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5. Abrgrenzung Alltag

5.2. Wie Abgrenzung

5.2.1. Kleidung

Die erste und offensichtlichste Möglichkeit anzuzeigen, dass es sich bei einer solchen Veranstaltung um etwas Nicht-Alltägliches handelt, ist die Kleidung. Die Kleidung hat einen starken Symbolcharakter, der Charakter eines Anlasses wird oft über die Kleidung determiniert. So verlangt der Kontext Beerdigung schwarze oder zumindest dunkle Kleidung, um anzuzeigen, dass es sich um einen traurigen Anlass handelt, im Gegensatz dazu wäre kaum jemand auf die Idee gekommen, sich während des Woodstock-Festivals schwarz anzuziehen, die bunten Klamotten waren (Mit-)Träger einer bestimmten Botschaft. Andere Anlässe schreiben einem die Kleidung nicht unbedingt vor, aber es wird bevorzugt ein bestimmter Kleidungsstil getragen, weil er dem Charakter des Anlasses entgegenkommt. So

„putzt“ sich eine Frau, die in der Disco einen Mann kennenlernen will, heraus und zieht sich so an, dass sie möglichst sexy wirkt („...aber in manchen sozialen Situationen wäre es für eine

130 Vgl. Gebhardt; 1987; S. 24.

131 Vgl. Gebhardt; 1987; S. 24-25.

Frau undiplomatisch, sich nicht als jünger und sexuell attraktiver auszugeben, als sie tatsächlich ist.“)132, im Gegensatz dazu wird ein Bauarbeiter im Arbeitsalltag darauf verzichten, sich elegant anzuziehen, sondern eine zweckmässige Kleidung bevorzugen.

Beobachtungen, die ich auf der einen Seiten an Studentenparties und auch in typischen Studentenkneipen und auf der anderen Seiten tagsüber an der Uni gemacht habe, zeigen auf, dass sich der Kleidungsstil von der Vorlesung bis hin zur Party am Abend nur marginal ändert. Die Männer ziehen sich praktisch gleich an, könnten also problemlos direkt von der Vorlesung kommend die Party besuchen. Die Frauen putzen sich ein bisschen mehr heraus, was wiederum Rückschlüsse hinsichtlich der Geschlechterrollen zulässt (R6: „...Viele Mädels ziehen sich an der Uni-Party aber auch so an, dass sie selber angesprochen werden wollen, und dass sie es nicht nötig haben, anzusprechen.“). Allerdings steht es in keinem Verhältnis zu einer normalen Disco (R4: „In der Disco sind sie aufgebrezelter.“) oder einem sonstigen gesellschaftlichen Anlass. Es gibt zwar Frauen, die sich für eine Studentenparty

„herausputzen“, aber der Grossteil der Frauen, der auf Studentenparties schick angezogen ist, ist auch im studentischen Alltag entsprechend gekleidet. Es ist nicht so, dass sie sich für den Anlass Studentenparty herausputzen, sondern sie machen es, wenn sie ihre Wohnung verlassen. Sie könnten im Gegensatz zu oben beschriebenen Studenten nicht direkt von der Vorlesung an die Party gehen, weil da und dort noch etwas Nachkorrektur notwendig ist, aber die Unterschiede zum Alltag sind trotzdem marginal. Studentenparties stehen also wieder in einem Gegensatz zu Parties, wie man sie aus College-Filmen kennt, aber wohl auch zu Studentenparties in früheren Zeiten, bei denen es notwendig ist/war, falls man nicht über die entsprechenden finanziellen Mittel verfügt hat, sich so etwas zu kaufen, ein spezielles Kleid für diesen einen besonderen Abend auszuleihen.

Das hat folgende Gründe. (R12: „Das ist schon eher was spontanes, so: wir machen eine Party, und wer Bock hat, kann kommen, aber Uni-Parties gibt es ja quasi jede Woche, wenn mich nicht alles täuscht, es ist schon so ein festgelegter Termin, sich zu besaufen.“) Studentenparties in irgendeiner Form finden ständig statt. Man hat mehrmals die Woche die Möglichkeit, einen derartigen Anlass zu besuchen. Da sie immer recht gut besucht sind, kann man kaum von Übersättigung reden, aber der Charakter des Exklusiven, Speziellen ist dadurch natürlich verlorengegangen. Ich weiss nicht genau, wie die Situation vor vierzig oder fünfzig Jahren ausgesehen hat, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass es eine derartige Anhäufung von Parties gab. Ein solcher Anlass war etwas Besonderes, deshalb war man wohl auch eher bereit, sich für so einen Anlass schick anzuziehen und eben zum Beispiel ein Kleid

132 Siehe Goffman: 1959; S. 57.

auszuleihen. Durch die Gewöhnung und eine gewisse Omni(Über?)präsenz ist diese Bereitschaft verloren gegangen, so gesehen ein ganz normales Phänomen.

Der Hauptgrund hängt mit der Omnipräsenz dieser Parties zusammen. Die Studenten drücken mit ihrer, gegenüber dem studentischen Alltag, nicht oder nur marginal veränderten Kleidung aus, dass die Studentenparty eben zu diesem Alltag gehört. Es ist nicht notwendig, die Kleidung zu wechseln, weil man sozusagen nur von einem studentischen Anlass zum nächsten wechselt133. „Das Dilemma, das sich aus der Unvereinbarkeit von ausseralltäglichen Erlebnissen und den (vor allem materiellen) Erfordernissen des Alltags ergibt, führt für Weber nun in aller Regel zu dem Versuch, die Gaben und Errungenschaften ausseralltäglicher Zuständlichkeiten für den Alltag zu sichern und, in einem weiteren Schritt, das Charisma als Quelle dieser Gaben und Errungenschaften selbst in den Alltag zu überführen, das heisst es zu institutionalisieren.“134 Die Party gehört zum normalen studentischen Alltag, wie die Vorlesung, die Nachbereitung zu Hause, die Hausarbeit, die Prüfung aber beispielsweise auch das Kaffeetrinken in der Caféteria oder das lockere Gespräch irgendwo im Gang. Im Normalfall kann man selbständig entscheiden, ob man eine Vorlesung, die um zwei Uhr nachmittags stattfindet, besuchen will oder nicht. Die Party, die um zehn Uhr abends stattfindet, lässt einem diesselben Optionen offen, wenn man Lust hat, geht man hin, wenn nicht, lässt man es eben bleiben. (Die Konsequenzen für den jeweiligen Nicht-Besuch sind natürlich andere, mitunter trägt der Nicht-Besuch der Party schlimmere nach sich (R6: „Ich müsste lügen, wenn ich sagen würde, dass ich einfach so auf die Uni-Party gegangen bin. Ich wollte an dem Abend auf ein Konzert gehen, das habe ich dann kurzfristig abgesagt, weil ich eben gedacht hab, die Julia ist auf der Uni-Party, da gehe ich hin... schauen...“)).

Die Party ist eine feste Institution im studentischen Alltag, es ist deshalb nicht nötig, sich für diesen Anlass umzuziehen oder sich zu „verkleiden“. Die Institution Party ist ebenso stark verankert wie die Vorlesung, sie unterscheidet sich bloss hinsichtlich der Intention mit der man den jeweiligen Anlass besucht (R7: „Ja, sehe ich ähnlich. Weil, man ist zu angespannt, an der Uni, man hat ganz andere Sachen im Kopf, weil man ja auch den Kursen folgen will.

An die Uni geht man ja nicht um jemanden aufzureissen, sondern man hat andere Motive.“).

Es zeigt sich an diesem Punkt auch eine gewisse Dialektik, denn die eine Institution ist haupt- oder zumindest mitverantwortlich für den Besuch oder Nicht-Besuch der anderen: Wer zuviel feiert, lässt eher mal eine Vorlesung aus, und wer im Universitätsstress steckt, wird eher mal auf eine Party verzichten. Die Besucherzahl der Party ist somit von der Vorlesung abhängig

133 An den Parties, die an der Universität stattgefunden haben, habe ich immer wieder beobachtet, wie Personen, die direkt aus der Bibliothek oder einem Vorlesungszimmer gekommen sind, ihre Taschen mit Büchern und Schreibzeug irgendwo deponiert und direkt die Party besucht haben.

und umgekehrt (R12: „Ich bin meistens nicht weggegangen, wenn ich Vorlesung hatte am nächsten Tag oder sonst was wichtiges anstand.“) (R16: „Nicht in die Vorlesung, natürlich schon des öfteren, vor allem die Vorlesungen um halb neun Uhr morgens, die haben oft darunter gelitten.“).