• Keine Ergebnisse gefunden

4. Liebe und Hass

4.1. Aggressionen

4.1.4. Woher Aggressionen?

4.1.4.1. Triebbedingte Aggressionen

Lorenz beschreibt den biologischen Zweck von Aggressionen anhand von vier Punkten:

1) Die Artgenossen stossen sich gegenseitig ab; auf diese Weise verteilen sie sich in ihrem Lebensraum so, dass jeder sein Auskommen hat.

2) Die Auswahl der besten, das heisst stärksten, für die Fortpflanzung wird gewährleistet (in sogenannten Rivalenkämpfen).

3) Damit wird zugleich die Selektion eines kämpferischen Familienverteidigers für die Brutpflege gesichert.

4) Bei in Gemeinschaft lebenden höheren Tieren dient die Aggression auch der Bildung von Rangordnungen, die für die "Handlungsfähigkeit" der Gemeinschaft von Bedeutung sind.76 Dieses Modell lässt sich sicher nicht eins zu eins auf den Kontext Studentenparty anwenden.

Allerdings sind derartige Verhaltensweisen nicht so überholt, wie einem oft weisgemacht wird (Durchsetzung rangiert in der erwähnten Stichprobe auf dem 7. Platz für Aggressionsgründe, 65% der Befragten glauben, dass man sich mittels Aggressionen besser durchsetzen kann).

Dazu eine etwas zeitgemässere Definition: ’Ein Mensch möchte "bekommen, was er will’, zum Beispiel die Durchsetzung seiner Meinung, materiellen Gewinn, Beachtung, Anerkennung (Anm.: oder den anvisierten Sexualpartner). Er sieht Anreize, die solche Bedürfnisse wecken, und Chancen, sie zu befriedigen. Die Person ’erwartet’, dass sie dieses Ziel durch aggressives Verhalten erreicht, und/oder andere Mittel fallen ihr nicht ein. Hier

76 Vgl. Nolting; 1997; S. 58-64.

handelt es sich um Erlangungs-Aggression. Sie wird häufig planmässig und kühl ausgeführt, kann aber im unmittelbaren Kampf auch impulsiv sein."77.

Die beschriebenen Aggressionsformen lassen sich auch im Kontext Studentenparties feststellen. Die Erlangungs-Aggression wird auf diesen Anlässen in erster Linie dazu verwendet, einen Sexualpartner zu "kriegen". Diese Art der Aggression ist vor allem eine männliche Angelegenheit (R12: "...obwohl es keinen Grund gibt, aber ich denke schon, dass es bei Männern ist, dass Männer aggressiv sind, dass sie sich in ihrem Geschlechterbild gestört fühlen, wenn sie eine Frau nicht abbekommen oder so.") Zwei Gründe sind dazu zu nennen: 1. Die Geschlechterrollenverteilung ist klassisch (die Begründung dazu im Abschnitt Geschlechterrollen im nächsten Kapitel), die Anmache geht im Normalfall vom Mann aus. 2.

Der Frauenanteil ist, bis auf ganz wenige Ausnahmen, auf diesen Anlässen geringer als der Männeranteil, das wiederum hat verschiedene Gründe: Studiengänge, die Frauen nicht interessieren (Maschinenbau), keine Lust auf derartige Anlässe,... dazu kommt, dass manche Frauen zwar anwesend sind, aber keine Lust haben, sich auf etwas einzulassen (R12: "Kalte Schulter, genau!"). Auf jeden Fall "balgt" sich eine Mehrheit Männer um eine Minderheit Frauen.

Ich habe oft beobachtet, wie zwei oder drei Männer um eine Frau herumgestanden sind, jeder hat abwechselnd mit ihr geredet und ihr (vor allem) Komplimente gemacht. Meistens handelt es sich dann noch um Freunde, die sich um die Aufmerksamkeit derselben Frau bemühen, aber es "erhält höchstens einer den Zuschlag", und derjenige muss über irgendeine Art von Durchsetzungsvermögen verfügen, um die Nebenbuhler zu übertrumpfen. Das mag das bessere Aussehen sein, mehr Witz, mehr Charme, es ist aber eben oft auch die aggressivere Art.

Ein typisches Beispiel dazu: Ich habe eine Situation beobachtet, bei der zwei Studenten, die offensichtlich befreundet waren, sich um die gleiche Frau bemüht haben. Sie sass auf einer Bank am Rande der Tanzfläche und die beiden Studenten standen davor und haben von zwei Seiten auf die Frau eingeredet. Ich habe mich dann neben die Frau auf die Bank gesetzt und versucht, vom Gespräch etwas mitzukriegen. Tatsächlich waren die beiden oberflächlich nett zueinander, haben aber immer wieder Sprüche gemacht, um den anderen zu diskreditieren und den grösseren Lacher (v.a. natürlich von der Frau) zu ernten. Obwohl ich mich bemühte, in eine andere Richtung zu schauen und vor allem die Ohren zu spitzen, hat sich der eine irgendwann zu mir gewandt und mich gefragt, was ich eigentlich wolle. Ich gab ihm zu verstehen, dass ich kein Nebenbuhler sei, indem ich ihm erklärte, mich nur kurz ausruhen zu

77 Vgl. Nolting; 1997; S. 179

wollen, worauf er wieder von mir abliess. Tatsächlich hätte es andernfalls zu einer kritischen Situation kommen können, da bei mir auch nicht die Gefahr bestand, eine bestehende Freundschaft zu gefährden. Denn tatsächlich steckt der betreffende Student in einer recht schwierigen Situation, er will seinen Freund, eventuell ein alter Weggefährte, nicht verlieren, trotzdem muss er ihn auf eine gewisse Weise übertrumpfen oder loswerden, damit die begehrte Frau sich für ihn entscheidet78. Er muss sich auf eine Weise in ein gutes Licht rücken und seinen Freund ihn ein schlechtes, die nicht auffliegt. Es handelt sich um Diskreditierung unter dem Deckmantel der Höflichkeitsbezeugung und zweideutigen Komplimenten79. Auf jeden Fall ist es eine Form von sprachlicher Aggression mit dem Ziel, den Nebenbuhler loszuwerden und ihn, wenn auch auf eine andere Art und Weise als im direkten Kampf, zu

"besiegen". Der beschriebene Rivalenkampf findet statt, geändert haben sich die Stilmittel, mit denen dieser Kampf geführt wird.

Ich haben "Gespräche" solcher Art oft beobachtet, diese, wenn auch versteckte, Aggression war fast immer vorhanden. Tatsache ist also, dass Aggressionen immer noch als Mittel zur Durchsetzung verwendet werden.

Die Frau kann aber auch als Mittel zum Zweck "verwendet" werden. In der Definition war die Rede von Erlangungsaggression, um das Bedürfnis nach Anerkennung zu befriedigen. Dies kann über Statussymbole irgendeiner Art (z.B. Autos, in diesem Fall auch Noten oder Nebenjobs, aber eben auch die entsprechende Frau an der Seite) erreicht werden. Es handelt sich um eine Phänomen, das nur am Rande mit Studentenparties zu tun hat, solche Anlässe stellen aber eine gute Möglichkeit dar, diese Statussymbole zu präsentieren. Die Erlangung dieser Symbole verlangt eben auch eine gewisse Aggression. Diese Selbstdarstellung ist also gefährdet, wenn einem zum Beispiel eine Frau eine Abfuhr erteilt (oder die entsprechende Frau schlicht und einfach fehlt und man(n) das Statussymbol nicht präsentieren kann). Dies führt zu zwei Formen von Aggressionen. Auf der einen Seite konnte der Trieb nicht

"befriedigt" werden, es kommt zu sexuellen Frustrationen (zumindest, wenn das öfter passiert, dazu später mehr) (R13: Viel vom Alkohol, Rumprotzerei, Harttuerei."). Auf der anderen Seite hat noch eine Bedrohung für das Image, das jemand von sich vermitteln will, stattgefunden. Der Betroffene kann sich retten, indem er die Möglichkeit nutzt, die Fiktion aufrechtzuerhalten, diese Bedrohung des Image habe nicht stattgefunden. Er kann gewissermassen so tun, als ob das bedrohliche Ereignis überhaupt nicht passiert ist80. Dies führt aber durch den dadurch notwendigen Kraftakt und die Unterdrückung zu weiteren

78 Tatsächlich ging die Geschichte so zu Ende, dass die Frau irgendwann keine Lust mehr hatte und gegangen ist.

79 Vgl. Goffman; 1959; S. 174.

Aggressionen ("Wenn man Aggressionen verspürt und zurückhält, äussern sie sich später an anderer Stelle (92% Zustimmung81)). Damit wäre auch eine Brücke zum nächsten Abschnitt gebaut.

Noch eine persönliche Anmerkung zum Image, das bestätigt, dass Studenten viel Wert auf ihr Image und Status legen. Wir haben das bei der Arbeit als Türsteher oft am "eigenen Leib"

(beziehungsweise eher im Kopf) erfahren. Viele Studenten konnten nicht mit der Tatsache umgehen, dass zwei normale Studenten eine Arbeit ausführen, die mit einer gewissen Form von Prestige verbunden ist. Sie fühlten sich in ihrem Image irgendwie bedroht, und versuchten uns zu diskreditieren (R18: "Da ist ziemlich viel Arroganz, eine andere Form von Aggression halt."). Zu körperlichen Auseinandersetzungen kam es nie, die Diskreditierung fand in anderer Form statt. Ein Beispiel: Zwei Studenten betreten die Party mit ihren Freundinnen. Sie laufen an uns vorbei, sobald sie weiter gegangen sind, fangen sie an über uns herzuziehen (wozu es absolut keinen Grund gab, ausser eben das Gefühl, das Image sei bedroht). Egal wie wir dastanden, und was wir machten, es kamen ständig Sprüche wie "Du meinst Du so cool!“ und ähnliche. Ich denke, ein Türsteher in einer Disco hat mit ganz anderen Problemen zu kämpfen (es kann tatsächlich gefährlich für den eigenen Leib sein). Ein weiteres Beispiel für studentische Aggressionsformen und den beschriebenen Konsens. Ich habe die Parties immer mit gefülltem Geldbeutel, aber geschwächtem Nervenkostüm verlassen.