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In diesem Kapitel wurden die dieser Arbeit zentralen Konstrukte Wert und Wertesystem definiert und das dem MVSQ zugrunde liegende Modell der Wertesysteme vorgestellt. Außer-dem wurden verwandte motivationale Konstrukte wie Bedürfnisse, Ziele und Einstellungen präsentiert und die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zum Wertekonstrukt herausgestellt.

Zur Abrundung wurden Konzepte von Persönlichkeit und Motivation herangezogen und das Wertekonstrukt darin integriert.

Wertesysteme haben Berührungspunkte oder Schnittmengen mit erstaunlich vielen in der Motivationspsychologie relevanten Konstrukten und sind vor allem auf der Prozessseite fester Bestandteil dessen, wie Motivation erklärt wird. Wertesystemen wird dabei die Funktion der Wertbeimessung zugeschrieben. Sie sind also die Maßstäbe, die herangezogen werden, um die Wertigkeit von zeitlich weniger stabilen oder weniger abstrakten Konstrukten zu bestimmen.

Inhaltliche Kategorisierungen von Werten finden jedoch wenig Eingang in die motivati-onspsychologische Forschungslandschaft. Hier dominieren Theorien zu Bedürfnissen oder den drei „großen“ Motiven Macht, Leistung und Anschluss. Zwar existieren Inhaltstheorien von Werten (z.B. Schwartz und Hofstede), die auch erforscht, jedoch wenig integriert in die klassische Motivationsforschung sind. Dies lässt sich auch daran erkennen, dass nur wenige Lehrbücher Werte-Inhaltstheorien beinhalten. Die Gravessche Theorie wird sogar nahezu vollständig vernachlässigt.

Kapitel 3

Messtheoretische und methodische Grundlagen

Im vorherigen Kapitel wurden die Grundlagen zum Wertekonstrukt gelegt. In diesem Kapitel werden nun die theoretischen Grundlagen zur Messung von Wertesystemen, insbesondere durch den Motivational Value Systems Questionnaire, bereit gestellt. Dafür wird zur Einführung in dieses Kapitel zunächst der MVSQ vorgestellt. Danach folgt ein Überblick der häufig verwen-deten Fragebogenformate zur Messung von Werten bzw. Wertesystemen und im Anschluss die Darstellung und Analyse der Formateigenschaften des MVSQ inklusive der testtheoretischen Auswirkungen auf die Auswertung des MVSQ.

3.1 Der Motivational Value Systems Questionnaire

DerMotivational Value Systems Questionnaire(MVSQ) ist ein multidimensionaler forced-choice-Fragebogen, der entwickelt wurde, um persönliche Wertesysteme im beruflichen Kontext zu messen. Da Wertesysteme keine leistungsbezogenen Konstrukte sind und als zeitlich rela-tiv stabile Konstrukte gelten (Jin & Rounds, 2012), kann der vorliegenden Fragebogen als Persönlichkeitstest verstanden werden (Jonkisz et al., 2012).

3.1.1 Aufbau des Instruments

Der MVSQ setzt sich aus zwei Subfragebögen und einem demographischen Teil zusammen.

Beide Subskalen bestehen aus je zehn Fragen (die im FC-Design Blöcke genannt werden) mit jeweils sieben Antwortmöglichkeiten (Items) pro Block. Sie messen je sieben Annäherungs-und Vermeidungswertesysteme.

Im demographischen Teil, der zu Beginn präsentiert wird, werden Nationalität, Deutsch als Muttersprache, Geschlecht, Alter, Studiengang/Ausbildung, Dauer der Berufserfahrung sowie die Zustimmung zu den Datenschutzrichtlinien und der Verwendung der (anonymisierten)

Daten für wissenschaftliche Zwecke erhoben. Falls zutreffend, werden des Weiteren Branche, Funktion und Hierarchieebene abgefragt. Am Ende werden zudem noch Feedback-Fragen zum Verständnis und der Bedienung des Online-Interfaces gestellt.

Vor der Bearbeitung der 20 Blöcke erscheint eine schriftliche Anleitung, die den Bearbeiten-den die Ranking-Prozedur erklärt. Seit der Revision des Instruments steht Bearbeiten-den BearbeitenBearbeiten-den zudem ein 1:45 Minuten dauerndes Video zur Verfügung, das die Prozedur anhand eines einfa-chen Beispiels im Screencast-Stil erläutert. Bei der Antwortprozedur handelt es sich um ein

„Drag & Drop“ Verfahren, in dem die Items per Maus oder Wisch-Geste von links nach rechts geschoben werden. Bei jeder Frage sind die Items zunächst auf der linken Seite des Bildschirms in Listenform angeordnet und müssen auf der rechten Seite in eine neue Reihenfolge gebracht werden, die den eigenen Wertepräferenzen entspricht.

Insgesamt misst der MVSQ 14 Merkmale, sieben Annäherungswertesysteme und sieben Vermeidungswertesysteme mit in Summe 140 Items, die sich gleichmäßig auf 20 Blöcke verteilen.

Die beiden Subskalen bestehen jeweils aus zehn Blöcken und jeder Block enthält genau ein Item pro Wertesystem. Die Items bilden jeweils unterschiedliche Aspekte des Arbeitslebens ab. Die Wertesysteme wurden dabei als aggregierte Werturteile einer Person in verschiedenen Arbeitssituationen konzipiert, wobei die Itemstämme und Items der Annäherungswertesysteme als positiv formulierte Aussagen und die Itemstämme und Items der Vermeidungswertesysteme als negative Formulierungen operationalisiert wurden.

Sowohl Blöcke, wie auch die Items innerhalb der Blöcke werden in zufälliger Weise an-geordnet. Diese Anordnung ist jedoch für alle Testbearbeitenden gleich. Die Blöcke decken folgende Arbeitssituationen ab: Aufgaben, Zusammenarbeit, Zielerreichung, Entscheidungen, Leistung, Konflikt, Anerkennung, Druck, Arbeitsbelastung und Umfeld (Team und Organisati-onskultur). Die Items der Annäherungswertesysteme repräsentieren erwünschte Zustände oder bevorzugtes Verhalten und die Items der Vermeidungswertesysteme unerwünschte Zustände und missfallendes Verhalten.

Im Folgenden ein Beispiel-Block (Itemstamm und sieben Items der Annäherungssubskala):

„Ich bevorzuge ein Umfeld, in dem...“

• „ich mich wohl behütet fühle“ (Geborgenheit)

• „man schnell Entscheidungen trifft und sofort in Aktion tritt“ (Macht)

• „ordentlich und diszipliniert gearbeitet wird“ (Gewissheit)

• „die Erfolgreichen unter sich sind“ (Erfolg)

• „jeder die Möglichkeit hat, gehört zu werden“ (Gleichheit)

• „Innovation und persönliche Weiterentwicklung im Fokus stehen“ (Verstehen)

• „die gesellschaftlich relevanten Fragestellungen mein Handeln bestimmen“ (Nachhaltigkeit)

3.1.2 Zur Entwicklung des Instruments

Ausgangspunkt für die Entwicklung des Fragebogens durch Falter und Singer war das Ziel, ein Instrument zu erstellen, mit dem die Wertesysteme von Mitarbeitern gemessen werden können, um dadurch Ansatzpunkte für die Erhöhung der Arbeitsmotivation abzuleiten (T. Falter, persön-liche Kommunikation, 28.06.2012). Nach eigener Recherche gäbe es dafür keine Instrumente auf dem deutschen Markt, die gängige wissenschaftliche Gütekriterien erfüllen würden. Auf Basis ihrer berufsbedingten Expertise haben sie deshalb einen eigenen Fragebogen entwickelt. Die Entwicklungsstrategie hatte Anteile aus intuitiver und rationaler Itemkonstruktion (Jonkisz et al., 2012), die sich zum einen aus der beruflichen Praxis der Testkonstrukteure und zum anderen aus der Forschungsliteratur zum Gravesschen Wertemodell (Graves, 1966, 1970, 1971c, 1974) speiste. Außerdem war die Konstruktion tendenziell kriteriumsorientiert, da die Items mit dem Ziel formuliert wurden, dass sie möglichst eindeutig zwischen den Wertesystemen differenzieren.

Im ersten Schritt der Testkonstruktion wurden 26 Itemstämme und zwischen zwölf und 15 Items pro Wertesystem formuliert. Während der folgenden zwei Monate haben mehrere Experten die Items begutachtet und Feedback bereitgestellt. Darauf basierend wurden elf Blöcke ausgewählt, die dann von Kollegen, Verwandten und Freunden durch die beiden FormenLautes Denkenundretrospektive Befragungengetestet wurden. Nach weiteren Feedbackschleifen wurde die erste Version des Fragebogens mit zehn Blöcken pro Subskala fertiggestellt und die Online-Oberfläche programmiert. Der Fragebogen liegt ausschließlich in computerbasierter Form vor.

Später wurde auf Basis einer Itemanalyse (Kapitel 5), die im Rahmen dieser Arbeit durchgeführt wurde, die erste Version überarbeitet.

Um die Bedeutung von Wertesystemen für die Motivation hervorzuheben, wurde der Fragebogen Motivational Value Systems Questionnaire im wissenschaftlichen Kontext und my_motivationfür die Beratungspraxis getauft.

Annäherungs- und Vermeidungsdimension

Im MVSQ werden die sieben Wertesysteme in zwei Dimensionen, d.h. als Annäherungs- und Vermeidungswertesysteme gemessen. Die Annäherungsdimension drückt dabei aus, welche Wertesysteme wünschenswert sind, die Vermeidungsdimension, welche Wertesysteme nicht wünschenswert sind. In Übereinstimmung mit der Forschung zur Annäherungs- und Vermei-dungsmotivation, werden die beiden Dimensionen unabhängig voneinander gemessen. Das hat zur Folge, dass eine Testperson auf beiden Dimensionen desselben Wertesystems gleichzeitig hohe bzw. niedrige Ausprägungen vorweisen kann. Dies kann so interpretiert werden, dass jedem Wertesystem auch negative Aspekte zugeschrieben werden können bzw. Wertesysteme negativ interpretiert werden können (T. Falter, persönliche Kommunikation, 06.03.2013). In der Praxis führt dies dazu, dass zum Beispiel Wettbewerb als positiv motivational erlebt werden

kann, wenn dadurch die Annäherungsdimension des WertesystemsErfolg aktiviert wird, und als frustrierend und demotivierend, wenn stattdessen die Vermeidungsdimension vonErfolg aktiviert wird. Wie eine Wettbewerbssituation wahrgenommen wird, hängt wiederum vom Individuum, seinen Erfahrungen und Erwartungen ab.

Für die Forschung ergibt sich daraus eine weitere Fragestellung, die auch im Laufe dieser Ar-beit beleuchtet werden soll. Diese Fragestellung lautet, ob die Hypothese der Unabhängigkeit der beiden Wertesystemdimensionen auch empirisch haltbar ist. Wären die Dimensionen unabhän-gig voneinander, dann bedeutet dies aus messtheoretischer Sicht, dass sie orthogonal zueinander stehen (Orthogonalitätshypothese). Das Gegenteil davon stellt die Bipolaritätshypothese dar.

Danach handelt es sich bei entsprechenden Annäherungs- und Vermeidungswertesystemen umeinWertesystem, das an beiden Enden des Merkmalskontinuums gemessen wird. Dieselbe Fragestellung wurde schon bei anderen Konstrukten untersucht. Zum Beispiel wurde positiver und negativer Affekt als orthogonal zueinander konzipiert (Watson & Tellegen, 1985), was an anderer Stelle allerdings angezweifelt wurde (Russell & Carroll, 1999). In dieser Arbeit soll des-halb die untergeordnete Forschungsfrage untersucht werden, ob die Orthogonalitätshypothese bzgl. der Annäherungs- und Vermeidungsdimension der Wertesysteme plausibel ist?