Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 110|
Heft 22|
31. Mai 2013 A 1059N
ormalerweise bestimmen die sogenannten har- ten berufspolitischen Themen die Diskussionen bei den Vertreterversammlungen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV). Der Einheitliche Bewer- tungsmaßstab und die Honorarentwicklung, Laborre- formen und Arzneimittelregresse – und immer wieder auch die Zusammenarbeit von Haus- und Fachärzten.Dieses Mal, im Vorfeld des 116. Deutschen Ärzte tages in Hannover, war das anders. Der Vorstandsvorsitzen- de der KBV, Dr. med. Andreas Köhler, lenkte den Blick der Delegierten und Gäste auf die eigentlichen Grundsatzfragen der Niedergelassenen (und aller ande- ren Ärzte): Wie steht es um die ärztliche Selbstbestim- mung, wie um die Freiheit des ärztlichen Handelns?
Köhler suchte die Auseinandersetzung „mit einer zu- nehmend repressiven Sozialpolitik“. Mit einem System, bei dem anscheinend nur noch zählt, was gemessen und vermessen werden kann. Er verwies dabei auch auf den einen Tag später beginnenden Ärztetag und den angekündigten Vortrag des Medizinethikers Prof.
Dr. med. Giovanni Maio, der gleichfalls die wachsen- de Kluft zwischen der ursprünglichen Rolle des Arztes und dessen zunehmender Fremdbestimmung durch ökonomische und standardisierte Vorgaben kritisiert.
Bezogen auf das Arbeitsumfeld der Niedergelassenen bedeute dies: Ärztliches Handeln definiere sich nur noch über Verhältniszahlen, Qualitätsindikatoren, Ori- entierungswerte und Veränderungsraten. Mittlerweile sei es bereits so weit, dass die Ärzte bei dem, was sie tun, in erster Linie den Krankenkassen Rechenschaft ablegen müssten – statt sich selbst oder den Patienten gegenüber.
Dass die KBV, der Köhler vorsteht, ebenfalls in ei- nem nicht geringen Maße Teil des Systems ist, verhehl- te er nicht. Wörtlich sagte der KBV-Chef: „Leider ha- ben auch wir als ärztliche Körperschaften diesen Wan- del von der versorgenden zur verwaltenden und vermes- senden Medizin schon so stark verinnerlicht, dass wir uns nicht nur an die Regeln halten, sondern sogar dazu
beitragen, sie zu reproduzieren.“ Dem werden nicht all- zu viele niedergelassene Ärztinnen und Ärzte wider- sprechen. Aber wohl auch nicht dem Appell des obers- ten Repräsentanten der Vertragsärzte zur Rückbesin- nung aller Beteiligten auf die Grundwerte der ärztlichen Selbstbestimmung, auf das ärztliche Selbstbewusstsein im Sinne von „sich seiner Stärken bewusst sein“.
Diesem Ansatz folgt auch die Ende April angelaufe- ne bundesweite Kampagne der Niedergelassenen, die für die Ärzte und Psychologischen Psychotherapeuten mit dem Slogan wirbt: „Wir arbeiten für Ihr Leben gern.“ Die Kampagne falle auf und werde wahrgenom- men, sagte Köhler bei der Vertreterversammlung: „Wir haben zahlreiche Rückmeldungen erhalten, der über- wiegende Teil ist positiv.“ Für den Herbst kündigte der KBV-Vorsitzende „die zweite Welle von TV- und Pla- katschaltungen“ an. Dann werden auch die Probleme des Berufsstandes angesprochen, „denn wir wollen nie- mandem die heile Welt vorgaukeln“, sagte Köhler.
Die Kampagne zeigt Ärzte, die ihr eigentliches An- liegen herausstellen: die Arbeit für den Patienten, die bestmögliche Behandlung von kranken Menschen, und zwar frei von Repressalien und Fremdbestim- mung. Das ist es, was Ärzte tun wollen – wenn man sie denn lässt.
KASSENÄRZTLICHE BUNDESVEREINIGUNG
Rückbesinnung auf Grundwerte
Josef Maus
Josef Maus Stellvertretender Chefredakteur