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Im ersten Teil dieser Arbeit wurde mit Hilfe eines von Summerer etablierten und von Di Pasquale für Polß optimierten Screeningsystems eine mittels fehlerhafter PCR („error-prone“ PCR) hergestellte, 7040 Mutanten umfassende Polß-Bibliothek untersucht. In diesem System wird die Eigenschaft des Farbstoffs SybrGreenI, sich an doppelsträngige DNA bevorzugt anzulagern, zur Selektion aktiver Mutanten genutzt. Dies erfolgte durch Messung der Fluoreszenz nach Durchführung einer Primer-Verlängerungsreaktion und Ermittlung der Aktivität der Mutanten im Vergleich zu Polßwt. 1747 (ca. 25%) Mutanten zeigten eine höhere Aktivität als Polßwt und wurden in zwei weiteren Runden auf ihre Fähigkeit zum Überlesen einer abasischen Stelle gescreent. Dies führte zur Selektion von 39 Hits, die anschließend unter Verwendung des Lysats radiometrisch untersucht wurden.

20 der Hits zeigten eine erhöhte Bypass-Eigenschaft über eine stabile abasische Stelle und 8 dieser Mutanten konnten auch über 8-Oxo-desoxyguanosin synthetisieren. Die Sequenzierung der Mutanten ergab, dass nur 5 Varianten vorlagen.

Diese wurden aufgereinigt, in der Konzentration angeglichen und radiometrisch untersucht. Zum Vergleich wurde neben Polßwt auch die bereits bekannte und von Di Pasquale charakterisierte Mutante 5P20 herangezogen. Von dieser waren eine erhöhte Bypass-Eigenschaft sowie eine geringe Selektivität bekannt. Weitere radiometrische Untersuchungen umfassten die Aktivität sowie Bypass-Synthese unter „Running-Start“-Bedingungen. Hier zeigten nur zwei Mutanten eine höhere Aktivität als Polßwt. Der anschließend mit diesen beiden durchgeführte Versuch zur Bypass-Synthese unter

„Standing-Start“-Bedingungen ergab, dass nur die als 1L19 bezeichnete Mutante deutlich aktiver als Polßwt war, jedoch weniger aktiv als 5P20.

Die Charakterisierung von 1L19 zeigte, dass sie über eine 3-fach höhere spezifische Aktivität verfügte als Polßwt. Im Vergleich zu 5P20 war diese jedoch ca. 4-fach schwächer. Die Messung der Dissoziationskonstanten zeigte sowohl beim Vorliegen geschädigter oder ungeschädigter DNA für 1L19 und 5P20 vergleichbare Werte, die jeweils ca. 20-fach höher lagen als die von Polßwt. Die kinetischen Analysen ergaben für 1L19 eine 4-fach reduzierte Selektivität im Vergleich zu Polßwt. 5P20 zeigte diesen Effekt leicht verstärkt. Beim Einbau gegenüber einer stabilen abasischen Stelle konnte für 1L19 beim Einbau von dGMP eine 3-fach und beim Einbau von dCMP eine 6-fach höhere

Reaktionseffizienz als bei Polßwt ermittelt werden. Gegenüber 5P20 lagen diese 5-fach (dGMP) bzw. 12-fach (dCMP) niedriger. Die Verlängerung nach der abasichen Stelle, bei der es zum nicht-kanonischen Einbau eines dCMP gegenüber Desoxycytosin kam, führt 1L19 mit einer 5-fach höheren Reaktionseffizienz aus als Polßwt. 5P20 zeigte diesen Effekt 30-fach verstärkt.

Die Analyse der Sequenz der 1L19-Mutante zeigte vier Mutationen auf der Proteinebene:

S44R, F99L, E123K und T233I. Durch die Untersuchung aller möglichen Kombinationen dieser vier Mutationen konnte gezeigt werden, dass die Veränderung an Position 233 von Threonin zu Isoleucin alleine ausreichend für die Entstehung neuer Eigenschaften waren.

T233I liegt in der C-Subdomäne der Polymerasedomäne in einem Turn zwischen den ß-Faltblattbereichen 3 und 4. Die Stickstoffe des Threonins interagieren zusammen mit den Seitenketten von K230 und K234 mit dem Zucker-Phosphat-Rückgrat des Templatstranges durch Wasserstoffbrückenbindungen. Durch den Austausch des polaren Threonins durch das nicht-polare und aliphatische Isoleucin wird diese verstärkt. Dies könnte die Protein-DNA Interaktion und die für die Auswahl des korrekten dNTPs notwendigen sterischen Effekte verändern und somit die Erkennung von „Nicht-Watson-Crick Basenpaarungen“

und die damit verbundenen ungünstigen sterischen Wechselwirkungen verringern. Des Weiteren trägt Isoleucin im Gegensatz zu Threonin keine Hydroxygruppe in der Seitenkette, so dass die Teilnahme an chemischen Reaktionen nicht gegeben ist. Durch die Mutation T233I kommt der Position hauptsächlich strukturelle Funktion zu, was einen Einfluss auf die Funktionalität der Polymerase nehmen könnte.

Im Vergleich zur bereits bekannten Mutanten 5P20 fällt auf, dass eine als relevant identifizierte Mutation – E232K – in direkter Nähe zu der in 1L19 maßgeblichen Veränderung T233I liegt. Beide Positionen sind in den verwandten DNA-Polymerasen der Familie X nicht hochgradig konserviert. Auffällig ist, dass beide auf den Bypass einer stabilen abasischen Stelle Einfluss nehmenden Mutationen direkt am Rand eines in den DNA-Polymerasen µ, λ (Polµ und Polλ) und TdT vorhandenen Loops positioniert sind. Es konnte gezeigt werden, dass diese Struktur entscheidenden Einfluss auf die Templat-unabhängige Synthese sowie die Substratspezifität hat.

Polß weist keine Loop 1-Sequenz auf. Dies hat zur Folge, dass sich die Konformation der ß-Stränge 3 und 4 im katalytischen Prozess nicht verändert und Polß keine

Templat-unabhängige Synthesefunktion besitzt. Bei beiden Mutanten 1L19 und 5P20 konnten in der Primer-Verlängerungsreaktion unter Einsatz eines unbeschädigten Templats ein Volllängenprodukt beobachtet werden, das um eine Base länger als das verwendete Templat war. 5P20 zeigte diesen Effekt deutlicher als 1L19. Dies verstärkt die Annahme, dass die Mutationen E232K und T233I zwischen den ß-Faltblattbereichen 3 und 4 zur Ausbildung einer Terminal-Deoxynukleotidyl-Transferasefunktion geführt haben. Hierbei scheint der Austausch einer saueren, anionischen Aminosäure zu einer basischen, kationischen an Position 232 einen stärkeren Effekt zu erzielen als der Austausch einer polaren zu einer nicht-polaren und aliphatischen an Position 233.

Um die für die Mutante 1L19 aufgestellten Theorien zu bestätigen, wäre die Bestimmung der Kristallstruktur und deren direkter Vergleich zu der für 5P20 vorliegenden wichtig.

Eine Charakterisierung beider Mutanten in Zellkulturen könnte Aufschluss darüber geben, ob die Überlesefunktionen in Abhängigkeit von der Stärke ihrer Ausprägung in den Mutanten einen Vorteil für durch DNA-Alkylierungsstoffe geschädigte Zelle darstellen.

Im zweiten Teil der Arbeit wurde das aktive Zentrum der Polß durch eine Mutation der Position F272 untersucht. Die aromatische Seitenkette des Phenylalanins positioniert zum einen zusammen mit der aromatischen Seitenkette des Y271 das eintretende Nukleotid in der Bindungstasche. Zum anderen kommt der Position durch die Lage in der hydrophoben Gelenkregion eine entscheidende Rolle beim Übergang von der offenen in die geschlossenen Konformation zu. Hierbei „klappt“ die aromatische Seitenkette aus der Bindungstasche und durchbricht die zwischen D192 und R258 bestehende Salzbrücke.

Dies ermöglicht die Beteiligung von D192 an der katalytischen Funktion.

Die Untersuchung der Mutanten auf Substratakzeptanz unter Einsatz von an der 4´C-Position des Zuckers alkylierten Nukleotiden (TMeTP und TEtTP) sollte Aufschluss über den Einfluss der Position F272 auf die sterischen Zwänge im aktiven Zentrum der Polß geben.

Durch ortsgerichtete Mutagenese wurden Phenylalanin an Position 272 gegen alle 19 Aminosäuren ausgetauscht. Es zeigte sich, dass die Mutante F272P nicht exprimiert werden konnte und die Mutante F272R inaktiv war. Von den verbliebenen 17 Mutanten konnten im ersten Primer-Verlängerungsexperiment sieben die eingesetzten alkylierten TTPs besser prozessieren als Polß. Dieses Ergebnis konnte nur für zwei Mutanten (F272G

und F272M) nach erneuter Aufreinigung und einer Wiederholung des Primer-Verlängerungsexperiments reproduziert werden. Diese Mutanten wurden anschließend biochemisch und kinetisch untersucht.

Die kinetischen Untersuchungen von Polßwt, F272G und F272M zeigte, dass beide Mutanten sterisch vergrößerte TTPs effizienter prozessierten als Polßwt. F272M zeigte diesen Effekt sowohl bei methylierten als auch bei ethylierten TTPs. Zudem konnte durch diese Mutante nicht-kanonische Nukleotide mit höherer Effizienz eingebaut werden als durch Polßwt.

Die Betrachtung eines Strukturmodells für die Mutante F272M in der offenen und geschlossenen Konformation (Abb. 39 D-F) stärkt die Annahme, dass der Austausch zu Methionin eine Vergrößerung der Bindungstasche bedingte, die die Inkorporation sterisch veränderter Nukleotide und die Ausbildung sterisch anspruchsvolle Fehlpaarung von Basen ermöglichte.

F272G zeigte vor allem beim Einbau des ethylierten TMPs eine höhere Reaktionseffizienz als Polßwt. Auch hier ließ sich anhand des erstellten Modells (Abb. 39 A-C) vermuten, dass eine durch die Mutation bedingte Vergrößerung der Bindungstasche eine höhere Substrataffinität ermöglichte. Beim nicht-kanonischen Einbau zeigte sich die Mutante F272G hoch selektiv. Dies stellt einen Widerspruch zum effizienten Einbau der sterisch vergrößerten Nukleotide dar. Die genauen strukturellen Veränderungen, die zu diesem Phänomen führen, ließen sich nur durch die Analyse der Kristallstruktur der Mutante klären. Ohne Vorliegen dieser kann nur vermutet werden, dass das Helix-destabilisierende Glycin zu einer Veränderung in der Bindungstasche führte, die Analogien zu dem in hoch-selektiven DNA-Polymerasen konservierten „Glycin-Gelenk“-Motif aufweist.

Beide Mutanten zeigten beim Einbau unmodifizierter TMPs eine geringere Inkorporationsrate als Polßwt. Dies legt die Vermutung nahe, dass es beim Übergang in die geschlossene Konformation weder durch die Methionin- noch durch die Glycinseitenkette zu einer Unterbrechung der Salzbrücke zwischen D192 und R258 durch die Methioninseitenkette an Position 272 kommt, was die katalytische Aktivität des Enzyms beeinträchtigt.

Die Verwendung eines „single-gapped“ Primer-Templat-Komplexes führte beim Einbau unmodifizierter und modifizierter TMPs zu einem Anstieg der Inkorporationsraten bei Polßwt, während beide Mutanten keine Veränderungen zeigten. Dies lässt darauf schließen, dass es bei beiden Mutanten in der geschlossenen Konformation zu einer Durchbrechung der Wasserstoffbrückenbindung zwischen D276 (31 kDa-Domäne) und R40 (8 kDa-Domäne) kommt.

Eine aufschlussreiche Untersuchung im Anschluss an die durchgeführten Studien wäre die Analyse der Kristallstrukturen beider Mutanten sowie des Wildtyps in Gegenwart der alkylierten TTPs, um die Unterschiede in den ausgebildeten Strukturen detailliert klären zu können. Diese Experimente befinden sich in der Bearbeitung durch Konrad Bergen in der Arbeitsgruppe von Prof. Welte (Lehrstuhl für Biophysik und Strukturbiologie, Universität Konstanz).

Eine Charakterisierung dieser Mutanten in Zellkulturen könnte Aufschluss darüber geben, welchen Einfluss die veränderte Substratakzeptanz sowie die erhöhte bzw.

abgeschwächte Selektivität auf durch DNA-Alkylierungsstoffe geschädigte Zellen nimmt.