Taten folgen lassen
Mit Freude stelle ich fest, dass in letzter Zeit auch hierzulande vermehrt über die Art des Aufklärungsge- spräches im Falle einer schlechten Nachricht nach- gedacht und publiziert wird.
Nach sechs Jahren Studium der Humanmedizin in Deutschland und England sowie einem gerade be- gonnenen PJ-Tertial auf ei- ner Palliativ-Station habe ich den Eindruck, dass die Fähigkeit, auch solch schwierige Gespräche gut zu führen, bislang nicht hoch geschätzt wird. Abgesehen von mehreren Erfahrungen
in Visiten oder Patienten- vorstellungen, erlebte ich erst vergangene Woche die Situation, dass bei einem Pa- tienten nach Krampfanfall zwar eine ausführliche Dia- gnostik gelaufen war, die verantwortlichen Ärzte sich aber nicht in der Lage sahen, das Ergebnis, eine Hirnme- tastase bei Zustand nach Bronchialkarzinom, dem Pa- tienten mitzuteilen. Im Rah- men eines Konsils wurde schließlich der Arzt unserer Station gebeten, diese Auf- gabe zu übernehmen. Mit dem Hinweis, dass dies Auf- gabe der betreuenden Ärzte sei, wurde dies jedoch abge- lehnt. Die auch von den Au-
toren angesprochene Zeit- not ist in meinen Augen eine unzureichende Erklärung für die derzeitige Situation.
Zum einen begründet sie nicht, warum Patienten in solchen Situationen häufig weniger Zeit als die Mitpati- enten bekommen. Zum an- deren dauern auch vorbild- lich durchgeführte Auf- klärungsgespräche selten wirklich eine halbe Stunde.
Schon eher nachvollziehbar ist allerdings, dass sich eini- ge Ärzte unvorbereitet für solche Aufgaben fühlen . . . Es bleibt zu hoffen, dass Ar- tikel wie diesem bald Taten folgen werden und nicht mehr allzu viele Generatio-
nen von angehenden Ärzten sich unvorbereitet in diese für alle Beteiligten schwieri- ge und wichtige Situation begeben müssen.
Jan Schildmann, Akazienstraße 27, 10823 Berlin
Abtreibung
Zu dem Beitrag „Schwangerschafts- abbruch: Umstrittener Schein“ von Petra Bühring in Heft 46/2000:
Wie gut ist die Hilfe wirklich?
Wie in vielen Kommentaren zur Schwangerschaftskon- fliktberatung mit und ohne Schein, so entsteht auch in diesem Artikel der Ein- druck, als werde die Schwan- gere in Konfliktsituationen in Beratungseinrichtungen mit Scheinausgabe „er- reicht“ und demzufolge in Einrichtungen ohne Schein- ausgabe nicht erreicht. Das Bistum Fulda widerlegt die Behauptung im Schlusssatz des Artikels, wonach angeb- lich Schwangere in Konflikt- situationen eher in Bera- tungsstellen gingen, die den Schein ausstellten: Die Bera- tungsfälle in den sechs Bera- tungsstellen des Bistums in Trägerschaft des Sozialdien- stes katholischer Frauen stie- gen trotz Verzichts auf den Schein von 2 795 im Jahr 1992 auf 3 827 im Jahr 1998.
Das bedeutet – wie in ande- ren Bistümern auch – eine jährliche Steigerungsrate von rund sechs Prozent. In der gerade veröffentlichten, glasklaren Recherche Man- fred Spiekers „Kirche und Abtreibung in Deutschland“
(Verlag F. Schöningh) wer- den die eklatanten Defizite empirischer Überprüfungen in allen Belangen des Kon- flikts ausgeführt. Es ist er- schreckend, dass dies so ist, da es der Manipulation Tür und Tor öffnet. Wie gut bera- ten sind wir wirklich? Und vor allem: Wie gut ist die Hilfe wirklich?
Dr. med. Jürgen Hessel, Wilhelmstraße 28, 41747 Viersen
A
A 166
Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 98½½½½Heft 4½½½½26. Januar 2001B R I E F E
Wiedervereinigung
Zu dem Kommentar „Wagemut und Hilfsbereitschaft“ von Norbert Ja- chertz in Heft 40/2000:
Real existierender Kapitalismus
Als ich 1961 in Düsseldorf war – kurz
„vor der Mauer“, und damals durfte ich als Nichtreisekader noch nach dem Westen fahren – nach meiner leisen Kritik an der auffälligen Kriminalität in der Bundesrepublik – es war gerade am Vorabend eine Prostituierte auf ei- nem Parkplatz in Köln ermordet wor- den, und mir fielen die vielen Steck- briefe mit den Bildern gesuchter Ver- brecher auf –, wurde mir von einem Kollegen, gleichfalls Hochschullehrer, nach einer abfälligen Bemerkung über die tote Prostituierte die Frage ge- stellt: „Sind Sie Kommunist?“ Ich konnte die Frage mit einem glatten Nein beantworte, denn ich war in kei- ner Partei, und Marxismus und Kom- munismus waren für mich nur Randthemen.
Nach dem Beitritt, Anschluss oder, et- was anspruchsvoller, nach der Wieder- vereinigung, wie man es auch nennen mag, und einem zehnjährigen Inten- sivkurs in real existierendem Kapitalis- mus bin ich mir nicht so sicher, ob ich die Antwort wieder so entschieden ge- ben kann wie damals vor fast 40 Jah- ren.
Ja, es ist vieles besser geworden in die- sem Land: Wir haben nun die Technik, die wir uns immer gewünscht haben, und wir sind in die Selbstständigkeit entlassen, mit allen Konsequenzen,
die sich daraus ergeben mögen. Aber, was ist mit diesem Gesundheitswe- sen? Schon die Vorgängerregierung hatte ihre Schwierigkeiten damit. Da- bei war es doch immer so attraktiv, und viele aus dem Osten folgten dem Ruf: Go west! Aber schon damals gab es Kostendämpfungsmaßnahmen. Also muss-
te doch etwas mit diesem System nicht stimmen, das man uns 1990 so warm
„ans Herz“ gelegt hat.
Doch wir Mediziner kennen das: Wenn eine Diagnose schwierig ist und eine Therapie noch schwieriger, ist es ganz bestimmt ein multifaktorielles Gesche- hen, das in seinen Wechselbeziehun- gen schwer einzuschätzen ist. Außer mit den Partnern, die alle an den Ein- künften aus den Beiträgen der Kran- kenkassenmitglieder teilhaben wollen, gibt es zusätzliche Schwierigkeiten durch ökonomische Verluste: Arbeits- losigkeit auf der Einnahmen- und höhere Aufwendungen auf der Ausga- benseite durch demographische Ver- änderungen. Als Ausweg preist man uns nun den Gesundheitsmarkt an. Ob der aus der Sackgasse führt oder nur das Solidarprinzip aushebeln soll, bleibt dahingestellt. Mithilfe der „am Markt tätigen“ virtuellen Kassen sol- len offenbar die Beiträge und die Arzt- honorare gesenkt werden. Im Augen- blick stehen die Ärzte im Zentrum der Kritik. Folgerichtig wird in den Medien betrügerisches Abrechnungsverhalten als Ursache der finanziellen Schwierig- keiten benannt. Das dürfte in Einzel- fällen vorkommen. Aber ich bin sicher, dass der überwiegende Teil meiner Kollegen seinen Beruf ernst nimmt und weit davon entfernt ist, sich durch Ma- nipulationen Vorteile zu verschaffen.
Eher ist es der hohe Technisierungs- grad, der manche dazu verleitet, zu viele und zu teure Leistungen zu er- bringen. Vor zehn Jahren aber wurden viele Kollegen in Ostdeutschland durch Vertreter der Industrie und der Banken veranlasst, im Vertrauen auf die Zukunft teure Investitionen zu täti- gen.
Noch immer kann jeder Patient eine faktisch unbegrenzte Anzahl Ärzte im Quartal konsultieren. Schon vor Ein- führung der Krankenversicherungs- karte hätte dieser Mangel vorhergese- hen und verhindert werden können.
Und da ist das Anspruchsverhalten unserer Bürger, denen immer noch weisgemacht wird, wie omnipotent die Medizin und wie unwichtig der ei- gene Beitrag zur Gesunderhaltung ist.
Es entspricht eben nicht den Markt- prinzipien, durch Vorsorge künftige Schäden zu vermeiden, da nur durch Reparaturen und Neuanschaffungen Profit zu erzielen ist, was ja bekannt- lich in dieser Form im biologischen Be- reich nicht möglich ist. Die Pharmain- dustrie, jedenfalls Teile davon, beein- flusst wesentlich, welche Themen wis- senschaftlich bearbeitet und in der Fortbildung behandelt werden, und nimmt zumindest indirekt Einfluss auf das Verordnungsverhalten der Ärzte.
Da die Regierung auf den industriellen und den bürokratischen Komplex nur unzureichend Einfluss ausüben kann und sich scheut, die wahren Gründe für die Schwierigkeiten zu benennen, muss befürchtet werden, dass es auch in Zukunft bei dem System des Weiter- wurstelns bleibt, wobei die Patienten und die ambulant tätigen Ärzte als Op- fer der Beschränkungen ausersehen sind.