A 264 Deutsches Ärzteblatt
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10. Februar 2012Das Leser-Forum
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PKV
Lockangebote und hohe Provisionen haben die Prämien- steigerungen mit- verursacht (DÄ 1–2/2012: „Private Krankenversiche- rung: Hausgemachte Probleme“ von Jens Flintrop).
PKV-Reformen überfällig
Es bestehen weiterhin unangemes- sene Privilegien und Disparitäten in der privaten Krankenversicherung (PKV) gegenüber der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV), die etwa 75 Millionen Menschen in Deutschland einen umfassenden Krankheitsschutz „von der Wiege bis zur Bahre“ bietet:
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die PKV kennt im Gegensatz zur GKV keinen Kontrahierungszwang●
die PKV betreibt uneinge- schränkt Risiko- und Morbiditäts - selektion●
es gibt keine Familientarife für einkommenslose Angehörige●
keine Mitversicherung nicht ar- beitender Ehepartner/-innen . . .●
Langzeit-PKV-Versicherte wer- den im Alter systematisch benach- teiligt●
die PKV übernimmt ohne Rechtsgrundlage Restriktionen aus der GKV . . .●
erworbene Altersrückstellungen in der PKV sind nicht übertragbar●
Beiträge sind unüberschaubar (amb./stat./Zahn/Z-ersatz/Kranken- geld)●
PKV-Altersrückstellungen wer- den nur gebunkert, nicht ausge- schüttet●
hohe Selbstbeteiligungen der Versicherten werden nicht bilan- ziertL h h s v 1 K rung: Hausgemachte
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PKV-Lockvogelangebote sind versicherungsmathematisch unkal- kulierbar●
die PKV unterläuft GKV-Mini- malstandards (Sicherstellung der Medikation, Reha, Lebendorgan- spende)●
der irreversible Wechsel von der GKV zur PKV ist grundrechtswidrig.Das Versagen von Ärztekammern . . . und Politik ist mittlerweile un- beschreiblich:
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die PKV hat eine GOÄ-Systema- tik vom 16. 4. 1987 (BGB l.I, S.1218)●
der GOÄ-Punktwert wurde in 29 Jahren (1983 bis 2012) um 13,4 Prozent gesteigert . . .Im Gegensatz zu allen anderen Branchen und Dienstleistern gab es selbst nach der Euro-Umstellung zum 1. 1. 2002 keinen Preisanstieg.
Dr. med. Thomas G. Schätzler, 44135 Dortmund
Zulasten der Mitglieder
Ich bin selbst Privatpatient, habe auch die Beitragserhöhung be- kommen. Dass bei den PKVen die Maklervermittlung teuer zu stehen kommt – zulasten der Mitglieder, ist schon ein Hammer. Noch toller ist der Umstand, dass säumigen Beitragszahlern, die womöglich dennoch die Leistungen der PKV in Anspruch nehmen, nicht gekün- digt werden kann, so etwas ist nur im deutschen Sozialwesen mög- lich (was noch mehr, was ich nicht weiß!?). In der freien Wirt- schaft oder gar gegenüber dem Finanzamt wäre so etwas gar nicht möglich, da würden die ent- sprechenden Geschütze aufge - fahren.
Dr. med. Peter Pohle, 74336 Brackenheim
MEDIZIN UND M A RKT
Muss es nicht Gren- zen für Wettbewerb geben, wenn es um die Gesundheit von Menschen geht? (DÄ 51–52/2011: „Wett- bewerb und die Fol- gen“ von Heinz Stüwe und „Interview mit Andreas Mundt, Präsident des Bun- deskartellamtes: ,Wir prüfen keine Kas- senfusionen mehr‘“ von Jens Flintrop und Heinz Stüwe).
Wichtige Werte verlieren an Bedeutung
. . . „Leitplanken für den Wettbe- werb, Qualitätsstandards, Qualitäts- management, Disease-Management . . .“ wunderbare Worthülsen und in der zum Beispiel Autoproduktion unbestreitbar sinnvoll.
Aber wie will man die wirklich wichtigen, und ausgerechnet in Zei- ten des „Qualitätsmanagements“
zunehmend in Vergessenheit ge - ratenden Werte wie Empathie, Nächstenliebe oder zumindest Acht- samkeit und Respekt im Umgang mit und zum Wohle des Patienten, Fürsorge, (Mit-)Gefühl, „Haltung“
. . . in solchen zunehmend bürokrati- schen „Monstern“ sinnvoll abbil- den? Nein, sie werden davon sogar erdrückt!
Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass je mehr Leitplanken für den Wettbewerb, Qualitätsstan- dards, Qualitätsmanagement und Disease-Management-Bürokratien das Gesundheitssystem beherr- schen, umso schwerer das Arbeiten für den wirklich guten Arzt wird, und die wirklich wichtigen Werte, die in dem Artikel von Frau Dr.
U
M z g d M 5 b gen“von HeinzStüw
B R I E F E
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10. Februar 2012 A 265 Hibbeler benannt sind, im Alltag anBedeutung verlieren.
Ein guter Arzt zu sein ist und bleibt eine Kunst, und „gute“ Kunst(-fer- tigkeit) lässt sich nicht durch „Leit- planken für den Wettbewerb, Quali- tätsstandards, Qualitätsmanage- ment, Disease-Management dirigie- ren und bürokratisch erzwingen.
Ich wünsche allen Patienten, die wir alle einmal waren, sind oder sein werden, dass Ihre Artikel Wirkung zeigen.
Dr. med. Elmar Storck, 50259 Pulheim
Die Lösung
Wettbewerb kann nur dort für gute Qualität sorgen, wo sich zwei Ge- schäftspartner auf Augenhöhe be- gegnen. Genau das ist bei Patienten, kranken Menschen, geschwächt und in Beschlag genommen durch ihre Krankheit, nicht der Fall. Es ist eine Illusion zu glauben, dass die Kran- kenkassen in heutiger Form reine Sachwalter der Patienteninteressen sind. Vielmehr sind diese auch
Wirtschaftsunternehmen, die ihre eigenen Belange vertreten müssen, zum Beispiel auch in Konkurrenz mit anderen Arbeitgebern den eige- nen Angestellten attraktive Löhne zahlen zu können und durch beein- druckende Gebäude und hochwerti- ge Büros den eigenen Erfolg zu de- monstrieren. Der Patient, der teure medizinische Versorgung benötigt, kann da schon mal zum zu mini- mierenden Störfaktor werden.
Ein Blick über den Zaun zeigt die Lösung: 2001/2002 habe ich in Frankreich gearbeitet, dort gibt es nur eine staatliche Kasse, in die al- le Einkommensgruppen einzahlen müssen. Ich habe ein medizinisches Schlaraffenland erlebt, wo die Fra- ge nach den Kosten nur ganz selten gestellt wurde, aber immer die Fra- ge, was für den Patienten optimal ist. Nebenbei habe ich doppelt so viel verdient wie zuvor hier. Nach Auskunft von befreundeten Kolle- gen in Frankreich ist die Situation auch dort inzwischen nicht mehr ganz so rosig, aber immer noch
deutlich patientenorientierter.
Deutsche Ärzte, deren Familien mitziehen oder die keine haben, bleiben zum größten Teil in Frank- reich . . .
Das immerwährende Problem bleibt, dass Politiker niemals die manchmal bittere Realität des alten Kassenpatienten ohne engagierte oder einflussreiche Angehörige kennenlernen. Tauchen „hohe Tie- re“ in Krankenanstalten oder Pra- xen auf, wird das Unmögliche mög- lich, und zwar sofort. Ärztliche Querulanten, die wagen, alle gleich zu behandeln, werden schnell auf Abstellgleise aussortiert, vor allem von privaten Trägern.
Alle Bereiche, in denen es die Inter - essen der Schwachen der Gesell- schaft zu wahren gilt, müssen unter staatliche Obhut, das Wettbewerbs- prinzip kann von seiner immanen- ten Logik her hier nicht funktionie- ren. Wer käme denn beispielsweise auf die Idee, das Schulwesen, die Sonderschulen gar zu privatisieren?
Dr. med. Peter Pommer, 82433 Bad Kohlgrub
A NTIKO AGULA NZIEN
Aktuelle Studien be- legen einen breiten Einsatz der neuen Substanzen – inklu- sive Dabigatran (DÄ 47/2011: „Neue ora- le Antikoagulanzien:
Sehr potent, aber kostspielig“ von Ady Osterspey und Vera Zylka-Menhorn).
Betriebswirtschaftliche Analyse
Aufschlussreiche Analyse: 350 Millionen Euro Medikamentenkos- ten, falls alle 300 000 Patienten mit entsprechender Indikation auf Faktor-IIa- oder demnächst auch Xa-Antagonisten eingestellt wür- den.
Angesichts der . . . unsere Anstren- gungen in der hausärztlichen Praxis konterkarierenden KV-Honorare stelle ich eine betriebswirtschaftli- che Analyse dagegen:
Ein Phenprocoumon-Patient benö- tigt zwölf INR-Bestimmungen pro Jahr. Jeder dritte Patient braucht
aufgrund von chirurgischen oder zahnärztlichen Eingriffen ein Bridg - ing mit NMH. Damit verbunden sind sechs zusätzliche INR-Bestim- mungen (auf den einzelnen Patien- ten umgerechnet also durchschnitt- lich zwei).
Zeit-(= Kosten-)Aufwand für An- meldung, Blutentnahme und Prä - analytik, Einpflegen in die Labor- datei, Ausfüllen des Anforderungs- scheins pro INR-Bestimmung erfor- dern zwölf Minuten (günstig ge- rechnet!). Ich selbst muss fünf Mi- nuten für den Dosisplan und weite- re drei Minuten für Beratung, darin eingeschlossen die abendliche tele- fonische Benachrichtigung bei not- wendiger akuter Dosisänderung, aufwenden. Bei einem erforderli- chen Bridging schlagen zusätzlich sechs INR-Dosispläne/Kurzbera- tungen sowie zweimal 15 Minuten für die Planung und die Wiederauf- dosierung nach dem Eingriff zu Buche.
Bei Dabigatran müssten viermal jährlich Kreatinin-Bestimmungen durchgeführt und entsprechend vier
Beratungen (je fünf Minuten) ange- setzt werden.
Patienten unter Phenprocoumon er- fordern im Durchschnitt jährlich al- so 168 Minuten Helferinnenzeit und 122 Minuten Arztarbeitszeit. Bei den von uns betreuten 60 Patienten mit Antikoagulation sind das 10 080 Minuten (168 Stunden) Helferin- nenzeit und 7 320 Minuten (122 Stunden) Arztarbeitszeit.
Bei Patienten unter Dabigatran ste- hen dem insgesamt 48 Minuten Helferinnenzeit und 20 Minuten Arztarbeitszeit pro Jahr und Patient gegenüber.
Bei einem Bruttostundensatz von 25 Euro für die Arzthelferinnenar- beit sparen wir 4 200 Euro pro Jahr.
Ich selbst könnte umsatzneutral acht Tage zusätzlichen Urlaub ma- chen oder etwas anderes Sinnvolles tun . . .
Also: tendenziell bessere Behand- lung der Patienten, erhebliche Kos- ten- und dramatische Zeitersparnis in der Praxis: eine Win-win-Situati- on, wie sie besser nicht sein könnte.
Dr. med. Rudolf Mengersen, 37671 Höxter
A NTIKO AGU
A l E S s 4 l Sehr potent aber ko
B R I E F E
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