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Archiv "Erklärung der Bundesärztekammer" (09.05.1974)

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Die Information:

Bericht und Meinung Änderung des § 218

desärztekammer in einer Erklärung (sie ist weiter unten im Wortlaut wiedergegeben), jeder Arzt müsse von seinem Recht Gebrauch ma- chen können, die Beteiligung an medizinisch nicht angezeigten Schwangerschaftsabbrüchen abzu- lehnen.

Denjenigen unter den Abgeordne- ten, die mit Überzeugung für die Fristenregelung stimmten, sei ohne Vorbehalt unterstellt, daß sie glau- ben, damit den richtigen Weg zum besseren Schutz des Lebens ein- geschlagen zu haben. Ihre Argu- mentation für die Dreimonatsfrist war vorwiegend pragmatisch. Man erwartet Großes von der ärztlichen Beratung. Damit ist übrigens auch vorsorglich schon der Sündenbock auserkoren, auf den die Schuld ab- zuschieben ist, wenn der „Schutz des Lebens" nun doch nicht so wie erhofft ausfällt. Auf die Ärzte kommt also auch in dieser Bezie- hung einiges zu.

Unbefriedigend und zudem spär- lich genug waren die Debattenbei- träge über die Auswirkung der Ent- scheidung auf die moralische Ein- stellung der Bevölkerung oder — wenn man's nicht so hehr ausge- drückt haben will — auf das Rechtsempfinden hinsichtlich der Achtung und Erhaltung des menschlichen Lebens. Diese Fra- gen waren, abgesehen von selbst- verständlichen Bekenntnissen für das Leben und dessen Achtung, weitgehend ausgeklammert, so als sei unsere Volksvertretung für das Moralische eigentlich nicht so recht zuständig. Aber wer anders soll denn bei uns auch die moralischen Maßstäbe setzen, sofern sie in Ge- setze umzusetzen sind, wenn nicht der Gesetzgeber?

Insofern scheint die Entscheidung für die Fristenregelung über ihre un- mittelbare Bedeutung hinaus sym- ptomatisch zu sein für die Angst, Prinzipien aufzustellen, eine Angst, die man gern — gerade auch in der Abtreibungsfrage — damit ent- schuldigt, diese Art von Prinzipien- losigkeit sei eine Folge der „plura- listischen Gesellschaft". Gerade

die „Fristenlösung" zeigt deutlich, daß unser Gesetzgeber (in diesem Fall einstweilen allerdings nur der Bundestag) sich aus dem undank- baren Geschäft, Maßstäbe zu set- zen und zu verteidigen, zurückzu- ziehen scheint und sich offenbar mehr als „technokratisches Instru- ment" begreift. Denn die Entschei- dung für die „Fristenlösung" war, so paradox es zunächst erscheint, eine Flucht vor einer Entscheidung, einer moralischen nämlich, der Ent- scheidung, die Prinzipien unseres Rechtsstaates durch Gesetz zu si- chern.

Trügerisch ist die Hoffnung, die ei- nige Abgeordnete zu hegen schei- nen, die Fristenregelung werde in der Bevölkerung nur als eine ge- setzestechnische Lösung verstan- den, und für die Moral würden schon Moralhüter wie die Kirchen (und vielleicht auch die Ärzte, ließe sich ergänzen) sorgen. Der Bun- destag selbst setzte nämlich gera- de wegen des Ausklammerns des Moralischen ungewollt neue Maß- stäbe: Das Leben, das ja auch die

„Fristenlöser" schützen möchten, ist von Gesetzes wegen in den er- sten drei Monaten eben nicht mehr geschützt. Wir sind in die große Freiheit entlassen, der Staat er- klärt sich als nicht mehr zuständig.

Über diese einfache Erkenntnis hel- fen auch alle Beteuerungen nicht hinweg, aus welch richtigen, ehren- werten, ja guten Gründen die „Fri- stenlösung" gewählt worden sei.

An der „Achtung vor dem Leben"

wird sich trotz anderer Bekenntnis- se im Bundestag auf längere Sicht etwas ändern. Gerade wer sich, wie bevorzugt die Fristenvertreter, auf die „pluralistische Gesellschaft"

beruft, müßte besonders gut wis- sen, welche Konsequenzen sich aus dem Votum für diese Nicht-Lö- sung des § 218 ergeben müssen.

Denn wo die Moralauffassungen von Gruppen (Kirchen wie Ärzten) stark relativiert werden, ziehen sich viele Bürger darauf zurück, was der Gesetzgeber als moralisches Mini- mum setzt. Und das ist, was die

„Achtung vor dem Leben" angeht, bei der Fristenregelung herzlich

wenig. Es möge sich keiner der 247 Abgeordneten damit entschuldigen, das sei aber nicht gewollt. Die durchaus ehrenwerten Motive bei der Abstimmung, die unterstellt seien, zählen in ein paar Jahren nicht; es zählt, was im Gesetz steht.

Verständlich werden deshalb Be- fürchtungen, die Entscheidung zum

§ 218 werde Weiterungen nach sich ziehen, etwa die Diskussion um den

„guten Tod" anheizen. Sie ist ja schon im Gange; eine gesetzliche Regelung, die „liberaler" ist als die heutige, wird gefordert. Sollte der Bundestag eines nahen Tages also auch hier vor einer Entscheidung stehen — wird er auch dann das Moralische ausklammern und uns in die vermeintlich große Freiheit entlassen? Norbert Jachertz

Erklärung der

Bundesärztekammer

„Die Bundesärztekammer bedauert die Entscheidung des Deutschen Bundestages für die sogenannte Fristenlösung bei der künftigen Än- derung der strafrechtlichen Be- stimmungen über den Schwanger- schaftsabbruch. Sie bedauert, daß in einer Frage von derart grund- sätzlicher und weitreichender Be- deutung für die Achtung und Erhal- tung jeglichen menschlichen Le- bens keine Lösung gefunden wur- de, die von einer breiten Mehrheit der gewählten Vertreter des Volkes getragen wird.

Angesichts der Entscheidung für die Fristenlösung betont die Bun- desärztekammer in Übereinstim- mung mit Nr. 4 der Entschließung des Deutschen Bundestages, daß die Gewissensfreiheit des Arztes auch nach Änderung des § 218 StGB unbedingt geachtet werden muß. Jeder Arzt, auch der ange- stellte Arzt im Krankenhaus, muß von seinem Recht Gebrauch ma- chen können, die Beteiligung an medizinisch nicht angezeigten Schwangerschaftsabbrüchen abzu- lehnen. Auch an Krankenhäusern, die künftig Schwangerschaftsab-

1368 Heft 19 vom 9. Mai 1974

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

(2)

ZITAT

Konsequenzen

Die „Welt am Sonntag"

brachte am 28. April 1974 ein Interview mit dem Präsiden- ten der Bundesärztekammer und des Deutschen Ärzteta- ges, Prof. Dr. med. Hans Joa- chim Sewering.

Ein Auszug daraus:

Frage:

Kann ein Arzt einen Schwangerschaftsabbruch ablehnen?

Prof. Sewering:

Die Gewis- sensfreiheit des Arztes muß auch nach Änderung des Pa- ragraphen 218 unbedingt ge- achtet werden, wie es der Deutsche Bundestag am Freitag in seiner Entschlie- ßung auch zum Ausdruck ge- bracht hat ... Jeder Arzt kann den Eingriff ablehnen, wenn er nicht zur Abwen- dung von Gefahren für Leben und Gesundheit der Schwan- geren medizinisch angezeigt ist. Wir erwarten, daß kein Arzt jemals entlassen, ge- maßregelt oder benachteiligt

wird, weil er nach seinem Gewissen sich anders ent- scheidet, als es sein Kran- kenhausträger möchte. Es darf auch bei Neueinstellung keinerlei Benachteiligung ge- ben.

Frage:

Wird es künftig spe- zielle Abtreibungskliniken in Deutschland geben?

Prof. Sewering:

Wir werden es wohl sehr schnell erleben, daß bestimmte Krankenhäu- ser in den Ruf kommen wer- den, Abtreibungskliniken zu sein. Nach den Erfahrungen wie in England ist es aber auch denkbar, daß das neue Gesetz zu Neugründungen von Anstalten führt, die sich ganz auf legalisierte Abtrei- bungen konzentrieren. Die deutsche gesetzliche Kran- kenversicherung und damit alle Versicherten müssen dies dann mit ihrem — vor- aussichtlich steigenden — Beitrag bezahlen — auch über diese Konsequenz der Bonner Beschlüsse sollte die Bevölkerung nicht im unkla- ren gelassen werden.

Die Information:

Bericht und Meinung

brüche auf Wunsch vornehmen wollen, darf die Gewissensent- scheidung des Arztes nicht zur Existenzfrage werden.

Die Bundesärztekammer versichert erneut, daß die Ärzteschaft sich in- tensiv der Aufgabe widmen wird, die Frauen und Männer, aber auch die heranwachsenden Jugendli- chen verantwortungsbewußt und sachverständig über alle Fragen der Empfängnisregelung und der Familienplanung zu beraten. Die Bundesärztekammer hofft, auf die- se Weise dazu beizutragen, daß die Zahl unerwünschter Schwanger- schaften und damit auch die Zahl der künftigen legalen Schwanger- schaftsabbrüche so niedrig wie möglich gehalten wird."

Der neue „§218"

Der neue § 218, so wie ihn der Deutsche Bundestag in dritter Le- sung beschlossen hat (ob sich der Bundesrat dieser Entscheidung an- schließen wird, ist allerdings der- zeit durchaus fraglich), lautet:

„Der § 218 wird durch folgende Vorschriften ersetzt:

§ 218

(1) Wer in der Zeit zwischen dem 14. Tag und dem Ende des dritten Monats nach der Empfängnis die Schwangerschaft abbricht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, es sei denn, daß der Schwangerschafts- abbruch mit Einwilligung der

Schwangeren nach ärztlicher Bera- tung von einem Arzt vorgenommen wird.

(2) Begeht die Schwangere die Tat, kann das Gericht von Strafe abse- hen, wenn sie in besonderer Be- drängnis gehandelt hat.

(3) Der Versuch ist strafbar. Die Schwangere wird nicht wegen Ver- suchs bestraft.

§ 218 a

(1) Wer später als drei Monate nach der Empfängnis die Schwan- gerschaft abbricht, wird mit Frei- heitsstrafe bis zu drei Jahren be- straft, es sei denn, daß der Schwangerschaftsabbruch mit Ein- willigung der Schwangeren von ei- nem Arzt vorgenommen wird und 1. der Abbruch nach den Erkennt- nissen und Erfahrungen der medi- zinischen Wissenschaft angezeigt ist, um ernste Gefahr für Leben oder Gesundheit der Schwangeren abzuwehren,

oder

2. dringende Gründe für die Annah- me sprechen, daß das Kind geistig oder körperlich schwer geschädigt sein würde und seit der Empfäng- nis nicht mehr als 22 Wochen ver- strichen sind.

Die Voraussetzungen zu Nummern 1 und 2 müssen durch eine ärztli- che Gutachterstelle festgestellt sein.

(2) Begeht die Schwangere die Tat, kann das Gericht von Strafe abse- hen, wenn sie in besonderer Be- drängnis gehandelt hat.

(3) Der Versuch ist strafbar. Die Schwangere wird nicht wegen Ver- suchs bestraft.

§ 218 b

(1) Wer an einer Schwangeren die Schwangerschaft gegen deren Wil- len oder ohne Arzt zu sein ab- bricht, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft, in minder schweren Fällen nicht unter sechs Monaten.

(2) Der Versuch ist strafbar."

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Heft

19 vom 9. Mai 1974 1369

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