S
ie leiden meist stumm. Angehörige von Suchtkranken verheimlichen oft ihre Sorgen, Nöte und ihr seeli- sches Leid. Dabei sind sie ebenso krank wie die Süchtigen selbst. Während die Sucht Aufmerksamkeit in der Öffent- lichkeit erregt, werden die körperlichen und seelischen Erkrankungen von An- gehörigen Suchtkranker häufig nicht mit der Erkrankung des Partners in Verbindung gebracht. 60 bis 70 Prozent suchen wegen ihrer Beschwerden einen Arzt auf. In vielen Fällen behandeln Ärzte jedoch auf Depressionen und ei- ne Vielzahl psychosomatischer Be- schwerden, wie Nervosität, Schlaflosig- keit, Magenerkrankungen und Migrä- ne, ohne dass die zentrale Problematik zur Sprache kommt. Dabei müssten auch die Partner von Suchtkranken oft- mals psychotherapeutisch behandelt werden.Das Schweigen brechen
„Angehörige sind bisher Randfigu- ren. Dabei haben in Deutschland etwa acht Millionen Menschen einen eigen- ständigen Hilfebedarf“,
sagt Sonja Vennhaus, Re- ferentin bei der Deutschen Hauptstelle gegen die Suchtgefahren (DHS).
„Auch zwei Millionen Kin- der sind gefährdet, unter Depressionen und anderen psychischen Erkrankun- gen zu leiden.“ Die in der DHS organisierten Selbst- hilfe- und Abstinenzver- bände wie das Blaue Kreuz in der Evangeli- schen Kirche, das Blaue Kreuz in Deutschland, die Freundeskreise für die Suchtkrankenhilfe und die
Guttempler in Deutschland for- dern deshalb spe- zielle Angebote für Angehörige im hauptamtlichen Bereich der Sucht- hilfe. Professionelle Helfer, Berater und Therapeuten müssten für eine angemessene Arbeit mit dieser Zielgruppe qualifiziert werden.
Der Angehörige des Suchtkranken entwickelt häufig eine Co-Abhängig- keit, die in vielen Fällen Krankheitscha- rakter besitzt und ebenso behandlungs- bedürftig ist. Betroffen sind vor allem Frauen (80 Prozent). Während sich Männer schneller von der süchtigen Partnerin lösen, begleitet der Großteil der in fester Partnerschaft lebenden Frauen (90 Prozent) den abhängigen Partner während der Suchttherapie.
Gleiches tun nur etwa zehn Prozent der mitbetroffenen Männer. Als Angehöri- ge übernehmen die Frauen sogar teil- weise bei der Therapie die Führungs- rolle: Über sie findet zumeist die erste Kontaktaufnahme zu den Selbsthilfe-
gruppen statt. Die eigenen Probleme bleiben allerdings auf der Strecke.
Um die Aufmerksamkeit auf die eigenständigen Bedürfnisse von An- gehörigen zu lenken, hat die DHS das Jahr 2000 zum „Jahr der Angehörigen Suchtkran- ker“ erklärt. Mit einer Aktionswoche Ende September machten Suchtkrankenhilfe
und Suchtkran- kenselbsthilfe die Situation der An- gehörigen zu ei- nem öffentlichen Thema. Langsam vollzieht sich ein Wandel; Angebote für Angehörige beste- hen bereits vereinzelt. Ei- nige Gruppen in der Sucht- krankenhilfe weisen seit ihrem Be- stehen darauf hin, dass die Sucht auch das soziale Umfeld betrifft. In anderen finden Angehörige noch wenig Be- achtung. „In der Gruppenarbeit wer- den Angehörige eher als ,Stabilisato- ren‘ für den Suchtkranken gesehen“, sagte Rolf Hüllinghorst, Geschäftsfüh- rer der DHS. „Dies möchten wir än- dern.“ Eine weltweite Selbsthilfeorga- nisation, die Al-Anon Familiengrup- pen, hat nur ein Anliegen: Sie hilft aus- schließlich Angehörigen von Sucht- kranken. In Deutschland gibt es derzeit etwa 950 Gruppen.
Mit der Resonanz auf die diesjährige Aktionswoche ist Hüllinghorst zufrie- den: „Viele Selbsthilfegruppen haben das Thema aufgegriffen und bundesweit in die Re- gionen getragen.“ Dort er- fahren Angehörige oft zum ersten Mal nach langen Jahren des Schweigens, der Scham und der Angst um den Partner eine Entla- stung. „Gemeinsam mit an- deren Betroffenen lernen sie dort“, erklärt Hülling- horst, „Sucht als Erkran- kung des Familiensystems zu begreifen und die eigene Gesundheit und Zufrieden- heit wieder in den Mittel- punkt des Lebens zu stel- len.“ Dr. med. Eva A. Richter P O L I T I K
Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 97½½½½Heft 42½½½½20. Oktober 2000 AA2753
Informationen und Hilfen geben
* Blaues Kreuz in der Evangelischen Kirche, Bundesverband e.V., Dortmund, Telefon: 02 31/5 86 41 32, www.blaues- kreuz.org
* Kreuzbund e.V., Selbsthilfe- und Helfergemeinschaft für Suchtkranke und deren Angehörige, Bundesverband, Hamm, Telefon: 0 23 81/67 27 20, www.kreuzbund.de
* Freundeskreise für Suchtkrankenhilfe, Bundesverband e.V., Kassel, Telefon: 05 61/78 04 13, www.freundeskreise-sucht.de
* Guttempler in Deutschland, Hamburg, Telefon: 0 40/24 58 80, www.guttempler.de
* Blaues Kreuz in Deutschland, Wuppertal, Telefon: 02 02/
62 00 30, www.blaues-kreuz.de
* Al-Anon Familiengruppen, Essen, Telefon: 02 01/77 30 07, www.al-anon-alateen.org