A 2220 Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 109|
Heft 45|
9. November 2012 Die Deutsche Gesellschaft für InternistischeIntensivmedizin und Notfallmedizin (DGIIN) empfiehlt aufgrund aktueller Daten, bei inter- nistischen Intensivpatienten auf die Gabe von Hydroxyethylstärke (HES) im Rahmen der Flüs- sigkeitssubstitution zu verzichten.
HES ist ein kolloidaler Volumenersatz zum Ausgleich von hohen Blutverlusten, der aus Wachsmaisstärke oder aus Kartoffelstärke her- gestellt wird. Während Infusionslösungen der ersten Generation eine Molekülgröße von 450 kDa besaßen, liegt der Wert heute bei nur noch 130 kDa. Dennoch kann als uner- wünschter Effekt nach einigen Tagen ein the- rapieresistenter Juckreiz auftreten, gefürchtet sind auch schwere Nierenfunktionsstörungen.
Die Warnung der DGIIN bezieht sich auf die Ergebnisse von zwei Studien, die dem kolloida- len Volumenersatz eher Schaden als Nutzen
bescheinigen. Im Rahmen der am 17. Oktober im „NEJM online“ publizierten prospektiven geblindeten CHEST-Studie (Crystalloid versus Hydroxyethyl Starch Trial) wurden 7 000 inter- nistische und chirurgische Intensivpatienten entweder mit HES (130/0,4) oder Natrium - chloridlösung behandelt (DOI:10.1056/NEJMoa 1209759). Beim primären Endpunkt, der 90-Tage-Mortalität, zeigten sich keine signi - fikanten Unterschiede (18,0 Prozent unter HES versus 17,0 Prozent unter NaCI; relatives Risi- ko 1,06; 95-%-Konfidenzintervall [KI], 0,96–
1,18; p = 0,26).
Die Therapie mit HES brachte auch keinen Überlebensvorteil in sechs definierten Sub- gruppen – Patienten mit akuter Nierenschädi- gung, Sepsis, Trauma, Schädel-Hirn-Trauma, APACHE 11 Score k 25 sowie HES-Therapie bereits vor Randomisierung. Allerdings be -
obachtete man unter der Therapie mit dem Plasmaexpander einen Anstieg des Serum- kreatinins – zudem kamen in der HES-Gruppe signifikant häufiger Nierenersatzverfahren zur Anwendung (relatives Risiko 1,21; 95-%-KI 1,00–1,45; p = 0,04).
Auch in der skandinavischen 6S-Studie (NEJM 2012; 367: 124–34), in die Intensivpa- tienten mit Sepsis (n = 798) eingeschlossen worden waren, registrierte man in der HES- Gruppe (130/0,42) eine höhere Rate an Nie- renersatzbehandlungen als unter Behandlung mit Ringeracetat (22 versus 16 Prozent; rela - tives Risiko 1,35; 95-%-KI 1,01–1,80;
p = 0,04). Auch die Mortalität war in der HES- Gruppe am Tag 90 höher als in der Ringerace- tat-Gruppe (51 Prozent versus 43 Prozent;
(relatives Risiko 1,17; 95-%-KI 1,01–1,36;
p = 0,03). zyl
INTENSIVPATIENTEN: AUF HYDROXYETHYLSTÄRKE VERZICHTEN
Die Bundesregierung hat sich auf eine parlamentarische Anfrage hin explizit gegen sogenannte unethi- sche Arzneimittelstudien ausge- sprochen. Antragstellende Unter- nehmen müssten bei Probandenstu- dien im außereuropäischen Ausland allerdings auch schon jetzt versi- chern, dass die Tests unter gleich- wertigen Bedingungen wie in der Europäischen Union durchgeführt werden. Verstöße verhinderten eine Akzeptanz der gewonnenen Daten für ein Zulassungsverfahren.
In einer Kleinen Anfrage hatte die Linksfraktion darauf verwiesen, dass derzeit allein in Indien „etwa 1 900 Studien mit circa 150 000 KLINISCHE STUDIEN
Ethische Standards gelten weltweit
Probanden“ durchgeführt werden.
Dabei habe die Zahl der Todesfälle stetig zugenommen. So zitierte die indische Wirtschaftszeitung „Busi- ness Standard“ eine Statistik der na- tionalen Arzneimittelzulassungsbe- hörde, dass im Jahr 2011 bei Tests des Schweizer Unternehmens Nov- artis 57 Testpersonen gestorben sei- en. Auf der Liste folgten das deut- sche Unternehmen Bayer und der US-Konzern Pfizer mit je 20 so- wie der US-Konzern Bristol-Myers- Squibb mit 19 Todesfällen.
Die Vorschriften für klinische Prüfungen seien im Arzneimittelge- setz und im EU-Gemeinschafts- recht festgelegt, schrieb die Bun- desregierung in ihrer Antwort (BT- Drs 17/10911). Die Regeln zur Durchführung und damit der Schutz der Studienteilnehmer lägen zu- nächst in der Verantwortung des je- weiligen Staates. Gegen Firmen mit Sitz in Deutschland könne vor deut- schen Gerichten geklagt werden, auch wenn die Verletzungshandlun- gen im Ausland stattfanden. hneu
Knapp vier Wochen nach dem Auf- treten von Infektionen mit Serratia marcesens an der Charité – Univer- sitätsmedizin Berlin steht nun fest, dass die Darmbakterien nicht die Ursache für den Tod des Anfang Oktober verstorbenen Neugebore- nen waren. Dem Obduktionsergeb- nis zufolge sei das Kind nach einer Herzoperation eines natürlichen To- des gestorben, teilte die Staatsan- SERRATIEN AN DER CHARITÉ
Baby starb nicht an Keimbefall
waltschaft am 31. Oktober mit. Sie ermittelt wegen fahrlässiger Tötung und hatte das Kind exhumieren und obduzieren lassen.
Die Suche nach der Quelle für den Keimausbruch läuft indes wei- ter. Ein „extrem unreifes Frühchen“
musste wegen anhaltender Darm- probleme operiert werden. Der Zu- stand der anderen fünf infizierten Kinder sei stabil, so die Charité. ER Auch bei Arznei-
mittelstudien in Entwicklungslän-
dern müssen die Pharmafirmen sich an Regeln halten.
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