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Archiv "Psychiatrische Versorgung: Kampf gegen das Stigma" (16.06.2000)

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Academic year: 2022

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s ist viel erreicht worden, seit die Enquête-Kommission zur Lage der Psychiatrie dem Bun- destag vor 25 Jahren einen umfangrei- chen Empfehlungskatalog vorlegte.

Trotzdem wird die Mehrzahl der Pati- enten aufgrund einer „restriktiven Budgetpolitik“ derzeit nicht nach mo- dernem Therapiestand behandelt, be- klagte der Aktionskreis Psychiatrie – ein Zusammenschluss von 18 namhaf- ten Klinikärzten und niedergelasse- nen Fachärzten mit Sitz in München.

Das informelle Gremium will Defizite bei der Versorgung psychisch Kranker aufzeigen und ihre Stigmatisierung in der Gesellschaft bekämpfen.

Dabei werden die erzielten Fort- schritte durchaus anerkannt. Grün- dungsmitglied Prof. em. Dr. med.

Hanns Hippius, München, berichtete, dass die Zahl der Planbetten in psych- iatrischen Großkrankenhäusern von 120 000 im Jahr 1970 auf rund 55 000 im Jahr 1995 reduziert werden konn- te. 1970 gab es 21 psychiatrische Ab- teilungen an Allgemeinkrankenhäu- sern, heute sind es 160 mit einer Lie- gezeit zwischen 20 und 30 Tagen. Hip- pius warnte jedoch davor, die Behand- lung stationär behandlungsbedürfti- ger chronischpsychisch Kranker, bei denen diese Liegezeit nicht ausreicht, zu vernachlässigen. Wichtig sei wei- terhin der koordinierte Ausbau der ambulanten Versorgung: Die „zu be- grüßende Einrichtung von Instituts- ambulanzen darf nicht so weit getrie- ben werden, dass dadurch die Mög- lichkeiten der niedergelassenen Ärzte eingeschränkt werden“.

Das Ausmaß psychischer Er- krankungen – besonders der Schizo- phrenie – wird in Deutschland nach Meinung des Arbeitskreises unter- schätzt (Kasten). Die Gesamtkosten

seien vergleichbar mit den Kosten bei Diabetes mellitus oder koronaren Herzkrankheiten. Die WHO stuft die Schizophrenie als weltweit eine der teuersten Krankheiten ein.

Die deutlich bessere Therapie mit atypischen Neuroleptika werde den meisten Schizophrenie-Patienten in Deutschland aus Kostengründen ver- wehrt, kritisierte Prof. Dr. med. Dieter Naber, Direktor der Psychiatrischen Klinik am Universitätskrankenhaus Eppendorf, Hamburg. Atypische Neu- roleptika, seit etwa 15 Jahren auf dem Markt, haben nicht die typischen mo- torischen und affektiven Nebenwir- kungen der alten Medikamente, sind aber um 80 Prozent teurer. Die besse- re Verträglichkeit fördere jedoch die Compliance der Patienten, sodass die Rezidiv- und Rehospitalisierungsra-

ten signifikant gesenkt werden könn- ten. Die höheren Medikamentenko- sten führten also letztlich zu geringe- ren Gesamtkosten. Aus Sicht der Pa- tienten, ihrer Angehörigen und der Fachärzte sei die Vorenthaltung der atypischen Neuroleptika eine „nicht zu tolerierende Diskriminierung psychia- trischer Patienten“, sagte Naber.

Durch eine weltweite Anti-Stig- ma-Kampagne erhofft sich das Gre- mium eine allmähliche Änderung der Einstellung im sozialen Umfeld. In der deutschen Bevölkerung ist die Stigmatisierung psychisch Kranker und ihrer Familien immer noch „in er- heblichem Ausmaß vorhanden“, be- tonte Prof. em. Dr. Dr. Dres. h. c.

Heinz Häfner, Arbeitsgruppe Schizo- phrenieforschung, Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim.

Doch soziales Stigma wirke nicht nur negativ auf den Verlauf der Grunder- krankung, sondern bedinge teilweise auch die Frühberentung und die ho- he Arbeitslosigkeit schizophren Er- krankter – gegenwärtig 60 bis 80 Pro- zent im mittleren Lebensalter.

Koordination fehlt

Für die – bereits von der En- quête-Kommission vorgeschlagenen – gemeindepsychiatrischen Netze zieht Häfner eine negative Bilanz: Hin- sichtlich Verantwortung, Koordinati- on und Sicherstellung der Versorgung befänden sie sich „in einem ungeord- neten Versuchsstadium“. Grundsätz- lich sei die Integrationsversorgung schon der richtige Weg, doch regio- nal unterschiedlich „sehr lücken- haft“ und seitens der sozialpsychiatri- schen Dienste „teils inkompetent“

und „schlecht koordiniert“, so Dr.

med. Gunther Carl, Berufsverband Deutscher Nervenärzte. Fachärztlich- psychiatrische regionale Qualitätszir- kel könnten hier beispielsweise Ab- hilfe schaffen.

Defizite sieht der Aktionskreis Psychiatrie in der psychiatrischen Versorgung durch den Hausarzt.

„Häufig wird monatelang, zum Teil jahrelang ein psychiatrisches Grund- leiden nicht erkannt“, kritisierte Carl.

Eine bessere psychiatrische Fortbil- dung interessierter Hausärzte könne dem entgegenwirken. Petra Bühring

A-1657 Deutsches Ärzteblatt 97,Heft 24, 16. Juni 2000

T H E M E N D E R Z E I T BERICHTE

Psychiatrische Versorgung

Kampf gegen das Stigma

Der Aktionskreis Psychiatrie zeigte bei einem Gespräch mit Politikern in Berlin Defizite in der Versorgung psychisch Kranker auf: Die Realität hinkt dem wissenschaftlichen Stand hinterher.

E

Schizophrenie in Zahlen

❃ jährlich 120 000 stationäre Aufnahmen bei einer mittleren Verweildauer von 77 Tagen

❃ direkte Kosten pro Jahr und Patient 28 000 DM; indirekte Kosten: 43 000 DM

❃ circa drei Milliarden DM stationäre Behandlungskosten jährlich

❃ 663 Millionen DM wurden 1998 von der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) für Neuroleptika ausgegeben (50 Prozent für Schizophrenien)

❃ jährliche Gesamtkosten von rund zehn Milliarden DM unter Berücksichtigung von Arbeitsunfähigkeitstagen und Frührenten (1,7 Prozent der GKV-Gesamtausgaben)

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