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habers. Dies gilt insbesondere für das öffentliche Zugänglichmachen via Internet, die Vervielfältigung und Weitergabe. Zulässig ist das Speichern (und Ausdrucken) des Studienhefts für persönliche Zwecke.

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MESAH01

Begleitheft zum Lehrbuch

Methoden der Sozialen

Arbeit

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Werden Personenbezeichnungen aus Gründen der besseren Lesbarkeit nur in der männlichen oder weiblichen Form verwendet, so schließt dies das jeweils andere Geschlecht mit ein.

Falls wir in unseren Studienheften auf Seiten im Internet verweisen, haben wir diese nach sorgfältigen Soziologie in Göttingen, promovierte berufsbegleitend in Erziehungswissen- schaften an der Universität Göttingen, war von 1983 bis 2009 in der Kinder- und Jugendhilfe tätig, nahm kontinuierlich von 1983 bis 2009 an der Univer- sität Göttingen sowie den Fachhochschulen Braunschweig und Hildesheim/

Holzminden Lehraufträge wahr und ist seit 2009 Professor für Soziale Arbeit an der Hochschule Magdeburg. Er ist Mitglied u. a. im Bundesjugendkurato- rium (gem. § 83 Abs. 2 SGB VIII), Landesvorsitzender des Deutschen PARI- TÄTISCHEN Wohlfahrtsverbandes Sachsen-Anhalt, Vorsitzender des Förder- vereins Fachinformation Sozialwesen e.V., Bonn, sowie Herausgeber des „Gilde-Rundbriefes“ der Gilde Soziale Arbeit (GISA). Seine Arbeits- und Forschungsschwerpunkte sind neben den Methoden der Sozialen Arbeit (v. a. Verfahren der Sozialen Gruppenarbeit, der Gemeinwesenarbeit und des Community Organizing) u. a. aktuelle Aspekte der Kinder- und Jugendhilfe, Jugendforschung sowie Tendenzen in der Sozialstaatsentwicklung. Er ist als Organisationsberater tätig und berät Träger der Sozialen Arbeit in Prozessen der Konzeptentwicklung. Präsenz im Web: www.puwendt.de.

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Inhaltsverzeichnis

1219A03

Einleitung ... 1

1 Was ist Soziale Arbeit? ... 3

1.1 Zur Herausbildung Sozialer Arbeit ... 6

1.1.1 Armut – Fürsorge – Sozialarbeit ... 6

1.1.2 Erziehung – Sozialpädagogik ... 7

1.1.3 Soziale Arbeit als Wissenschaft ... 9

1.2 Gesellschaftliche Rahmungen und Herausforderungen ... 11

1.2.1 Gelingen und Scheitern: Soziale Arbeit in der individualisierten Gesellschaft ... 11

1.2.2 Mandate und Träger: Aufgaben und Strukturen der Sozialen Arbeit .... 13

1.2.3 Bezugspunkte Sozialer Arbeit: Anliegen und Notlagen ... 14

1.3 Grundverständnis nach ISFW ... 15

Zusammenfassung ... 17

Aufgaben zur Selbstüberprüfung ... 17

2 Theoretische Betrachtungen methodischen Handelns ... 18

2.1 Grundorientierungen und Leitlinien ... 18

2.2 Das Arbeitsbündnis ... 27

2.2.1 Im Arbeitsbündnis: Wissen, Können und Haltung ... 27

2.2.2 Im Arbeitsbündnis: Im-Gespräch-Sein ... 28

2.2.3 Im Arbeitsbündnis: Beschreiben, Deuten und Verstehen ... 31

2.2.4 Im Arbeitsbündnis: Vernetzen ... 35

2.2.5 Im Arbeitsbündnis: Planen ... 38

Zusammenfassung ... 40

Aufgaben zur Selbstüberprüfung ... 41

3 Methodenanwendung ... 42

3.1 Einzelfallbezogene Handlungsformen ... 42

3.1.1 Beratung ... 43

3.1.2 Case Management ... 46

3.1.3 Konfliktorientierte Verfahren ... 49

3.1.4 Familie im Mittelpunkt (FiM) ... 52

3.2 Gruppenbezogene Handlungsformen (Soziale Gruppenarbeit) ... 54

3.2.1 Kennzeichen gruppenentwickelnden methodischen Handelns ... 56

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3.3 Gemeinwesenbezogene Handlungsformen ... 62

3.3.1 Kennzeichen gemeinwesenorientierten methodischen Handelns ... 64

3.3.2 Beispielhaft: Community Organizing ... 66

3.3.3 Beispielhaft: Aufsuchende Arbeit ... 70

3.4 Verfahren institutionalisierter Reflexivität ... 71

Zusammenfassung ... 79

Aufgaben zur Selbstüberprüfung ... 79

4 Methodisches Handeln als Navigation ... 80

4.1 Intuition – ein zuverlässiger Ratgeber? ... 80

4.2 Navigation – zu Grundzügen einer reflektiert-eklektischen Praxis ... 82

Zusammenfassung ... 85

Aufgabe zur Selbstüberprüfung ... 85

Schlussbetrachtung ... 86

Anhang A. Bearbeitungshinweise zu den Übungen ... 88

B. Lösungen der Aufgaben zur Selbstüberprüfung ... 92

C. Abkürzungsverzeichnis ... 94

D. Glossar ... 95

E. Literaturverzeichnis ... 105

F. Sachwortverzeichnis ... 117

G. Einsendeaufgabe ... 119

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Gegenstand dieses Studienhefts sind die Methoden der Sozialen Arbeit bzw. treffender:

das methodische Handeln in Systemen der Sozialen Arbeit. Nach Marianne Meinhold umfasst das methodische Handeln „alle Tätigkeiten, um die Ereignisse in komplexen so- zialen Situationen in einen systematischen Zusammenhang zu bringen“; es „strukturiert den gesamten Prozeß der Wahrnehmung von Arbeitsaufträgen, des Nachdenkens über die Notwendigkeit und Legitimation zum Handeln, des Entwerfens und Erprobens von Handlungsplänen und der Auswertung des Geschehens“ (Meinhold, 1998, S. 221). Es bedeutet nach Hiltrud von Spiegel, dass Fachkräfte der Sozialen Arbeit „ihre Handlungen berufsethisch rechtfertigen, bezüglich ihrer fachlichen Plausibilität unter Zuhilfenahme wissenschaftlicher und erfahrungsbezogener Wissensbestände begründen und hinsicht- lich ihrer Wirksamkeit bilanzieren“ sollten (von Spiegel, 2013, S. 118, Hervorh. i. Orig.).

Methodisch zu handeln meint, Aufgaben und Themen Sozialer Arbeit „zielorientiert, kontextbezogen, kriteriengeleitet sowie strukturiert und gleichzeitig offen zu bearbei- ten“ (von Spiegel, 2013, S. 252). Methodisches Handeln ist als zielgerichtetes Handeln zu verstehen, das sich in Arbeitsschritten vollzieht, bei denen Verfahren zum Einsatz kom- men, die am besten geeignet sind, um das erstrebte Ziel zu erreichen (vgl. Galuske, 2001, S. 31 f.). Es stellt also, von einem lösungsbedürftigen Problem ausgehend, die Planung eines möglichen Lösungswegs sowie dessen Durchführung mit einem ausgewählten Methodeninstrumentarium und spezifischen Methoden der Situationsanalyse, Interven- tion und Evaluation dar (vgl. Stimmer, 2006, S. 22).

Grundlegendes (Lern-)Ziel des Studienhefts ist es damit, ein Verständnis für die beson- deren Bedingungen methodischen Handelns in der Sozialen Arbeit zu entwickeln, das Sie auf die Handlungserfordernisse der professionellen Sozialen Arbeit (sowohl im in- ternen Blick auf die Praxis dort als auch in der externen Bewertung des Handelns von Fachkräften der Sozialen Arbeit) anwenden können.

Grundlage dieses Studienhefts ist das Lehrbuch „Methoden der Sozialen Arbeit“

(Wendt, 2017), das Sie parallel dazu bearbeiten werden. Im Verlauf meiner Darstellung werde ich daher immer wieder auf dieses Lehrbuch verweisen, damit Sie es zur Vertie- fung heranziehen. Im Lehrbuch finden sich zahlreiche Verweise auf einschlägige (Fach-)Literatur, während im Studienheft in der Regel die für das Einschätzen des me- thodischen Handelns grundlegende Basisliteratur (z. B. Wörter-, Hand- und Lehrbü- cher) herangezogen wird. Im Lehrbuch finden Sie auch Materialhinweise zum Ende je- den Kapitels, die durch weitere Hinweise auf meiner Website (www.puwendt.de) ergänzt werden.

Zwei sprachliche Regelungen beachten Sie bitte beim Lesen des Studienheftes:

• In der Regel ist vom „Klient“, dem „Probant“, dem „Adressaten“ oder dem „Subjekt“

(dem im Lehrbuch bevorzugten Begriff) die Rede, wenn die Zielgruppen der Sozialen Arbeit beschrieben werden. Hier wird die Zielgruppe einheitlich als „Adressaten“

bezeichnet, um deutlich werden zu lassen, dass das methodische Handeln an Men- schen gerichtet ist, die eine spezifische Form von Hilfe oder Unterstützung benöti- gen.

• In der Sozialen Arbeit beruflich Tätige (Sozialarbeiter, Sozialpädagogen, Erzieher

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1 Was ist Soziale Arbeit?

Nach dem Bearbeiten des ersten Kapitels haben Sie einen Überblick über Ent- wicklungsprozesse, die zu einem modernen Verständnis von Sozialer Arbeit ge- führt haben, und kennen Armut und Erziehung als dafür relevante Ausgangs- punkte. Durch die Einführung in die Thematik des methodisch gestützten Handelns wissen Sie, dass Soziale Arbeit als Menschenrechtsprofession zu verste- hen ist.

Zur Beantwortung der Frage „Was ist Soziale Arbeit?“ betrachten Sie bitte zunächst den Fall Anna:

Anna Schmidt, 22 Jahre alt, ist alleinerziehend. Als sie 16-jährig mit Hermann schwan- ger wurde, unterbrach sie ihre Ausbildung. Ihre damaligen Freundinnen sind inzwi- schen längst mit der Ausbildung fertig, haben den beruflichen Einstieg geschafft oder sind nun „in festen Händen“; der Kontakt zu ihnen brach schon während der Schwan- gerschaft ab. An die gemeinsamen Partybesuche war nicht mehr zu denken. Schließlich fehlte ihr auch das Geld, um „mithalten“ zu können. Der Kindsvater verschwand sehr schnell wieder aus ihrem Leben und will aktuell keinen Kontakt mehr. Es ist schwer für sie, auf sich allein gestellt und auf staatliche Unterstützung angewiesen zu sein (Hartz IV, also Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB II) und „irgendwie mit allem fertig werden zu müssen“, wie sie sagt. Sie kommt mit ihrem fünfjährigen Sohn oft nicht zu- recht: Er macht nicht das, was sie von ihm verlangt, ist oft aufbrausend und schreit dann wild herum. Das nervt sie sehr, hin und wieder scheint eine Ohrfeige noch zu helfen, aber immer häufiger weiß sie einfach nicht mehr weiter und sperrt Hermann dann in seinem Zimmer ein. Dessen Ausbrüche machen die schon schwierigen Aufgaben des Alltags noch schwerer, den sie „zwischen Küche, Kaufhalle und Kindergarten“ irgend- wie bewältigen muss. Sie fragt deshalb drei Personen um Rat, was ihr nicht leichtfällt, und erhält folgende Hinweise:

1. Ihre Nachbarin kommt schnell „zum Thema“: Sie spricht von ihren eigenen Erfah- rungen mit der gleichaltrigen Tochter und dem fünfjährigen Sohn, denen sie schon mal „klare Ansagen“ macht und notfalls auch Stubenarrest gibt. Sie rät Anna, es ihr gleichzutun. Es gibt allerdings einen Unterschied: Die Nachbarin ist verheiratet und ihr Mann hilft hin und wieder beim alltäglichen Erziehungsstress. Darauf kann Anna nicht setzen.

2. Die Erzieherin in der Kindertagesstätte wendet ihre eigenen Erziehungserfahrungen aus der Gruppenarbeit ihrer Kita auf das Problem an, das Anna schildert, und gibt eine Reihe Erziehungstipps aus ihrer täglichen beruflichen Praxis. Aber nur wenig davon entspricht der Situation, wie sie Anna erlebt.

3. Frau Müller, die Sozialarbeiterin aus dem Allgemeinen Sozialdienst des Jugendam- tes, die im Stadtteiltreff eine Sprechstunde für Menschen aus dem Stadtteil einge- richtet hat, lässt Anna erst einmal erzählen, fragt dann nach und arbeitet Punkt für Punkt ab. Die Erzählungen Annas, laut denen sie Hermann gelegentlich (Original- ton) „auch mal eine runterhaut“, stimmen sie nachdenklich. Sie rät dazu, mit einer Kollegin aus dem Jugendamt Kontakt aufzunehmen, die auf solche alltäglichen Er-

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Wie sind diese unterschiedlichen Ratschläge nun einzuordnen?

Liegt im ersten Gespräch ein Beispiel von Alltagsberatung vor, die sich Menschen ohne jede fachliche Qualifikation (meistens in der Familie oder in der Nachbarschaft) immer wieder wohlmeinend geben, so verweist das zweite Gespräch auf eine Form der vor- bzw. semi-professionellen Beratung von Personen, die zwar ein gewisses fachliches Wis- sen mitbringen, nicht aber im speziellen Fall kundig genug sind. Beim dritten Gespräch erfolgt die Beratung professionell; eine ausgebildete Sozialarbeiterin wird tätig: Sie ver- bindet die Situation der Mutter (wenig Geld, kaum helfende Freunde) mit den nicht un- gewöhnlichen Fragen alleinerziehender junger Frauen (mit einem Jungen umgehen zu müssen, der vaterlos aufwächst). Im Frage-Antwort-Gespräch erfährt sie etwas über die Lebensvorstellungen Annas: frei zu sein von der Sorge, mit wenig auskommen zu müs- sen, Ruhe und Zeit für Hermann zu haben und doch an ihre eigene berufliche Zukunft denken zu können. Die Sozialarbeiterin hat Sorge, hinter der gelegentlichen Ohrfeige und dem Stubenarrest, den Anna selbst einräumt, könne mehr stecken (eine Kindes- wohlgefährdung?), aber sie macht ihr nur einige wenige Vorschläge und rät vor allem dazu, weitere Schritte zu gehen.

Die Sozialarbeiterin zeichnet somit das aus, was in der Sozialen Arbeit als „vernetztes Denken“, „Handlungs- und Verweisungswissen“, „Gesprächsführungskompetenz“ oder auch „Integration wissenschaftlichen Wissens“ bezeichnet wird. Ihre Vorgehensweise entspricht dem, was in der Einleitung beschrieben wurde: dem methodischen Handeln von Fachkräften der Sozialen Arbeit.

Drei Charakteristika des methodischen Handelns sind zunächst zu unterscheiden:

1. Als Handlungsprinzipien werden übergeordnete Schlüsselprozesse in Anwendung handlungsleitender Grundüberzeugungen – z. B. Subjektorientierung oder Ressour- cenorientierung (vgl. Kap. 2.1) – verstanden, die die Grundlage für das methodische Handeln (die Handlungsformen) darstellen. Zu den Schlüsselprozessen zählen z. B.

die Art und Weise, Gespräche so zu führen, dass die Probleme der Zielgruppen ver- standen oder nachvollzogen werden können, sowie das Wissen darum, welche Be- deutung die Netzwerke haben, in die Menschen eingebunden sind. Frau Müller muss also in der Lage sein, ein das Problem erhellendes Gespräch zu führen und die Infor- mationen aus diesem Gespräch angemessen deuten zu können (was sie veranlasst, Annahmen/Hypothesen sowohl über die Problemaspekte als auch den Lösungsweg zu entwickeln). Zudem muss sie verstehen können, wer ggf. welche Unterstützung im sozialen Nahraum (Netzwerke, vgl. Kap. 2.2.4) geben kann, um das Problem zu bewältigen.

2. Als Handlungsformen lassen sich das auf die unterschiedlichen Zielgruppen der So- zialen Arbeit (z. B. Kinder, Jugendliche und ihre Familien, behinderte Menschen, Menschen mit Migrationshintergrund, alte Menschen) bezogene soziale Handeln mit Einzelnen (vgl. Kap. 3.1), mit Gruppen (vgl. Kap. 3.2) oder mit und im Gemein- wesen (vgl. Kap. 3.3) unterscheiden. Sie stellen sowohl wissenschaftlich begründete als auch erfahrungsgeleitete Formen des methodischen Handelns dar. Frau Müller muss also wissen, welche Methoden sie sinnvoll anwenden kann, um die Lösung des Problems zu befördern.

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3. Verfahren sind Teilelemente von Handlungsformen, z. B. die Themenzentrierte In- teraktion (vgl. Kap. 3.2.2), das Community Organizing (vgl. Kap. 3.3.2) oder das Pro- gramm „Familie im Mittelpunkt“ (vgl. Kap. 3.1.4). Frau Müller muss schließlich ge- eignete Verfahren kennen und auch anwenden können (oder wissen, wer diese Verfahren anwenden kann), um Annas Lösungsweg zu unterstützen.

Handlungsprinzipien, -formen und Verfahren sind in die Phasierung des methodischen Handelns integriert (vgl. näher Kap. 2.1), d. h. einer systematischen Abfolge einzelner Handlungsschritte. Sie besteht in der Regel aus Analyse (Bestandsaufnahme), methodi- scher (Vor-)Klärung (in Bezug auf mögliche Verfahren), dialogische Aushandlung (Ver- einbarungen, ggf. Anpassung der Verfahren), Realisierung (Vollzug des Vereinbarten) und Evaluation (Prüfung des Ertrags).

Bezogen auf unser Fallbeispiel bedeutet dies: Frau Müller lässt sich das Problem erst ein- mal darstellen (Analyse), wägt dann ab, was sie selbst zu dessen Lösung beitragen kann (Klärung, inwieweit sie eine Kontaktaufnahme mit Kollegen aus dem Jugendamt nahe- legen wird). Sie wird dies anschließend mit Anna im Dialog aushandeln (indem sie z. B.

die möglichen Ängste der jungen Frau auslotet, die ein Gang zum Jugendamt mit sich bringen könnte, und dabei auf die Vertrauenswürdigkeit der dort zuständigen Sozialar- beiterin verweist, ggf. auch telefonisch den Kontakt anbahnt und als „Terminvermittle- rin“ tätig wird). Sollte Anna ganz große Hemmnisse haben, kann Frau Müller sie auch in das Jugendamt begleiten (Realisierung), anschließend in einem Nachgespräch den Gesprächsverlauf mit ihr auswerten (Evaluation) und eventuell noch Hinweise geben, was Anna an anderer Stelle noch für sich und Hermann tun kann.

Um ihre Aufgaben erfolgreich bewältigen zu können, muss Frau Müller über drei Wis- sensressourcen verfügen, die unmittelbar und unabhängig vom Beispiel für ein metho- disches Handeln von Bedeutung sind:

Fachwissen (Was ist das Problem?): Frau Müller weiß, unter welchen (gesellschaftli- chen, wirtschaftlichen, psychischen, sozialen) Umständen Menschen leben (müs- sen), mit welchen Problemen des Alltags sie umgehen (müssen), was die besonderen Herausforderungen für junge Mütter sind und welche scheinbar naheliegenden Lö- sungen sie bevorzugen (z. B. einen Fünfjährigen im Zimmer einzusperren, damit er sich beruhigt).

Handlungswissen (Wie ist vorzugehen?): Sie kann mit Anna umgehen, z. B. ein klä- rendes erstes Gespräch mit ihr führen, sie motivieren, über sich (und auch die erzie- herischen Schwierigkeiten) offen zu sprechen, ihr Problem verstehen lernen und ei- nen angemessenen Weg zu entwickeln, wie Anna ihr Thema in erster Linie selbst bewältigen kann (Hilfe zur Selbsthilfe).

Verweisungswissen (Wer ist für das Problem zuständig?): Sie ist sich dabei ihrer fach- lichen Grenzen bewusst (und weiß z. B., dass Soziale Arbeit keine Therapie darstellt und keine Therapie ersetzen wird) und sie kennt die relevanten Systeme und Akteu- re, die bei der Problemlösung qualifiziert helfen können.

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1.1 Zur Herausbildung Sozialer Arbeit

Noch ein Weiteres zeigt der Fall Anna: Wohl eher unbewusst „bearbeitet“ Frau Müller diesen Fall in der Tradition der Sozialen Arbeit, die sich aus zwei Quellen speist:

• die durch Zustände von Armut gekennzeichneten Verhältnisse zu bewältigen und

• die Erziehung eines Kindes gelingen zu lassen.

Bei der Herausbildung Sozialer Arbeit als Fachdisziplin handelt sich um einen histori- schen Prozess, der hier im Einzelnen nicht nachgezeichnet werden kann (vgl. dazu z. B.

Amthor, 2012; Müller, 2009). Relevant aber ist, einordnen zu können, dass drei Aspekte von Bedeutung sind, um die Soziale Arbeit heute verstehen zu können: die Entwicklung der Sozialarbeit und der Sozialpädagogik sowie die Professionalisierung und Institutio- nalisierung der Sozialen Arbeit.

1.1.1 Armut – Fürsorge – Sozialarbeit

Seit dem Mittelalter hat sich gesellschaftlich Zug um Zug durchgesetzt, dass (erfolgrei- ches) Arbeiten nicht nur notwendig ist, um das eigene Überleben zu sichern, sondern dass Arbeit auch den Status eines Menschen in der Gesellschaft bestimmt: „Jeder ist sei- nes Glückes Schmied“, lautete die Devise. Nicht zu arbeiten und damit auf die Unterstüt- zung anderer angewiesen zu sein, wurde und wird seither (weitgehend ungefragt) als Ausnahmefall angesehen. Diesem vom Regelfall abweichenden Zustand (arm zu sein) gilt seitdem die Aufmerksamkeit zahlreicher (zunächst religiöser, dann staatlicher und bald auch ökonomischer) Vorstellungen darüber, wie die Gesellschaft gestaltet sein solle und wie mit Armut und den damit als verbunden behaupteten Erscheinungen, z. B. Ver- wahrlosung, fehlendes Engagement, ein planloses „Leben in den Tag hinein“, umzuge- hen sei.

Kennzeichnend für diese Sichtweise ist die Herausbildung des Grundverständnisses, auch fürsorgend (d. h. im Verhältnis zu anderen um diese besorgt) dafür zu sorgen, dass Verhältnisse der Armut, die als unzulässige Faulheit bezeichnet werden, im materiellen Sinne begrenzt und durch geeignete Maßnahmen beseitigt werden. In diesem Verhältnis zu einer (überwiegend missbilligten) Armut begründet sich eine Wurzel der Sozialen Ar- beit. Das in den Städten aufstrebende Bürgertum sorgte bereits im 16. Jahrhundert für kommunale Armutsordnungen, die Arme (z. B. in Arbeitshäusern) zur Arbeit zwangen und deren bescheidene materielle Unterstützung streng regelten. Die ab den 16. Jahr- hundert sich mit der Reformation durchsetzende protestantische Ethik formuliert aus- drücklich ein (arbeits-)tätiges Leben als selbstverständlich und gottgefällig.

Erst die Lebensbedingungen des Industrieproletariats im 19. Jahrhundert (gekennzeich- net z. B. durch 10- bis 12-Stunden-Tage, beengte und unhygienische Wohnverhältnisse, fehlenden Arbeits- und Gesundheitsschutz, die Flucht vieler Arbeiter in den Alkoholis- mus und die Armutsdrohung bei Krankheit, Invalidität oder im Alter) stellten infrage, ob die Forderung, ein tätiges Leben führen zu müssen, nicht flankiert werden müsse von Hilfsangeboten und Armenfürsorge. Kirchliche Initiativen – begünstigt durch die 1891 veröffentlichte päpstliche Sozialenzyklika „rerum novarum“, die diese Verhältnisse als

„soziale Frage“ bezeichnete und in das Zentrum kirchlicher Fürsorge rückte – sowie mildtätige Projekte aus dem Bürgertum heraus (die sogenannte „freie Liebestätigkeit“) sorgten vor allem in den (Industrie-)Städten für erste meist auf ein Problem begrenzte Formen der Hilfe (z. B. für sogenannte „gefallene Mädchen“, d. h. unehelich schwanger

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gewordene junge Frauen) und Fürsorge (z. B. Wasser- und Milch-Trinkhallen im Umfeld großer Industriebetriebe, um eine Alternative zum Alkoholkonsum der Arbeiter zu schaffen). Es entwickelten sich damit

„organisierte Hilfeleistungen der Gesellschaft an einzelne (…), die in Gefahr ste- hen, sich aus dem Gemeinschafts- und Gesellschaftsgefüge, aus ihrer Ordnung und ihrem Leben herauszulösen und ihr zu entgleiten. (…) Fürsorge versucht Menschen, die den Anforderungen des Gemeinschafts- und Gesellschaftslebens (…) nicht genügen können, zu stützen und zu halten, oder, wenn es sein muß, sie an geeigneter Stelle einzugliedern, damit sie aus eigener Kraft am Leben wieder sinnvoll teilnehmen können“ (Scherpner, 1966, S. 10).

Begrifflich wandelte sich im Laufe des 20. Jahrhunderts dieses Verständnis von Fürsorge zur Sozialarbeit. Sozialarbeit verfolgt das Ziel,

„eine wechselseitige Anpassung zwischen den einzelnen und ihrer sozialen Um- welt zu fördern. Dieser Zweck wird durch die Anwendung von Techniken und Methoden erreicht, die es dem einzelnen, Gruppen und Gemeinschaften ermög- lichen, ihren Bedürfnissen zu begegnen und Probleme zu lösen, die sich aus der Anpassung an eine sich wandelnde Gesellschaft ergeben, und – dank ihrer Ge- meinschaftsarbeit – die wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen zu verbes- sern“ (Friedländer; Pfaffenberger, 1969, S. XVI).

1.1.2 Erziehung – Sozialpädagogik

Kindheit und Jugend erscheinen uns heute selbstverständlich als eine eigenständige Pha- se des Aufwachsens, in der bestimmte Regeln gelten (z. B. das Züchtigungsverbot für El- tern) und Schutzräume selbstverständlich sind (z. B. das Verbot der Kinderarbeit). Tat- sächlich aber handelt es sich um eine Konstruktion von Kindheit und Jugend, die sich seit dem 17. Jahrhundert erst durchsetzen musste. Bis dahin galten Kinder in der Regel als „kleine Erwachsene“, die ganz selbstverständlich an der Erwachsenenwelt teilnah- men – wenn auch keineswegs gleichberechtigt: Sie standen mit fünf oder sechs Jahren an der Werkbank des Handwerksbetriebes oder arbeiteten auf dem Feld. Besondere Re- geln und Schutzräume galten für sie, abgesehen von wenigen Kindern aus privilegierten Familien des Adels und des Bürgertums, nicht. Auch im Fall der Armut fanden für Kin- der keine anderen Regeln eine Anwendung; auch sie wurden erforderlichenfalls zur Ar- beit gezwungen.

Seit dem späten 17. Jahrhundert spaltete sich ein Zweig zunehmend erzieherisch defi- nierter Hilfe von der vorherrschenden Fürsorge für Arme ab, mit der einerseits die Sorge über die Verwahrlosung der Jugend und eine Gefährdung der gesellschaftlichen Ord- nung durch sie verbunden war, was eine eigene Praxis erzieherischer Strenge (z. B. Stra- fen) zur Folge hatte. Andererseits kam es im Verständnis der Aufklärung – als Emanzi- pation (Befreiung) von Bevormundung durch Religion und Obrigkeit (in Frankreich z. B.

mit den Namen Voltaire und Diderot verbunden, in Deutschland mit Kant) – an ver- schiedenen Orten und mit unterschiedlichen Schlussfolgerungen zu vielfältigen Prozes- sen des Nachdenkens und Ausprobierens, wie die Erziehung der nachwachsenden Ge-

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neration anders, besser und freier ermöglicht werden könne (vgl. dazu Giesecke, 1997, S. 21–71):

Jean Jacques Rousseau fragte z. B. Mitte des 18. Jahrhunderts nach den positiven Er- ziehungseffekten jenseits einer Erziehung, die bis dahin in aller Regel durch Strafe und Zwang bzw. Unterwerfung der Kinder unter den Willen des erzieherisch all- mächtigen Vaters gekennzeichnet war. In einer freieren Erziehung, die den Kindern Raum zur Entfaltung eigener Interessen und der eigenen Persönlichkeit lassen sollte, sah er optimistisch die Möglichkeit zur Gestaltung auch einer besseren (natürliche- ren) Gesellschaft.

Johann Heinrich Pestalozzi versuchte sich Anfang des 19. Jahrhunderts in der Schweiz mit der Erziehung elternloser Kinder in „Ersatzfamilien“.

Giovanni Bosco nahm Mitte des 19. Jahrhunderts die vielen Turiner Straßenkinder wahr, die von Verwahrlosung bedroht und durch einen Einstieg in die Kriminalität gefährdet waren, und bot ihnen ein Dach über dem Kopf, eine Ausbildung und eine christliche Erziehung an, wobei er bereits auf die (Selbst-)Erziehung der Gleichaltri- gen in der Gruppe setzte.

Auf sehr unterschiedliche Art und Weise haben diese zunächst noch philosophischen, bald schon praktischen Versuche dazu geführt, auch Erziehungserfahrungen systema- tisch auszuwerten und erste Handlungskonzepte zu entwickeln, wie mit Kindern und Ju- gendlichen umzugehen sei. Paul Natorp formulierte z. B. 1899 eine Theorie der umfas- senden Volksbildung, womit „die ganze Breite der heranwachsenden Generation in ihrer gesamten Lebenswirklichkeit ein Gegenstand des pädagogischen Interesses und der pä- dagogischen Bemühung wurde“ (Mollenhauer, 1964, S. 14). Die von Natorp sogenannte

„Sozialpädagogik“ setzte sich schon Anfang des 20. Jahrhunderts, erst recht mit der Eta- blierung einer an den Universitäten angesiedelten Pädagogik, als Begriff durch.

Die Kritik an der kapitalistischen Industriegesellschaft, an der ihr eigenen krankmachen- den Lebensweise und den einem gesunden Aufwachsen entgegenstehenden Verhältnis- sen führte um 1900 schließlich zur Herausbildung von (auch erzieherischen) Alternativ- konzepten, die mit den Begriffen „Lebensreform“ (unterschiedlichen Vorstellungen von einem anderen Leben jenseits des grauen Molochs und der Monotonie der Fabrik) und

„Reformpädagogik“ (vielfältige Ideen von einer anderer Erziehung junger Menschen jenseits von Prügelstrafe, Drill und Unterwerfung) verbunden waren. Als eine Folge die- ser reformpädagogischen Überlegungen (vgl. Oelkers, 2006) lassen sich vier zentrale Konzepte begreifen, die zwischen 1920 und 1940 entwickelt wurden und für das metho- dische Handeln in der Sozialen Arbeit heute von herausgehobener Bedeutung sind (vgl.

dazu Giesecke, 1997, S. 173–242):

Maria Montessori z. B. nahm wahr, dass Kinder über persönliche Ressourcen verfüg- ten, die unentwickelt blieben, wenn nicht ein erzieherischer Raum geschaffen wür- de, in dem sie sich (ohne weitergehende Ansprüche von außen) entfalten könnten.

Herman Nohl stellte die Eigenart der pädagogischen Beziehung zwischen Erzieher und jungem Menschen (den Nohl den „Zögling“ nannte) heraus, die durch das be- sondere Interesse an der Entwicklung des Zöglings geprägt sei und zu einem gemein- samen und (vor allem) gegenseitigen Lernprozess führe.

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Janusz Korczak hob den besonderen Wert des Einzelnen hervor, dem in der pädago- gischen Arbeit durch die Zuschreibung eigener Rechte zu entsprechen sei. Damit entwickelte er zugleich eine frühe Form der auf Kinderrechte begründeten Pädago- gik, die er auf die Heimerziehung jüdischer Waisenkinder in Warschau anwandte.

Gertrud Bäumer beschrieb das Selbstverständnis der Sozialpädagogik als eigenstän- dige Bildungsinstanz (später auch als „dritte Sozialisationsinstanz“ bezeichnet) als:

„Alles (zu sein) was Erziehung nicht, aber Schule und Familie ist“ (Bäumer, 1929, S. 3). Bäumer eröffnete damit der Sozialpädagogik u. a. das weite Feld der pädago- gischen Arbeit in Beruf, Alltagsleben, Freizeit und den Beziehungen unter Freunden.

1.1.3 Soziale Arbeit als Wissenschaft

Mit der Entwicklung von Sozialarbeit und Sozialpädagogik als weitgehend voneinander unabhängige Ansätze, Probleme der Armut oder der Erziehung anzugehen, ging auch die schrittweise Entwicklung eigener methodischer Ansätze einher, um unter Rückgriff auf eine möglichst breite Sammlung an (wissenschaftlichem) Wissen und praktischen Erfahrungen dem Einzelfall gerecht werden zu können. Für die Sozialarbeit waren dies z. B. die Einzelfallarbeit und Beratungslehre (vgl. Kap. 3.1) oder die Diagnose von Fällen (vgl. Kap. 2.2.3) und für die Sozialpädagogik z. B. vielfältige Formen der Arbeit mit so- zialen Gruppen (vgl. Kap. 3.2).

Im Ergebnis erfolgte bereits um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert eine allmähli- che Integration des nun auch zu Themen der Fürsorge und Erziehung gewonnenen wis- senschaftlichen Wissens in die Fürsorgepraxis und die Erziehungsarbeit, z. B. in Form sogenannter „Sozialenqueten“, die erstmals die soziale Lage in Deutschland analysierten und soziale Probleme der arbeitenden Bevölkerung in den Blick nahmen.

Zugleich waren zwei Prozesse auch für die Methodenentwicklung bedeutsam:

• Vor allem Alice Salomon forcierte Anfang des 20. Jahrhundert erste Ansätze einer Professionalisierung der Fürsorgearbeit. Sie vertrat die Auffassung, dass diese Arbeit zwar den ganzen Menschen (vor allem die engagierte, durch ihre Mütterlichkeit aus- gezeichnete Frau) verlange, diese aber durch eine systematische Ausbildung zu qua- lifizieren sei: Es gehe darum, „eine theoretisch-wissenschaftliche Ausbildung mit ei- ner praktischen Lehre (zu) verbinden“, „Theorie und Praxis müssten eng miteinander verflochten“ werden (Salomon, 1927, S. 10). In diesem Sinne eröffnete sie 1908 in Berlin mit der „Sozialen Frauenschule“ eine der ersten Ausbildungsstätten, in der eine planvolle Berufsausbildung auf Fachschulniveau erfolgte und die als Vorbild für eine Reihe ähnlicher Einrichtungen diente: Sozialwissenschaftlich bestimmte Lehr- pläne, der Austausch mit der helfenden Praxis und fachliche Prüfungen sollten nun die Ausbildung bestimmen (vgl. Sachße, 2003, S. 94–111).

• Zugleich setzten sich die Bemühungen um eine Institutionalisierung der Fürsorge- und Erziehungsarbeit fort, die schon Mitte des 19. Jahrhunderts begonnen hatten: In Hamburg-Horn hatte Johann Hinrich Wichern Mitte des 19. Jahrhunderts mit dem

„Rauhen Haus“ eine erste Form der Heimerziehung geschaffen, in der z. B. bereits (Vor-)Formen der Fallanalyse, der Hilfeplanung und der Arbeitserziehung prakti-

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scher Seite folgte 1897 die Caritas und nacheinander die Zentralwohlfahrtsstelle der deutschen Juden (1917), die Arbeiterwohlfahrt (1919), das Deutsche Rote Kreuz (1864 international, 1921 national) und der Deutsche Paritätische Wohlfahrtsver- band (1924, ab 1932 auch so bezeichnet). Auf staatlicher Seite schloss sich – nach der vereinzelten Gründung von Ämtern in Städten und Kreisen, die sich vor allem mit Fragen der Armutsverwaltung befassten – bald die gesetzliche Begründung staatlicher Fürsorge- und Erziehungseinrichtungen, insbesondere der Jugendwohl- fahrt (1922), an (vgl. insg. Müller, 2009, S. 84–99).

Für alle Träger der Fürsorge- und Erziehungsarbeit wurde damit auch eine Systematisie- rung des Wissens und des sozialen Handelns relevant. Alice Salomon z. B. legte 1926 mit ihrem Buch „Soziale Diagnose“ nicht nur eine weitreichende Übertragung des von der amerikanischen Sozialarbeiterin Mary Richmond entwickelten Konzepts einer metho- disch begründeten Einzelfallhilfe vor (Social Diagnosis), sondern sie systematisierte da- mit (ergänzt durch ihren 1921 veröffentlichten „Leitfaden der Wohlfahrtpflege“) zu- gleich auch die frühe Sozialarbeit für die deutschen Verhältnisse. Erkenntnisse und Methoden der amerikanischen Sozialarbeit, in der die deutsche Differenzierung in Sozi- alarbeit und Sozialpädagogik weitgehend unbekannt war, hielten so – sehr maßgeblich prägend nach 1945! – Einzug in die deutsche Praxis. Schrittweise wurde deutlich, dass sich Probleme und Aufgaben der Fürsorge und Erziehung nicht getrennt bearbeiten las- sen (weil sie gemeinsame gesellschaftliche Ursachen aufweisen) und daher ein integrier- tes theoretisches Verständnis und eine gemeinsame Praxis erforderlich sind.

Zum einen entwickelten sich die Begriffe weiter, sodass die Fürsorge auch begrifflich zur (vor allem an Fachschulen gelehrten) Sozialarbeit und die Erziehungsarbeit zur (insbe- sondere an Universitäten vermittelten) Sozialpädagogik wurden. Zum anderen gingen beide allmählich in einem modernen Verständnis von Sozialer Arbeit als Integrations- wissenschaft auf, wie es seit den 1970er-Jahren vor allem an (Fach-)Hochschulen ange- wandter Wissenschaft als eigenständige wissenschaftliche Disziplin gelehrt und auch theoretisch (z. B. als Sozialarbeitswissenschaft) fortgeschrieben wird.

Da Wissenschaft als „methodisch-systematische Forschungs- und Erkenntnisarbeit hin- sichtlich des Sammelns, Ordnens und Beschreibens ihres Materials sowie der Bildung von Hypothesen und Theorien“ (Birgmeier; Mührel, 2011, S. 13) zu verstehen ist, gehört es zu ihrem Selbstverständnis, Erkenntnisse, Wissen und Materialien anderer Wissen- schaften (den sogenannten Referenzdisziplinen) auf ihren Gegenstand – das Soziale als Notwendigkeit zur Unterstützung von Menschen bei ihrer ggf. erschwerten, belasteten Lebensbewältigung – anzuwenden und eklektisch umzuformen.

Eklektik wird als Verfahren verstanden, aus Elementen verschiedener Erklärungen, The- orien bzw. Systeme eine eigene Erklärungs-, Theorie- oder Systemeinheit neu (kreativ) zu entwickeln. Damit ist auch das methodische Handeln der Sozialen Arbeit durch eine reflektierte Eklektik gekennzeichnet, die die Erkenntnisse vor allem der Soziologie, der Erziehungswissenschaft und der Psychologie systematisch auf ihren Gegenstand im Ein- zelfall bezieht und im methodischen Handeln jeweils individuell anwendet. Im Fall Anna wird dieses eklektische Grundverständnis insoweit erkennbar, als dass Erklärun- gen, Theorien und Systeme der Referenzdisziplinen in das Fallverstehen integriert wer- den. Daraus entstehen Lösungen, die jeweils einzigartig sind (d. h. ein Unikat darstel- len).

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Damit konstituiert sich die Soziale Arbeit auch als Handlungswissenschaft, d. h. als eine der „Wissenschaften, mit denen bestimmte Facetten menschlicher Handlungen erforscht werden und aus denen Erkenntnisse zu menschlichen Handlungen in (Handlungs-)The- orien gebündelt werden können“ (Birgmeier; Mührel, 2011, S. 105).

1.2 Gesellschaftliche Rahmungen und Herausforderungen

Die Integration von Erklärungen, Theorien und Systemen der Referenzdisziplinen in die Soziale Arbeit kann am Beispiel der Soziologie verdeutlicht werden. Als Wissenschaft untersucht und beschreibt die Soziologie die gesellschaftlichen Bedingungen und For- men menschlichen Zusammenlebens, die Struktur- und Funktionszusammenhänge der Gesellschaft und ihrer Institutionen. Sie analysiert dabei auch die gesellschaftlichen Pro- zesse, die im Fall Anna dreifach wahrzunehmen sind:

Individualisierung: Anna ist auf sich selbst gestellt und darf nicht auf Unterstützung hoffen. Es ist ihr ganz persönliches Problem, wie sie „klarkommt“.

Pluralisierung: Für ihren Lebensweg gab es (wenigstens theoretisch) reichlich Alter- nativen, d. h. neben der Mutterschaft z. B. die Hilfe durch eine Mutter-Kind-Einrich- tung, die Erziehung des Sohnes durch die Großeltern, die Inanspruchnahme einer Tagespflege oder die Teilnahme an einer Einrichtung für junge Mütter, die die Fort- setzung ihrer Berufsausbildung ermöglicht hätte.

Sozialer Ausschluss: Anna lebt – mehr schlecht als recht – am gesellschaftlichen Rand, ihre Mittel sind durch die Hilfe zum Lebensunterhalt gemäß SGB II sehr be- grenzt, ihr Freundeskreis ist sehr klein, Unterstützung durch andere hat sie nicht.

1.2.1 Gelingen und Scheitern: Soziale Arbeit in der individualisierten Gesellschaft

Zwei soziologische Theorien helfen, Prozesse der Individualisierung, Pluralisierung und des sozialen Ausschlusses aus Perspektive der Sozialen Arbeit zu verstehen:

• In seiner Theorie der Risikogesellschaft analysierte Ulrich Beck Chancen und Risiken von Menschen in der modernen Arbeits- und Leistungsgesellschaft (vgl. Beck, 1986).

Er konstatiert, dass der (grundsätzlich positiven) Vielfalt der Möglichkeiten (Plura- lisierung), das eigene Leben zu gestalten (z. B. Berufswege einzuschlagen, die nicht von der sozialen Herkunft, der Milieuzugehörigkeit oder den Erwartungen der El- tern abhängen), die Individualisierung der Möglichkeit gegenübersteht, dabei auch zu scheitern (z. B. falsche Entscheidungen über die berufliche Entwicklung zu tref- fen, weil bestimmte Berufe nur eingeschränkt zukunftsfähig sind). Scheitern aber wird mit großer Wahrscheinlichkeit zu sozialer Abkoppelung bzw. gesellschaftli- chem Ausschluss, d. h. „Exklusion“ führen, weil Menschen beruflich und damit auch

Übung 1.1: Methodisches Handeln als Unikat?

Reflektieren Sie unter Berücksichtigung des Falls Anna, warum das berufliche Han- deln in der Sozialen Arbeit zu Lösungen führen wird, die Unikate darstellen.

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• Der französische Soziologe Pierre Bourdieu fragte in seiner Theorie des Sozialen Raums u. a. nach den Faktoren, die die Stellung des Einzelnen in der Gesellschaft be- stimmen (vgl. Bourdieu, 1982). Vier sogenannte „Kapitalien“ sind hier von heraus- gehobener Bedeutung: ökonomisches Kapital (vor allem persönliches Eigentum, Geld), soziales Kapital (persönliche Netzwerke, die Unterstützung geben), kulturelles Kapital (z. B. Bildungs- und Berufsabschlüsse) und symbolisches Kapital (z. B. das Prestige bzw. der „Ruf“, den ein Mensch hat). Die Analyse des Verhältnisses dieser Kapitalien zueinander gibt Aufschluss darüber, wo sich der Platz des Menschen in der Gesellschaft befindet, z. B. gestaltend im Zentrum oder von sozialer Teilhabe (d. h. Möglichkeiten zum Konsum, kultureller Mitwirkung, politischer Mitentschei- dung u. Ä.) weitgehend ausgeschlossen am sozialen Rand.

Beide Theorien helfen den in der Sozialen Arbeit tätigen Fachkräften eklektisch zu ver- stehen, wie es zu Exklusion als Armut und Ausschluss von sozialer Teilhabe (vgl. Alb- rech et al., 2016; DPWV, 2016) z. B. im Fall Anna kommen kann. Frau Müller kann also einschätzen:

• Anna ist nur mit sehr schwachen Kapitalien ausgestattet: Sie ist transferabhängig, verfügt also über kaum ökonomisches Kapital. Ihre Kontakte haben sich seit der Schwangerschaft sehr eingeschränkt, weshalb sie auf soziale Unterstützung kaum hoffen darf (geringes soziales Kapital). Und sie verfügt über keinen Berufsabschluss, wobei ihr Wiedereinstieg in die abgebrochene Berufsausbildung eher fraglich ist (kein kulturelles Kapital). Allenfalls als junge Mutter mit Perspektive auf ein zweites und drittes Kind (was für die demografische Entwicklung der Gesellschaft von Be- deutung sein könnte) mag ihr, wenn überhaupt, ein geringes symbolisches Kapital zukommen.

• Als alleinerziehende Mutter trägt Anna die Last der in der Arbeits- und Leistungs- gesellschaft grundsätzlich auch ihr gegebenen Chancen, die sie – arm, ausbildungs- und berufslos – nicht nutzen kann. Am sozialen Rand erlebt sie sich selbst ohnmäch- tig; die akuten Erziehungsprobleme sind auch eine Folge dieses Erlebens, allein zu sein und sich alleingelassen zu fühlen. Ihr Problem ist dabei auch die fehlende Mög- lichkeit, sich der Unterstützung anderer zu versichern.

Eklektisch gedeutet bedeutet dies, davon auszugehen, dass sich Annas Erziehungspro- bleme durch ihre schwache soziale Teilhabe eher verstärken werden. Für das methodi- sche Handeln Frau Müllers folgt daraus z. B., im Beratungsgespräch die Motivation zur Selbsthilfe zu stärken und Anna an den eigenen Ressourcen arbeiten zu lassen (was kann sie besonders gut, wo „schlummern“ ihre verborgenen Talente u. Ä.). Es wird darum ge- hen, ihr Vernetzungen, z. B. mit Frauen in einer ähnlichen Situation, zu ermöglichen, und sie zu neuen Kontakten zu ermutigen, um gegenseitige Unterstützung zu erfahren.

Und schließlich wird es wichtig sein, durch das Gespräch Annas Bereitschaft zur Zu- sammenarbeit mit Diensten der Sozialen Arbeit, z. B. eine Kontaktaufnahme mit dem örtlichen Jugendamt, zu erhöhen.

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1.2.2 Mandate und Träger: Aufgaben und Strukturen der Sozialen Arbeit

Aus solchen Problemen der Teilhabe leiten sich die an die Soziale Arbeit herangetrage- nen Aufgaben ab, wie sie im Programmauftrag des Sozialgesetzbuches in § 1 Abs. 1 SGB I beschrieben werden: Danach soll das Sozialgesetzbuch (und die dort im Einzelnen näher beschriebenen Aufgaben der Sozialen Arbeit)

„zur Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit und sozialer Sicherheit Sozialleistun- gen einschließlich sozialer und erzieherischer Hilfen gestalten“ und „dazu beitra- gen, ein menschenwürdiges Dasein zu sichern, gleiche Voraussetzungen für die freie Entfaltung der Persönlichkeit, insbesondere auch für junge Menschen, zu schaffen, die Familie zu schützen und zu fördern, den Erwerb des Lebensunter- halts durch eine frei gewählte Tätigkeit zu ermöglichen und besondere Belastun- gen des Lebens, auch durch Hilfe zur Selbsthilfe, abzuwenden oder auszuglei- chen“.

Diese Beauftragung (Mandatierung) trägt z. B. den Prozessen sozialen Ausschlusses, wie sie im Anschluss z. B. an Beck und Bourdieu beschrieben werden können, unmittelbar Rechnung. Soziale Arbeit ist immer doppelt mandatiert, sie hat eine

Hilfefunktion, d. h. die Begleitung, Förderung und Befähigung zur Selbsttätigkeit (ein Problem aus eigenem Antrieb anzugehen) und Selbsthilfe (sich dabei, z. B. in Zusammenarbeit mit gleichermaßen Betroffenen, um eine Lösung zu bemühen), und eine

Kontrollfunktion, d. h. ein „Wächteramt“ bzw. eine „Garantenpflicht“, womit die Ausübung von Zwang (Sanktionen u. Ä.) und die Verhinderung oder Korrektur ab- weichenden Verhaltens verbunden sein kann (vgl. Böhnisch; Lösch, 1973). Zum Bei- spiel hat das örtliche Jugendamt sicherzustellen, dass das körperliche wie psychische Wohl der Kinder nicht gefährdet wird.

Im Fall Anna heißt dies, ihr einerseits (und vorrangig) z. B. durch entsprechende Bera- tung und Vermittlung an spezialisierte Anbieter Hilfe (zur Erziehung, zur Selbsthilfe) zu geben und andererseits Kontrolle auszuüben, falls eine Gefährdung des Kindeswohls von Hermann gegeben sein sollte (sog. „doppeltes Mandat“).

Diese Aufgaben zu erfüllen ist Auftrag sowohl an die staatlichen als auch die nicht staat- lichen Akteure (Träger) der Sozialen Arbeit, wobei das Subsidiaritätsprinzip leitend ist:

Danach ist Hilfe zur Selbsthilfe das vorrangige Prinzip, um soziale Leistungen zu orga- nisieren. Sofern solche Leistungen nicht in Selbsthilfe erbracht werden (können), soll der Staat nur dann tätig werden, wenn andere Akteure dazu nicht in der Lage sind oder nicht aktiv werden wollen.

Dem Subsidiaritätsprinzip entspricht die Pluralität der Träger, die Soziale Arbeit organi- sieren und anbieten:

öffentliche Träger aufgrund gesetzlicher Zuständigkeit (z. B. die kommunalen Ju- gendämter),

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Im Fall Anna wird die im Quartiersmanagement (vgl. Kap. 3.3.1) tätige Sozialarbeiterin in aller Regel bei einem freien Träger angestellt sein. Folgt Anna ihrer Empfehlung, Kon- takt mit dem staatlichen Jugendamt (öffentlicher Träger) zu suchen, wird ihr dort wahr- scheinlich eine Hilfe vermittelt werden, die wiederum ein freier Träger oder ein kom- merzieller Anbieter vorhält.

Damit kann jedoch auch ein mit der Trägerpluralität grundsätzlich verbundenes Prob- lem gegeben sein: dass nämlich unklar bleibt, wer für die Hilfen, die Anna unter Um- ständen aufgrund verschiedener Gesetze gewährt werden, koordinierend verantwortlich bleibt (also „wer den Hut auf hat“). Diesem „Webfehler“ im System der Sozialen Arbeit wird in jüngerer Zeit versucht mit der Installation eines Fall- oder Case Managements zu begegnen (vgl. Kap. 3.2.2).

Schließlich ist das für die Soziale Arbeit überwiegend gültige Fachkräftegebot von Be- deutung, wonach Soziale Arbeit von – insbesondere an (Fach-)Hochschulen ausgebilde- ten – Fachkräften geleistet werden soll (die ein wissenschaftliches Studium mit Prüfung absolviert haben).

1.2.3 Bezugspunkte Sozialer Arbeit: Anliegen und Notlagen

Damit ist der allgemeine Rahmen beschrieben, der Soziale Arbeit bestimmt. Jeweils im Einzelfall wird zu klären sein, was der „Gegenstand“ ist, den es mit den Mitteln der So- zialen Arbeit methodisch gestützt zu bearbeiten gilt. Wenn Anna z. B. davon spricht, dass sie mit ihrem Alltag ein „Problem“ hat und mit den erzieherischen Aufgaben nicht mehr zurechtkommt, dann verweist dies auf den Anlass, aufgrund dessen Fachkräfte der Sozialen Arbeit überhaupt erst tätig werden. Sofern sich Menschen nicht selbst ratsu- chend an Akteure der Sozialen Arbeit wenden, gibt es im Regelfall keinen Grund für sie, tätig zu werden (es sei denn, es läge ein Fall einer Regelverletzung vor, z. B. eine Kindes- wohlgefährdung).

Auch wenn die Kernaufgabe der Sozialen Arbeit – sehr allgemein formuliert – also die Problemlösung ist, wird hier davon abgesehen, weiter vom Problem zu sprechen, da die- ser Begriff nicht jedem Gegenstand (d. h. jedem Thema), mit dem Soziale Arbeit befasst ist, gerecht wird, und womöglich den Blick auf die Chancen verstellt, die mit einer Schwierigkeit verbunden sein können. Stattdessen wird hier vom Anlass gesprochen, der sich als ein Anliegen oder eine Notlage darstellen kann: Menschen haben Anliegen (Sorgen, Wünsche, Probleme, Vorstellungen), die mit Aktuellem und Künftigem verbun- den sind, oder sie befinden sich in einer Notlage (sie sind gezwungen, etwas zu tun):

• Im Fall des Anliegens sind der Beratungsbedarf und der Beratungszeitpunkt selbst- bestimmt (Freiwilligkeit). Beispiele sind die Sozialberatung (z. B. zur Klärung gesetz- licher Leistungsansprüche) oder die Ehe- und Konfliktberatung (vor allem im Schei- dungsfall).

• Im Fall der Notlage liegt ein Interventionsbedarf vor allem aufgrund eines verletzten (oder von Verletzung bedrohten) Rechts, aufgrund richterlicher oder behördlicher Entscheidung oder aufgrund des Umstandes vor, dass ein Mensch selbst nicht (z. B.

aufgrund einer gesundheitlichen Beeinträchtigung) in der Lage ist, selbstbestimmt zu handeln. Beispiele sind die Bewährungshilfe (der sich aufgrund einer richterli- chen Entscheidung ein zu einer Bewährungsstrafe Verurteilter zu unterziehen hat) oder die Arbeit mit geistig behinderten Menschen.

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1.3 Grundverständnis nach ISFW

Die auch weltweit vielfältigen Prozesse der Herausbildung von Ansätzen der Sozialen Arbeit haben seit den 1980er-Jahren zu einem Diskurs darüber geführt, was generell un- ter Sozialer Arbeit zu verstehen sei. Diese Überlegungen wurden von der International Federation of Social Workers (IFSW), einem globalen Zusammenschluss von in der Sozi- alen Arbeit tätigen Organisation und auch Ausbildungsstätten, in einem mehrjährigen Diskussionsprozess gebündelt, an dessen Ende (2004) folgende globale (und auch die deutschen Überlegungen bestätigende) Definition stand:

Definition 1.1: Begriff der Sozialen Arbeit nach IFSW

„Die Profession Soziale Arbeit fördert den sozialen Wandel, Problemlösungen in zwischenmenschlichen Beziehungen sowie die Ermächtigung und Befreiung von Menschen, um ihr Wohlbefinden zu heben. Unter Nutzung von Theorien menschli- chen Verhaltens und sozialer Systeme greift Soziale Arbeit an den Punkten ein, an denen Menschen mit ihrer Umgebung interagieren. Prinzipien der Menschenrechte und sozialer Gerechtigkeit sind für die Soziale Arbeit fundamental“ (ISFW, vgl.

Wendt, 2017, S. 26)1.

Wenn diese allgemeinste Definition in ihren verschiedenen Elementen betrachtet wird, dann ergeben sich vier Aspekte, die einer (Er-)Klärung bedürfen:

1. „Die Profession Soziale Arbeit fördert den sozialen Wandel, Problemlösungen in zwi- schenmenschlichen Beziehungen sowie die Ermächtigung und Befreiung von Men- schen, um ihr Wohlbefinden zu heben.“ Das heißt zum einen, Soziale Arbeit ist selbst Teil gesellschaftlicher Prozesse (sozialer Wandel), auf die sie – z. B. politisch durch die Tätigkeit ihrer Berufsverbände (vgl. Kap. 3.4) – beruflich Einfluss nimmt; zum anderen geht es ihr um das Wohlbefinden, was allgemein als ein Leben ohne Aus- grenzung verstanden wird, dass es Menschen, unter Beachtung der Subjektorientie- rung und der Ressourcenorientierung (vgl. jeweils Kap. 2.1) erlaubt, sich selbst zu verwirklichen.

2. „Unter Nutzung von Theorien menschlichen Verhaltens und sozialer Systeme (…)“;

d. h. solche Theorien stellen die Referenzdisziplinen zur Verfügung, vor allem die So- ziologie, die Erziehungswissenschaft (Pädagogik) als Wissenschaft der Formen von

Übung 1.2: Die Bedeutung der Subsidiarität

Reflektieren Sie unter Einbeziehung des Falls Anna, welche Bedeutung das Subsidi- aritätsprinzip für das berufliche Handeln in der Sozialen Arbeit hat.

1. Die IFSW hat 2014 eine neue Definition verabschiedet; die nachstehende Übersetzung durch den Deutschen Berufsverband Soziale Arbeit (DBSH) ist in Deutschland derzeit (März 2016) unter den Trägern und Dach- verbänden der Sozialen Arbeit noch nicht abgestimmt und daher noch nicht gültig:

„Soziale Arbeit ist eine praxisorientierte Profession und eine wissenschaftliche Disziplin, dessen bzw. deren Ziel die Förderung des sozialen Wandels, der sozialen Entwicklung und des sozialen Zusammenhalts sowie die Stärkung und Befreiung der Menschen ist. Die Prinzipien der sozialen Gerechtigkeit, die Menschenrechte,

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Erziehung, Bildung und Lernen und der hierbei relevanten Institutionen, die Psycho- logie als Wissenschaft von den Formen und Gesetzmäßigkeiten des inneren Erlebens und äußeren Verhaltens bezogen auf Individuen und Personengruppen, die Politik- wissenschaft als Wissenschaft vom politischen Prozess, d. h. insbesondere den Re- geln des Zusammenlebens und der gemeinsamen Entscheidung von Menschen in Gesellschaften und ihre hierzu entwickelten Institutionen, und die Rechtswissen- schaft als Wissenschaft vom Recht, d. h. der Auslegung, der systematischen und be- grifflichen Durchdringung gegenwärtiger und geschichtlicher rechtlicher Quellen.

3. „(…) greift Soziale Arbeit an den Punkten ein, in denen Menschen mit ihrer Umge- bung interagieren“; d. h., dies geschieht methodisch gestützt vor allem in Form der Einzelfallarbeit und Beratung (vgl. Kap. 3.1), der (sozialen) Gruppenarbeit (vgl. Kap.

3.2) und der Gemeinwesenarbeit (vgl. Kap. 3.3).

4. „Prinzipien der Menschenrechte und sozialer Gerechtigkeit sind für die Soziale Ar- beit fundamental“; d. h., sie ist an der Verwirklichung der unveräußerlichen Men- schenrechte (die die Grundlage einer gerechten Gesellschaft bilden) ausgerichtet, weshalb sich der Begriff Menschenrechtsprofession als Kennzeichnung durchgesetzt hat (vgl. Staub-Bernasconi, 2002).

Bezogen auf den Fall Anna heißt dies, dass Fachkräfte der Sozialen Arbeit

1. Anna darin unterstützen, dass sie mit ihren eigenen Mitteln und Möglichkeiten (und solchen, die sie sich noch selbst erschließen kann, z. B. die Unterstützung durch das Jugendamt) ihr Verhältnis zu Hermann verbessern und in der alltäglichen Erziehung angemessener mit ihm umgehen kann.

2. die Grundlagen der Referenzdisziplinen kennen, die ihnen helfen zu verstehen, was Anna „umtreibt“.

3. zwar nicht über fundierte Kenntnisse zu allen Verfahren der Einzelfallarbeit (z. B. So- zialpädagogische Familienhilfe, die sie in ihrem Hausalltag unterstützt und bei der Erziehung ihres Sohnes begleitet), der Beratung (z. B. der Sozialberatung, um ihre rechtlich gegebenen Ansprüche auf Unterstützung durchzusetzen), der sozialen Gruppenarbeit (um z. B. in der Gruppe von ähnlichen Problemen betroffener junger Mütter sich gegenseitig zu helfen) oder der Gemeinwesenarbeit (um Hilfe im Stadt- teil verfügbar zu machen) verfügen müssen, um Anna unterstützen zu können, sie aber präzise bestimmen können müssen, wer diese Unterstützung geben kann.

4. ethisch verpflichtet sind, Anna und Hermann im Alltag dabei zu unterstützen, ihren uneingeschränkten Anspruch auf ein menschenrechtsgerechtes Leben zu verwirkli- chen.

Übung 1.3: Menschenrechtsprofession

Reflektieren Sie, welche Bedeutung der Anspruch hat, dass es sich bei der Sozialen Arbeit um eine Menschenrechtsprofession handelt.

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Zusammenfassung

Soziale Arbeit hat sich aus der Fürsorge für Arme (Sozialarbeit) und der Erziehung jun- ger Menschen (Sozialpädagogik) entwickelt. Sie hat sich seit dem 19. Jahrhundert Schritt für Schritt institutionalisiert und professionalisiert. Ihr Gegenstand sind die alltäglichen Anlässe, die sich als Anliegen und Notlagen darstellen. Zu ihrer Bewältigung bedient sich die Soziale Arbeit eklektisch der Erkenntnisse der Referenzdisziplinen, vor allem der Soziologie, der Erziehungswissenschaft und der Psychologie. Sie kennzeichnet heute der Anspruch, als Menschenrechtsprofession den sozialen Wandel zu fördern, zu Problem- lösungen in zwischenmenschlichen Beziehungen beizutragen und für die Verwirkli- chung der Menschenrechte und sozialer Gerechtigkeit einzutreten.

Aufgaben zur Selbstüberprüfung

1.1 Wie kommt es zur Herausbildung eines modernen Verständnisses von Sozialer Ar- beit? Zeichnen Sie die Stationen nach, die dafür erforderlich waren.

1.2 Was kennzeichnet den Anlass, den Anna Schmidt im Gespräch mit Frau Müller einbringt? Was ist daran Anliegen, was Notlage?

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2 Theoretische Betrachtungen methodischen Handelns

Nach Bearbeitung des zweiten Kapitels sind Sie in der Lage, die Voraussetzungen einzuschätzen, die zu einem methodischen Handeln von Fachkräften der Sozialen Arbeit führen. Sie können beurteilen, inwiefern Soziale Arbeit auf einem Arbeits- bündnis zwischen Adressaten und Fachkräften gründet.

2.1 Grundorientierungen und Leitlinien

Allen folgenden Erwägungen vorangestellt ist zunächst, dass Methoden und Verfahren – maximal offen für die Bedingungen der Situation und handelnden Fachkräfte und Ad- ressaten – eine Unterstützung bei der Alltags- bzw. Lebensbewältigung der Adressaten zur Verfügung stellen.

Definition 2.1: Methode

„Methoden sind systematische Handlungsformen für den zielgerichteten berufli- chen Umgang mit sozialen Problemen. (…) Methoden sind für ihren Einsatzbereich allgemeingültig, jedoch keine starren Handlungsanleitungen, sondern situationsbe- zogen und offen und reflexiv für die Eigenarten und Besonderheiten der Menschen und Probleme.“ (Krauß, 2008, S. 589)

Methodisches Handeln ist dabei immer an einen theoretischen Ansatz oder an auf ein (Handlungs-)Konzept (als besonders entwickelter Teil eines Ansatzes) gestützte Grund- orientierungen geknüpft. Der gegenwärtige Diskurs hierzu wird durch vier Ansätze ge- kennzeichnet, die nicht zwingend trennscharf formuliert sind:

• Bildungstheoretischer Ansatz: Er rückt Bildung und Bildungsprozesse bzw. die Be- fähigung, sich angemessen bilden und für die Anforderungen der modernen Gesell- schaft qualifizieren zu können, in den Mittelpunkt und fragt dabei, welchen Beitrag Soziale Arbeit zur Bildungsbefähigung ihrer Zielgruppen leistet (vgl. Rauschenbach, 2009; Sünker, 2010).

• Professionstheoretischer Ansatz: Er macht das sozialpädagogische Können von Fachkräften zum Ausgangspunkt einer Theorie der Sozialen Arbeit (vgl. dazu May, 2009, S. 69–84 und S. 98–102).

• Dienstleistungsorientierter Ansatz: Demgemäß bestimmt sich der Status des Adres- saten aus dessen Position als Bürger.

• Sozialökologischer Ansatz: Er leitet den Status der Adressaten aus der sozialen Um- welt (dem Lebensfeld/-raum bzw. der Lebenswelt) ab.

Während der bildungs- und der professionstheoretische Ansatz die Soziale Arbeit vor al- lem aus der Perspektive der Fachkräfte (und der ökonomischen und politischen Bedin- gungen, unter denen Fachkräfte zu arbeiten haben) betrachten, nehmen der sozialöko- logische und der Dienstleistungsansatz stärker die Perspektive der Adressaten in den Blick (und sind auch deshalb bestimmend für die praktische Ausgestaltung der Sozialen Arbeit geworden):

• Der Dienstleistungsansatz stellt ein Handlungskonzept dar, das von einem eher gleichberechtigten, von Aushandlungsprozessen gekennzeichneten Verhältnis zwi- schen Fachkräften und Adressaten ausgeht, das von den Adressaten gesteuert wird.

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Dieser Aspekt der gestärkten Nachfrageseite der „Kunden“ findet seine Begründung in der Ausrichtung der Sozialen Arbeit „auf den Bürgerstatus ihrer Nutzer“ (Schaar- schuch, 1999, S. 557; vgl. auch Schaarschuch, 2003).

• Der sozialökologische Ansatz zeichnet sich durch eine umfangreiche Einbezie- hung der Ressourcen der Nachbarschaft, des Sozialraums und des gesamten sozialen Systems, also auch Hilfen anderer Professionen und Institutionen, aus. Sie gehen da- von aus, dass auch schwierige Lebensbelastungen und -faktoren bewältigt werden können, dass Menschen kompetent sind, ihre Schwierigkeiten zu bewältigen, z. B.

durch Hilfen, die in „sozialer Zugehörigkeit“ begründet sind. Dazu gelte es, einer- seits die Stärken und Potenziale der Menschen zu wecken und andererseits die Um- welt so zu verändern, dass das Wohlbefinden der Menschen verbessert wird (vgl.

Germain; Gitterman, 1999).

Vor allem der sozialökologische und der dienstleistungsorientierte Ansatz finden unter- schiedliche Berücksichtigung in den für das methodische Handeln relevanten Konzepten der Sozialen Arbeit, vor allem dem Konzept der lebensweltorientierten Sozialen Arbeit und dem Konzept der Sozialraumorientierung:

Das Konzept der lebensweltorientierten Sozialen Arbeit (vgl. dazu insb. Thiersch, 1992) rückt die Lebenswelt (bzw. den Alltag) der Adressaten und die Art und Weise ihrer alltäglichen Lebensbewältigung in den Mittelpunkt:

Unter der Lebenswelt wird in der Sozialen Arbeit die

„alltägliche Wirklichkeitserfahrung eines verlässlichen, soziale Sicherheit und Erwartbarkeit bietenden primären Handlungszusammenhangs (Familie, Nach- barschaft, Gemeinwesen, bestimmte Gruppen, soziokulturelle Milieus usw.)“

verstanden. In ihr wird „in einer stillschweigenden, gemeinsamen Unterstellung bzw. Auslegung der Geltung sozialer Regeln, Strukturen und Abläufe die Grund- lage sozialen Handelns gelegt“ (Franck, 2011, S. 561).

Lebenswelt ist damit „die unmittelbar erfahrene, unhinterfragte und sinnhaft struktu- rierte Welt des alltäglichen Lebens“ (Bock, 2012, S. 183 f.); sie ist „die eigensinnige Art und Weise, (…) den individuellen Alltag zu bewältigen und zu gestalten“ (von Spiegel, 2013, S. 251). Insoweit ist sie als der physische wie psychische Lebensraum zu begreifen, der die Möglichkeiten der Lebensführung von Menschen prägt.

Unter der Lebenswelt ist also der Ort zu verstehen, wo die Adressaten handeln. Sie ist ein „Möglichkeitsraum“, d. h. eine Welt, die die dort lebenden Menschen mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln (Ressourcen, Beziehungen, Netzwerken) zu gestalten versuchen. Wie dieser Raum gestaltet sein soll, muss sich an den konkreten Erfahrungen und Kompetenzen der Adressaten orientieren, innerhalb dieser räumlichen und sozialen Strukturen den Alltag zu bewältigen (vgl. Oelschlägel, 2001b, S. 40, S. 42). Alltag wird in der Sozialen Arbeit als „die Wirklichkeit der je eigenen, also subjektiven Erfahrung von Raum, Zeit und sozialen Beziehungen und darin von der Unmittelbarkeit von Be- wältigungsaufgaben“ (Thiersch, 2009, S. 123 f.) verstanden. Den Alltag bestimmen (z. B. durch Alter, Geschlecht, Nationalität, Ethnie geprägte) Lebensverhältnisse und Handlungsspielräume, die Individuen Interessenentfaltung und Lebensperspektiven er-

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Die Fragen im Konzept der lebensweltorientierten Sozialen Arbeit lauten daher, wie die Adressaten der Sozialen Arbeit ihre aus den Bedingungen und Konflikten des Lebens- raumes erwachsenden (alltäglichen) Schwierigkeiten bewältigen und welchen Beitrag Soziale Arbeit mit ihren rechtlichen, institutionellen und professionellen Möglichkeiten und Ressourcen leistet, in dieser Lebenswelt einen gelingenderen Alltag möglich zu ma- chen (vgl. Grunwald; Thiersch, 2004, S. 23, S. 14). Die Lebensweltorientierung „zent- riert den Blick auf die individuellen Schwierigkeiten, sozialen Konflikte und Probleme im Alltag sowie die verweigerten Partizipationschancen der davon betroffenen Men- schen“ (Stimmer; Weinhardt 2010, S. 52).

In der Begleitung dieser Versuche der Lebensbewältigung finden Fachkräfte und Adres- saten zusammen: Die lebensweltorientierte Soziale Arbeit bezieht sich sowohl auf das Individuum, dessen soziales Umfeld (Netzwerke) als auch die gesellschaftlichen Rah- menbedingungen.

Für Lothar Böhnisch bedeutet Lebensbewältigung das

„Streben nach unbedingter sozialer Handlungsfähigkeit“ und „das Streben nach subjektiver Handlungsfähigkeit in kritischen Lebenssituationen, in denen das psychosoziale Gleichgewicht – Selbstwertgefühl und soziale Anerkennung – ge- fährdet ist“, z. B. dann, „wenn die bislang verfügbaren personalen und sozialen Ressourcen für die Bewältigung nicht mehr ausreichen“ (Böhnisch, 2010, S. 223).

Hier sieht er spezifische Risiken des Alltags:

• die „Erfahrung des Selbstwertverlusts und die Suche nach Wiedergewinnung des Selbstwerts“,

• die „Erfahrung des fehlenden sozialen Rückhalts“ und

• die „Erfahrung der sozialen Orientierungslosigkeit, des Sich-nicht-mehr-zu- recht-finden-könnens“, der „Sehnsucht nach Normalisierung, nach der Mög- lichkeit, aus dem Stress der Handlungsunfähigkeit und Desintegration her- auszukommen und eine Balance von Handlungsfähigkeit und Integration zu erreichen“ (Böhnisch, 2008, S. 49 f.; Herv. i. O.).

So entstehen aus der unvollständigen bzw. be- oder verhinderten Nutzung der im Alltag eines Menschen (noch) gegebenen Spielräume, das Leben anders und gelingender zu führen, die Anlässe, die an Soziale Arbeit adressiert werden und mit denen sich Fach- kräfte befassen müssen.

Anna z. B. erlebt sich im Alltag unsicher, wie sie mit Hermann umgehen soll, und sie glaubt auch nicht, zu wissen, was sie tun soll. Sie zweifelt an sich und ihren Kompeten- zen. Zugleich nimmt sie sich als verlassen wahr; sie meint, niemanden zu kennen, der sie unterstützen und ihr helfen könnte.

Hinweis:

Klaus Grunwald und Hans Thiersch haben eine aussagekräftige Sammlung von Bei- trägen herausgegeben, die den lebensweltorientierten Ansatz in seiner Breite darstel- len: Grunwald, K.; Thiersch, H. (Hrsg.) (2004). Praxis Lebensweltorientierter Sozialer Arbeit. Weinheim/München: Beltz.

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Mit dem Konzept der Sozialraumorientierung (vgl. Hinte, 2011, S. 45–128; Merten, 2002) werden soziale Räume in den Blick genommen, die sich zwar territorial abgrenzen lassen, dabei aber in erster Linie „als von Menschen zu gestaltende Räume“ (Northoff, 2012, S. 158) verstanden werden. Sozialer Raum meint damit nicht nur einen sozialgeo- grafisch begrenzten Raum (Gebiet, Stadtteil, Region), sondern er wird von den dort han- delnden Menschen jeweils konstruiert. Dabei geht es

„zum einen um soziale Prozesse, die sich räumlich massiert zeigen (z. B. Überal- terung, Zuwanderung, Armut). Zum anderen geht es um den Raum selbst, den es so zu gestalten gilt, dass sich die Lebensbedingungen verbessern“ (Alisch, 2010b, S. 152).

Sozialraumorientierung wird als Fachkonzept zur besseren Entwicklung und Steuerung von Angeboten sowie zur Gestaltung von Lebenswelten und Arrangements in Wohnge- bieten verstanden, wobei eine Hinwendung zu sogenannten „Stadtteilen mit besonde- rem Entwicklungsbedarf“ (in der vor allem Menschen unter Bedingungen der Exklusion leben) unter besonderer Perspektive der Stadtentwicklung (d. h. der Klärung, welche so- ziale Infrastruktur diese Stadtteile brauchen) erfolgt. Niedrigschwellige, d. h. für die Be- völkerung leicht erreichbare, und problematischen Entwicklungen vorbeugende Leis- tungen im Sozialraum anzusiedeln, folgt auch der Überlegung, dass es besser ist, früh zu handeln, als spät aufwändig nachsorgen zu müssen (Prävention). Lern- und Erfahrungs- felder z. B. für Partizipationsprozesse sollen in der Lebenswelt der Adressaten entwickelt werden. Das Konzept Sozialraumorientierung ist damit als Element einer kleinräumigen Ausrichtung des fachlichen Handelns zur Verbesserung der Angebote der Sozialen Ar- beit zu verstehen, das sich an den Ressourcen des Sozialraums orientiert. Kräfte der Selbsthilfe und der Eigeninitiative sollen gefördert und die Kooperation und Koordina- tion der Angebote der Sozialen Arbeit, des Sports, kultureller Anbieter, der örtlichen Wirtschaft u. a. im jeweiligen Sozialraum unterstützt werden (vgl. Spatschek, 2009, S. 36 f.; vgl. auch Kap. 3.3.1).

Beispiel 2.1:

Im Fall Anna wird Frau Müller feststellen, dass Anna zwar die Ressourcen des Stadt- teils (z. B. eine „Sprechstunde für Alleinerziehende“, das Café und die Beratung im Stadtteiltreff) offenstehen, diese aber Anna noch weitgehend unbekannt sind, also für sie erst noch erreichbar gemacht werden müssen.

Vor dem konzeptionellen Hintergrund von Lebenswelt- und Sozialraumorientierung ist von methodischem Handeln in der Sozialen Arbeit dann die Rede, wenn das soziale Han- deln von Fachkräften nicht zufällig, sondern – unter Berücksichtigung der vor Ort gege- benen Bedingungen der Lebenswelt und des Sozialraums – überlegt und absichtsvoll er- folgt (Planung), Ziele verfolgt und zu deren Erreichung Mittel bestimmt (Ziel-Mittel- Relation) sowie auf Ergebnisse hin überprüft wird (Evaluation). Dies erfolgt in der Ab- sicht, den Adressaten Unterstützung (Hilfe) dabei zu geben, die Anlässe selbsttätig und selbstverantwortlich bewältigen zu lernen. Soziale Arbeit ist in diesem Sinne immer Lernhilfe.

Dazu ergibt sich als generelles methodisches Grundmodell in der Regel eine Abfolge aus

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• dialogischer Aushandlung des weiteren Hilfeprozesses in Form von Vereinbarungen (ggf. werden dabei die zunächst vorgeschlagenen Verfahren noch einmal verändert),

• Vollzug des Vereinbarten (Realisierung),

• Evaluation (Prüfung des Ertrags) und ggf. Rückspeisung in die Analyse (und erfor- derlichenfalls Anpassung des Verfahrens).

Eingebettet ist dieses Grundmodell in geeignete Verfahren und Techniken der Kontakt- aufnahme (z. B. einem telefonischen Erstkontakt) und (wenn möglich) des Abschlusses (z. B. die förmliche Beendigung eines Beratungsprozesses unter Verzicht auf neue Ge- sprächstermine). Dabei werden Aspekte einer subjektzentrierten und anlassgerechten Gesprächsführung (vgl. Kap. 2.2.2) in jeder Phase eine Rolle spielen.

Fünf Leitlinien helfen, das methodische Handeln im Einzelfall zu charakterisieren; sie können Sozialmanagern zugleich als Kriterien dienen, das methodische Handeln von Fachkräften einzuschätzen:

1. Steht der einzelne Mensch (Adressat) im Mittelpunkt der Sozialen Arbeit?

Kennzeichnend ist zunächst die sogenannte Personzentrierung, die vor allem mit den Überlegungen von Carl R. Rogers verbunden ist (vgl. Tausch; Tausch, 1990, S. 70 f., S. 80–89, S. 107 ff.). Menschen zeichnen sich durch ein Streben nach Selbstverwirkli- chung aus (auch als Selbstaktualisierung bezeichnet). Sie treffen in ihrem Alltag auf eine Umwelt mit spezifischen Erwartungen und Anforderungen. Wie Menschen mit diesen Erwartungen und Anforderungen umgehen, zeichnet ihr Selbstkonzept (ihre Vorstel- lung, wie sie sein wollen) aus. Es ist das Bild, das eine Person von sich hat und „umfasst alle Erfahrungen, die ein Mensch bisher mit sich, d. h. mit seinen Wahrnehmungen, Ge- fühlen und Fähigkeiten gemacht hat“ (Weinberger, 2011, S. 216). Anlässe können auch dort entstehen, wo Diskrepanzen zwischen Selbstkonzept und den im persönlichen Er- leben der Umwelt gesammelten Erfahrungen (also subjektiven Interpretationen) beste- hen, wenn also Selbstkonzept und subjektive Erfahrung nicht übereinstimmen.

Personzentrierung zielt stets

„direkt auf die größere Unabhängigkeit und Integration des Individuums ab (…) Das Individuum steht im Mittelpunkt der Betrachtung und nicht das Problem.

Das Ziel ist es nicht, ein bestimmtes Problem zu lösen, sondern dem Individuum zu helfen, sich zu entwickeln, so dass es mit dem gegenwärtigen Problem und mit späteren Problemen auf besser integrierte Weise fertig wird. Wenn es genügend Integration gewinnt, um ein Problem unabhängiger, verantwortlicher, weniger gestört und besser organisiert zu bewältigen, dann wird es auch neue Probleme auf diese Weise bewältigen“ (Rogers, 1972b, S. 36) (zur Einstellung des Beraters gegenüber dem Beratenen vgl. insg. Rogers, 1972b, S. 34–70).

Soziale Arbeit ist damit „engagiert in Problemen, die Menschen in sich und mit sich selbst haben, also in ihren Entwicklungs-, Lern- und Bewältigungsaufgaben“ (Thiersch, 2002, S. 34). Dieser einzelne Mensch ist höchst eigensinnig, entwickelt sehr eigene und individuelle Vorstellungen davon, was sein „Wohlbefinden“ kennzeichnet, wofür es lohnt, sich einzusetzen, und er muss dies in einer als individualisiert beschriebenen Ge- sellschaft auch zwingend tun. In diesem Eigensinn verwirklichen sich Menschen als Subjekte, als Gestalter ihres eigenen Lebens und nicht als Objekte fremder

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