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Wie in Kapitel 2 erörtert, handelt es sich bei Wertesystemen um Konstrukte, die hierarchisch angeordnet sind und für Menschen als psychologischen Bezugsrahmen beim Treffen von Werturteilen fungieren. Sie bestimmen, welcher psychologische Wert einer Wahrnehmung (z.B. Situation, Person, Objekt oder Ereignis) beigemessen wird. Der kognitive Prozess bei der Bildung eines Werturteils, d.h. eines Urteils, indem ein Wert als Vergleichskriterium verwendet wird, kann vereinfacht wie folgt dargestellt werden (Brosch, 2013; Moors, 2013; Smith &

Ellsworth, 1985): Eine Wahrnehmung wird mit den persönlichen Wertesystemen verglichen.

Je höher dabei das mit der Wahrnehmung korrespondierende Wertesystem in der eigenen Hierarchie steht, bzw. je stärker es relativ zu den anderen Wertesystemen ausgeprägt ist, desto höher ist der der Wahrnehmung beigemessene psychologische Wert. Als Beispiel sei ein Absolvent genannt, der als am höchsten ausgeprägtes WertesystemErfolghat. Nach Abschluss seines Studiums erhält er zwei Jobangebote. Das erste verspricht viele Aufstiegsmöglichkeiten in einem wettbewerbsorientierten Umfeld. Das zweite bietet vor allem ein stabiles Umfeld mit vorhersehbaren Gehaltsentwicklungen und im Voraus geplanten Karrierestufen. Gemäß seiner Wertesystempräferenzen wird der Absolvent dem ersten Jobangebot einen höheren Wert beimessen als dem zweiten. Je höher dabei die Ausprägung desErfolg-Wertesystems ist, desto höher der beigemessene Wert und desto leichter wird dem Absolventen die Entscheidung fallen. Liegen mehrere Wertesysteme in der persönlichen Hierarchie gleichauf, konkurrieren diese miteinander und erschweren die Formulierung einer eindeutigen Präferenz. Dass zwei

Wertesysteme gleich stark ausgeprägt sind ist zwar denkbar, jedoch macht dieses Beispiel auch deutlich, dass Wertesysteme tendenziell hierarchisch angeordnet sein müssen. Denn ohne Präferenz wären Menschen in vielen Situationen nicht in der Lage, ein Werturteil zu fällen (Locke, 1991).

Im Folgenden werden unter Berücksichtigung dieser Konzeptualisierung nun verschiedene Fragebogenformate auf ihre Eignung zur Messung von Werten begutachtet. Der Fokus liegt dabei auf den gängigen Fragebogenformaten, insbesondere dem Rating- und dem Ranking-Format, die beide häufig zur Wertemessung eingesetzt werden. Zudem wird kurz auf weitere Formate wie z.B. Kurzaufsatz- und Ergänzungsaufgaben eingegangen.

3.2.1 Rating und Ranking

Beim Rating-Format werden Items unabhängig voneinander präsentiert und vom Testbear-beitenden bzgl. Zustimmung oder Ablehnung bewertet (Jonkisz et al., 2012). Häufig kommen dabei numerische oder verbale Skalen zum Einsatz, die dem Antwortenden mehrere Stufen der Bewertung anbieten. Bei der Auswertung gilt die Annahme, dass die Skalenstufen äquidistante Abstände zwischen einander aufweisen, was in der Praxis jedoch nicht überprüfbar ist und deshalb angezweifelt werden darf, inwiefern diese Annahme erfüllt ist (Jonkisz et al., 2012).

Bezogen auf die Wertemessung erscheint das Rating-Format auf Grund folgender zwei Eigenschaften weniger geeignet: (1) Wertesysteme gelten als hierarchisch angeordnet und stehen folglich in Bezug zueinander. Bei der Bewertung eines Rating-Items ist deshalb davon auszugehen, dass mehrere Wertesysteme zum Bewertungsergebnis eines Items beitragen und ein Rating-Item folglich nie nureinWertesystem misst, sondern das Zusammenspiel mehrerer Wertesysteme bei einer Beurteilung. (2) Da es sich bei Wertesystemen um Konstrukte handelt, die per Definition positiv (Annäherung) bzw. negativ (Vermeidung) sind, besteht die Gefahr, dass sich für die Annäherungswertesysteme Deckeneffekte und für die Vermeidungswertesysteme Bodeneffekte ergeben. Eine Differenzierung innerhalb der Dimensionen der Annäherung bzw.

Vermeidung wird dadurch erschwert und die Tatsache, dass Wertesysteme innerhalb einer Dimension in Konkurrenz zueinander stehen, nicht berücksichtigt.

Forced-Choice-Formate – im Speziellen das Ranking-Format, indem mehrere Items ge-bunden werden, die dann von der Testperson in eine Reihenfolge gebracht werden müssen (Jonkisz et al., 2012) – bilden die vergleichende Natur des Wertekonstrukts (Kamakura & Maz-zon, 1991; Meade, 2004) hingegen deutlich besser ab als das Rating-Format. Saville und Willson (1991, S. 222) formulieren es so: „Life is about choices“. Es (das Leben) erfordert ein ständiges Abwägen zwischen Alternativen, es gestaltet sich also als viele Aneinanderreihungen von Ranking-Aufgaben. Demzufolge spiegelt das FC-Format das reale Leben und die real vorkom-menden kognitiven Prozesse des Abwägens und Bestimmens von Präferenzen besser wider als das Rating-Format. Zudem kann argumentiert werden, dass Rating-Aufgaben auch deshalb

realitätsferner als Rankingaufgaben sind, weil bei ihnen die individuelle Präferenz durch eine zusätzliche kognitive Leistung in eine Zahl oder Aussage (wie z.B. „stimme voll zu“) transfor-miert werden muss. Im Gegensatz dazu ist das Anordnen mehrerer Items in einer Reihenfolge intuitiver. Insbesondere unter Anbetracht der Konzeptualisierung des Wertemodells als Organi-sation mehrerer hierarchisch angeordneter Wertesysteme, erscheint die Operationalisierung von Wertemessungen durch eine Ranking-Prozedur deutlich plausibler.

In der Praxis gibt es Befürworter beider Arten. Zu den Fürsprecher von Rating-Verfahren zählen z.B. Braithwaite und Law (1985), Schwartz (1994) und Maio et al. (1996). Sie argumentie-ren, dass Rating sowohl methodologisch als auch konzeptuell besser passen würde. Zum einen haben Rating-Daten nützlichere statistische Eigenschaften. Z.B. können gängige statistische Verfahren aus der klassischen Testtheorie, der IRT oder Faktorenanalysen ohne Einschrän-kungen darauf angewendet werden. Ranking-Verfahren hingegen produzieren ipsative Daten, die einigen statistischen Restriktionen unterliegen. Darauf wird im weiteren Verlauf detail-liert eingegangen. Zum anderen seien sich Menschen ihren Wertekonflikten nicht so bewusst, wie es bei Ranking-Prozeduren erforderlich wäre, um eine Präferenz zwischen zwei Werten machen zu können. Schwartz (1994) konstatierte deshalb, dass die Psychologie der Auswahl dadurch gut nachgebildet wird, wenn den Versuchspersonen eine Liste von Werten präsentiert wird, die sie zuerst durchlesen und dann jeden Wert einzeln auf einer Rating-Skala bewer-ten. Ball-Rokeach und Loges (1994), Feather (1975), Harzing et al. (2009) und Rokeach (1973) vertreten eine gegenteilige Ansicht. Für sie spiegelt eine Testsituation die Konzeption von Werten wider, in der verschiedene Optionen miteinander verglichen werden müssen und eine Entscheidung getroffen werden muss, welche Option am meisten bevorzugt wird. Sie sind folglich Befürworter der Messung von Werten und Wertesystemen durch Ranking. Kritisch ist dabei jedoch zu sehen, dass die Ranking-Befürworter keine Stellung dazu beziehen, dass ipsative Daten aus Ranking-Fragebögen nicht ohne Weiteres mit den gewöhnlichen Verfahren analysiert werden können. Zum Schluss sei gesagt, dass der Schwartz Value Survey (SVS), der am weitesten verbreitete Werte-Fragebogen zwar im Rating-Format gehalten wurde, jedoch in der Anweisung im Testmanual eine Quasi-Umformung in Ranking vorgenommen wird (Glöckner-Rist, 2012). Denn dort heißt es, dass zuerst alle (die Wertesysteme repräsentierenden) Items durchgelesen werden sollen, bevor sie beurteilt werden. Dies kann so gedeutet werden, dass auch Schwartz (1994) davon ausgeht, dass Wertesysteme untereinander konkurrieren und nur relativ zueinander adäquat beurteilt werden können. Warum der SVS dann nicht konsequenterweise im Ranking-Format gestaltet wurde, kann hier nicht beantwortet werden.

Es bleibt jedoch die übergeordnete Schlussfolgerung, dass das Ranking-Format besser zur Messung von Wertesystemen geeignet ist als das Rating-Format.

3.2.2 Weitere Itemformate

Offene Formate, wie Kurzaufsatz- und Ergänzungsaufgaben (projektive Verfahren) mögen prinzipiell für die Messung von Wertesystemen geeignet sein. Aufgrund des hohen Auswer-tungsaufwands und der typischerweise „eingeschränkten Auswertungsobjektivität“ (Jonkisz et al., 2012, S. 41) gelten sie aber als weniger geeignet für psychometrische und experimental-psychologische Untersuchungen. Außerdem werden projektive Verfahren vor allem dann eingesetzt, wenn entweder unbewusste Konstrukte oder sozial unerwünschte Konstrukte dia-gnostiziert werden sollen (Eid et al., 2015). Da Wertesysteme nicht nur das subjektiv Erwünschte, sondern auch das für eine Person allgemein – also sozial – Erwünschte ausdrücken (Rohan, 2000) und es sich bei Wertesystemen um bewusstseinsfähige Konstrukte handelt (Latham &

Pinder, 2005; Locke & Henne, 1986; Schwartz & Bilsky, 1987), greifen beide Gründe, die für den Einsatz projektiver Verfahren sprechen würden, nicht.

3.3 Formateigenschaften des MVSQ und ihre