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Archiv "Wenn der Staatsanwalt in die Praxis kommt . . ." (20.06.1987)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Wenn der

Staatsanwalt in die Praxis

J~:ommt • • •

Die Kontroversen um die auch und gerade in der Publizistik hochgespielten staatsanwaltschaftliehen Ermittlungsverfahren ge- gen niedergelassene Kassenärzte wegen eines , , Verdachts der betrügerischen Falsch- und Fehlabrechnung'' halten unvermin- dert an. Ungeachtet zahlreicher Aktivitäten auf Bundes- und Lan- desebene zur Entwicklung besserer Transparenz im Gesundheits- wesen, vor allem auch der Bemühungen der beiden Landes- KVen Nordrhein und Westfalen-Lippe, zusammen mit den Landesbehör- den nach gangbaren Wegen zu suchen, haben sich inzwischen Parteien, Ärzte- Initiativgruppen, Rechtswissenschaftler und An- wälte zu Wort gemeldet.

Der vorläufige politische Höhepunkt der "Ermittlungs-Feldzü- ge": Die FDP- Landtagsfraktion Nordrhein-Westfalen hat am 26. Mai 1987 an die Landesregierung einen , , Dringlichkeitsantrag'' zur "Sicherstellung der Rechtsstaatlichkeit bei Ermittlungsverfah- ren gegen Ärzte" gerichtet (Drucksache 10/2065). Voraufgegan- gen war eine beschwichtigende und mehr ausweichende denn aufklärende Beantwortung einer Kleinen Anfrage

im

Landtag vom 8. April 1987, mit der die FDP- Fraktion von der Landesregierung Auskunft über drei konkrete Fragen in Zusammenhang mit Staats- anwaltschaftlichen Ermittlungen und dem , , Verdacht auf Abrech- nungsmanipulationen'' verlangt hatte.

All dies und die Ergebnisse eines (noch nicht veröffentlichten) Gutachtens des Rechtswissenschaftlers Prof. Dr. jur. Heribert Schumann, M.

G

L., Institut für Kriminalwissenschaften an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, kamen auch bei ei- ner Vier-Stunden-Debatte des "Arbeitskreises Kölner Ärzte" im Auditorium Maximum der Universität Köln (am 20. Mai) zur Spra- che. Mehr als 700 interessierte niedergelassene Ärzte aller Fach- gebiete und aus verschiedenen Regionen Nordrhein-Westfalens (insbesondere aus dem Raum Dortmund, Essen und Köln) kamen zusammen, um die im Zusammenhang mit staatsanwaltschaftliehen Ermittlungsverfahren gesammelten Erfahrungen auszutauschen, aber auch "Handlungsanweisungen" aus erster Hand zu erhalten für den Fall, daß einmal der Staatsanwalt (nicht selten in Beglei- tung von Krankenkassenbediensteten) unangemeldet in die Praxis einrückt ...

ie Aktionen in Nord- rhein-Westfalen kön- nen einer gewissen Inszenierung und Dra- maturgie seitens der Aufsichtsbehörden, der Landesre- gierung und der Betroffenen nicht entbehren: Just zu dem Zeitpunkt, als die 700 Ärzte des Kölner Ärzte- Arbeitskreises disputierten und Ta- cheles redeten, wurde der Wortlaut der (überfälligen) Antwort auf die FDP-Anfrage vom April bekannt, in der Justizminister Dr. Rolf Krum- siek (SPD) auch "namens der Lan- desregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Arbeit, Gesund- I?:eit und Soziales" den besorgten Arzten und der fragenden FDP be- schied:

, ,Die Landesregierung hat keine Zweifel, daß die Staatsanwaltschaf- ten des Landes bei ihren Ermittlun- gen unter strenger Beachtung der Gesetze vorgehen . . . Der Landes- regierung sind keine Fälle bekannt, in denen die Staatsanwaltschaften bei den Ermittlungen gegen Ärzte die gebotene Verhältnismäßigkeit nicht gewahrt haben . . .

Der Nachweis einer betrügeri- schen Abrechnung ist ganz überwie- gend nur dann zu führen, wenn die bei den Krankenkassen befindlichen Abrechnungsscheine mit den bei dem beschuldigten Arzt sicherge- stellten Unterlagen verglichen wer- den. Insbesondere die Patientenkar- tei gibt in der Regel Aufschluß dar- über, welche Leistungen gegenüber den Patienten tatsächlich erbracht worden sind. Daher ist es bei dem Verdacht eines Abrechnungsbetru- ges häufig unerläßlich, die Arztpra- xis zu durchsuchen und gegebenen- falls die Patientenkartei zu beschlag- nahmen. Diese Maßnahmen werden unter Abwägung zwischen dem staatlichen Strafverfolgungsan- spruch und der ärztlichen Interes- sensphäre getroffen und auch nur dann, wenn der Verdacht sich auf- grund überprüfbarer Tatsachen ver- dichtet hat und auf eine gewichtige Straftat schließen läßt.''

..,.. Und so sieht die NRW-Er- mittlungsbilanz seit dem 1. Januar 1983 aus ministerieller Sicht aus: Es sind 1416 Ermittlungsverfahren ein- geleitet und 1034 Verfahren abge- Dt. Ärztebl. 84, Heft 25/26, 20. Juni 1987 (19) A-1803

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schlossen worden. Darin sind aller- dings rund 500 Verfahren einge- schlossen, denen die Abrechnung ambulanter Leistungen bei stationä- rem Krankenhausaufenthalt zugrun- de lag. Diese Fälle hatte die A 0 K Dortmund der Staatsanwaltschaft zur Überprüfung vorgelegt. Rund 480 dieser Verfahren hat die Staats- anwaltschaft Dortmund gemäß

§ 170 Absatz 2 StPO ohne weitere Ermittlungen eingestellt, da auf- grund der Umstände von Abrech- nungsversehen auszugehen war!

..,.. In 56 Fällen kam es zur Er- öffnung des Hauptverfahrens und in 261 Fällen zu Strafbefehlen bzw.

Einstellungen nach § 153 a Absatz 1 StPO (aus diesem Zahlenspiegel ist allerdings nicht zu erkennen, ob und inwieweit die betroffenen Ärzte und Ärztinnen überhaupt rechtsanwalt- schaftliche Beratung hinzuzogen und sämtliche Instanzen ausge- schöpft hatten).

Ganz auf der politischen Be- schwichtigungslinie hat die Landes- regierung Nordrhein-Westfalens darauf hingewiesen, daß weder bei den Krankenkassen noch bei den Staatsanwaltschaften , ,Rasterkata- loge" ("Tagesprofile") oder ähn- liches geführt würden.

Die (oppositionelle) FDP Nord- rhein-Westfalens ließ sich indes von der lapidaren Regierungsauskunft nicht abschmettern. In einem Frak- tionsantrag vom 26. Mai 1987 hat sie gegenüber der Landesregierung strengere Kautelen bei Staatsanwalt- schaftlichen Ermittlungen und für die Anzeigepflichten von Kranken- kassen und Kassenärztlichen Verei- nigungen verlangt. Dies sei "unab- weisbar", um rechtsstaatliche Maß- stäbe auch in Verfahren gegen Ärzte zu gewährleisten. Die FDP fordert, festzulegen,

C> , ,daß Krankenkassen und

Kassenärztliche Vereinigungen die Staatsanwaltschaften erst dann un- terrichten, wenn konkrete Anhalts- punkte für den Verdacht strafbarer Handlungen vorliegen,

C> daß keine Praxis im Verhält-

nis zwischen Krankenkassen/Kas- senärztlichen Vereinigungen und den Staatsanwaltschaften geduldet

wird, die auf eine mehr oder weniger

routinemäßige Übermittlung von

Daten, die dem Sozialgeheimnis un- terliegen, hinausläuft,

C> daß die an die Krankenkas-

sen und KVen gerichtete Anord- nung aufgehoben wird, die Staatsan- waltschaften umfassend und undiffe- renziert über jeden vagen Verdacht einer strafbaren Handlung zu unter- richten."

Zudem müßte stets der Grund- satz der Verhältnismäßigkeit bei po- lizeilichen und staatsanwaltschaft- liehen Ermittlungsverfahren gegen- über Ärzten gewahrt bleiben, so der FDP-Antrag. Nach Meinung der FDP entbehrt eine "allumfassende Anzeigepflicht" jeder Rechtsgrund- lage. Ferner seien die gesetzlichen Normen und die Prüfkompetenz der Ermittlungsbehörden über- schritten worden, zumindest dann, wenn Interventionsmöglichkeiten und Disziplinarmaßnahmen seitens der KV indiziert gewesen wären.

Die FDP stellt fest: "Die routi- nemäßige Übersendung von Prüfbe- scheiden an Staatsanwaltschaften

C> stellt eine vom Sozialgesetz-

buch nicht gedeckte ,Rasterfahn- dung' dar und

C> verletzt das Sozialgeheimnis

und damit das verfassungsrechtlich geschützte informationelle Selbstbe- stimmungsrecht.'' Es könne nicht hingenommen werden, daß "ein ganzer Berufsstand voreilig krimina- lisiert" werde.

Daß diese von der FDP vorge- tragenen Argumente nicht aus der Luft _gegriffen sind, belegt ein von der Arztekammer Westfalen-Lippe (Münster) eingeholtes Rechtsgut- achten, das Prof. Dr. jur. Heribert Schumann vor der Kölner Ärztever- sammlung (gleichsam als eine Hand- lungsanleitung für Ärzte und An- waltschaften) erläuterte.

Das Fazit des (noch nicht veröf- fentlichten, der KBV, den Spitzen der Kassen und dem Bundesarbeits- ministerium zwar bekannten, aber von ihnen nicht in allen Punkten ak- zeptierten) Rechtsgutachtens von Professor Schumann:

..,.. Die Staatsanwaltschaften (insbesondere in Bochum, Dort- mund und Essen) hätten sich in den meisten Fällen über zwingende Vor- schriften des Rechtes hinweggesetzt.

Die Ermittlungsbehörden hätten A-1804 (20) Dt. Ärztebl. 84, Heft 25/26, 20. Juni 1987

sich "strafbar" gemacht. Allerdings sei Strafverfolgung in solchen Fäl- len, in denen die Schranken des So- zialgeheimnisses, des ärztlichen Be- rufsgeheimnisses und der Verhält- nismäßigkeitweit überschritten wor- den seien, an einen Strafantrag ge- knüpft (was aber in vielen Fällen un- terblieben sei). Zwar hat sich die Rechtslage seit dem 1. April 1987 durch die Einführung des § 406 e Strafprozeßordnung (StPO) geän- dert, wie Schumann hervorhob. Je- doch sei die Weitergabe beschlag- nahmter Patientenunterlagen an Krankenkassen zur Ausweitung we- gen möglicher Ersatzansprüche auch nach neuem Recht unzulässig.

Beschlagnahme der Patientenkartei

Für die Beschlagnahme einer vom Arzt zu führenden Patienten- kartei gilt laut Schumann-Gutachten eine differenzierte Regelung:

C> Die Beschlagnahme der Pa-

tientenkartei durch die Ermittlungs- behörden ist nur dann zulässig, wenn der Arzt aufgrund eines be- gründeten Anfangsverdachtes auf andere Weise nicht des Betruges überführt werden kann.

C> Sie ist auch dann zulässig,

wenn die Beschlagnahme (und die Auswertung) der Patientenkartei von ausschlaggebender Bedeutung für das spätere Strafmaß ist.

C> Dagegen ist die routinemäßi-

ge und nicht plausible Beschlagnah- me einer Patientenkartei prinzipiell unzulässig.

Im Ermittlungsverfahren ist fol- gendes zu beachten:

C> Die Beschlagnahme einer

Patientenkartei muß dem im Straf- prozeß geltenden Verhältnismäßig- keitsgrundsatz entsprechen. Dabei hat die Staatsanwaltschaft zu prüfen, ob dieser Eingriff in die durch das Sozialgesetzbuch (§ 35 Absatz 1 SGB I in Verbindung mit § 203 Ab- satz 2 StGB) geschützten Rechte des Patienten noch mit dem Interesse ei- ner Strafverfolgung zu vereinbaren ist. Eine Beschlagnahme von Unter- lagen ist gemäß § 97 zulässig, wenn diese der unbedingten Beweissiche- rung dient.

(3)

> Es muß in jedem Fall gegen den beschuldigten Arzt ein „begrün- deter Verdacht des Betruges" vor- liegen. Andere Beweismittel, wie beispielsweise die Vernehmung des Praxispersonals und die des Beschul- digten selbst, müssen laut Schumann zunächst und in erster Linie voll aus- geschöpft werden. Die Beschlagnah- me einer Patientenkartei des Arztes und die Vernehmung des Personals sind daher nicht als erstes, sondern als letztes gebotenes Mittel ange- zeigt. Davor müssen sämtliche ande- ren „milderen" Mittel der Ermitt- lung und Aufklärung ausgeschöpft werden. Unbegründete und voreili- ge „Schuldeingeständnisse" sind fehl am Platz. Qualifizierter Rechts- beistand ist das „Mittel der Wahl".

Darüber hinaus muß von vorn- herein plausibel sein, daß die Patien- tenkartei überhaupt oder in nen- nenswerter Weise zur Ermittlung der Straftat beiträgt (etwa des durch Manipulation oder Betrug entstan- denen Gesamtschadens). Eine Be- schlagnahme ist dann zulässig, wenn nur dadurch der Umfang der „betrü- gerischen Abrechnung" ermittelt werden kann und der erwartete Um- fang für die Strafzumessung bedeut- sam ist. Es genügt also nicht die

„potentielle Beweisbedeutung der Patientenkartei".

> Der Grundsatz der Verhält- nismäßigkeit ist dann nicht erfüllt, wenn eine beschlagnahmte Kartei, wie in vielen Fällen im Raum Bo- chum geschehen, nicht ausgewertet wurde und dies nach den bisherigen Erfahrungen absehbar war.

> Völlig unzumutbar ist es, dem Arzt zu verwehren, eine Kopie der Kartei in Anwesenheit der Er- mittlungsbehörden anzufertigen.

Die Patientenkartei ist ein unver- zichtbares Organisationsmittel zur Fortführung der Praxis. Für den Arzt ist es unzumutbar, auf ein Du- plikat der Kartei zu verzichten und dieses erst auf Anfrage verspätet zu- rückzuerhalten.

> Die Patientenkartei darf auch nicht den Bediensteten der Krankenkassen zur Auswertung überlassen werden. Der „Geschä- digte" (die Kasse) kann nicht zu-

Fortsetzung Seite 1806

„Betrugsverdacht"

in Hamburg-Nord

Mit einem besonders unerfreu- lichen Fall von „Betrugsverdacht" — wenn auch anders gelagert als sol- che, die in dem nebenstehenden Beitrag behandelt werden — mußte sich Dr. Klaus Voelker, Vorsitzen- der der Kassenärztlichen Vereini- gung Hamburg, am 5. Juni in einer Pressekonferenz befassen.

Erstmals Anfang November 1986 hatte, wie Dr. Voelker ausführ- te, der Leiter einer Hamburger La- borgemeinschaft den Verdacht ge- äußert, Mitglieder der Laborge- meinschaft Hamburg-Nord hätten Laborleistungen unkorrekt abge- rechnet. Schon damals wurden bei der KV Hamburg Untersuchungen eingeleitet, die jedoch keinen An- haltspunkt für Falschabrechnungen von Mitgliedern Hamburger Labor- gemeinschaften ergaben.

Im Mai dieses Jahres recher- chierte ein Korrespondent einer me- dizinischen Wochenzeitung den

„Fall". Er wandte sich schriftlich auch an die KV Hamburg, die aus dieser Anfrage entnehmen mußte, daß möglicherweise die Staatsan- waltschaft Ermittlungen einleiten werde.

„Technisch möglich" wäre, wie Dr. Voelker erläuterte, eine Falsch- abrechnung auf folgende Weise: Bei Laboruntersuchungen, die auf Voll- automaten erstellt werden, darf nur der erste Parameter (C) mit 100 Pro- zent der jeweiligen Gebührenord- nungsziffer angesetzt werden, der zweite (D) mit 75 Prozent, der dritte (E) und alle weiteren mit 50 Pro- zent. Denkbar wäre, daß alle oder einige solche Leistungen unkorrek- terweise als Einzelbestimmungen (B) deklariert würden.

Nach Angaben Dr. Voelkers sind selbstverständlich alle 15 Ham- burger Laborgemeinschaften regel- mäßig auf die Abrechnungsvor- schriften hingewiesen worden; alle haben immer ordnungsgemäß ge- meldet, über welche Geräte sie ver- fügen; alle haben stets teils „B-", teils „C/D/E-Leistungen" abge- rechnet. Dies hat die KV Hamburg

an den bei ihr verfügbaren Unterla- gen (für das erste Quartal 1987), die ohnehin durch die übliche Prüfung gegangen sind, nochmals überprüft;

dabei ergaben sich keine Anhalts- punkte für Falschabrechnungen. Die bei den Krankenkassen liegenden Krankenscheine aus früheren Quar- talen wollen KV und Kassen noch- mals gemeinsam prüfen.

Die Hamburger Presse fand den Fall „delikat". Zumal Dr. Voelker Mitglied der Laborgemeinschaft Hamburg-Nord ist; ein weiteres KV- Vorstandsmitglied gehört auch dem Vorstand der Laborgemeinschaft an. Und in der Presse wurden aus zunächst drei, dann sechs Ärzten, gegen die angeblich ermittelt wurde, binnen Tagen „über 100" (die La- borgemeinschaft Hamburg-Nord hat etwa 130 Mitglieder). Die angebli- che Schadenssumme — von der nie- mand wissen konnte, ob sie über- haupt auch nur einen einzigen Pfen- nig betrug — schwoll in den Medien auf etwa sechs Millionen DM an.

Selbst ein sonst gut informierter Kommentator einer beliebten Ham- burger Tageszeitung schrieb: „Trotz noch immer überdurchschnittlicher Einkommen vergreifen sie" — die Ärzte — „sich am Geld der Kassen und somit am Geld von uns allen."

Wenn überhaupt, dann hätten sich allerdings die Schuldigen im wesent- lichen am Geld ihrer Kollegen ver- griffen — eine Konsequenz der Pau- schalierung der Laborvergütung.

Der gleiche Kommentator:

„Der Fall, wenn er sich denn be- wahrheiten sollte, macht einmal mehr klar, daß das allein auf gegen- seitigem Vertrauen zwischen Kran- kenkassen und Kassenärzten basie- rende Abrechnungssystem zum Miß- brauch verleitet und sich, wenn auch erst in jüngster Zeit, als untauglich erwiesen hat."

Derartige „Feststellungen", die dem Publikum, den Patienten, den Politikern (und den Staatsanwälten) vorgesetzt werden, sind der eigent- liche Schaden, wenn den Kassenärz- ten pauschal Mißbrauch unterstellt wird. Sollte allerdings dieses gegen- seitige Vertrauen zwischen Arzten und Kassen wirklich keine tragfähi- ge Basis mehr sein — das wäre erst recht schlimm. gb Dt. Ärztebl. 84, Heft 25/26, 20. Juni 1987 (21) A-1805

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DEUTSCHES

ÄRZTEBLATT

DER KOMMENTAR

Fortsetzung von Seite 1805

gleich „Sachverständiger" sein, weil in jedem prozessualen Verhältnis die Besorgnis der Befangenheit ge- geben sein kann.

1> Das Patientengeheimnis au- ßerhalb der Praxis ist, wie das Bun- desverfassungsgericht in einem Be- schluß vom 8. März 1972 feststellt,

„absolut geschützt". Wer sich in ärztliche Behandlung begibt, muß und darf darauf vertrauen, daß alles, was der Arzt im Rahmen seiner Be- rufsausübung über seine gesundheit- liche Verfassung erfährt, geheim bleibt. Nur so kann zwischen Arzt und Patient jenes Vertrauen entste- hen, das zu den Grundvoraussetzun- gen ärztlichen Wirkens zählt und der Aufrechterhaltung einer leistungsfä- higen Gesundheitsfürsorge dient, so das Verfassungsgericht. Und der Bundesgerichtshof formulierte, daß

„sich der Kranke nicht durch Zwei- fel an der Verschwiegenheit des Arztes davon abhalten lassen (kön- ne), ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen".

Auch die Krankenkassen müs- sen nachhaltig das Patientengeheim- nis schützen, so Schumann. Selbst die gerichtliche Beschlagnahme von Krankenscheinen und Rezepten bei Krankenkassen sei unzulässig, postuliert Schumann. Überhaupt könnten die Ermittlungsbehörden und die Krankenkassen nicht als

„Sachfremde" festlegen, was ärzt- licher Alltag ist und zu sein hat.

Demnach sind die Krankenkassen verpflichtet, eine „unzulässige Be- schlagnahme mit der Beschwerde anzufechten". Sie haben bei Gericht die Aussetzung der Vollziehung des Beschlagnahme-Beschlusses zu be- antragen, schreibt Professor Heri- bert Schumann.

Und schließlich: Die Staatsan- waltschaft darf sich weder unmittel- bar noch aufgrund gerichtlicher Be- schlagnahme in den Besitz von Krankenscheinen und Rezepten bringen. Dies gebieten ebenfalls die Bestimmungen des Sozialgesetzbu- ches, des Strafgesetzbuches und die vom Bundesverfassungsgericht ge- setzten (auch durch Oberlandesge- richte bestätigten) Normen.

Dr. Harald Clade

Beamten-Parlamente

In der deutschen Beamtenschaft gedeihen, so scheint es, die politi- schen Talente zuhauf. Beamte al- lenthalben, wohin man in den deut- schen Parlamenten auch blickt. Der Bund der Steuerzahler, dem überbü- rokratisierten, verbeamteten Staat stets mit Passion auf der Spur, zog wieder einmal eine Zwischenbilanz.

Danach kommen von den fast 2000 Mandatsträgern in den elf Landta- gen und im Bundestag 780 aus dem öffentlichen Dienst, 606 von ihnen ziert der Beamtenstatus. Welch eine Schlagseite, geht man von der Ideal- vorstellung aus, daß die Parlamente ungefähr die Sozialstruktur der Wahlbürger widerspiegeln sollten!

Wir wollen den politischen Sachver- stand in der Beamtenschaft nicht an- zweifeln, aber diese Überrepräsen- tanz hat nichts damit zu tun, daß Be- amte politisch überdurchschnittlich begabt seien. Sie rührt daher, daß unsere Staatsdiener sich ohne jedes berufliche und materielle Risiko im politischen Geschäft versuchen kön- nen.

Geht es gut, fördert die politi- sche Karriere auch den beruflichen Aufstieg. Geht es schief, ist jeden- falls der bisherige Besitzstand ge- wahrt, der Arbeitsplatz noch vor- handen, die Pension gänzlich unge- schmälert.

Dürfen wir achselzuckend über die totale Schieflage der Sozialstruk- tur unserer Parlamente hinwegge- hen? Nein, denn sie mindert die Kontrollfähigkeit der Parlamente, und die Fülle der Beamten untermi- niert die Standfestigkeit des Arbeit- gebers Staat in den alljährlichen Be- soldungsrunden.

Aus der Absicht, die Nebentä- tigkeiten der Beamten einzudäm- men, mit denen sie Freien Berufen Arbeit wegnehmen, ist nicht viel ge- worden.

Parlamente mit einseitiger struktureller Zusammensetzung nei- gen zu einem einseitigen politischen Verständnis. Wer niemals am Band gestanden hat, dem wird diese Ar- beitswelt zwangsläufig fremd blei- ben. Wer selbst nie um seinen Ar- beitsplatz bangen muß, dem fehlt es vielleicht an Verständnis jener Mit-

bürger, die mit diesem Risiko leben müssen. Was weiß der Ministerial- beamte, der überperfekte Verord- nungen und Paragraphen austüftelt, von den Problemen etwa jener Frei- berufler, die damit leben und arbei- ten müssen? In unseren Parlamen- ten läßt man unnütze und hemmen- de Vorschriften passieren, weil dort allzuviele sitzen, die vorwiegend an ihrer Beamtenstelle messen, was an- dere Beamte produziert haben.

Die Parteien sind aufgefordert, schon bei der Aufstellung der Kan- didaten dafür zu sorgen, daß andere Bevölkerungsgruppen stärker zum Zuge kommen, meint der Bund der Steuerzahler. Gelänge das nicht, so müsse die Einschränkung der Wähl- barkeit von Staatsdienern per Ge- setz erwogen werden.

Eine Möglichkeit, das Mißver- hältnis zu beseitigen, böte nämlich das Grundgesetz in Artikel 137.

Dort heißt es: „Die Wählbarkeit von Beamten, Angestellten des öf- fentlichten Dienstes, Berufssolda- ten, freiwilligen Soldaten auf Zeit und Richtern im Bund, in den Län- dern und Gemeinden kann gesetz- lich beschränkt werden."

Um Verbeamtung und Interes- senkollision weiter einzuschränken, könnte etwa daran gedacht werden, den Anspruch auf Wiederverwen- dung im öffentlichen Dienst, der nach Ausscheiden aus dem Parla- ment derzeit besteht, zu beseitigen.

Das könnte den Reiz eines Parla- mentsmandates für Staatsdiener er- heblich mindern. In diese Richtung gehen auch Überlegungen der Ver- waltung des Deutschen Bundesta- ges. Wie aus einem in ihrem Auftrag erstellten Gutachten hervorgeht, könnte die Wählbarkeit von öffent- lich Bediensteten erhalten bleiben.

Sie müßten sich allerdings nach der Wahl endgültig für Amt oder Man- dat entscheiden. Soweit wie im an- gelsächsischen Recht sollte man — schon wegen verfassungsrechtlicher Bedenken — nicht gehen. So sieht in England beispielsweise die Order in Council vom 10. Januar 1910 vor, daß jeder Beamte, der sich für einen Sitz im House of Commons bewirbt, direkt nach Bekanntgabe seiner Kandidatur seinen Dienst zu quittie- ren hat. Rolf Combach A-1806 (22) Dt. Ärztebl. 84, Heft 25/26, 20. Juni 1987

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