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5. Abrgrenzung Alltag

5.2. Wie Abgrenzung

5.2.4. Verhalten

5.2.4.2. Zwänge von aussen

5.2.4.2. Zwänge von aussen

Um es zusammenzufassen: Der studentische Alltag besteht also auf der einen Seite aus Vorlesungen, und deren ihren Vor- und Nachbereitungen (Prüfungen, Hausarbeiten, Referate), also dem eigentlichen Studieren. Auf der anderen Seite aber genauso aus Kaffeetrinken zwischendrin, lockeren Gesprächsrunden,... und eben auch Studentenparties. Es handelt sich um fest verankerte Institutionen mit vorgegebenen Normen und Strukturen, die einem gewisse Verhaltensregeln vorschreiben. Bei Nichtbeachten dieser Regeln kommt es zu Sanktionen, die verschieden ausfallen, es kommt darauf an, in was für einer Institution man welche Regel bricht. Das heisst, es gibt die im vorherigen Abschnitt beschriebenen Zwänge innerhalb dieser Institutionen. Ein Student hat nun die Möglichkeit, sein ganzes Sozialleben innerhalb dieser Strukturen zu verbringen, was von vielen Studenten auch „genutzt“ wird.

Dies führt dazu, dass es nicht bloss Zwänge innerhalb dieser Institutionen gibt, sondern es gibt noch einen mächtigeren Zwang. Es handelt sich dabei um den Zwang, in was für einer

Institution, man was zu tun oder „abzuwickeln“ hat, sprich welche Verhaltensweise in welche Institution gehört.

Die Motive für den Besuch solcher Studentenparties und die dazugehörigen Verhaltensweisen habe ich in den letzten Kapiteln ausführlich beschrieben. Ich habe in den Interviews oft die Frage gestellt, warum man jemanden, der einem gefällt, nicht „einfach so“ anspricht. (R16:

„Das wartet man ja auch ab. Es ist halt nicht so einfach. Auf einer Party sind alle gut drauf und lustig, und es läuft Musik, da muss man sich nicht überlegen, was man sagen kann, da geht man hin und sagt halt irgendwas. Auf einer Party, auch wenn man Scheiss redet, das ist wie...“ I: „Narrenfreiheit.“ R16: „Genau so. Ein bisschen.“) Diese Aussage steht stellvertretend für die Mehrheit der Antworten meiner Respondenten. Die Party wird abgewartet, weil es da lockerer zu und her geht, weil die Leute „gut drauf“ sind, weil es eben einfach der Rahmen ist, Bekanntschaften und Liebschaften „abzuwickeln“. Genauso wie die Vorlesung mit den entsprechenden Erwartungen, die mit ihr verbunden sind, der Rahmen ist, indem man das eigentliche Studium abwickelt. Goffman definiert den Rahmen in seinem Buch mit dem dazu passenden Titel Rahmenanalyse folgendermassen: „Ich gehe davon aus, dass wir gemäss gewissen Organisationsprinzipien für Ereignisse – zumindest für soziale – und für unsere persönlichen Anteilnahme an ihnen, Definitionen einer Situation aufstellen; die Elemente, soweit mir ihre Herausarbeitung gelingt, nenne ich „Rahmen“. Mein Ausdruck

„Rahmen-Analyse“ ist eine Kurzformel für die entsprechende Analyse der Organisation der Erfahrung.“140

Weshalb braucht es nun die Party, bis gewisse Verhaltensweisen angewendet werden?

Weshalb diese Rahmung, welche Verhaltensweisen in welcher studentischen Institutionen angebracht sind und welche nicht?

Zum einen hat das natürlich mit der im Kapitel Alkohol angesprochenen Schüchternheit zu tun. (R4: „Ja, auch so mal. Und dann müsste man eigentlich mal ansprechen, mal hinlaufen so: Tach, wie geht’s? Aber das traue ich mich dann halt nicht. Aber in Zukunft werde ich das anders machen!“). Der Kontext Studentenparty gibt einem die Möglichkeit so etwas relativ risikolos abzuwickeln, da die allgemeinen Erwartungshaltungen ohnehin so sind, dass auf solchen Anlässen angesprochen und angemacht wird, was wiederum mit der angesprochenen Narrenfreiheit zu tun hat. (R7: „Wenn man auf der Uniparty ist, kann man das immer auf den Alkohol schieben. Wenn man peinlich rüberkommen sollte, kann man immer sagen: oh, tschuldigung, ich hatte was getrunken. An der Uni kannst du die Ausrede nicht bringen. Wenn du jemanden an der Uni anmachst, bist du normalerweise nüchtern, und wenn du da peinlich

140 Siehe Goffman;, 1974; S. 18.

auftrittst, dann gibt es keine Entschuldigung dafür. Und deswegen spricht man lieber Leute auf Parties an als auf dem Seminar.“) Wer tagsüber an der Uni jemanden anspricht, legt gewissermassen die Karten auf den Tisch, und man hat bei einer eventuellen Abfuhr keine Rückzugsmöglichkeit. (R6: „Wenn du auf Arbeit oder an der Universität bist, da ist ja alles offiziell, da sind die Gespräche einfach formeller und nicht so locker, wie auf der Uni-Party.

Ich denke, du kannst dich ganz anders kennenlernen, wenn das Gespräch aus einem lockeren Umfeld herauskommt. Deshalb kommen so Ansprachen, wie ich geh in der Vorlesung hin, hey Babe, willst Du mit mir essen gehen oder so, das kommt ziemlich plump daher, das ist so kurz angebunden, da kannst du gleich fragen: Willst du mich ficken? Natürlich hast du diese Intention auch, wenn du auf der Uniparty mit jemanden redest, aber da kommst du einfach lockerer ins Gespräch, alles ist relaxter und nicht so verkrampft. Es kommt nicht so aus dem Off jemand daher und sagt: hey, wollen wir gleich gehen, sondern man trifft sich halt, man redet nett, man trinkt einen zusammen.“). Auf der Studentenparty gibt es die beschriebene Schutzfunktion durch den Alkohol, aber auch der Kontext Party allein hat schon eine Schutzfunktion, es ist normal, ja es wird erwartet, dass man auf der Party anspricht und angesprochen wird, die eventuelle „Niederlage“ durch eine Abfuhr muss nicht als solche deklariert werden. Selbst wenn die Anmache „blöd“ daherkommt und eigentlich als Fehlverhalten deklariert werden müsste ist man durch die Struktur dieser Studentenparties

„geschützt“ (siehe vorhergehende Kapitel) => Das Ansprechen auf einer Studentenparty ist mit weniger Risiko behaftet.

(R12: „Ich denke halt, dass der Alkohol wirklich eine grosse Rolle spielt, wenn ich tagsüber irgendwo Alkohol verkaufen würde, würde es vielleicht tagsüber genauso abgehen und wenn in Gegenzug die Uni-Party ohne Alkohol wäre, würde es genauso laufen. Ich glaube, dass eher der Alkohol der Punkt ist.“) Ein interessanter Gedanke, den diese Respondentin ins Spiel bringt, der aber zu verwerfen ist, da Alkohol untrennbar mit dem Kontext Studentenparty verbunden ist und tagsüber an der Universität niemals eine dominierende Rolle einnehmen wird141. Selbst wenn man den Gedanken weiterspinnen und annehmen würde, dass tagsüber dasselbe Trinkverhalten wie an der Party angenommen wird, wäre die Rolle der Party als Anmachstätte kaum ernsthaft gefährdet. Der Kontext Studentenparty setzt sich aus mehreren Rahmenbedingungen zusammen. Alkohol ist zwar eine wichtige, wenn nicht die wichtigste, Rahmenbedingung, aber nicht die Einzige. Weitere Rahmenbedingungen werden durch die vorher beschriebenen stillschweigenden Übereinkünfte, was Geschlechterrollen, eben Anmachverhalten, aber auch aggressives Verhalten betrifft, geschaffen. Alle diese

Übereinkünfte determinieren ein auf Parties angebrachtes Verhalten und, in letzter Konsequenz bestimmen sie eben auch, welche Verhaltensweisen an die Party gehören und welche woanders hin (R19: „Ja, nicht abwarten, aber wenn man jetzt weiss, da steht eine Party an, da kommt die Person hin, dann würde ich natürlich nicht an der Uni vorpreschen, dann würde ich auf die Party warten und da gezielt vorgehen.“).

Die Normen, was an der Party zu passieren hat und was tagsüber zu passieren hat, sind dermassen stark verankert, dass sie gar nicht als Normen wahrgenommen werden. Der Kontext Studentenparty und die Verhaltensregeln, wie man sich innerhalb dieser Parties gibt, aber eben auch diese Normen, welches Verhalten auf eine Party gehört und welches nicht, werden von dem Grossteil der Studentenschaft stillschweigend übernommen und akzeptiert.

Das ganze wird nicht in Frage gestellt, weil es eben einfach selbstverständlich erscheint.