/81).

Am Schluß dieser Abhandlung soll ein Wort von Professor August May- er stehen, der sich in einem sehr freimütigen, aus dem Gefühl einer Kollektivscham geschriebenen Arti- kel im DEUTSCHEN ÄRZTEBLATT (Heft 12 vom 19. März 1966) mit dem Arzttum im Dritten Reich auseinan- dersetzte. Damals schon in sehr ho- hem Alter stehend, hat er uns ein Vermächtnis hinterlassen, das er als letzten Dienst an der deutschen Ärz- teschaft verstanden wissen wollte;

es hat folgenden Wortlaut: „Sollte wieder einmal eine Regierung sich anmaßen, auf dem Weg der Geset- zesbestimmungen uns Ärzte zu ih- ren politischen Sonderzwecken zu mißbrauchen, so muß die Ärzte- schaft im Interesse ihres Standes- ethos sowie im Interesse der Kran- ken und der ganzen Gesellschaft laut und deutlich Protest einlegen".

Anschrift des Verfassers:

Dr. med. Wolfgang Furch Frauenarzt

Mitglied des Präsidiums der Landesärztekammer Hessen Am Eichwald 11

6353 Bad Nauheim

Kassenärztliche Bundesvereinigung

Beschlüsse und Feststellungen der Arbeitsgemeinschaft gemäß § 19 des Arzt/Ersatzkassenvertrages aus der 88. Sitzung am 19./20. No- vember 1981 in Frankfurt

326. Änderungen bzw. Ergänzungen der E-GO

Die Arbeitsgemeinschaft beschließt:

Neueinführung der Nr. 290:

290 Hämodilution (Entnahme von mindestens 400 ml Blut, Infusion von Plasma- ersatzmitteln sowie Re-In-

fusion des Eigenblutes) . . 62,45

Neugliederung und Neuformulierung der Nr. 415:

414 Assistierte und/oder kon- trollierte apparative Beat- mung durch Saug-Druck- Verfahren bei vitaler Indi- kation, bis zu 12 Stunden

Dauer 11,35

415 Assistierte und/oder kon- trollierte apparative Beat- mung durch Saug-Druck- Verfahren bei vitaler Indi- kation, bei mehr als 12 Stunden Dauer, je Tag . . . 17,05

Einfügen einer Anmerkung hinter Nr.

415:

Neben den Leistungen nach den Nrn. 414 und 415 ist die Leistung nach Nr. 501 nicht berechnungsfähig.

Neuformulierung der Anmerkung hinter Nr. 501:

Neben der Leistung nach Nr. 501 sind die Leistungen nach den Nrn. 500 und 505 nicht berechnungsfähig.

Änderungen im Kapitel D — Anästhesie- leistungen:

1. Streichung der 1. Anmerkung hinter Nr. 463

2. Neuformulierung der Präambel zu Ka- pitel D:

„Bei Anwendung mehrerer Narkose- oder Anästhesieverfahren nebeneinan-

der ist nur die jeweils höchstbewertete dieser Leistungen abrechnungsfähig; ei- ne erforderliche Prämedikation ist Be- standteil dieser Leistung.

Als Narkosedauer gilt die Dauer von 10 Minuten vor Operationsbeginn bis 10 Mi- nuten nach Operationsende."

3. Änderungen von Gebührenord- nungspositionen im Kapitel D — Anäs- thesieleistungen:

469 Kaudalanästhesie 28,35 470 Einleitung und Überwa-

chung einer einzeitigen subarachnoidalen Spinal- anästhesie (Lumbalanäs- thesie) oder einzeitigen pe- riduralen (epiduralen) An- ästhesie, bis zu einer Stun- de Dauer

471 Einleitung und Überwa- chung einer einzeitigen subarachnoidalen Spinal- anästhesie (Lumbalanäs- thesie) oder einzeitigen pe- riduralen (epiduralen) An- ästhesie, bis zu zwei Stun- den Dauer

472 Einleitung und Überwa- chung einer einzeitigen subarachnoidalen Spinal- anästhesie (Lumbalanäs- thesie) oder einzeitigen pe- riduralen (epiduralen) An- ästhesie, bei mehr als zwei Stunden Dauer

473 Einleitung und Überwa- chung einer kontinuier- lichen subarachnoidalen Spinalanästhesie (Lumbal- anästhesie) oder peridura- len (epiduralen) Anästhesie mit Katheter, bis zu fünf Stunden Dauer

474 Einleitung und Überwa- chung einer kontinuier- lichen subarachnoidalen Spinalanästhesie (Lumbal- anästhesie) oder peridura- len (epiduralen) Anästhesie mit Katheter, bei mehr als fünf Stunden Dauer 475 Überwachung einer konti-

nuierlichen subarachnoi- dalen Spinalanästhesie (Lumbalanästhesie) oder periduralen (epiduralen) Anästhesie mit Katheter, zusätzlich zur Leistung nach Nr. 474 für den zwei-

45,45

68,15

90,85

68,15

102,20

Referenzen

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