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Zusammenführung und funktionale Analyse

Im Dokument 4.1 Selektion der Analysebereiche (Seite 65-74)

lich eine leichte Tendenz zur noch häufigeren Realisierung der KV2-Variante in der Osttiroler Jugendkommunikation festgestellt werden.

4.2.4 Zusammenführung und funktionale Analyse

Im Folgenden werden die wichtigsten Ergebnisse bezüglich der drei fokussier-ten Phänomenbereiche – weil-Konstruktionen, Relativkonstruktionen und Komplementkonstruk-tionen und der in ihnen realisierten Stellung des finiten Verbs – zusammengefasst. Dabei werden auch weiterführende Überlegungen zu den formalen und funktionalen Charakteristika der alternierenden Varianten angestellt und die drei Phänomenbereiche zueinander in Beziehung gesetzt.294 Damit soll abschließend auch die vermeintlich in Jugendkommu-nikation be-stehende Tendenz zur Desintegration wieder aufgegriffen werden – dies auch im Hinblick auf mögliche Tendenzen in der Gegenwartssprache.295

In Bezug auf die Verbstellung in weil-Konstruktionen (und Äußerungen mit anderen Kausalkonnektoren wie denn und da) wurde in Kapitel 4.2.1. festgehal-ten, dass Verbzweitkonstruktionen (und Verbfrüherkonstruktionen) annähernd in gleicher Verteilung in den Freundesgesprächen der jugendlichen als auch in jenen der erwachsenen Osttiroler/-innen vorkommen. Dies weist darauf hin, dass es sich bei Verbzweitstellung in weil-Konstruktionen nicht um ein alters-präferentielles syntaktisches Phänomen handelt. Im Vergleich zum standard-nahen Korpus „Gespräche im Fernsehen“ konnte jedoch ein statistisch signifi-kanter Unterschied festgestellt werden: Rund 69% aller Äußerungen mit weil/denn/da sind in Teilkorpus GF mit Verbspäter- oder Verbletztstellung reali-siert. In Gegenüberstellung zu den Gesprächen der Südbairisch-Sprecher/-innen aus Osttirol, in denen nur rund 33% (Teilkorpus ED) bzw. 41% (Teilkorpus JD) an weil/denn/da-Äußerungen mit Verbspäter- und Verbletztstellung und dafür deutlich mehr Äußerungen mit Verbzweit- oder Verbfrüherstellung (Teilkorpus ED: 46%, Teilkorpus JD: 44%) als inTeilkorpus GF (21%) belegt sind, ist hier also ein deutlicher quantitativer Unterschied zu erkennen. Zur Beantwortung der Frage, ob weil mit Verbzweitstellung daher als dialektpräferentiell gelten kann, lohnt sich der Vergleich mit Hannes Scheutz’ Aufsatz zu „weil-Sätze[n] im

||

294 Zum Vergleich von weil-Konstruktionen mit Verbzweitstellung mit anderen syntaktisch eingebundenen Verbzweitsätzen sei v.a. auf Holler (2008), Breindl (2009) und Anto-mo/Steinbach (2010) verwiesen.

295 Ein zusammenfassender Überblick zum Sprachgebrauch Jugendlicher als „Motor“ des Sprachwandels findet sich in Neuland (2008: 75) und Gerdes (2013: 81).

gesprochenen Deutsch“ (1998). Sein Korpus umfasst 379 weil-Sätze aus Tran-skripten von Alltagsgesprächen ostmittelbairischer Dialektsprecher aus dem nördlichen Oberösterreich, wovon ca. zwei Drittel (248 Belege) Verbzweitstel-lung und nur etwas mehr als ein Drittel (131 Belege) VerbletztstelVerbzweitstel-lung zeigen.

Wie bei den hier untersuchten Südbairisch-Sprechern überwiegt also auch bei den Mittelbairisch-Sprechern weil-Verbzweit- gegenüber weil-Verbletztstellung.

Scheutz’ Schlussfolgerung, dass sein Ergebnis „[…] zweifellos eine gewichtige Gegenevidenz zur zuletzt behaupteten regionalen Unspezifität des weil-Verbzweit-Gebrauches dar[stelle] […]“ (Scheutz 1998: 94), kann damit zuge-stimmt werden.296

Die vermehrte Verwendung von koordinierendem weil in den Dialektkorpo-ra im Vergleich zu KorpoDialektkorpo-ra mit standardnaher gesprochener SpDialektkorpo-rache spricht für eine besondere Verdichtung von weil mit Verbzweitstellung im Dialektge-brauch, zumal auch unter Einbeziehung von kausalem denn und da das umge-kehrte Verhältnis der weil-Belege bestehen bleibt. Außerdem konnte Scheutz (2005) neben den frequenziellen auch funktionale Unterschiede des Bairischen bei der Verwendung von weil-Sätzen im Vergleich zur Standardvarietät feststel-len. Scheutz hält fest, dass ein und dieselbe syntaktische Konstruktion in unter-schiedlichen Regionen unterschiedliche Funktionen aufweisen kann. So könne im Bairischen nicht nur koordinierendes, sondern auch subordinierendes weil epistemisch gebraucht werden. Diese spezielle „Uniformität der Form-Funktions-Beziehung“ (Scheutz 2005: 308) im Bairischen (die Form weil mit Verbletztstellung entspricht u.a. der Funktion des epistemischen Gebrauchs), die sich von standardnaher gesprochener Sprache (die Form weil mit Verbletzt-stellung entspricht nicht der Funktion des epistemischen Gebrauchs) unter-scheidet, unterstützt damit die These von weil mit Verbzweitstellung als dia-lektpräferentielles Phänomen.

Dass auch Relativsatzkonstruktionen mit Verbzweitstellung (RV2) dialekt-spezifisch im Sinne eines präferierten Gebrauchs im Bairischen sein könnten, kann auf Basis der hier vorliegenden Daten nicht belegt werden. Verbfrüher- bzw. Verbzweitstellung ist in allen drei Teilkorpora in Relativsätzen ähnlich selten belegt und kommt unter den Jugendlichen (in Relation zur Gesamtanzahl der Relativsatzkonstruktionen in Teilkorpus JD) nur geringfügig häufiger vor als in der Freizeitkommunikation der Erwachsenen. Interessante Ergebnisse fördert aber die Berücksichtigung anderer Nonstandard-Realisierungsvarianten des

|| 296 Ob die Tendenz zur koordinierenden Realisierung nur für das Mittel- und Südbairische, oder aber insgesamt für die bairischen Dialekte gilt, müsste anhand eines größeren Korpus überprüft werden.

Relativelements zutage: Hier zeigt sich in der Frequenzanalyse, dass in den Gesprächen der Jugendlichen Relativsatzkonstruktionen mit der/die/das + was + Verbletztstellung und was + Verbletztstellung (in semantisch restriktiver Funktion) besonders häufig verwendet werden. Insgesamt ist im Vergleich der Jugendkommunikate mit den Gesprächen der Erwachsenen eine Präferenz für Nonstandard-Realisierungsvarianten unter den Jugendlichen – nicht nur in den ländlicheren Aufnahmeorten, sondern auch in der Bezirkshauptstadt Lienz – festzuhalten. Dass diese dialektalen Realisierungsvarianten in der Jugendkom-munikation häufig in Gebrauch sind, relativiert bestehende Befürchtungen eines angeblich unter jungen Sprecher/-innen fortschreitenden Dialekt-schwunds – zumindest in Bezug auf Relativ(satz)-konstruktionen.297

Für den Phänomenbereich der Komplementsätze mit Verbzweitstellung wurde zunächst eine quantitative Analyse des Vorkommens von Nebensätzen, unselbständigen Verbzweit-konstruktionen („abhängigen Hauptsätzen“) und Hauptsätzen in allen satzförmigen Konstruktionen der drei Teilkorpora JD, ED und GF durchgeführt. Diesbezüglich konnte ein signifikant höheres Vorkom-men von parataktischen Konstruktionen in den Freundes-gesprächen der Ju-gendlichen im Vergleich mit den Gesprächen der erwachsenen Dialekt- und der erwachsenen Standardsprecher/-innen festgestellt werden. Um eine möglich-erweise bestehende Verzerrung der Ergebnisse durch lexikalische Steuerung auszuschließen, wurde eine Detailanalyse anhand ausgewählter hochfrequen-ter Verba dicendi bzw. sentiendi durchgeführt. Die Auswertung der Verbstel-lung nach den Verben sagen, glauben, denken und meinen zeigte ebenfalls eine – wenn auch weniger stark ausgeprägte – Tendenz zum Gebrauch der paratak-tischeren KV2-Variante im Vergleich zu den Teikorpora mit Erwachsenenkom-munikation.

Die Frequenzanalyse in den drei untersuchten Phänomenbereichen zu-sammenfassend kann festgehalten werden, dass in allen drei Teilkorpora Bei-spiele für Verbzweitstellung in weil-Konstruktionen, Relativsatzkonstruktionen und satzförmigen Äußerungen mit Komplement-funktion (v.a. nach Verba dicendi und sentiendi) belegt sind. Auf Grundlage der hier untersuchten Teil-korpora scheint sich eine dialektspezifische Präferenz für WV2 und ein leicht jugendpräferentieller Gebrauch von KV2 abzuzeichnen. Hinsichtlich der Rela-tivsatzkonstruktionen konnten – v.a. aufgrund der insgesamt geringen Bele-ganzahl für Verbzweitstellung – in Bezug auf die Position des finiten Verbs

|| 297 Zur wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der Frage, ab wann von „Dialekt-schwund“ gesprochen werden kann, sei zusammenfassend auf Ammon (2003), zur Ausprä-gung des Dialektschwunds im deutschsprachigen Raum auf Ammon (2006) verwiesen.

keine quantitativen Tendenzen festgestellt werden. In Bezug auf die verwende-ten Relativelemente sind jedoch wiederum Unterschiede zwischen den drei Teilkorpora JD, ED und GF belegt.

Im Kontext der Untersuchung einer möglicherweise bestehenden altersge-bundenen oder regionalen Spezifik von Verbzweitstellung in den genannten Phänomenbereichen drängt sich aber auch die Frage nach den sie verbinden-den Aspekten auf. Aufschlussreich ist in Bezug auf diese Frage die Publikation von Antomo/Steinbach (2010): Ausgehend von Komplement-Verbletztneben-sätzen, die die Autoren als „optimal integrierte Strukturen, die prosodisch, syntaktisch, semantisch (als Argument des Matrixverbs) und pragmatisch […]

ein Bestandteil des Matrixsatzes sind“ (Antomo/Steinbach 2010: 15) einstufen, fassen Antomo/Steinbach in nachstehender Tabelle die wichtigsten trennenden bzw. verbindenden Eigenschaften von weil-Verbzweitkonstruktionen (WV2), Relativsatzkonstruktionen mit Verbzweitstellung (RV2) und Komplementsätzen mit Verbzweitstellung (KV2) zusammen:

Tab. 20: Eigenschaften von Verbzweit-Nebensätzen nach Antomo/Steinbach (2010: 11)298

VL-Nebensatz KV2 RV2 WV2

Position im VF +

Korrelat im MF +

Koordination mit VL +

Matrixnegation +

Präsuppon. Fokuspartikel +

Hintergrund +

Echofragen +

Integration in Interrogativsatz + +

Q/V-Bindung + +

Assertierende Fokuspartikel + + +

Intonatorisch integriert + + + +/−

|| 298 Die Aufschlüsselung der in der Tabelle enthaltenen Abkürzungen lautet wie folgt: VF = Vorfeld, MF = Mittelfeld, VL = Verbletztstellung, Q/V-Bindung = Quantoren-Variablen-Bindung (z.B. Niemand/Jeder/Keiner war verärgert, weil er (*wurde) nicht eingeladen (wurde), vgl. Anto-mo/Steinbach 2010: 11).

WV2 weisen – im Vergleich mit RV2 und KV2 – demnach den höchsten Grad an Desintegriertheit auf, lediglich intonatorisch können sie (aber müssen nicht!) in ihren Bezugssatz integriert sein, weshalb sie Antomo/Steinbach auch als „opti-mal desintegrierte Strukturen“ (Antomo/Steinbach 2010: 15) bezeichnen. KV2 sind dagegen stark integriert: Auch wenn die satzeinleitende Subjunktion dass getilgt wird, so verbinden KV2 mit dem Nebensatz mit Verbletztstellung immer noch vier gemeinsame Merkmale (die mögliche Integration in Interrogativsätze, ihre Realisierung in Äußerungen mit Quantoren-Variablen-Bindung, das Vor-kommen assertierender Fokuspartikeln und ihre prosodische Integration). Eine Zwischenposition nehmen hier die Relativsatzkonstruktionen mit Verbzweitstel-lung ein. Sie „sind stärker in den Matrixsatz integriert als WV2, aber weniger stark als VL-Komplementsätze“ (Antomo/Steinbach 2010: 15). Mit KV2 haben sie gemeinsam, dass sie prosodisch integriert sind, semantisch äquivalent wie ihre Verbletzt-Variante (restriktiv) verwendet werden können und dass sie gemein-sam mit assertierenden Fokuspartikeln realisiert werden können. Mit WV2 ver-bindet sie v.a. die syntaktische und pragmatische Desintegration.

Die Gründe für das Vorkommen von Verbzweitkonstruktionen trotz norm-grammatisch erwartbarer Verbletztstellung sind dabei vielfältig. Oft ins Feld geführt wird die – im Gegensatz zu den vergleichbaren Verbletzt-Nebensätzen – angeblich leichtere Produktion und Rezeption im Rahmen mündlicher Kommu-nikation (vgl. z.B. Schwitalla 2003: 107), die vor allem in Bezug auf durch Konnektoren (weil, obwohl, dass, wobei u.a.) eingeleitete Verbzweitnebensätze als Vorteil angesehen wird. So merkt etwa Abraham (2013) mit Blick auf dass-Verbzweitsätze (z.B.: „Und dazu kommt, dass sie haben unbegrenzte Zeit“ (Ab-raham 2013: 265)) an, dass es sich beim Gebrauch solcher Verbzweitstellungen lediglich um ein Performanzphänomen, einen „performance issue“, handle, nämlich „one where the speaker stops after beginning with subordinating dass and proceeds, after a new prosodic onset, with a V2-assertion“ (267). Daraus leitet Abraham kommunikative Vorteile ab, die er wie folgt zusammenfasst:

The speaker does not have to make a choice dependent on the matrix predicate which he has chosen and uttered already (e.g. factive vs. non-factive); he is allowed to insert modal hedges independent of the type of matrix predicate – all choices that would not be open to the speaker under subordination and Vlast. (Abraham 2013: 267)

Mit der Realisierung als Verbzweitkonstruktion geht also in vielen Fällen auch ein größerer Spielraum in der informationsstrukturellen Umsetzung einher.

Diesen Umstand spricht auch Breindl (2009: 294) an, wenn sie schreibt: „Das zusätzliche linke Außenfeld eröffnet Gestaltungsmöglichkeiten für Topikalisie-rungs-und Fokussierungsverfahren, die VL- und einfache V2-Sätze nicht

ben.“ Wie in Hauptsätzen treten häufig Linksversetzungen auf, „der nachfol-gende Satz kann fokal bleiben“ (Breindl 2009: 294). Neben dem größeren infor-mationsstrukturellen Freiraum nennt die Autorin noch zwei weitere Ursachen für das Vorkommen von Verbzweitkonstruktionen nach Konnektoren wie weil:

Erstens, die Ikonizität der Form zur semantischen Hierarchie sowie zweitens, das damit einhergehende Disambi-guierungspotential. Mit Ersterem spricht Breindl die semantische Verknüpfung der Verbzweitkonstruktion an die vor-hergehende Äußerung an. Ein desintegrierter Konnektor liefere eine Anweisung dessen, wie die nachfolgende Äußerung zu interpretieren sei: „Die Linearstruk-tur ist damit ikonisch zur semantischen Hierarchie. Für Konnektoren heißt dies:

frühestmögliche Information des Hörers über die Art des Anschlusses zum Vor-text“, so Breindl (2009: 294). Zweiteres, das Disambiguierungspotential, dient zur Kennzeichnung nicht-propositionaler Bezüge. Diesbezüglich betont die Autorin: „Aus der V2-Stellung kann – anders als bei VL – auf eigenständiges Illokutionspotential geschlossen werden“ (Breindl 2009: 294). Anto-mo/Steinbach (2010) untersuchen dies anhand einer empirischen Studie mit Testsätzen mit semantisch ambigen, sowohl propositional als auch epistemisch interpretierbaren weil-Konstruktionen mit Verbletzt- und Verbzweitstellung:

Beispiel 120:

(a) Es hat einen Unfall gegeben, weil der Airbag ist aufgegangen.

(b) Es hat einen Unfall gegeben, weil der Airbag aufgegangen ist. (Antomo/Steinbach 2010: 26) Ihren Ergebnissen zufolge tendiert der Großteil der Hörer/Leser von (120b), der Konstruktion mit Verbletztstellung, zur propositionalen Lesart (die Ursache für den Unfall liegt im Aufgehen des Airbags begründet), während die Verbzweit-stellung (120a) die epistemische Lesart nahelegt (die Ursache für die Äußerung über den Unfall/die Sprechereinstellung liegt im Aufgehen des Airbags begrün-det; vgl. Antomo/Steinbach 2010: 33).299 Die Position des finiten Verbs bietet also eine Interpretationshilfe, die in einer koordinativen Struktur wie „Es hat einen Unfall gegeben. Der Airbag ist aufgegangen.“ (Antomo/Steinbach 2010:

26) so nicht gegeben wäre.

Abschließend soll noch einmal an die eingangs zitierte Passage bei Androu-tsopoulos (1998) erinnert werden, in der der Autor eine Tendenz zu paratak-tisch(er)en Strukturen in Bezug auf Jugendkommunikation vermutet, und dies

|| 299 Die Autoren weisen jedoch einschränkend darauf hin, dass es sich dabei um eine Pilot-studie handelt und dass „neben der Position des Finitums Kontextbedingungen die epistemi-sche beziehungsweise die propositionale Lesart begünstigen können“ (Antomo/Steinbach 2010: 33).

u.a. in Komplementsätzen nach Verba dicendi und sentiendi sowie in Relativ-satzkonstruktionen. In Bezug auf die Osttiroler Jugendkommunikation kann diese Annahme empirisch nicht vollends bestätigt werden. Von den drei unter-suchten Phänomenbereichen – den weil-Konstruktionen, Rela-tiv(satz)konstruktionen und Komplementsatzkonstruktionen – konnte lediglich für letztere eine leichte Tendenz zur häufigeren Realisierung der Variante mit Verbzweitstellung beobachtet werden, wenn auch die Untersuchung zum Grad der Satzkomplexität in den drei Teilkorpora JD, ED und GF insgesamt eine Prä-ferenz für aggregative Satzkonstruktionen in den Freizeitgesprächen der ju-gendlichen im Vergleich mit den erwachsenen Proband/-innen aus Osttirol und den standardnahen Gesprächen aus Teilkorpus GF ergeben hat.

Generell ist festzuhalten, dass eine Tendenz zu Verbzweitstellung in münd-licher Kommunikation den Produktions- und Rezeptionsbedingungen gespro-chener Sprache (Linearität, Dialogizität und Interaktion, Zeit- und Handlungs-druck) entspricht. Durch Konnektoren Verstehensanweisungen für die folgenden sprachlichen Elemente bei gleich-zeitiger informationsstruktureller Freiheit geben zu können, „passt“ also zu den Gegebenheiten mündlicher Kommunikation, weshalb eine Ausdehnung von weil-Konstruktionen mit Verb-zweitstellung in ähnlichen funktionalen Kontexten auf die geschriebene Spra-che wohl nicht im gleiSpra-chen Ausmaß zu erwarten ist.300 In der Beschäftigung mit den verschiedenen Gebrauchskontexten der Konnektoren zeigt sich aber in jedem Fall die Notwendigkeit, die Polyfunktionalität sprachlicher Formen in den zugrundeliegenden theoretischen Konzeptionen zu berücksichtigen.

Konnektoren wie weil, obwohl, wobei u.a. können ja – infolge von Grammatika-lisierungsprozessen – auch als Diskursmarker in mündlicher Kommunikation spezifische kommunikative Funktionen erfüllen. Anhand der funktional-pragmatischen Annahme sprachlicher Prozeduren lässt sich dieser Vorgang gut fassen: weil kann prozedural unterschiedlich eingesetzt werden – als (para-)operative Prozedur301, um eine kausale Verknüpfung zum Bezugssatz

herzustel-|| 300 Die Häufigkeit des Vorkommens von weil-Konstruktionen, Relativ(satz)konstruktionen oder auch abhängigen Komplementsätzen mit Verbzweitstellung in schriftlicher Kommunika-tion hängt dabei natürlich wieder stark von den kommunikativen Bedingungen, der Textsorte etc. ab. Geschriebene Texte der Belletristik (vgl. z.B. die „Brenner-Romane“ von Wolf Haas) verwenden mitunter Verbzweitstellung in Konstruktionen mit normgrammatisch erwartbarer Verbletztstellung, um spezifische (ästhetische) Wirkungen zu erzielen.

301 Der Konnektor weil ist sprachhistorisch gesehen keine genuin operative Prozedur, son-dern entstand aus einer Feldtransposition aus dem Symolfeldausdruck wîle ('Weile') heraus, das einen Zeitverlauf anzeigt. Zur detaillierten Beschreibung der funktionalen Etymologie vgl.

Thielmann (2009: Kap. 3.8.1.).

len, aber auch als expeditive Prozedur des Lenkfelds, wenn weil etwa als kon-versationelles Fortsetzungssignal eingesetzt wird. In Verbindung mit Verb-zweitstellung ist weil aber auch deshalb in mündlicher Kommunikation – und hier v.a. in homileischen Diskursen – polyfunktional einsetzbar, weil es „sehr heterogene, ja geradezu inkompatible Wissensstrukturtypen und Wissensquali-täten konnektiert und auf diese Weise diskursive Abwege oder Brüche proze-dural ‚kittet‘“, wie Redder (2010: 61) zusammenfasst. Weil-Konstruktionen mit Verbzweitstellung dienen damit nicht nur der operativen Verarbeitung fakti-scher Wissenselemente, sondern bringen auch nicht-faktische (assoziative, explikativ-parenthetische, sprechhandlungsbezogene) Wissens-elemente „mit-einander in einen linear dynamisierten Zusammenhang“ (Redder 2010: 61).

4.2.5 Fazit

Die Ausführungen der vorangegangenen Kapitel 4.2.1-4.2.4. gehen der Vermu-tung nach, dass in Jugendkommunikation eine – über den Gebrauch in der gesprochenen Sprache hinausgehend – besonders hohe Dichte an Verbzweit-konstruktionen in sprachlichen Kontexten besteht, die unter normgrammati-scher Perspektive eine Finalstellung des finiten Verbs erwarten ließen. Diese Tendenz zur Parataxe wird u.a. von Reinke (1994: 299) und Androutsopoulos (1998: 279280) als spezifisches Charakteristikum von Gesprächen unter Jugend-lichen beschrieben. Zur empirischen Klärung dieser Frage wurden drei Teilbe-reiche, deren Realisierung in mündlicher Kommunikation sowohl Ko- als auch Subordination zulässt, in den Blick genommen: 1. weil-Konstruktionen (z.B. ich geh nur noch zum Optiker, weil der kann das Gleiche machen wie der Augenarzt), 2. Relativ(satz)konstruktionen (z.B. ich habe einen Mann gesehen, der hat sich Leopardentattoos machen lassen) und 3. unselbständige Verbzweitkonstruktio-nen (ich glaube, es ist Gotik). Als wichtiges Kriterium in der Bestimmung der Verbzweitkonstruktionen als solche ist dabei die prosodische Realisierung zu identifizieren: Nur Belege mit intonatorischer Integration in den Bezugssatz wurden als Verbzweitkonstruktionen eingestuft. Davon auszunehmen sind lediglich weil-Konstruktionen – sie können, aber müssen nicht prosodische Integriertheit aufweisen.

Hinsichtlich der Frequenzanalyse kann zunächst das Vorkommen der drei festgelegten Typen von Verbzweitkonstruktionen in allen drei Teilkorpora (JD, ED und GF) festgehalten werden. Die Ergebnisse zeigen eine Präferenz für WV2 in den beiden dialektgeprägten Korpora JD und ED sowie eine (leicht ausge-prägte) Präferenz für Verbzweitstellung in den Freundesgesprächen der

lichen in Komplementsätzen (v.a. nach Verba dicendi und sentiendi). Aufgrund der in allen drei Teilkorpora geringen Beleganzahl für Verbzweitstellung konn-ten bei den Relativ(satz)konstruktionen in Bezug auf die Position des finikonn-ten Verbs keine quantitativen Tendenzen festgestellt werden. Da sich jedoch hin-sichtlich der verwendeten Relativelemente Unterschiede zwischen den drei Teilkorpora JD, ED und GF zeigten, wurden die Relativkonstruktionen mit Blick auf eine potentiell bestehende altersgebundene oder regionale Spezifik in der Verwendung der Relativelemente analysiert. Diesbezüglich ist eine deutliche Tendenz in der Osttiroler Jugendkommunikation zu Nonstandard-Varianten, v.a. der/die/das + was (+ Verbletztstellung) und was (+ Verbletztstellung) fest-zustellen. Das signifikant niedrigere Vorkommen standardkonformer Rela-tivelemente im Vergleich mit den beiden Teilkorpora der Erwachsenenkommu-nikation zeichnet also einen ausgeprägten Gebrauch dialektaler Formen im Bereich der Relativ(satz)konstruktionen bei den Osttiroler Jugendlichen nach.

Anschließend an die formale Beschreibung und Frequenzanalyse in den drei Phänomen-bereichen wurden mit Antomo/Steinbach (2010) die verbinden-den und trennenverbinden-den Eigenschaften von Verbzweit-Sätzen in verbinden-den drei unter-suchten Bereichen (weil-Konstruk-tionen, Relativ(satz)konstruktionen, unselb-ständige Verbzweitkonstruktionen mit Kom-plementstatus) zusammengefasst.

In diesem Zusammenhang wurden weitere syntaktische, prosodische und pragmatisch-kommunikative Aspekte (etwa die Unterscheidung von syntakti-scher und pragmatisyntakti-scher Integration bzw. Desintegration) fokussiert. Als zent-raler auslösender Faktor für das Vorkommen von Verbzweitkonstruktionen wurde mit Breindl (2009) die damit verbundene Flexibilität in der informations-strukturellen Umsetzung hervorgehoben, die sich etwa in der Möglichkeit zu-sätzlicher Topikalisierungsverfahren in der linken Peripherie zeigt.

4.3 Serialisierung

Besonderheiten der Jugendkommunikation im Vergleich zu mündlicher Kom-munikation Erwachsener werden nicht nur in der Wahl jugendpräferentieller Lexeme (z.B. krass, Babo, fail)302, sondern auch in der Reihenfolge ihrer

Realisie-|| 302 Zu einer Übersicht über Wörterbücher der Jugendsprache sei auf Gerdes (2013: Kapitel 2) verwiesen. Eine populärwissenschaftliche Sammlung aktueller „Jugendwörter“ findet sich u.a.

in den jährlich erscheinenden Veröffentlichungen der Verlage Langenscheidt und Pons, z.B.

zuletzt von Langenscheidt: „100% Jugendsprache 2014 – Das Buch zum Jugendwort des Jah-res“ (2014). Die aktuellen Einreichungen zum „Jugendwort des JahJah-res“ können online unter http://www.jugendwort.de/ (20.12.2014) eingesehen werden.

rung innerhalb der Intonationsphrase deutlich. Im folgenden Kapitel werden daher syntaktische Besonderheiten jugendlichen Sprachgebrauchs in mündli-cher Kommunikation im Bereich der Serialisierung einzelner sprachlimündli-cher Ele-mente beleuchtet, und zwar:

1. die externe Intensivierung der Nominalphrase in prädikativen Kopulakon-struktionen wie z.B.: das ist absolut der Hammer

2. tun-Periphrasen, wie z.B.: Ich tue ganz falsch Zähne putzen

3. die Serialisierung der komplexen Verbalphrase, z.B.: Ich habe ja so müssen lachen (Verbzweitsätze)bzw.: …, was wir sollen schreiben (Verbletztsätze) Diese Phänomenbereiche unterscheiden sich zunächst hinsichtlich ihrer Varia-bilität und der Frequenz der Belege. So weist z.B. der Bereich der externen In-tensivierung der Nominalphrase eine relativ geringe Anzahl an Belegen auf. Da dieses Phänomen aber fast ausschließlich in Jugendkommunikation zu be-obachten ist, wird dennoch eine nähere Analyse – auch unter Berücksichtigung weiterer sprachlicher Mittel der Expressivität in Jugendkommunikation – durchgeführt. Hinsichtlich der Jugendspezifik unterscheiden sich die oben

3. die Serialisierung der komplexen Verbalphrase, z.B.: Ich habe ja so müssen lachen (Verbzweitsätze)bzw.: …, was wir sollen schreiben (Verbletztsätze) Diese Phänomenbereiche unterscheiden sich zunächst hinsichtlich ihrer Varia-bilität und der Frequenz der Belege. So weist z.B. der Bereich der externen In-tensivierung der Nominalphrase eine relativ geringe Anzahl an Belegen auf. Da dieses Phänomen aber fast ausschließlich in Jugendkommunikation zu be-obachten ist, wird dennoch eine nähere Analyse – auch unter Berücksichtigung weiterer sprachlicher Mittel der Expressivität in Jugendkommunikation – durchgeführt. Hinsichtlich der Jugendspezifik unterscheiden sich die oben

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