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9.3 Untersuchungen zur divergenten Validität

9.3.1 Hintergrund

Die Eigenschaftstheorie der Persönlichkeit von Cattell (1973) unterteilt Persönlichkeitsmerkma-le in drei weitestgehend unabhängige Kategorien. Wertesysteme können dabei der Kategorie der motivationalen Dispositionen zugeordnet werden (vgl. Kapitel 2.5). Es liegt deshalb nahe, zur Untersuchung der divergenten Validität Konstrukte aus den beiden verbleibenden Dimen-sionen zu wählen. Nachdem die Big Five einerseits als Temperamentsdispositionen gesehen werden können (Scheffer & Heckhausen, 2010) und andererseits zu den etabliertesten Kon-strukten in der Persönlichkeitstheorie gehören (Viswesvaran & Ones, 2000), liegt es auf der Hand, die Big Five mit den Wertesystemen zu vergleichen. Abgesehen davon wurden bereits Studien zum Zusammenhang von Werten und den Big Five durchgeführt, die herangezogen werden können, um Hypothesen abzuleiten. Eine Meta-Analyse von 60 Studien zum Zusam-menhang von Werte-Typen nach Schwartz und dem Fünf-Faktoren-Modell der Persönlichkeit (Parks-Leduc et al., 2015) kommt zu dem Schluss, dass es sich bei beiden Konstruktarten um weitestgehend unabhängige Konstrukte handelt, es jedoch konsistente und theoretisch sinn-volle Zusammenhänge zwischen beiden Konstruktarten gibt, obgleich diese Zusammenhänge mit wenigen Ausnahmen eher klein ausfallen. Bei den größten Korrelationen handelt es sich demnach um mittelhohe Korrelationen (absolute Werte< .61) und diese liegen für die Faktoren Offenheit und Verträglichkeit vor. Die Faktoren Extraversion und Gewissenhaftigkeit zeigen geringe bis keine signifikanten Zusammenhänge mit Werte-Typen. Für Emotionale Stabilität (Neurotizismus) konnten überhaupt keine signifikanten Korrelationen festgestellt werden. Für die Wertesysteme lassen sich demzufolge folgende Annahmen auf einer allgemeineren Ebene ableiten:

• Es treten signifikante moderate Korrelationen zwischen MVSQ-Wertesystemen und Offenheit sowie Verträglichkeit auf.

• Es treten signifikante niedrige Korrelationen zwischen MVSQ-Wertesystemen und Extra-version sowie Gewissenhaftigkeit auf.

• Wertesysteme und Neurotizismus korrelieren nicht signifikant miteinander.

Unter Berücksichtigung der signifikanten Zusammenhänge zwischen den MVSQ-Wertesystemen und den SVS Werte-Typen (Kapitel 9.2, Tabelle 44) sowie der Ergebnisse von Parks-Leduc et al.

(2015) lassen sich spezifischere Hypothesen ableiten:

• VerstehenundNachhaltigkeit korrelieren positiv undGewissheitnegativ mit Offen-heit.

• Gleichheit, Nachhaltigkeit und Gewissheit korrelieren positiv undMacht negativ mit Verträglichkeit.

• MachtundErfolg korrelieren positiv mit Extraversion.

• GewissheitundErfolg korrelieren positiv mit Gewissenhaftigkeit.

Aufgrund der bereits beobachteten gegensätzlichen Tendenz der Annäherungs- und Ver-meidungssysteme (siehe z.B. Korrelationen zwischen den Skalen, Kapitel 9.1.2.1) gelten diese Hypothesen wie formuliert für die MVSQA-Wertesysteme und in entgegengesetzter Richtung für MVSQV-Wertesysteme.

Auch beim Zusammenhang zwischen Wertesystemen und Intelligenz lässt sich Cattell’s Eigenschaftstheorie heranziehen. Demnach ist Intelligenz den kognitiven Dispositionen zuzu-ordnen (Cattell, 1973) und folglich theoretisch unabhängig von Wertesystemen. Diese Annahme hat Graves in einer eingeschränkten Form untersucht (Graves, 1971c), indem er Personen, die er persönlich in vier Gruppen ( je eine Gruppe mit Präferenz eines der vier Wertesysteme Gewissheit,Erfolg,GleichheitundVerstehen) eingeteilt hat, die Wechsler Adult Intelligence Scale bearbeiten ließ und keine signifikanten Mittelwertsunterschiede zwischen diesen vier Gruppen fand. Aus den Aufzeichnungen von Graves (1971c) geht jedoch weder die Stichpro-bengröße noch die Berechnungsmethode hervor. Auch ist fraglich, wie treffend die Einteilung der Versuchspersonen in bevorzugte Wertesysteme nach seiner persönlichen Einschätzung war.

Es sei noch hinzuzufügen, dass das Konstrukt Intelligenz häufig in zwei Bereiche aufgeteilt wird: fluide Intelligenz und kristalline Intelligenz (Schmitt & Platzer, 2010). Rein logisch ist die Unabhängigkeitshypothese zwischen Werten und Intelligenz nur für fluide Intelligenz sinnvoll, demjenigen Teil der Intelligenz, der vererbt wurde und ein Leben lang gleich bleibt.

Bei kristalliner Intelligenz hingegen, die im Laufe des Lebens erlernte Fähigkeiten repräsentiert, ist nur schwer vorstellbar, dass diese nicht motivationalen Einflüssen ausgesetzt wäre. Dies wird umso deutlicher, wenn man sich die Teilbereiche der kristallinen Intelligenz anschaut:

Verbales, figurales und numerisches Wissen. Welches Wissen sich jemand aneignet, hängt logischerweise davon ab, was diese Person interessiert (z.B. Sprache, Kunst oder Mathematik) und ist demnach motivationalen Einflüssen unterworfen. Ob sich dieser Zusammenhang jedoch in den Korrelationen zwischen Wertesystemen und den Kennwerten der kristallinen Intelligenz zeigt, kann an dieser Stelle nicht gesagt werden. Diese Frage soll exploratorisch überprüft werden.

9.3.2 Methode

Die Zusammenhänge zwischen Wertesystemen und divergierenden Konstrukten werden wie bei Parks-Leduc et al. (2015) anhand von Produkt-Moment- und Rangkorrelationen untersucht.

Da es sich beim BFI-10 um ein sehr kurze Skala handelt, wurde in einer Voruntersuchung zusätzlich zur Berechnung der internen Konsistenzen eine Faktorenanalyse durchgeführt, um zu überprüfen, ob die fünf Faktoren reproduziert werden konnten.

Für diese Studie wurden zwei unterschiedliche Stichproben herangezogen. Die Analyse der Zusammenhänge der Wertesysteme mit den Big Five beruht auf Stichprobe IIIb (N = 166), die im Rahmen einer Laborstudie erhoben wurde. Um die kognitive Belastung der Versuchsper-sonen gering und die Motivation, die Skala sorgfältig zu bearbeiten, hoch zu halten, wurde zur Messung der Big Five eine Kurzskala eingesetzt. Die Stichprobe zur Untersuchung des Zusammenhangs der Wertesysteme mit IQ wurde im Rahmen einer Studie in Kooperation mit der Personalabteilung eines Versicherungsunternehmens mit Sitz in München erhoben. Es handelt sich dabei um Stichprobe Ia (N = 39). Beide Stichproben sind in Kapitel 3.7 beschrieben.

Big Five Inventory

Die großen fünf Faktoren wurden mit dem 10 Item Big Five Inventory (BFI-10) gemessen, das aus zehn Items besteht und als Kurzskala entwickelt wurde, um die Persönlichkeitsdimensionen Extraversion, Verträglichkeit, Gewissenhaftigkeit, Neurotizismus und Offenheit zu erheben (Rammstedt & John, 2007). Dabei wird jedes Konstrukt von zwei Items auf einer fünfstufigen Ratingskala erfasst. Die Stufen waren: 1 „trifft überhaupt nicht zu“, 2 „trifft eher nicht zu“, 3 „weder noch“, 4 „eher zutreffend“ und 5 „trifft voll und ganz zu“ (Rammstedt et al., 2012).

Die Ausprägungen wurden als Mittelwerte der beiden Items pro Persönlichkeitsdimension berechnet.

Es liegen mehrere Studien zur psychometrischen Güte des Instruments vor (Rammstedt, 2007; Rammstedt & John, 2007; Rammstedt et al., 2010, 2012), denen zufolge Objektivität, Relia-bilität und Validität als gesichert angesehen werden kann. In einer Untersuchung an zwei Stich-proben von Rammstedt und John (2007) wurden Test-Retest-Reliabilitäten im ausreichenden bis guten Bereich festgestellt (rttzwischen .65 und .87). Für die Konstruktvalidität des Instruments spricht, dass sowohl hohe Korrelationen der fünf Faktoren mit umfangreicheren und etablierten Big Five Inventaren nachgewiesen werden konnten, als auch die Fünf-Faktoren-Struktur in Hauptkomponentenanalysen bestätigt wurde (Rammstedt et al., 2010, 2012). Dennoch wurde auch hier in einer Voruntersuchung die Reliabilität und Faktorenstruktur des Instruments überprüft.

IST 2000 R

Zur Erhebung der Intelligenz wurde der Intelligenz-Struktur-Test (IST) 2000 R verwendet (Liep-mann et al., 2007). Dieses Instrument gehört zu den am häufigsten eingesetzten Testverfahren im deutschsprachigen Raum (Hagemeister et al., 2010). Es werden darin elf Intelligenz-Kennwerte erfasst: verbale Intelligenz, figural-räumliche Intelligenz, rechnerische Intelligenz, Merkfä-higkeit, schlussfolgerndes Denken, verbales Wissen, figural-bildhaftes Wissen, numerisches Wissen und Wissen (Gesamt) sowie fluide und kristalline Intelligenz. Verbale, numerische und figural-räumliche Intelligenz bilden dabei als Summenwerte den Kennwert des Schluss-folgernden Denkens. Verbales, numerisches und figurales Wissen ergeben zusammen den Kennwert Wissen (Gesamt). Die beiden Generalfaktoren fluide und kristalline Intelligenz wer-den als gewichtete Summenscores der von Schlussfolgerndem Denken bzw. Wissen (Gesamt) berechnet (Liepmann et al., 2007). Das Instrument weist laut Manual (Liepmann et al., 2007) sehr hohe interne Konsistenzen (zwischen α = .87 und α = .97) und gute bis sehr gute Split-Half-Reliabilitäten (vonr=.88bisr=.96) auf. In der vorliegenden Stichprobe konnten diese Werte nicht überprüft werden, da die Itemwerte nicht zur Verfügung standen. Ferner deuten auch die Untersuchungen zur Validität, in denen das Instrument mit verschiedenen Tests kontrastiert wurde, auf eine hohe Gültigkeit hin (Liepmann et al., 2007).