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4. Oktober 2013STUDIEN IM FOKUS
Kurze, im Operationssaal induzier- te Ischämiephasen, die sich mit Re- perfusionen abwechseln, können bei kardiochirurgischen Eingriffen den Herzmuskel schützen. Darauf hatten kleinere Studien hingewie- sen. Nun ist in einer prospektiven, randomisierten, doppelblinden Stu- die am Universitätsklinikum Essen untersucht worden, ob das Prinzip einer solchen Präkonditionierung sicher und effektiv ist und ob perio- perative Veränderungen der Serum- konzentrationen von kardialem Troponin 1 (cTn-1), das Herzmus- kelschäden anzeigt, mit dem klini- schen Ergebnis korrelieren.
Die Federführung über die Studie hatte Prof. Dr. med. Gerd Heusch, Direktor des Instituts für Patho - physiologie. Eingeschlossen wur- den 329 Patienten (83 % männlich), bei denen erstmals und elektiv eine Bypass-Operation unter hypother- mer Kardioplegie anstand. Es gab zwei Gruppen, vergleichbar in Ko- morbidität und Risikofaktoren: ent- weder ischämische Präkonditionie- rung – nach Einleiten der Narkose, aber vor Inzision der Haut – durch Aufpumpen einer Blutdruckman- schette am linken Oberarm (drei- mal 200 mmHg für fünf Minuten), gefolgt von einer fünfminütigen Re- perfusionsphase. In der Kontroll- gruppe wurde die Blutdruckman- schette nur angelegt, aber nicht auf- gepumpt. Vor Beginn der OP und in Abständen von einer, sechs, zwölf, 24, 48 und 72 Stunden wurde Blut abgenommen, um cTn-1 mit Hilfe eines Immunoassays zu bestimmen.
In der Gruppe mit ischämischer Präkonditionierung lag der Anstieg des cTn-1 im Verlauf von 72 h, ge- messen als geometrisches Mittel der Area under the Curve, um 17,3 % unter dem der Kontroll - gruppe (Estimated Ratio 0,83;
95-%-Konfidenzintervall [KI] 0,70 –0,97). Die Mortalität jeglicher Ur- sache betrug innerhalb eines Jahres
nach der Operation 1,9 % im Inter- ventionsarm und 6,9 % in der Kon- trollgruppe, ebenso nach der durch- schnittlichen Beobachtungszeit von 1,54 Jahren (Hazard Ratio je 0,27;
95-%-KI 0,08–0,98; p = 0,046). Da- mit ergibt sich eine statistisch signi- fikante Reduktion der Mortalität, zum Beispiel durch Herzversagen.
Unter anderem wegen des breiten KIs seien weitere Untersuchungen notwendig, heißt es in der Studie.
Fazit: Die ischämische Präkonditio- nierung vor elektiver Herzbypass- Operation reduziert die postoperati- ve Mortalität der Patienten und die
Konzentration von Biomarkern im Serum, die eine Schädigung des Herzmuskels anzeigen. Eine einfa- che, präoperative Maßnahme habe damit protektive, klinisch relevante Effekte, resümieren die Autoren.
Die Mechanismen des molekularen Schutzprogramms, das aktiviert wird, seien nicht vollständig auf - geklärt, erläuterte Heusch. Experi- mentellen Befunden zufolge werde durch die herzferne Konditionie- rung die Mitochondrienfunktion im Myokard verbessert.
Dr. rer. nat. Nicola Siegmund-Schultze Thielmann M, Kottenberg E, Kleinbongard P, Wendt D, et al.: Cardioprotective and prognos- tic effects of remote ischaemic precondition - ing in patients undergoing coronary artery bypass surgery: a single-centre randomised, double-blind, controlled trial. Lancet 2013;
382: 597–604.
GRAFIK
Zeit bis zum Ereignis (Mortalität jeglicher Ursache; Schätzungen nach Kaplan-Meier) in der Intention-to-Treat-Population
PRÄKONDITIONIERUNG ZUR BYPASS-OPERATION
Herzferne, kurze Ischämiephasen wirken kardioprotektiv
Tod jeglicher Ursache (in %)
Jahre nach Randomisierung
Kontrollgruppe Interventionsgruppe zensierte Daten Hazard Ratio 0,73
(95-%-Konfidenzintervall 0,08–0,98; p = 0,046)
modifiziert nach: Lancet 2013; 382: 597–604
Eine akute zerebrale Blutung ist ei- ne schlecht zu behandelnde Form des Schlaganfalls. Häufig steigt der Blutdruck stark. Aufgrund der Er- gebnisse der INTERACT*1-Studie wird empfohlen, den systolischen Blutdruck unter 140 mmHg zu sen- ken. Nun wurde in INTERACT2 untersucht, welche Auswirkungen die aggressive frühe Blutdrucksen- kung auf die Prognose hat.
In die randomisierte, offene Stu- die wurden 2 839 Patienten mit er- höhten Blutdruckwerten und spon-
tanen intrazerebralen Blutungen re- krutiert, davon zwei Drittel in Chi- na. Die Patienten wurden binnen sechs Stunden nach dem initialen Ereignis randomisiert: Entweder sollte innerhalb einer Stunde ein systolischer Blutdruck von unter 140 mmHg erreicht werden, oder die Therapie sollte – leitlinienent- sprechend – zu einem Blutdruck- wert von unter 180 mmHg führen.
Die Auswahl der hierzu erforderli- chen Arzneimittel war dem behan- delnden Arzt überlassen. Primärer AKUTE INTRAZEREBRALE BLUTUNGEN
Eine rasche Blutdrucksenkung hat Vorteile
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M E D I Z I N R E P O R T
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4. Oktober 2013 A 1861 Eine Vitrektomie wird bei Diabeti-kern vorgenommen, wenn eine fort- geschrittene proliferative Vitreopa- thie besteht, oft mit Blutungen in
den Glaskörpern und mit Traktionen des Glaskörpers an der Netzhaut.
Darüber, wie hoch die Inzidenz die- ses Eingriffs bei Diabetikern ist, gab es bislang kaum Daten. Forscher der Universität Kopenhagen werteten Patientendaten eines nationalen Ge- sundheitsregisters und einer großen diabetologischen Spezialklinik aus;
für den Zeitraum von 1996 bis 2010 wurden insgesamt 3 980 Patienten mit Typ-1-Diabetes erfasst. Bei ei- ner medianen Nachbeobachtungs- zeit von zehn Jahren wurde die Vi- trektomie bei 106 Patienten notwen- dig: bei 43 % der Fälle wegen einer Glaskörperblutung, bei 57 % wegen Traktionsamotio der Netzhaut. Das Durchschnittsalter der Patienten be- trug 43 Jahre, die mittlere Erkran- kungsdauer 25 Jahre. Dass insge- samt nur 2,9 % der Patienten mit langer Diabetesdauer einer Vitrek- tomie bedurften, wird von den däni- schen Autoren als „niedrig“ einge-
stuft. Blieben jedoch jene Patienten unberücksichtigt, die nur eine milde oder keine diabetische Retinopathie hatten (60 % des Kollektivs), ergab sich eine Vitrektomie-Inzidenz von 6,4 %. Eine schlechte Stoffwechsel- kontrolle wurde mit hoher statisti- scher Signifikanz als ein Risiko - faktor für die Notwendigkeit einer Vitrektomie identifiziert: Patienten mit einem durchschnittlichen HbA1c-Wert von mehr als 75 mmol/
mol hatten eine Hazard Ratio von 3,9, sich dem Eingriff unterziehen zu müssen.
Fazit: Diabetiker mit schlechter Blutzuckerkontrolle haben eine deutlich erhöhte Wahrscheinlich- keit, auch trotz mehrfacher Laser- koagulation der Netzhaut so fortge- schrittene proliferative Veränderun- gen zu erleiden, dass eine Vitrekto- mie indiziert ist.
Dr. med. Ronald D. Gerste
Ostri C, et al.: Diabetic vitrectomy in a large type 1 diabetes patient population: long-term incidence and risk factors. Acta Ophthalmol 2013, doi: 10.1111/aos.12249.
VITREKTOMIE BEI DIABETES
Schlechte Blutzuckerwerte korrelieren mit Vitrektomie
GRAFIK
Häufigkeit der Vitrektomie bei Diabetikern (über den Kurven die Zahl der Patienten im Risiko)
Endpunkt waren Tod und schwere Behinderung, definiert als ein Wert zwischen 3 und 6 auf der modifi- zierten Rankin-Skala, nach 90 Ta- gen. Sekundärer Endpunkt war eine ordinale Auswertung der modifi- zierten Rankin-Skala. Von den aus- wertbaren 2 794 Patienten (Durch- schnittsalter 63 Jahre) hatten 1 382 eine intensive blutdrucksenkende Therapie erhalten, 1 412 Patienten wurden nach Leitlinien behandelt.
Im Median vergingen zwischen Ereignis und Randomisierung 3,7 Stunden. Der systolische Blut- druck betrug bei Aufnahme im Mit- tel 180 mmHg. Bei intensiver Be- handlung wurde überwiegend intra- venös therapiert: am häufigsten mit α-Blockern wie Urapidil oder Kal- ziumkanalblockern wie Nicardipin oder Nimodipin.
Den primären Endpunkt erreich- ten in der intensiv behandelten Gruppe 52 %, unter Standardthera- pie 55,6 % (Odds-Ratio [OR] 0,87, 95-%-Konfidenzintervall [KI] 0,75–
1,01, p = 0,06). „Die Studie ver-
passte knapp den primären End- punkt“, kommentiert Prof. Dr. med.
Hans-Christoph Diener, Essen. Dies bedeute aber nicht, dass die aggres- sive blutdrucksenkende Therapie gegenüber einer Standardtherapie bei erhöhten Blutdruckwerten von Patienten mit intrazerebralen Blu- tungen nicht wirksam sei. Die ordi- nale Analyse der modifizierten Ran- kin-Skala ergab einen signifikanten Unterschied zwischen den beiden Gruppen mit einer OR von 0,87 (95-%-KI 0,77–1,00, p = 0,04). Die Sterblichkeit in beiden Gruppen war mit 11,9 % in der intensiv behandel- ten und mit 12 % in der normal be- handelten Gruppe wiederum nicht unterschiedlich (OR 0,99, p = 0,96) und unerwünschte Wirkungen in beiden Gruppen ähnlich häufig.
Fazit: Nach den Ergebnissen der INTERACT2-Studie verringert ei- ne rasche Blutdrucksenkung bei Pa- tienten mit intrazerebraler Blutung das Risiko für Tod oder schwere Behinderung nicht signifikant im
Vergleich zu einer mäßigen Blut- drucksenkung. Funktionelle Para- meter wurden jedoch verbessert.
„Die Studie war wahrscheinlich nicht ausreichend gepowert“, meint Diener. Auch sei fraglich, ob die Er- gebnisse auf eine kaukasische Po- pulation zu übertragen sind, denn zwei Drittel der Patienten wurden in China rekrutiert. „Die Ergebnisse der INTERACT2-Studie stimmen mit den Empfehlungen der Deut- schen Schlaganfall-Gesellschaft und der Deutschen Gesellschaft für Neurologie überein“, kommentiert Diener: „Auch hier wird bei intra- zerebralen Blutungen eine aggressi- ve antihypertensive Therapie emp- fohlen.“ Dr. rer. nat. Susanne Heinzl
*INTERACT: Investigators in the second intensive blood pressure reduction in acute cerebral hem - orrhage trial
1. Anderson CS, et al.: Rapid blood-pressure lowering in patients with acute intracerebral hemorrhage. NEJM 2013; 368: 2355–65.
2. www.dgn.org/images/stories/dgn/leitlinien/
LL_2012/pdf/ll_28_2012_intrazerebrale_
blutungen.pdf
1,00
0,95
0,90
0,85
0,80
0 2 4 6 8 10 12
2 826
1 068 1 945
699
Anteil ohne diabetesbedingte Vitrektomie
Jahre nach Ausgangsbefund Population der Diabetiker (n = 3 980) dieselbe Population der Diabetiker ohne oder mit milder Retinopathie (n = 1 575)
modifiziert nach: Acta Ophthalmol 2013, doi: 10.1111/aos.12249.