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Archiv "Die Kenntnis der chinesischen Medizin im Europa des 17. und 18. Jahrhunderts" (19.01.1978)

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

GESCHICHTE DER MEDIZIN

Nachdem die chinesische Medizin und ihre Heilmethoden in den ver- gangenen Jahren im Westen unge- heures Aufsehen erregt haben, dürf- te auch ein Blick in die Vergangen- heit von Interesse sein, der uns zeigt, wieweit die ostasiatische Heil- kunde zu früheren Zeiten in Europa bekannt war. Bereits im 8. Jahrhun- dert unserer Zeitrechnung waren ganz vereinzelte Berichte über die chinesische Medizin durch den Vor- deren Orient nach Europa vorge- drungen. Sie betrafen vor allem die Pulslehre und die Alchimie, fanden jedoch im Westen keine allzu große Beachtung. In der Mongolenzeit (1279-1368), als westliche Ärzte am Kaiserhofe in Peking zu Rate gezo- gen wurden, erfuhr man mehr über die seltsame Heilkunde der Chine- sen, über die auch Marco Polo (1254-1324) und Wilhelm Rubruk (etwa 1215-1270) gegen Ende des 13. Jahrhunderts zu berichten wuß- ten. So schrieb letzterer über die Be- wohner des Landes Kitai (= China) folgendes:

„Sie sind die ausgezeichnetesten Meister in jeder Kunstfertigkeit, und ihre Ärzte kennen sehr genau die Heilkräfte der Kräuter und verstehen sich sehr gut auf die Kunst, nach dem Puls den Zustand eines Kran- ken zu bestimmen. Jedoch stellen sie keine Harnuntersuchungen an und verstehen nichts vom Urin. Das habe ich nämlich gesehen, denn vie- le von ihnen leben in Kara- korum ." 1 ).

1) s. Ferdinand Hirth, „Zur Geschichte des an- tiken Orienthandels", Chinesische Studien,

München-Leipzig 1890, S. 1 ff.

Doch erst gegen Ende des 16. und zu Beginn des 17. Jahrhunderts er- hielt man in Europa genauere Kenntnis von den chinesischen Wis- senschaften und mit ihnen auch von der chinesischen Medizin. Diese Kenntnis verdankte man vor allem den Jesuitenpatres, die zu jener Zeit eine intensive Missionstätigkeit in China aufnahmen und sich gleich- zeitig der Erforuchung des chinesi- schen Geisteslebens widmeten. Ne- ben Schilderungen der chinesi- schen Sprache, Schrift, Philosophie und Geschichte geben einige von ihnen auch ausführliche Berichte über die chinesische Medizin. Hier sind vor allem die Namen Michael Boym und Andreas Cleyer aus dem 17. Jahrhundert sowie Julien-Placi- de Hervieu und Jean-Baptiste du Halde aus dem 18. Jahrhundert zu nennen.

Michael Boym (1612-1659), ein Je- suitenpater und Arzt polnischer Her- kunft, der mehrere Jahre in China lebte, übersetzte eine ganze Anzahl von alten chinesischen Medizinwer- ken ins Lateinische und faßte diese Übersetzungen unter den beiden Ti- teln „Specimen medicinae sinicae, sive opuscula medica ad mentem Si- nensium" und „Clavis medica ad Chinarum doctrinam de Pulsibus"

zusammen, die von Andreas Cleyer herausgegeben wurden. Es handelt sich bei diesen Werken überwie- gend um eine Übersetzung des chi- nesischen Pulsklassikers, des mo- ching von Wang Shu-ho, der nach Ansicht von M. Boym und seinen Zeitgenossen im 3. Jahrhundert vor Christus gelebt haben sollte, wäh- rend wir ihn heute ins 3. nachchrist- liche Jahrhundert datieren. Auf Mi-

Panax Ginseng, C. A. Meyer — chin.: jen- shen — Wohl die berühmteste chinesi- sche Heipflanze ist die Ginseng-Wurzel.

Sie ist von zahllosen Legenden umspon- nen, die sehr an die mittelalterlichen Be- richte über die Alraune erinnern. Beim Sammeln der Wurzeln sind, wie koreani- sche Quellen berichten, ganz bestimmte Vorschriften zu befolgen. Ehe die Korea- ner in die Berge ziehen, üben sie einen Monat lang geschlechtliche Enthaltsam- keit und meiden alkoholische Getränke und tierische Nahrung. Am Morgen des festgesetzten Tages reinigen sie den Körper mit kaltem Wasser und bringen den Berggöttern Opfergaben dar. Nur so vorbereitet, dürfen sich die Sammler dem Ginseng nähern. Merkwürdig ist auch die „Echtheitsprobe", die zur Fest- setzung der Güte der Droge vorgenom- men wird. Zwei Männer wandern in scharfem Schritt mehrere chinesische Meilen weit, wobei der eine von ihnen ein Stück Ginseng-Wurzel im Munde hält, der andere hingegen nicht. Ist am Weg- ziel der letztere außer Atem und ermüdet, der erstere aber nicht, so gilt dies als Beweis dafür, daß die erprobte Droge vollwertig ist

chael Boyms lateinischer Fassung des Pulsklassikers basierten zahlrei- che Übersetzungen dieses Werkes in andere euopäische Sprachen. Ne- ben dem mo-ching hatte Boym auch noch verschiedene andere, kleinere medizinische Traktate ins Lateini- sche übertragen.

Auch Gottfried Wilhelm von Leibniz (1646-1716), der selbst niemals in China gewesen war, seine Kenntnis- se über dieses Land aber aus einem

Die Kenntnis

der chinesischen Medizin im Europa des

17. und 18. Jahrhunderts

Jutta Rall

150 Heft 3 vom 19. Januar 1978 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

ausgedehnten Briefwechsel mit dort tätigen Jesuitenmissionaren schöpf- te, befaßte sich u. a. eingehend mit der chinesischen Heilkunde. Er glaubte sie sogar der europäischen überlegen und wollte sie mit dieser in irgendeiner Form verbinden. So schrieb er einmal: „Wie närrisch auch und paradox der Chinesen Re- glement in re medica scheint, so ist's doch weit besser als das unsrige" 2).

Den genauesten Bericht über die chinesische Medizin erhielt die eu- ropäische Welt jener Zeit jedoch von P. Julien-Placide Hervieu (1671 bis 1746), dessen Übersetzungen und Kommentare von P. Jean-Baptiste du Halde in seinem großen Werk

„Description de ('Empire de la Chi- ne", Den Haag 1736, herausgegeben worden sind.

Im 17. und 18. Jahrhundert war die chinesische Medizin noch sehr in sich geschlossen und wenig von au- ßen beeinflußt, wenn man von eini- gen Einwirkungen der persisch-ara- bischen Medizin absieht. Sie zeigte neben vorwiegend magisch-speku- lativen Zügen auch Ansätze zur Ra- tionalität und ein beachtliches Maß an Empirie, das die Europäer teil- weise sehr beeindruckte. Ebenso beeindruckt war man von der Fülle der medizinischen Werke und Schriften, die nur zum geringen Teil von den Missionaren übersetzt wor- den waren. Die Jesuiten wußten be- reits, daß Sektionen in China aus kultischen Gründen verpönt waren, während sie in Europa schon seit längerer Zeit durchgeführt wurden.

Daher galten die europäischen Kenntnisse der Anatomie und Phy- siologie den chinesischen über- legen.

Pater Hervieu hat eingehend über die chinesische Einteilung des menschlichen Körpers und seiner Organe berichtet, wie auch über die Beziehungen zu den fünf Elementen Luft, Feuer, Erde, Metall und Was- ser. Wir wissen heute, daß die Chi-

s. Harnack, Gesch. der Königlich Preußi- schen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Bd. I., 1, S. 30, Anm.

Chrysantheme; Chrysanthemum sinen- se, Sab. chin.: chü-hua — Die im Norden Chinas wild wachsende Pflanze gehört seit den ältesten Zeiten zu den Lieblings- blumen der Ostasiaten, deren Züchtung vornehmlich in Japan die Mußebeschäf- tigung alter Männer ist. Die Chrysanthe- me soll das Blut und den Blutkreislauf günstig beeinflussen und zur „Bewah- rung der Lebensenergie" beitragen. Bei Erkältungen, Kopf- und Augenschmer- zen verordnet der chinesische Arzt gern aus Blüten und Blättern hergestellte Pil- len. Weiße Chrysanthemen sollen Haar- ausfall und Grauwerden der Haare ver- hüten. „Chrysanthemen-Wein" gilt als Spezifikum gegen Verdauungsstörungen und Nervosität. Abbildungen (2) aus „Die Illustrationen des Arzneibuches der Pe- riode Shao-hsing vom Jahre 1159"

nesen nicht Luft, sondern Holz als erstes Element betrachtet haben.

Auch die Bedeutung der beiden Ur- kräfte Yin und Yang war den euro- päischen Missionaren bekannt. Man staunte, mit welch geringen Mitteln die chinesischen Ärzte damals ihre Diagnose stellen mußten und auch stellten; und man befaßte sich an- hand des bereits genannten Puls- klassikers von Wang Shu-ho mit den vielen verschiedenen Pulsquali- täten. Im allgemeinen jedoch war

man von der Überlegenheit der westlichen Anatomie, Physiologie und Diagnostik überzeugt. Große Beachtung fand hingegen die chine- sische Pharmakologie, und zwar be- sonders die Kräuterlehre.

Das größte pharmakologische Werk Chinas, das Pen-ts'ao-kang-mu von Li Shih-chen aus dem 16. Jahrhun- dert, wurde auszugsweise ins Fran- zösische übersetzt. Die heilsame

Wirkung etlicher Arzneimittel daraus wurde überprüft und anerkannt. Un- ter anderem lernte man die Ginseng- wurzel kennen, ihr Vorkommen, ihre Verarbeitung und Anwendung ge- gen die verschiedensten Krankhei- ten. Zum Beispiel beschreibt P. Her- vieu die vielfältige Wirksamkeit des Ginsengs: wie gegen Erschöpfung, Durchfall, Fieber, Schwindsucht mit blutigem Auswurf, Magenschwäche mit Appetitlosigkeit usw. Auch die Verwendung des chinesischen Tees, Thea Sinensis L., als Genuß- und Heilmittel, dessen Gebrauch wohl bereits im 13. Jahrhundert über Ara- bien nach Europa verbreitet worden war, wurde jetzt unter den Missiona-

ren bekannt gemacht. Rezeptsamm- lungen, die die komplizierte Zusam- mensetzung chinesischer Rezeptu- ren wiedergaben, erschienen im 18.

Jahrhundert erstmalig in westlichen Sprachen. Die Kenntnisse der chine- sischen Medizin, die von den Jesui- tenärzten nach Europa gebracht wurden, waren also im 17. und 18.

Jahrhundert doch erstaunlich gut.

Man muß sich jedoch vor Augen hal- ten, daß diese Kenntnisse merkwür- digerweise auf einen ganz kleinen Personenkreis beschränkt blieben und daß die chinesische Medizin au- ßerhalb dieses Kreises kaum Beach- tung und Anerkennung fand, wäh- rend z. B. die chinesische Philoso- phie auf große westliche Gelehrte jener Zeit, wie Voltaire oder auch Montesquieu, einen nicht unerhebli- chen Einfluß ausübte.

Soweit die europäischen Ärzte über- haupt wußten, daß es eine Heilkunde der Chinesen gab, hielten sie diese—

mit wenigen Ausnahmen — für weni- ger entwickelt und fortschrittlich als die eigene westliche Medizin, ja teil- weise sogar für lächerlich. Sie machten sich daher nicht die Mühe, in eine derartig komplizierte, fremde Gedankenwelt einzudringen und et- waige Kenntnisse zu vertiefen und weiterzugeben, sondern sie betrach- teten sie als ein Kuriosum, das man nicht ernst zu nehmen brauchte.

Anschrift der Verfasserin:

Prof. Dr. med. Dr. phil. Jutta Rall Kallmorgenweg 3

2000 Hamburg 52

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 3 vom 19. Januar 1978 151

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