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3. Alkohol

3.3. Art des allgemeinen Alkoholkonsums auf Studentenparties

3.3.2. Soziale Funktion von Alkohol

3.3.2.4. Hemmungsverlust

R1: "Ja aber im Supermarkt sind sie nicht betrunken." Die Antwort eines Respondenten auf meine Frage, warum er Frauen auf Studentenparties und nicht in alltäglichen Situationen anspricht, bringt es ziemlich genau auf den Punkt, was der Hauptgrund ist, weshalb an Studentenparties Alkohol getrunken wird. Er bezieht es zwar in diesem Fall nicht auf sich selber, sondern auf das andere Geschlecht, aber die zentrale Aussage ist wichtig; es geht ihm darum, dass die Hemmungen fallen (Trinkmotiv: Scheu: Ängste und Hemmungen werden besser überwunden)48. Durch Alkohol wird eine leichte bis starke Intoxikation hervorgerufen, die eine Reihe sozial wichtiger Werte vermittelt, wie Befreiung von Müdigkeit, Spannungen (!), Apathie und Isolationsgefühlen, die Hebung der Stimmung (Anm.: Spass!), der Abbau von Distanz, die Förderung von sozialer Nähe, Geselligkeit, Vertrautheit,...49 Schmidbauer beschreibt den Hemmungsverlust aufgrund von Alkoholkonsum folgendermassen:

"Verminderte Selbstkritik ist nur eine der Folgen, die man als typisch für den Alkoholkonsum ansprechen kann. In einem mittleren Wirkungsbereich, den man im allgemeinen mit

"Schwips" umschreibt, obschon er (je nach der Persönlichkeit des Trinkers) die verschiedensten Namen und Wirkungsbilder innehaben kann, beherrscht die Enthemmung das Bild. Erziehung und Wissen um die Reaktion der Mitmenschen auf bestimmte Worte oder Taten führen bei jedem Menschen dazu, dass er ein ständiges Mass an Hemmungen aufrechterhält und zahlreiche Triebimpulse unterdrückt, die ihm in der Regel gar nicht bewusst werden. Schon kleine Alkoholdosen schwächen diese Kontrolle ab. Hemmungen schwinden, das "Über-Ich" wie Sigmund Freud die sozialen Vorschriften nannte, die sich der Einzelne zu eigen gemacht hat, verliert teilweise seine Macht. Man ist zufrieden mit sich selbst."50 In diesem speziellen Fall hofft der Respondent darauf, dass die Frauen betrunken

48 Siehe Krause; 1987; S. 41.

49 Vgl. Stein; 1985; S. 152-153.

50 Siehe Schmidbauer/vom Scheidt; 1989; S. 37.

sind, deren ihre Hemmungen weg sind und er dann "seinen Profit daraus schlagen kann" (R1:

"Naja, da sind die Frauen generell offener.")

Aber meistens geht es eher darum, dass man die eigene Schüchternheit überwinden kann und sich traut, das andere Geschlecht anzusprechen (R4: "Beides, ich hab dann Spass und werde auch mutiger."). Die meisten Respondenten haben ähnlich geantwortet, dass sie eben Alkohol trinken, um Spass zu haben und mutiger zu werden.

Dieser neu gewonnene Mut äussert sich in verschiedener Weise, wie erwähnt, hilft er einem dabei, das andere Geschlecht anzusprechen, aus genannten Gründen ist es auch nicht weiter schlimm, wenn das peinlich und unbeholfen wirkt, man hat schliesslich nicht viel zu verlieren (R6: "Das hat was mit einer gewissen Schüchternheit zu tun. Auf Parties fällt das dann irgendwie weg, da hast du keine grossen Hemmungen, jemanden anzusprechen, macht ja jeder."). Dies lässt sich durch Beobachtungen an typischen Studentenparties problemlos überprüfen. Betrunkene Männer machen relativ wahllos die anwesenden Frauen an (Geschlechterrollen werden später behandelt), Abfuhren scheinen sie nicht weiter zu kümmern (auch eine Folge des Mutes), man(n) probiert es darauf einfach bei einer anderen Frau. Typische Anmachsprüche wären: "Ich habe Dich schon oft gesehen, was studierst Du eigentlich?", "Du sitzt doch in meiner Vorlesung", was nahelegt, dass man die entsprechende Frau schon vorher ins Auge gefasst hat, sich aber nicht getraut hat, sie anzusprechen (natürlich werden auch wildfremde Frauen angesprochen). Goffman redet in diesem Zusammenhang von der Hinterbühne (Parties), auf der das auf der Vorderbühne (studentischer Alltag) unterdrückte Verhalten in Erscheinung tritt51.

(R23: "Es ist eine andere Realitätsauffassung in dem Moment. Es gibt sicherlich viele, die sich diese Realitätsverschiebung zunutze machen und dann ganz bewusst solche Dinge eingehen. Bis dahin, dass sie diesen Zustand selber herbeiführen.") Dieser Mut dient allerdings nicht nur dazu, das andere Geschlecht anzumachen, sondern es werden auch andere Dinge angesprochen, die man normalerweise nicht anspricht, so ist man beispielsweise in der Lage, jemandem, den man nicht mag, dies auch mitzuteilen, oder es wird versucht, ungeklärte Probleme zu lösen, die vorher nicht behandelt wurden, man fragt Sachen nach, die man sonst nicht nachfragt,...52 Kurz, es wird alles besprochen, was man sich sonst nicht traut zu besprechen. (R7: "Das stimmt auf jeden Fall, die Leute haben mittlerweile Kommunikationsschwierigkeiten, sie brauchen Alkohol, um miteinander zu kommunizieren

51 Vgl. Goffman; 1959; S. 104

52 Ein Beispiel dazu: Als ich eine Kneipe betrete, kommt ein offensichtlich betrunkener Student zu mir, und fragt mich, ob ich ein Problem mit ihm hätte. Ich war leicht irritiert, da ich der Ansicht war, den Betreffenden zum ersten Mal bewusst zu sehen. Als ich ihm dies mitteilte, meinte er, ich hätte ihn "streng gemustert" an der Uni, was wohl auch unterbewusst passiert ist. Eine Sache, die er mir durchaus auch sofort hätte mitteilen können.

und sich kennenzulernen, und wenn sie keinen Alkohol haben, wird es schon mal gar nichts.") Die Respondentin bringt die Lage ziemlich auf den Punkt; es herrscht ein Kommunikationsproblem, viele Leute sind nur noch in der Lage, gewisse Dinge an- oder auszusprechen, wenn sie Alkohol getrunken haben egal, was für ein Thema es betrifft (Trinkmotiv: Versagensangst: Das Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen wächst)53. Natürlich ist das kein studentenparty-spezifisches Phänomen, aber da tritt es besonders ausgeprägt zutage.

"Ein interessanter Punkt, um den herum "Normalität konstituiert wird, ist offenbar die Intentionalität von Trinkhandlungen; je intentionaler, zielbewusster Alkohol eingesetzt wird, besonders als "Problemlösungsstrategie" im Bereich von Kommunikation, Sexualität und Arbeit, desto problematischer erscheint es."54 Es ist erstaunlich, dass dieses Trinkverhalten kaum thematisiert und überhaupt nicht kritisiert wird. Wenn man einmal damit anfängt, gewisse Sachen nur anzusprechen, wenn man getrunken hat, besteht in meinen Augen die Gefahr einer psychischen Abhängigkeit. Der Alkoholkonsum wird zur Bedingung, seinen Mund überhaupt aufzumachen, es entsteht eine Art Teufelskreis.

("R16: Ja, ich finde, dass man einfach zu viel Alkohol oft trinkt, was nicht sein müsste. Und eben ja wie Parties eben so sind: da trinkt man Alkohol, Alkohol, Alkohol, am nächsten Tag geht es einem schlecht und deshalb denke ich dass es manchmal besser wäre, nicht soviel zu trinken.") Diese Aussage einer Studentin ist charakteristisch, inwiefern Studenten in der Lage sind, ihren Alkoholkonsum kritisch zu sehen, es werden allenfalls die physischen Folgen gesehen, man bereut am nächsten Tag. Aber dass es irgendwie bedenklich ist, dass es Alkohol braucht, bis man überhaupt miteinander über gewisse Dingen reden kann, wurde kaum angesprochen.

Ergo: Der Alkoholkonsum auf Studentenparties ist ganz klar zweckgerichtet. Es handelt sich allerdings nicht um ritualisiertes Trinken, wie es beispielsweise bei Verbindungen praktiziert wird (Trinkmotiv Ritual: Der Verein, die Vereinigung, Gruppe, Klub verlangt das einfach)55, wo man auf gewisse Anordnungen oder Versäumnisse hin trinken muss. Es wird zwar ununterbrochen und manchmal masslos getrunken, aber es ist falsch, den Alkoholkonsum auf Studentenparties als chaotisch oder ungeordnet anzusehen. ("R13: Viel, hoher Ballermann-Faktor, von dem her: willenloses Besaufen.") Der Respondent (kein Student, daher in der Lage, die Sache "von aussen" zu betrachten), dessen Zitat ich an der Stelle zum zweiten Mal bemühe, hat deshalb nur zur Hälfte recht, tatsächlich kann man ein gewisses

53 Siehe Krause; 1987; S. 41.

54 Siehe Fahrenkrug; 1979; S. 65

55 Siehe Krause; 1987; S. 41.

Verhalten auf solchen Parties beobachten, aber das "Besaufen" ist keinesfalls willenlos, sondern es dient einer klaren Absicht (eben Mut anzutrinken mit der Hauptintention, mit dem anderen Geschlecht ins Gespräch (und wenn möglich noch zu weiterer Interaktion) zu kommen (R24: „Weiss nicht, obwohl ja, vielleicht doch, auch. Geht ja jedem so. Dass man dann mehr redet, das geht den meisten so, weil man sich mehr traut.“) und ist höchstens in seinen Auswirkungen unberechenbar (die beschriebenen "Unfälle").

Ich habe den Faktor Alkohol bewusst an den Anfang meiner Untersuchungen gestellt, weil tatsächlich das "Saufen" die Grundlage für die Verhaltensweisen, die in den folgenden Kapitel behandelt werden, darstellt. Ohne Alkohol keine Party, keine Kommunikation, keine Annäherungen, aber auch keine Streitereien, Aggressionen...=> Ohne Alkohol geht gar nichts! Alkohol ist manchmal Mit-, meistens aber Hauptverursacher sämtlicher Verhaltensweisen, die auf Studentenparties üblich sind (R16: „Ja, wahrscheinlich, Frust ist, glaube ich, ein recht gutes Wort, weil der Alkohol verstärkt ja alles, der verstärkt jeden Trieb...“)