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rzte – Leisten sie, was sie ver- dienen?“ Unter diesem provo- kanten Titel veröffentlicht das Wirtschaftsmagazin „Capital“(6. Juni) die Umfrage „Arzt und Pati- ent“ des Bielefelder Emnid-Institu- tes. Hierbei wurden 72 Fragen rund um das Gesundheitswesen repräsen- tativ an 1 100 Kassen- und Privatpati- enten sowie an 500 Ärzte „aller Art“
gestellt. Was auf den ersten Blick wie eine Fortführung der allseits bekann- ten Vorurteile gegenüber der Ärzte- schaft erscheint, entpuppt sich beim Lesen des 14seitigen Titelthemas als eine – in vielerlei Hinsicht – auf- schlußreiche Analyse.
Radikal aufgeräumt wird unter anderem mit dem Klischee, daß Ärzte zuviel Geld „kassieren“. Auf die Fra- ge, „wie hoch das durchschnittliche monatliche Nettoeinkommen von Ärzten in Deutschland ist“, geben 28 Prozent der Mediziner unter 4 000 DM an, 15 Prozent müssen sogar mit weni- ger als 3 000 DM auskommen. Patien- ten halten die Ärzteschaft jedoch im- mer noch für Großverdiener: nur zehn Prozent der Patienten können sich vorstellen, daß ein Arzt weniger als 4 000 DM verdient. Sie glauben viel- mehr, daß 35 Prozent der Mediziner mehr als 8 000 DM pro Monat zur Ver- fügung haben – dies bestätigen jedoch nur 15 Prozent der befragten Ärzte.
Um die finanzielle Lage der Me- diziner zu verdeutlichen, wird er- wähnt, daß in Hessen – ähnlich wie in anderen Bundesländern – 18 Prozent der niedergelassenen Kollegen „vom Eingemachten leben und praktisch pleite sind“. Einzelne Praxen hätten mit Umsatzeinbrüchen von 30 Pro- zent und mehr zu kämpfen. Zitiert wird auch KBV-Chef Winfried Schor- re mit den Worten, daß „unter dem Strich Handwerker mehr für ihre Lei- stung bekommen“.
Schwarz auf weiß ist nun (end- lich) auch in einem Wirtschaftsmaga- zin das Preisbeispiel zu lesen, das un- ter den Ärzten längst die Runde ge- macht hat: Ein Klempner stellt für die Reparatur eines defekten Abflußroh- res an Werktagen 300 DM – an Wo- chenenden bis zu 450 DM – in Rech- nung. Demgegenüber, so „Capital“, könne der Allgemeinarzt für einen Hausbesuch wegen Kreislaufkollaps bei einem Kassenpatienten 115 DM
an Wochentagen und 154 DM am Wo- chenende abrechnen, bei einem Pri- vatpatienten 281 DM respektive 327 DM. Resümee: Der Klempner macht in jedem Fall den „besseren Schnitt“.
Völlig falsche Vorstellungen ha- ben Patienten auch hinsichtlich des Arbeitseinsatzes von Ärzten. Wäh- rend nur jeder vierte Patient glaubt, daß ein Arzt im Durchschnitt mehr als 60 Stunden pro Woche arbeitet, geben 54 Prozent der Mediziner diesen Wert an. Nach der Emnid-Untersuchung arbeiten sogar 93 Prozent der Ärzte
mehr als 40 Stunden die Woche – für kaum einen Arzt trifft demnach die für die Mehrheit der Bevölkerung gel- tende Arbeitszeitregelung von 35 bis 40 Stunden zu.
Vorbehaltlos wird in „Capital“
anhand von Beispielen und Zitaten dargestellt, daß Ärzte ihre Einnahme- verluste – wenn nicht über betrügeri- sche Abrechnungen – mit technischen Hilfsmitteln zu kompensieren versu- chen. 500 Millionen Mark würden al- lein durch falsche oder überflüssige (aber gewinnträchtige) Labortests verschwendet. Gerne versuchten die Ärzte auch „bei ihren Privatpatienten
herauszuholen, was bei Kassenpatien- ten nicht mehr möglich ist“. Bei der Prüfung von 148 Chefarztrechnungen des saarländischen Abrechnungsun- ternehmens Unimed habe ein Gut- achter bei einem Gesamtbetrag von 456 233 Mark insgesamt 78 861 Mark medizinisch nicht nachvollziehen können.
Das Negativ-Image des Ärzte- standes herrscht auch in den eigenen Reihen vor: Auf die Frage „Rechnen Ärzte bei Kassen und privaten Kran- kenversicherungen Leistungen ab, die sie gar nicht erbracht haben?“ trauen zwölf Prozent ihren Kollegen „häufi- ges“ und weitere 30 Prozent „gelegent- liches“ Fehlverhalten zu. Zweidrittel der Ärzte sind zudem der Ansicht, daß der eigene Stand „therapeutisch über- flüssige Leistungen“ erbringt.
Auch die Ambivalenz der Bezie- hung zwischen Pharmaindustrie und Ärzteschaft spiegelt sich in der Em- nid-Umfrage wider: „Zwar gibt rund zweidrittel der Weißkittel zu, sich durch Reisen, Kongresse und Sachge- schenke der Arzneimittelhersteller beeinflussen zu lassen“, so ist in „Ca- pital“ zu lesen. Jedoch könnten die Ärzte ohne das qualitativ gute Fort- bildungsangebot der Pharmaindustrie angesichts der rapide abnehmenden Halbwertszeit des medizinischen Wis- sens nicht mehr auskommen.
Trotz herber Kritikpunkte an den
„Prügelknaben der Nation“ spricht die Umfrage die Ärzte aber von ei- nem Mythos frei: sie sind nicht (!) die Verursacher der Kostenexplosion im Gesundheitswesen. Ursache sei viel- mehr eine Explosion der Beiträge in der Gesetzlichen Krankenversiche- rung, die seit 1975 (bei nahezu kon- stantem Anteil der Gesundheitsko- sten am Bruttosozialprodukt) von im Mittel 10,5 auf 13,5 Prozent gestiegen seien. Dr. med. Vera Zylka-Menhorn
Die komplette Studie kann zum Preis von 250 DM per Fax oder Telefon bestellt werden bei
Capital-Leserservice 02 21/4 90 81 79.
A-1471
P O L I T I K KOMMENTARE
Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 22, 30. Mai 1997 (19)