DEUTSCHES ARZTEBLATT
AKTUELLE POLITIK
Abgang auf halber Strecke
Norbert Blüm und die unvollkommene "Gesundheitsreform"
Mitten
im
Rennen wechselt man nicht die Pferde, heißtes.
Blllldes- arbeitsminister Dr. Norbert Blüm hat gerade eine andere Erfahrung machen müssen. Fürihn
ist das Rennen um die Geslllldheits-Reform vorzeitig beendet, nachdem der Bundeskanzler die Aufgaben neu verteilt hat. Um die gesetzliche Krankenversicherung kümmert sich nllll das Blllldesgeslllldheitsministerium. Was bleibt von den ge- Slllldheitsreformerischen Anstrengllllgen der.Ära
Blüm?E
nde Oktober vergangeneo Jah- res hieß es im Bonner Ministe- rium für Arbeit und Sozialord- nung: "Die Erfolgsbilanz der Ge- sundheitsreform ist außergewöhnlich eindrucksvoll. Die Fakten von heute widerlegen die Angstmache von ge- stern." War das nun pure Siegerlau- ne oder doch eher lautes Pfeifen im dunklen Wald? Tatsächlich gehen die Meinungen über Erfolg oder Mißerfolg der Blümschen Kraftan- strengung weit auseinander.Blüm selbst betont die positiven Effekte seiner Reform:
..,.. Die durchschnittlichen Bei- tragssätze seien gesunken - von 12,9 Prozent auf 12,3 Prozent. Ohne das Gesundheits-Reformgesetz lägen sie heute bei 14 Prozent. So gesehen ei- ne Einsparung von rund 16 Milliar- den Mark jährlich.
..,.. Die Festbeträge hätten zu ei- nem wirksamen Wettbewerb geführt.
Nie zuvor sei es zu derartigen Preis- senkungen bei Arzneimitteln gekom- men. Rund 945 Millionen Mark wür- den dadurch pro Jahr eingespart .
.... Die Prävention sei wesent- lich ausgebaut worden: mit dem
"Check up" für Erwachsene, der zu- sätzlichen Früherkennungsuntersu- chung bei Kindern (U 9) und weite- ren Vorsorgemaßnahmen.
.... Erstmals gebe es in der ge- setzlichen Krankenversicherung nun Leistungen für Schwerpflegebedürf- tige und deren Helfer.
Demgegenüber steht die Kritik:
Das Reformgesetz sei im Grunde wirkungslos verpufft, von einer vor- übergehenden Kostendämpfung ab- gesehen. Bereits zwei Jahre nach dem lokrafttreten des GRG stiegen
die Ausgaben der Krankenkassen wieder deutlich an.
Als N orbert Blüm vor fünf Jahren
"10 Grundsätze für ein gesundheits- politisches Gesamtkonzept" vorlegte, fand er nahezu einmütige Zustim- mung. Je konkreter die Reformüber- legungen in der Folgezeit jedoch wur- den, desto tiefere Risse zeigte die an- fängliche Übereinstimmung.
Plötzlicher Klimasturz
Aus politischen Schlagworten wie "Solidarität neu bestimmen" und
"Die Eigenverantwortung der Versi- cherten stärken" war Ende 1987 ein mehrere hundert Seiten starker Re- ferenten-Entwurf zum GRG gewor- den, der das "Klima" drastisch ver- änderte. Es begann die Zeit der har- ten Auseinandersetzungen. Plötzlich war von "Lobbyisten" die Rede und von "Kämpfen um die eigenen Pfründen". Norbert Blüm gegen den Rest der Welt? Ein wenig von dieser Haltung kam immer wieder zum Vorschein - besonders dann, wenn sich einzelne Fragen der Strukturre- form in der Diskussion zuspitzten.
Längst nicht alles, was im dama- ligen Referenten-Entwurf niederge- legt war und auf entschiedenen Wi- derstand nahezu aller Betroffener stieß, wurde später Gesetz. Dennoch bestätigten die mehr als 300 Paragra- phen das, was Norbert Blüm frühzei- tig angekündigt hatte: Jeder müsse seinen Beitrag leisten, und alle seien von der Reform betroffen.
Allerdings ist der Grad der "Be- troffenheit" durchaus unterschied- lich. Während der stationäre Sektor
von der Reform nur am Rande be- rührt worden ist, fühlen sich die Kas- senärzte weit über Gebühr reglemen- tiert und bürokratisiert. Das Prüfwe- sen ist spürbarverschärft und der Ver- waltungsaufwand in Folge von Fest- beträgen, Negativlisten und derglei- chen mehr erheblich gestiegen.
Auch die gemeinsame Selbstver- waltung von Arzten und Kranken- kassen hat nicht nur die reine Freu- de am Blümschen Reformwerk Zum einen ist die Aufgabenfülle gewach- sen, zum anderen aber auch der Druck auf die entsprechenden Gre- mien, "das Gesetz zügig umzuset- zen", wie Norbert Blüm wiederholt forderte. Besonders augenfällig wird dies bei der Bildung von Festbetrags- gruppen für Arzneimittel. War das Verfahren bei Arzneimitteln mit identischen Wirkstoffen noch relativ überschaubar, so stellten sich schon bei den ersten Überlegungen zu Festbetragsgruppen für Arzneimittel mit pharmakologisch-therapeutisch vergleichbaren Wirkstoffen zahlrei- che Abgrenzungsprobleme ein.
Die Festbetragsregelung an sich ist überdies ein Beispiel dafür, wie- viel "Sprengstoff" noch in dem Ge- setzeswerk steckt. Norbert Blüm ging davon aus, daß rund 90 Prozent aller Arzneimittel bis Ende 1991 mit Festbeträgen versehen sein könnten. Das aber scheint gegenwärtig mehr als fraglich. Die Konsequenz dürfte sein: Für eine beachtliche Zahl von Arzneimitteln gilt ab dem 1. Januar 1992 eine Selbstbeteiligung von 15 Prozent je Medikament. (bis zu 15 Mark je Mittel). Neuer Arger dürfte also schon bald ins Haus stehen.
Und langfristig? Die nach wie vor ungelösten Probleme, wie die demo- g,raphische Entwicklung und die Oberkapazitäten im Gesundheitswe- sen, lassen wenig Gutes erwarten. So gesehen kann die Erfolgsbilanz des Bundesarbeitsministers für die Ge- sundheitsreform insgesamt besten- falls eine Zwischenbilanz sein. Die wiederum eröffnet allerdings der nun zuständigen Bundesgesundheitsmini- sterin Gerda Hasselfeldt die Möglich- keit, erkannte Fehlerund Fehlentwik-
klungen zu korrigieren. Dabei kann sie
durchaus mit der Bereitschaft der Ärzteschaft zur konstruktiven Zu- sammenarbeit rechnen. Josef Maus Dt. Ärztebl. 88, Heft 7, 14. Februar 1991 (19) A-447