• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Interview: Hohe ethische Standards gefordert" (15.02.2008)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Interview: Hohe ethische Standards gefordert" (15.02.2008)"

Copied!
3
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

P O L I T I K

Die Entscheidung des CDU-Parteitags, eine begrenzte Forschung an embryonalen Stammzellen (ES) zu ermöglichen – beispielsweise durch eine Verschiebung des Stichtages –, hat zu Auseinandersetzungen zwischen der Union und den Kirchen geführt. Kann man es Ihrer Ansicht nach als christlich bezeichnen, Forschung zu verbieten, die Leben retten kann?

Huber: Es muss zunächst einmal klar sein, dass dem menschlichen Embryo von Anfang an menschliche Würde zuzusprechen ist. Daraus folgt, dass auch hochrangige For- schungsziele keine Rechtfertigung für die Herstellung von Embryonen abgeben können. Man muss sich je- doch der Tatsache stellen, dass bei der Herstellung menschlicher Embryo- nen zum Zweck der menschlichen Fortpflanzung überzählige Embryo- nen entstehen. Und die einzige Frage, die man auch aus christlicher Per- spektive legitimerweise stellen kann, ist, ob aus solchen überzähligen Em- bryonen embryonale Stammzellen für hochrangige Forschungszwecke entwickelt werden dürfen. Ich re- spektiere die Meinung derjenigen, die auch das für ethisch ausgeschlossen halten. Aber sie müssen dann zuge- ben, dass sie das Absterben der über lange Zeit kryokonservierten Em- bryonen für die ethisch einzig ange- messene Antwort auf diese Situation halten. Diejenigen, die die embryona- le Stammzellforschung grundsätzlich ablehnen und sich stattdessen für eine Forschung ausschließlich mit adulten Stammzellen einsetzen, müssen sich zudem mit der Frage auseinanderset-

zen, ob die Forschung mit adulten Stammzellen ohne begleitende For- schung mit embryonalen Stammzel- len möglich ist. Obwohl es das vor- rangige Ziel bleibt, auf die Forschung mit embryonalen Stammzellen zu verzichten, habe ich nach langem Zögern dem Kompromiss von 2002 Respekt gezollt.

In diese Richtung ging auch der Beschluss der EKD-Synode vom 4. November 2007. Sie hat sich zudem dafür ausgesprochen, auch ES-Zellen jüngeren Datums für die Grundlagen- forschung zu verwenden, wenn keine anderen geeigneten Zelllinien mehr zur Verfügung stehen. Dennoch haben Sie aufgrund Ihrer Zustimmung zu einer einmaligen Verschiebung des Stichtags

viel Kritik einstecken müssen, sowohl von der katholischen Kirche als auch aus den eigenen Reihen. Haben Sie damit angesichts dieses Synoden- beschlusses gerechnet?

Huber: Auch der Beschluss der EKD-Synode schließt nicht aus, dass es andere Positionen in der evangelischen Kirche gibt, die

INTERVIEW

zu den Themen embryonale Stammzellforschung, Patientenverfügungen, christliches Profil von Krankenhäusern mit Bischof Wolfgang Huber, Vorsitzender des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD)

Hohe ethische Standards gefordert

Der EKD-Ratsvorsitzende erläutert, warum er unter ganz bestimmten Voraussetzungen einer Verschiebung des Stichtags beim Import embryonaler Stammzellen zustimmt und warum er bestimmten Entwicklungen bei einer gesetzlichen Regelung von Patientenverfügungen skeptisch gegenübersteht.

Deutsches ÄrzteblattJg. 105Heft 715. Februar 2008 A303

Dem Embryo ist von Anfang an die menschliche Würde zuzusprechen.

(2)

A304 Deutsches ÄrzteblattJg. 105Heft 715. Februar 2008

P O L I T I K

ebenfalls gut begründet sind. Auf der Schutzwürdigkeit des Embryos basieren beide, die ablehnende Hal- tung zudem auf der Befürchtung, dass es nicht bei einer einmaligen Verschiebung bleiben wird.

Befürchten Sie das auch?

Huber: Die Gefahr kann ich nicht von der Hand weisen. Aber von ei- nem Automatismus zu reden, ist in meinen Augen vollkommen abwe- gig. Denn im einen wie im anderen Fall liegt es weiterhin in der Hand des Gesetzgebers, was geschieht; auch wenn er jetzt eine einmalige Ver- schiebung ablehnen würde, behielte er die Möglichkeit, zu einem späteren Zeitpunkt eine neue Regelung zu treffen. Ich bin davon überzeugt, dass der Kompromiss von 2002 dazu beigetragen hat, dass in Deutschland an den strengen Regeln des Embryo- nenschutzgesetzes festgehalten wur- de. Dabei soll es auch weiterhin blei- ben. Die Grenze wird eindeutig dort überschritten, wo menschliche Em- bryonen zu Forschungszwecken her- gestellt werden. Das soll die Stich- tagsregelung verhindern; dabei bleibt es auch dann, wenn es zu einer ein- maligen Verschiebung des Stichtags kommt.

Ist es ethisch zu rechtfertigen, viel Geld in eine Forschung zu investieren, deren Erfolgsaussichten derzeit nur vage sind und von der, wenn sie Erfolg hat, wahrscheinlich hauptsächlich die Menschen in den reichen Industrie- nationen profitieren werden?

Huber: Ich glaube nicht, dass wir in Deutschland in diese Forschung so viel Geld investieren, wie es viel- leicht sogar nötig wäre. Wenn ich für eine Verstärkung plädiere, denke ich freilich in erster Linie an die For- schung mit adulten Stammzellen, die in diesem Feld so schnell wie mög- lich die allein bestimmende For- schungsrichtung werden soll. Solche Forschung kann am ehesten in rei- chen Industriestaaten durchgeführt werden. Ob dabei Ergebnisse erzielt werden, die auch weltweit den Um- gang mit Krankheiten verändern, bleibt tatsächlich fraglich, aber zu hoffen. Unbegründet sind diese Hoff- nungen nicht. Ich gehe allerdings auch nicht davon aus, dass Forschun-

gen mit embryonalen Stammzellen Träger von konkreten Heilungschan- cen sein würden. Die Heilungshoff- nungen müssen sich in erster Linie auf adulte Stammzellen richten.

Ethische Grundsatzdiskussionen gibt es nicht nur am Anfang, sondern auch am Ende des Lebens. Zurzeit wird intensiv über Patientenverfügungen diskutiert.

Wie verbindlich sollten Ihrer Ansicht nach Patientenverfügungen sein?

Huber: Wenn die Äußerung, die ich gegenüber einem behandelnden Arzt ausspreche, welche Behandlung ich

wünsche oder ablehne, als verbind- lich anerkannt ist, dann hat auch die Patientenverfügung an dieser Ver- bindlichkeit Anteil. Der Unterschied ist nur, dass der Zeitpunkt, zu dem ich eine Patientenverfügung unter- schrieben habe, und der Zeitpunkt, an dem sie gegebenenfalls in An- spruch genommen wird, auseinander liegen. Es gehört also zur Verbind- lichkeit der Patientenverfügung da- zu, dass sie in der konkreten Situati- on auslegungsbedürftig ist. Die Fol- gerung, die ich daraus ziehe, ist, dass eine vorsorgende Vollmacht wichti- ger ist als die Beschreibung von ver- meintlich konkreten Situationen. Für die Auslegung gilt, dass das Selbst- bestimmungsrecht des Menschen

und die Pflicht zur Fürsorge für sein Leben gleichgewichtig berücksich- tigt werden. Eine Patientenverfü- gung entbindet Ärztinnen und Ärzte nicht davon, den Grundregeln des ärztlichen Ethos zu folgen.

Sollten aufgrund der Unkenntnis der späteren konkreten Situation bestimmte Bereiche besser gar nicht geregelt werden?

Huber: Es gibt gute Gründe dafür, den Bereich dessen, was durch Pati- entenverfügungen geregelt werden kann, eng zu definieren. Man muss

aber auch dem Einzelnen einen gewissen Spielraum lassen. Die Christliche Patientenverfügung, die von der evangelischen und der ka- tholischen Kirche gemeinsam her- ausgegeben wird, ist generell auf die Frage bezogen, ob im Fall einer zum Tod führenden Krankheit bei einem nicht mehr äußerungsfähigen Pa- tienten Behandlungen fortgeführt werden sollen, die in unmittelbarem Zusammenhang mit der zum Tod führenden Krankheit stehen. Es be- steht aber ausdrücklich auch die Möglichkeit, weitere Verfügungen selbst zu formulieren. Ich würde es für schwierig halten, generell auszu- schließen, dass jemand für ein lang anhaltendes Koma, das unwiderruf-

Fotos:JürgenGebhardt

(3)

Deutsches ÄrzteblattJg. 105Heft 715. Februar 2008 A305

P O L I T I K

lich nach allen ärztlichen Einschät- zungen zum Tod führen wird, eine Bestimmung trifft.

Befürworten Sie eine gesetzliche Regelung von Patientenverfügungen?

Huber: Die Rechtsprechung hat da- zu geführt, dass eine gesetzliche Re- gelung nahezu unvermeidlich ist.

Ich bejahe das im Grundsatz, ver- binde damit aber manche Sorgen.

Zu ihnen gehört die Vorstellung, dass eine gesetzliche Regelung die Patientenverfügung in bestimmten Bereichen zu einer generellen

Pflicht werden lässt. Das hängt mit der in Deutschland verbreiteten Neigung zu einer Fixierung auf das gesetzlich Geregelte zusammen.

Bereits jetzt wird oftmals in Pflege- heimen bei der Aufnahme regel- mäßig nach einer Patientenverfü- gung gefragt. Es darf jedoch nicht der Eindruck entstehen, das Vorlie- gen einer Patientenverfügung sei die Voraussetzung für die Aufnah- me. Denn zur Freiheit eines Men- schen gehört es auch, keine Patien- tenverfügung haben zu müssen.

Meine Sorge ist zum einen, dass eine gesetzliche Regelung dieses Missverständnis auslösen könnte, und zum anderen, dass eine gesetz- liche Regelung das Gleichgewicht

von Selbstbestimmung und Für- sorge für das Leben ins Rutschen bringen könnte. Das kann ich unter gar keinen Umständen gutheißen.

Wie kann man den Menschen die Angst vor einem Sterben ohne Würde nehmen?

Huber: Dadurch, dass andere Ele- mente neben der Patientenverfügung gefördert werden. Dazu gehört in ers- ter Linie die Stärkung der Palliativ- medizin und die breitere Einführung von ambulanten und stationären Hospizdiensten. Aber alles, was un- ter dem Stichwort „aktive Sterbehil-

fe“ steht und was ja genauer als „Tö- tung auf Verlangen“ oder als „Hilfe zur Selbsttötung“ bezeichnet werden muss, ist aus christlicher Sicht grundsätzlich abzulehnen.

Der ökonomische Druck auf die Kranken- häuser wächst. Auch die evangelischen Häuser sind ökonomischen Zwängen unterworfen, beispielsweise den DRGs.

Sehen Sie in dieser Entwicklung eine Gefahr für die Menschlichkeit und Christlichkeit in der Medizin?

Huber: Ja, ich habe mich deshalb dafür ausgesprochen, dass die DRGs nicht auf alles und nicht auf jeden angewendet werden dürfen. Ich habe auch darauf hingewiesen, dass man aufpassen muss, dass in den christ-

lichen Krankenhäusern nicht allein die kompliziertesten Fälle landen, weil diese sich dazu verpflichtet fühlen, jeden aufzunehmen, der Hilfe braucht. Man darf auch keine Zeit- takte vorgeben, die jede Hinwen- dung zum Patienten ausschließen. Es gibt jedoch noch viele Kranken- häuser – auch über den konfessionell geprägten Bereich hinaus – die durchaus wissen, welche Bedeutung gute Seelsorge für den Heilungs- prozess hat. An dieser Stelle vertraue ich darauf, dass christliche Kranken- häuser auch hinsichtlich der Qualität Vorbild sind und dies künftig weiter- hin sein werden. Sie sind dabei natürlich in die Vorgaben der Öko- nomisierung eingebunden. So sehr man das beklagt, muss man freilich auch berücksichtigen: Damit wir auch in Zukunft eine qualitativ hochwertige Gesundheitsvorsorge und -fürsorge haben, muss das Gesundheitswesen finanzierbar blei- ben. Deshalb muss man Gesichts- punkte des humanen Umgangs mit Kranken verstärkt in die Bemühun- gen um eine wirtschaftliche Führung von Krankenhäusern einbeziehen;

man darf sie nicht nur der Ökonomi- sierung des Gesundheitswesens pla- kativ entgegenstellen.

Das Diakonische Werk fordert derzeit, die Pflege von Angehörigen in Form von Freistellungstagen zu unterstützen – ähnlich wie die Pflege von kranken Kin- dern. Begrüßen Sie diesen Vorschlag?

Huber: Jeder kann in die Situation kommen, in der die Fürsorge für die eigenen Eltern ebenso aufwendig und anspruchsvoll ist, wie es die Fürsorge für die Kinder in einer früheren Lebensphase gewesen ist.

Für Christen ist die Pflege der El- tern nahe liegend, denn das vierte Gebot, das Gebot, die Eltern zu ach- ten, bezieht sich genau auf diese Si- tuation. Das bedeutet, dass Rege- lungen, die man in der Fürsorge für Kinder als notwendig erachtet, im Prinzip auch auf diese anderen Le- benssituationen übertragen werden sollen. Man muss Lösungen finden, die sowohl für den Arbeitgeber als auch für die Solidargemeinschaft fi-

nanzierbar sind. I

Die Fragen stellten Gisela Klinkhammer und Eva Richter-Kuhlmann.

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

3 Soweit nicht das Recht der Evangelischen Kirche in Deutschland, der Gliedkirchen und glied- kirchlichen Zusammenschlüsse etwas anderes regelt, bedarf es einer

(1) 1 Die Evangelische Kirche in Deutschland kann Kirchengesetze für Sachgebiete, die durch Kirchengesetz der Evangelischen Kirche in Deutschland für alle oder

Zweck und Ziel des kirchlichen Fundraisings ist die nachhaltige Förderung kirchlicher und diakonischer Arbeit durch freiwillige Unterstützung mit Gaben und mit Engagement.. So

1 Liegt ein Grund vor, der geeignet ist, Misstrauen gegen eine unparteiische Amtsausübung zu rechtfertigen, oder wird von einem Beteiligten oder einer Beteiligten das Vorliegen eines

11. „Empfänger“ eine natürliche oder juristische Person, kirchliche oder sonstige Stelle, der personenbezogene Daten offengelegt werden, unabhängig davon, ob es sich bei ihr um

(1) Kirchenbeamtinnen und Kirchenbeamte auf Lebenszeit oder auf Zeit können in den Wartestand versetzt werden, wenn kirchliche Körperschaften oder Dienststellen aufgelöst, in

1 Werden auf Grund der Struktur kirchlicher Dienste Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen eines Kirchenkreises oder Verbandes mit Diensten in Kirchengemeinden oder Mitarbeiter

Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung von personenbezogenen Daten im Auftrag (1) 1 Werden personenbezogene Daten im Auftrag durch andere Stellen oder Personen er- hoben, verarbeitet