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Allen folgenden Erwägungen vorangestellt ist zunächst, dass Methoden und Verfahren – maximal offen für die Bedingungen der Situation und handelnden Fachkräfte und Ad-ressaten – eine Unterstützung bei der Alltags- bzw. Lebensbewältigung der AdAd-ressaten zur Verfügung stellen.

Definition 2.1: Methode

„Methoden sind systematische Handlungsformen für den zielgerichteten berufli-chen Umgang mit sozialen Problemen. (…) Methoden sind für ihren Einsatzbereich allgemeingültig, jedoch keine starren Handlungsanleitungen, sondern situationsbe-zogen und offen und reflexiv für die Eigenarten und Besonderheiten der Menschen und Probleme.“ (Krauß, 2008, S. 589)

Methodisches Handeln ist dabei immer an einen theoretischen Ansatz oder an auf ein (Handlungs-)Konzept (als besonders entwickelter Teil eines Ansatzes) gestützte Grund-orientierungen geknüpft. Der gegenwärtige Diskurs hierzu wird durch vier Ansätze ge-kennzeichnet, die nicht zwingend trennscharf formuliert sind:

• Bildungstheoretischer Ansatz: Er rückt Bildung und Bildungsprozesse bzw. die Be-fähigung, sich angemessen bilden und für die Anforderungen der modernen Gesell-schaft qualifizieren zu können, in den Mittelpunkt und fragt dabei, welchen Beitrag Soziale Arbeit zur Bildungsbefähigung ihrer Zielgruppen leistet (vgl. Rauschenbach, 2009; Sünker, 2010).

• Professionstheoretischer Ansatz: Er macht das sozialpädagogische Können von Fachkräften zum Ausgangspunkt einer Theorie der Sozialen Arbeit (vgl. dazu May, 2009, S. 69–84 und S. 98–102).

• Dienstleistungsorientierter Ansatz: Demgemäß bestimmt sich der Status des Adres-saten aus dessen Position als Bürger.

• Sozialökologischer Ansatz: Er leitet den Status der Adressaten aus der sozialen Um-welt (dem Lebensfeld/-raum bzw. der LebensUm-welt) ab.

Während der bildungs- und der professionstheoretische Ansatz die Soziale Arbeit vor al-lem aus der Perspektive der Fachkräfte (und der ökonomischen und politischen Bedin-gungen, unter denen Fachkräfte zu arbeiten haben) betrachten, nehmen der sozialöko-logische und der Dienstleistungsansatz stärker die Perspektive der Adressaten in den Blick (und sind auch deshalb bestimmend für die praktische Ausgestaltung der Sozialen Arbeit geworden):

• Der Dienstleistungsansatz stellt ein Handlungskonzept dar, das von einem eher gleichberechtigten, von Aushandlungsprozessen gekennzeichneten Verhältnis zwi-schen Fachkräften und Adressaten ausgeht, das von den Adressaten gesteuert wird.

Dieser Aspekt der gestärkten Nachfrageseite der „Kunden“ findet seine Begründung in der Ausrichtung der Sozialen Arbeit „auf den Bürgerstatus ihrer Nutzer“ (Schaar-schuch, 1999, S. 557; vgl. auch Schaar(Schaar-schuch, 2003).

• Der sozialökologische Ansatz zeichnet sich durch eine umfangreiche Einbezie-hung der Ressourcen der Nachbarschaft, des Sozialraums und des gesamten sozialen Systems, also auch Hilfen anderer Professionen und Institutionen, aus. Sie gehen da-von aus, dass auch schwierige Lebensbelastungen und -faktoren bewältigt werden können, dass Menschen kompetent sind, ihre Schwierigkeiten zu bewältigen, z. B.

durch Hilfen, die in „sozialer Zugehörigkeit“ begründet sind. Dazu gelte es, einer-seits die Stärken und Potenziale der Menschen zu wecken und anderereiner-seits die Um-welt so zu verändern, dass das Wohlbefinden der Menschen verbessert wird (vgl.

Germain; Gitterman, 1999).

Vor allem der sozialökologische und der dienstleistungsorientierte Ansatz finden unter-schiedliche Berücksichtigung in den für das methodische Handeln relevanten Konzepten der Sozialen Arbeit, vor allem dem Konzept der lebensweltorientierten Sozialen Arbeit und dem Konzept der Sozialraumorientierung:

Das Konzept der lebensweltorientierten Sozialen Arbeit (vgl. dazu insb. Thiersch, 1992) rückt die Lebenswelt (bzw. den Alltag) der Adressaten und die Art und Weise ihrer alltäglichen Lebensbewältigung in den Mittelpunkt:

Unter der Lebenswelt wird in der Sozialen Arbeit die

„alltägliche Wirklichkeitserfahrung eines verlässlichen, soziale Sicherheit und Erwartbarkeit bietenden primären Handlungszusammenhangs (Familie, Nach-barschaft, Gemeinwesen, bestimmte Gruppen, soziokulturelle Milieus usw.)“

verstanden. In ihr wird „in einer stillschweigenden, gemeinsamen Unterstellung bzw. Auslegung der Geltung sozialer Regeln, Strukturen und Abläufe die Grund-lage sozialen Handelns gelegt“ (Franck, 2011, S. 561).

Lebenswelt ist damit „die unmittelbar erfahrene, unhinterfragte und sinnhaft struktu-rierte Welt des alltäglichen Lebens“ (Bock, 2012, S. 183 f.); sie ist „die eigensinnige Art und Weise, (…) den individuellen Alltag zu bewältigen und zu gestalten“ (von Spiegel, 2013, S. 251). Insoweit ist sie als der physische wie psychische Lebensraum zu begreifen, der die Möglichkeiten der Lebensführung von Menschen prägt.

Unter der Lebenswelt ist also der Ort zu verstehen, wo die Adressaten handeln. Sie ist ein „Möglichkeitsraum“, d. h. eine Welt, die die dort lebenden Menschen mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln (Ressourcen, Beziehungen, Netzwerken) zu gestalten versuchen. Wie dieser Raum gestaltet sein soll, muss sich an den konkreten Erfahrungen und Kompetenzen der Adressaten orientieren, innerhalb dieser räumlichen und sozialen Strukturen den Alltag zu bewältigen (vgl. Oelschlägel, 2001b, S. 40, S. 42). Alltag wird in der Sozialen Arbeit als „die Wirklichkeit der je eigenen, also subjektiven Erfahrung von Raum, Zeit und sozialen Beziehungen und darin von der Unmittelbarkeit von Be-wältigungsaufgaben“ (Thiersch, 2009, S. 123 f.) verstanden. Den Alltag bestimmen (z. B. durch Alter, Geschlecht, Nationalität, Ethnie geprägte) Lebensverhältnisse und Handlungsspielräume, die Individuen Interessenentfaltung und Lebensperspektiven

er-Die Fragen im Konzept der lebensweltorientierten Sozialen Arbeit lauten daher, wie die Adressaten der Sozialen Arbeit ihre aus den Bedingungen und Konflikten des Lebens-raumes erwachsenden (alltäglichen) Schwierigkeiten bewältigen und welchen Beitrag Soziale Arbeit mit ihren rechtlichen, institutionellen und professionellen Möglichkeiten und Ressourcen leistet, in dieser Lebenswelt einen gelingenderen Alltag möglich zu ma-chen (vgl. Grunwald; Thiersch, 2004, S. 23, S. 14). Die Lebensweltorientierung „zent-riert den Blick auf die individuellen Schwierigkeiten, sozialen Konflikte und Probleme im Alltag sowie die verweigerten Partizipationschancen der davon betroffenen Men-schen“ (Stimmer; Weinhardt 2010, S. 52).

In der Begleitung dieser Versuche der Lebensbewältigung finden Fachkräfte und Adres-saten zusammen: Die lebensweltorientierte Soziale Arbeit bezieht sich sowohl auf das Individuum, dessen soziales Umfeld (Netzwerke) als auch die gesellschaftlichen Rah-menbedingungen.

Für Lothar Böhnisch bedeutet Lebensbewältigung das

„Streben nach unbedingter sozialer Handlungsfähigkeit“ und „das Streben nach subjektiver Handlungsfähigkeit in kritischen Lebenssituationen, in denen das psychosoziale Gleichgewicht – Selbstwertgefühl und soziale Anerkennung – ge-fährdet ist“, z. B. dann, „wenn die bislang verfügbaren personalen und sozialen Ressourcen für die Bewältigung nicht mehr ausreichen“ (Böhnisch, 2010, S. 223).

Hier sieht er spezifische Risiken des Alltags:

• die „Erfahrung des Selbstwertverlusts und die Suche nach Wiedergewinnung des Selbstwerts“,

• die „Erfahrung des fehlenden sozialen Rückhalts“ und

• die „Erfahrung der sozialen Orientierungslosigkeit, des Sich-nicht-mehr-zu-recht-finden-könnens“, der „Sehnsucht nach Normalisierung, nach der Mög-lichkeit, aus dem Stress der Handlungsunfähigkeit und Desintegration her-auszukommen und eine Balance von Handlungsfähigkeit und Integration zu erreichen“ (Böhnisch, 2008, S. 49 f.; Herv. i. O.).

So entstehen aus der unvollständigen bzw. be- oder verhinderten Nutzung der im Alltag eines Menschen (noch) gegebenen Spielräume, das Leben anders und gelingender zu führen, die Anlässe, die an Soziale Arbeit adressiert werden und mit denen sich Fach-kräfte befassen müssen.

Anna z. B. erlebt sich im Alltag unsicher, wie sie mit Hermann umgehen soll, und sie glaubt auch nicht, zu wissen, was sie tun soll. Sie zweifelt an sich und ihren Kompeten-zen. Zugleich nimmt sie sich als verlassen wahr; sie meint, niemanden zu kennen, der sie unterstützen und ihr helfen könnte.

Hinweis:

Klaus Grunwald und Hans Thiersch haben eine aussagekräftige Sammlung von Bei-trägen herausgegeben, die den lebensweltorientierten Ansatz in seiner Breite darstel-len: Grunwald, K.; Thiersch, H. (Hrsg.) (2004). Praxis Lebensweltorientierter Sozialer Arbeit. Weinheim/München: Beltz.

Mit dem Konzept der Sozialraumorientierung (vgl. Hinte, 2011, S. 45–128; Merten, 2002) werden soziale Räume in den Blick genommen, die sich zwar territorial abgrenzen lassen, dabei aber in erster Linie „als von Menschen zu gestaltende Räume“ (Northoff, 2012, S. 158) verstanden werden. Sozialer Raum meint damit nicht nur einen sozialgeo-grafisch begrenzten Raum (Gebiet, Stadtteil, Region), sondern er wird von den dort han-delnden Menschen jeweils konstruiert. Dabei geht es

„zum einen um soziale Prozesse, die sich räumlich massiert zeigen (z. B. Überal-terung, Zuwanderung, Armut). Zum anderen geht es um den Raum selbst, den es so zu gestalten gilt, dass sich die Lebensbedingungen verbessern“ (Alisch, 2010b, S. 152).

Sozialraumorientierung wird als Fachkonzept zur besseren Entwicklung und Steuerung von Angeboten sowie zur Gestaltung von Lebenswelten und Arrangements in Wohnge-bieten verstanden, wobei eine Hinwendung zu sogenannten „Stadtteilen mit besonde-rem Entwicklungsbedarf“ (in der vor allem Menschen unter Bedingungen der Exklusion leben) unter besonderer Perspektive der Stadtentwicklung (d. h. der Klärung, welche so-ziale Infrastruktur diese Stadtteile brauchen) erfolgt. Niedrigschwellige, d. h. für die Be-völkerung leicht erreichbare, und problematischen Entwicklungen vorbeugende Leis-tungen im Sozialraum anzusiedeln, folgt auch der Überlegung, dass es besser ist, früh zu handeln, als spät aufwändig nachsorgen zu müssen (Prävention). Lern- und Erfahrungs-felder z. B. für Partizipationsprozesse sollen in der Lebenswelt der Adressaten entwickelt werden. Das Konzept Sozialraumorientierung ist damit als Element einer kleinräumigen Ausrichtung des fachlichen Handelns zur Verbesserung der Angebote der Sozialen Ar-beit zu verstehen, das sich an den Ressourcen des Sozialraums orientiert. Kräfte der Selbsthilfe und der Eigeninitiative sollen gefördert und die Kooperation und Koordina-tion der Angebote der Sozialen Arbeit, des Sports, kultureller Anbieter, der örtlichen Wirtschaft u. a. im jeweiligen Sozialraum unterstützt werden (vgl. Spatschek, 2009, S. 36 f.; vgl. auch Kap. 3.3.1).

Beispiel 2.1:

Im Fall Anna wird Frau Müller feststellen, dass Anna zwar die Ressourcen des Stadt-teils (z. B. eine „Sprechstunde für Alleinerziehende“, das Café und die Beratung im Stadtteiltreff) offenstehen, diese aber Anna noch weitgehend unbekannt sind, also für sie erst noch erreichbar gemacht werden müssen.

Vor dem konzeptionellen Hintergrund von Lebenswelt- und Sozialraumorientierung ist von methodischem Handeln in der Sozialen Arbeit dann die Rede, wenn das soziale Han-deln von Fachkräften nicht zufällig, sondern – unter Berücksichtigung der vor Ort gege-benen Bedingungen der Lebenswelt und des Sozialraums – überlegt und absichtsvoll er-folgt (Planung), Ziele verer-folgt und zu deren Erreichung Mittel bestimmt (Ziel-Mittel-Relation) sowie auf Ergebnisse hin überprüft wird (Evaluation). Dies erfolgt in der Ab-sicht, den Adressaten Unterstützung (Hilfe) dabei zu geben, die Anlässe selbsttätig und selbstverantwortlich bewältigen zu lernen. Soziale Arbeit ist in diesem Sinne immer Lernhilfe.

Dazu ergibt sich als generelles methodisches Grundmodell in der Regel eine Abfolge aus

• dialogischer Aushandlung des weiteren Hilfeprozesses in Form von Vereinbarungen (ggf. werden dabei die zunächst vorgeschlagenen Verfahren noch einmal verändert),

• Vollzug des Vereinbarten (Realisierung),

• Evaluation (Prüfung des Ertrags) und ggf. Rückspeisung in die Analyse (und erfor-derlichenfalls Anpassung des Verfahrens).

Eingebettet ist dieses Grundmodell in geeignete Verfahren und Techniken der Kontakt-aufnahme (z. B. einem telefonischen Erstkontakt) und (wenn möglich) des Abschlusses (z. B. die förmliche Beendigung eines Beratungsprozesses unter Verzicht auf neue Ge-sprächstermine). Dabei werden Aspekte einer subjektzentrierten und anlassgerechten Gesprächsführung (vgl. Kap. 2.2.2) in jeder Phase eine Rolle spielen.

Fünf Leitlinien helfen, das methodische Handeln im Einzelfall zu charakterisieren; sie können Sozialmanagern zugleich als Kriterien dienen, das methodische Handeln von Fachkräften einzuschätzen:

1. Steht der einzelne Mensch (Adressat) im Mittelpunkt der Sozialen Arbeit?

Kennzeichnend ist zunächst die sogenannte Personzentrierung, die vor allem mit den Überlegungen von Carl R. Rogers verbunden ist (vgl. Tausch; Tausch, 1990, S. 70 f., S. 80–89, S. 107 ff.). Menschen zeichnen sich durch ein Streben nach Selbstverwirkli-chung aus (auch als Selbstaktualisierung bezeichnet). Sie treffen in ihrem Alltag auf eine Umwelt mit spezifischen Erwartungen und Anforderungen. Wie Menschen mit diesen Erwartungen und Anforderungen umgehen, zeichnet ihr Selbstkonzept (ihre Vorstel-lung, wie sie sein wollen) aus. Es ist das Bild, das eine Person von sich hat und „umfasst alle Erfahrungen, die ein Mensch bisher mit sich, d. h. mit seinen Wahrnehmungen, Ge-fühlen und Fähigkeiten gemacht hat“ (Weinberger, 2011, S. 216). Anlässe können auch dort entstehen, wo Diskrepanzen zwischen Selbstkonzept und den im persönlichen Er-leben der Umwelt gesammelten Erfahrungen (also subjektiven Interpretationen) beste-hen, wenn also Selbstkonzept und subjektive Erfahrung nicht übereinstimmen.

Personzentrierung zielt stets

„direkt auf die größere Unabhängigkeit und Integration des Individuums ab (…) Das Individuum steht im Mittelpunkt der Betrachtung und nicht das Problem.

Das Ziel ist es nicht, ein bestimmtes Problem zu lösen, sondern dem Individuum zu helfen, sich zu entwickeln, so dass es mit dem gegenwärtigen Problem und mit späteren Problemen auf besser integrierte Weise fertig wird. Wenn es genügend Integration gewinnt, um ein Problem unabhängiger, verantwortlicher, weniger gestört und besser organisiert zu bewältigen, dann wird es auch neue Probleme auf diese Weise bewältigen“ (Rogers, 1972b, S. 36) (zur Einstellung des Beraters gegenüber dem Beratenen vgl. insg. Rogers, 1972b, S. 34–70).

Soziale Arbeit ist damit „engagiert in Problemen, die Menschen in sich und mit sich selbst haben, also in ihren Entwicklungs-, Lern- und Bewältigungsaufgaben“ (Thiersch, 2002, S. 34). Dieser einzelne Mensch ist höchst eigensinnig, entwickelt sehr eigene und individuelle Vorstellungen davon, was sein „Wohlbefinden“ kennzeichnet, wofür es lohnt, sich einzusetzen, und er muss dies in einer als individualisiert beschriebenen Ge-sellschaft auch zwingend tun. In diesem Eigensinn verwirklichen sich Menschen als Subjekte, als Gestalter ihres eigenen Lebens und nicht als Objekte fremder

Vorstellungen – zu denen sie freilich im Fall des Zwangs und der Kontrolle dann werden können, wenn sie zu sehr von gesellschaftlichen Normvorstellungen abweichen oder die Rechte anderer, z. B. im Fall der Kindeswohlgefährdung, verletzen sollten.

Soziale Arbeit ist damit zunächst verpflichtet, Respekt gegenüber jedem Menschen und dessen eigensinnigen Vorstellungen vom Leben zu entwickeln, was nicht bedeutet, sich als Fachkraft nicht auch kritisch (aber eben nicht bevormundend) damit auseinanderzu-setzen. Die Perspektive der Adressaten, nicht der Fachkräfte steht also im Mittelpunkt (Subjektorientierung).

Beispiel 2.2:

Im Fall Anna hätte sich Frau Müller also zu fragen, inwieweit sie die Interessen von Anna sieht, versteht und in ihrem methodischen Handeln (z. B. in der Wahl ihrer Verfahren) auch berücksichtigt.

2. Stehen der Alltag und die Lebensbewältigung der Adressaten im Mittelpunkt?

Die Perspektive der Adressaten äußert sich vor allem darin, wie sie ihren Alltag erleben und die hier alltäglich gegebenen Aufgaben (Familie, Erziehung, Ausbildung, Beruf u. a.) und Probleme bewältigen. Soziale Arbeit bezieht sich lebensweltorientiert auf diesen Alltag. Dabei sind die jeweils besonderen Bedingungen des Alltags von Frauen und Männern (Genderperspektive; vgl. Czollek et al., 2009, S. 133–151), Menschen mit und ohne Migrationserfahrung (Perspektive kultureller Diversität) und Menschen mit und ohne Behinderung und/oder sozialer Benachteiligung (Inklusionsperspektive) zu be-rücksichtigen.

Fachkräfte werden aufgrund ihrer Einstellung zur eigenen professionellen Tätigkeit ein großes Interesse an der Stärkung der Adressaten haben, damit diese sich künftig selbst helfen und ein Leben nach eigener Vorstellungen (das die Rechte anderer nicht verletzt) führen können (Empowerment).

Definition 2.2: Empowerment

Empowerment „bedeutet Selbstbefähigung und Selbstbemächtigung, Stärkung von Eigenmacht, Autonomie und Selbstverfügung. Empowerment beschreibt mutma-chende Prozesse der Selbstbemächtigung, in denen Menschen in Situationen des Mangels, der Benachteiligung oder der gesellschaftlichen Ausgrenzung beginnen, ihre Angelegenheiten selbst in die Hand zu nehmen, in denen sie sich ihrer Fähig-keiten bewusst werden, eigene Kräfte entwickeln und ihre individuellen und kollek-tiven Ressourcen zu einer selbstbestimmten Lebensführung nutzen lernen“ (Herri-ger, 2010, S. 20).

Die Adressaten sind deshalb auch so zu behandeln, als ob sie bereits selbst wüssten, in welcher Richtung ein für sie selbst gangbarer („guter“) Lebensweg liegt und welche Un-terstützung sie aus dem System, in das sie eingebunden sind, verfügbar machen können – auch wenn aktuelle Umstände oder Ereignisse zu Problemen, Desorientierung und dem Glauben beigetragen haben, sich nicht mehr selbst helfen zu können.

Staub-Bernasconi, 1998; S. 106; Staub-Bernasconi, 2002, S. 248). Entscheidend ist, wie Menschen sich als zusammengehörig begreifen, wie sie das Netz der Beziehungen un-tereinander wahrnehmen, wie sie ihre unmittelbare soziale (Um-)Welt, die Lebenswelt sehen (vgl. Brunner, 1994, S. 656) und wie sie in diese als je spezifische Umgebung ein-gebunden sind (Systemorientierung).

Mit diesem Blick auf das System der Adressaten lösen sich die Fachkräfte von einer rein individualisierten Sichtweise, die allenfalls den sozialen Nahraum (die Familie, unter Umständen noch die eigene Peergroup) in die Betrachtung einbezieht. Stattdessen wer-den die sozialen Verhältnisse und Beziehungen im Sozialraum (Nachbarschaften, lokale Versorgung mit Dienstleistungen, Treffpunkte u. Ä. im Stadtteil, der Straßenzug, das dörfliche Quartier) als für Anlässe relevant akzeptiert.

Beispiel 2.3:

Im Fall Anna müsste Frau Müller verstehen, was die Lebenswelt von Anna aus-zeichnet, was ihre alltäglichen Lebensbedingungen und Probleme sind. Sie müsste klären, wo Anna – im Gegensatz zum ersten Eindruck, der sich aus der Schilderung Annas ergeben hat – doch noch in soziale Systeme (z. B. die Nachbarschaft, etwa beim Gespräch mit anderen Müttern auf dem örtlichen Spielplatz) eingebunden ist.

3. Bezieht sich das soziale Handeln der Fachkräfte auf die Potenziale, die Adressaten mit-bringen bzw. mitmit-bringen könnten?

Soziale Arbeit geht davon aus, dass Menschen immer über eigene Potenziale verfügen, mit ihren Anlässen umzugehen, Anliegen zu klären oder Notlagen zu bewältigen (Res-sourcenorientierung). Ressourcen sind als Potenziale von Menschen oder deren Umwelt zu verstehen, die helfen, Aufgaben oder Lebensereignisse zu bewältigen oder Ziele zu erreichen. Dabei kann es sich z. B. um gegebene Fähigkeiten handeln, Begabungen, an-geeignete Fertigkeiten, Geschicklichkeit, Talente, Interessen, Kenntnisse, Erfahrungen, physische Potenziale (z. B. gesunde Konstitution, Kraft, Ausdauer), psychische Ressour-cen (z. B. identitätsstiftende Lebensziele, den Optimismus, Aufgaben oder die Zukunft bewältigen zu können, die Gelassenheit, auch Probleme auszuhalten), kreativ-künstleri-sche Talente, Bindungen, Kontakte, soziale Beziehungen (einschließlich Kritik- und Konfliktfähigkeit), Zugehörigkeiten, Überzeugungen, Motive, Wertehaltungen, Einstel-lungen oder Netzwerke. Ressourcen sind auch Fähigkeiten, Kompetenzen und Hilfen, die sich aus unterschiedlicher Herkunft und Ethnie ergeben. Es sind Möglichkeiten, die in der Person selbst liegen oder die die Umwelt, in der Menschen sich bewegen (der Kon-text), bereithält, d. h. sozialökologische und ökonomische Ressourcen (soziale Beziehun-gen und Netzwerke, Organisationen und Institutionen, natürliche oder gestaltete Um-welt). Ressourcen stellen das dar, was für die Lebensführung und -bewältigung

gebraucht wird. Fehlen Ressourcen, droht ihr Verlust, steht infrage, dass sie den erhoff-ten Ertrag einbringen, oder sind sie verloren gegangen, dann werden Menschen anfällig und verletzlich für psychische und physische Schwierigkeiten (vgl. Nestmann, 2004c, S. 71 ff.).

Das methodische Handeln von Fachkräften sollte daher im Blick haben, wo Ressourcen schon gegeben sind bzw. noch aktiviert werden können. Die in der Sozialen Arbeit lange Zeit vorherrschende Ansicht, es mit Menschen zu tun zu haben, die etwas nicht können und nur problembeladen sind (Defizitorientierung), wird durch diese optimistische Per-spektive überwunden. Fachkräfte müssen dazu Ressourcen sehen und fragen (lernen):

Wo stecken in Risiken, Belastungen und Verlusten bisher nicht erkannte Ressourcen von

Menschen? Welche positiven Erfahrungen stehen in Krisen zur Verfügung? Diese Pers-pektive verändert den Blick weg von den Schwierigkeiten und Unzulänglichkeiten hin zu den Stärken und Potenzialen von Menschen und deren sozialem System, ohne ein

„Ideal des allumfassend ressourcenreichen und handlungskompetenten Menschen in ei-ner allumfassend ressourcenreichen Umwelt“ zu beschreiben (vgl. Nestmann, 2004a, S. 730 ff.). Es geht also z. B. darum, „fest zu unterstellen und uns sicher zu sein, dass es natürlich im Leben jedes Menschen wichtige Personen gibt“, die Unterstützung geben können (Herwig-Lempp, 2007, S. 216 f.). Damit ist eine komplexe professionelle Pers-pektiveneinnahme und eine methodisch strukturierende Vorgehensweise angedeutet, nichts, was zufällig erkannt oder beiläufig bzw. beliebig in das berufliche Handeln zu integrieren wäre.

Ressourcenorientierung mündet in Ressourcenaktivierung, z. B. in der Förderung krea-tiver Lösungswege: Es handelt sich also auch um (noch aktivierbare) Potenziale, die nicht unbedingt (voll) ausgeschöpft sein müssen. Die Grundannahme lautet, dass Men-schen sich oft selbst bei dem Versuch behindern, Schwierigkeiten zu lösen, weil sie „im Innersten“ glauben,

„dass eine Erklärung sowohl möglich als auch unerlässlich ist, um ein Problem wirklich zu lösen. Lösungen zu Problemen werden oft übersehen, weil sie wie bloße Vorspiele aussehen; wir suchen letztendlich nach Erklärungen, in dem Glauben, dass eine Lösung ohne Erklärung irrational ist, und erkennen nicht, dass die Lösung selbst ihre beste Erklärung ist“ (de Shazer, 2012, S. 28).

Vielmehr wird angenommen, dass jeder Mensch und jedes System bereits über die Res-sourcen verfügt, die zur Lösung eines Problems benötigt werden, diese aber gegenwärtig ungenutzt bleiben (Lösungsorientierung). Es geht darum, „ein Passen“ zu entwickeln.

„Passen“ stellt einen gegenseitigen Prozess dar, an dem der Adressat und die Fachkräfte beteiligt sind: Im Prozess „beginnen sie sich zu vertrauen, schenken einander große

„Passen“ stellt einen gegenseitigen Prozess dar, an dem der Adressat und die Fachkräfte beteiligt sind: Im Prozess „beginnen sie sich zu vertrauen, schenken einander große